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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.09.1893
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1893-09-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18930908024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1893090802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1893090802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1893
- Monat1893-09
- Tag1893-09-08
- Monat1893-09
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V»z»-r^p«r» A» H»«Pt»M«ditto» »d« dt» t» -«tzirk »ad d« Vorort«» «rrichtetea >,«. --bestellt» »bgeholt: »teNIjihrlich^lL^ Hei tweimalioer täglicher Zustellung in« Han« ^ilickü. Durch di« Pos» bezogen für Dentschland und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Direct« tägliche Sreuzbandieadung tu« Ausland: moaatlich 7.ö0. Dir Morgen-Aurgab« erscheint täglich '/,7 Nh^ di« Lbeud-Lu«gube Wochentag« b Uhr. Redaktion «ad Expedition: Aohan»cS,ast« 8. Die Expedition ist Wochentag« un uuterbroch«, «eoisnet »«»früh 8 bi« «beyd» 7 Uhr. Filialen: ktt» «»»» - Larti«. <«lfre» H,h»>. Universitättstrab« 1, Loni« Lösche, »acharinenstr. »«. part. und Nö»tg«vla» 7. Abend, Ausgabe. Anzeiger. Drgan für Politik, Localgeschichte, Handels- «nd Geschäftsverkehr. Anzeigen'PreiS die «gespaltene Petitzeile SO Pfg. Reklamen unter dem Redactionsstrich <4ge» spoltenl SO-^. vor den Familiennachrichte» (6 geipalten) 10^. Vrogere Schritten laut unserem Preis verzeichnis. Tabellarischer und Zisfernsah nach höherem Tarif. Extra-Vcilagc» (gesalzt), nur mit de» Morgen - ÄuSgabe. ohne Poslbesörderuag SO.-», mit Poslbesörderuag 70.-^. Ilnnahmtschlnß für Ilnzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Marge n-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Soun- und Festtags srüh V,9 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ei« halbe Stund« sruher. --» Anzeigen sind stet» an dl« Gr-r-ttts» zu richten. Druck und Verlag von E. Pol» i» Leipzig. ^ 459. Freitag den 8. September 1893. 87. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 8. Seplember. Wie in unserer gestrigen Abendausgabe mitgetkeilt worben, hat sich der ,.Lettische Tabakvcrcln", in welchem Tabakl,anbei und -Industrie ihre Vertretung suchen, gegen jede Aende- rung der Tabaksteuer erklärt. Ter Verein lehnt eS, ohne die Pläne der Regierung zu kennen, ab, irgend eine andere als die bisherige BcstcuerungSart als diScutabel anzuerkcnneu. Beiläufig bemerkt, nimmt sich neben diesem Zurückzieben auf einen Jntransigcntenstand- punct das Verlangen, die Regierung solle Sachverständige auS dem Intcrcssenkrcise börcn, ziemlich sonderbar aus. Wo zu, wenn man ihr von vornherein erklärt, daß sie nur ein 8»t, ut 08t zu hören bekommen wird'? Es will nicht scheinen, als ob das angckündigte Verhalten des Tabakintcrcssenteii und dessen Begründung der Industrie bei den Regierungen und der öffentlichen Meinung zum Vortbeile gereichen könnte. Das Reich braucht einmal höhere Einkünfte und wenn cS zur Erlangung derselben zum Tabak greift, so befolgt cS nur das Beispiel fast aller anderen europäischen und überseeischen Staaten und wird zudem — nach Allem, was verlautet — in seinen Ansprüchen an dieses Genuß- miltel hinter den meisten Staaten auch jetzt noch zurück bleiben. Und was die Begründung dcS „Tabakvereinö" anlangt, so ist dieselbe durchaus nicht in allen Puncten einwandfrei. ES beißt gleich im Anfang, daß infolge der neuen Beun ruhigung der Absatz der Fabrikate stocke. Wir lassen uns über diesen Puuct gerne teS Näheren belehren, so lange aber eine Aufklärung nicht erfolgt, müssen wir und mit uns wobl alle Profanen annchinen, daß hier etwas Unbe greifliches behauptet wird. Die Tabaksteuerrcform läuft doch in Bezug aus die besseren Qualitäten zweifel los auf eine Steuer er Höhung hinaus, und als ebenso zweifellos darf gelten, daß, bei aller auf den inländischen Tabakbau genommenen Rücksicht, die geringen und geringsten Sorten nicht billiger wegkommcn werden. Bei diesen Aussichten kann man cS noch verstehen, wenn der .Fabrikant sich im Ankauf von Rohmaterial zurückhaltend verhält", daß aber der Händler, der Verbraucher wegen einer drohenden Bertheuerung der Waare den Einkauf reduciren sollten, wäre höchst erstaunlich. An dem Stocken des Absatzes der Fabrikate mag die ungünstige allgemeine Erwerbslage mit ihrer verminderten VerbrauckSfahigkeit, es mag unserthalben auch die Sonn tagsruhe Schuld tragen, die Aussicht auf eine Stcucrerböbuilg kann aber unseres ErachtenS doch unmöglick, eine Verminderung der gegenwärtigen Nachfrage zur Folge haben. Man sollte im Gegcntheile erwarten, daß das Bestreben, sich vor Ein tritt der Stcucrerböhung zu assortiren, sich bemerkbar machen müßte. Es steht zu befürchten, daß dieses Argument die Wucht auch der anderen im Berichte des TabakvcrcinS ins Treffen geführten abschwäcyt, zumal das wiederholt betonte socialpolitischc Moment doch auch in entgegen gesetzter Richtung gefunden werden kann und muß, so nämlich, daß man sagt, eS sei ein Erfordcrniß socialer Gerechtigkeit, daß ein Staat, der dem kleinen Verbraucher Zucker, Kaffee und Petroleum besteuert, auch den Raucher feiner Tabaksvrten in entsprechender Weise beran- zieht. Die Wichtigkeit der Tabakindustrie und ihrer Hilfs gewerbe soll und darf nicht unterschätzt werden, aber gerade deshalb, im Interesse der Abwehr einer wirklicb schädigenden Mehrbesteuerung, sollte cS räthlicher scheinen, „mit sich bandeln zu lassen", anstatt den Regierungen „die ablehnende Haltung zu erklären." . Voraussichtlich Ende Qctober wird die Neuwahl des Schweizer NationalratbcS vor sich geben. So nahe dieser Termin und so wicbliz die Neuwahl für das Gesammt- wohl der Republik ist, so bat man bis jetzt doch noch kaum etwas von politischen Scblaqwortcn verspürt, die dem bevor stehenden Wablkampse das Gepräge und der kommenden dieS- äkrigcn AmtSperiode den neuen Inhalt und Grundton geben ollen. Erst die socialdcmokratiscbc Partei ist auf den Plan getreten und bat in einzelnen Wahlkreisen ihre Leute zusainmcngerufcn und Eandidaten ausgestellt. Die anderen Parteien schlafen »och, wie eS scheint. 'Es ist auch nicht an- zunchmen, daß die Wahlen, mögen sie auch mancherlei Ucber- raschungcn dielen, veränderte politische Verhältnisse schaffen werden,den»die bisherige radical-demokratischeMehr- heit ist als solche gesichert; einzelne Lücken mögen ja da und dort anders besetzt werden, als erwünscht ist, allein im Allgemeinen ändern solche vereinzelte Wahlergebnisse am Gcsanimtcharaktcr der politischen Lag- »icklö. Der Nativnal- ralh zählt 147 Mitglieder, die in 52 Wahlkreisen gewählt werden. In ciiizelnen Eantonen finden gleichzeitig auch die Wahlen in den Ständeraib, oder die Zweite Kammer» statt; der Waklkörpcr dieser Behörde ist nicht einheitlich organisirt, wie bei de» NationalratbSwablcn, in einzelnen Eantonen wählt daS Volk, i» anderen ernennen die cantonalen Parla mente, in dritten die LanoSgcmcindcn ihre Ständevertreter. Der Ständcralb zählt il Mitglieder. Der neugcwähltc Nationalrath »n» hat im Verein mit dem Sländerath in der Dcccmber-Session den BundcSratb zu ernennen. Wie gerüchtweise verlautbart, gedenkt Louiö Ruchonnel zurück- zulrclcn, da ihm sein erschütterter Gesundheitszustand das Verbleiben im Amte, das aufreibend ist, nicht mehr gestattet. Tie Nachfolge wird schon besprochen. Wie üblich, bat die erste Anwartschaft auf den frciwcrdcndcn Sitz derjenige Eanton, dem der zurücktretende BundcSratb angehort hat. In diesem Falle käme also der Eanto» Waadt in Frag«, der auch schon den Nationalratb Raffy vorgeschoben hat. Da dieser Eanton aber in der Iura-Simplonbahnfrage eine den Bernern unangenehme Stellung eingenommen l>at, ist die Wahl eines Waadtländcrs noch nicht außer Zweifel gestellt. Allerlei Nebendinge bilden in solche» Fragcn^immcr ei» einflußreiches Moment, das geeignet ist, die politische Moral zu erschüttern und daö Anjehcii der Volksvertretung herabzumindern. ^ In Frankretch ist jetzt ein neues, die Behandlung von Kriegsgefangenen betreffendes Gesetz veröffentlicht worden, daö bcmcrkenSwerlhe Gcsichtspunctc in Bezug auf internationales Recht und öffentliche Moral enthält und dessen im Ganzen ziemlich humane Bestimmungen im wobltbuenden Gegensatz zu so manchen Verfügungen stehen, die in der letzten Zeit seitens der französischen Regierung gegenüber jedem Ausländer getroffen worden sind. Daö er wähnte Gesetz gesicht den Anspruch auf Behandlung als Kriegsgefangene sämmtlichen Angehörige» der eigent lichen Heere, wie auch der als kriegführend aner kannten HilsScorpS zu, nicht also den Leuten, welche die Waffen ergriffen haben, ohne daß sie in einen festen Verband eingereiht sind. Sobald die Gefangennahme staltgcfunden hat, sollen die Gefangenen in das nächste Hauptquartier geschickt und hier dem Prcvot überwiesen werden, der sie, betreffenden Falles nach Nationalitäten, in Abtbcilungcn von je 2» Mann sondert, sie ansfragt, für die Bcrwundclcn sorgt, die Lssicicre von den Mannschaften trennt und alle Marschfäbigcn in Ab- Ibeilungen von höchstens 1000 Mann dem Etappendienste überliefert. Ausreißer, welche wieder ergriffen werden, bevor sie ihre eigenen Truppen erreichen oder daö von den französischen Herren beherrschte Gebiet verlassen, dürfen nur d iSeiplinarisch bestraft werde»; solche, denen die Fluck't gelungen ist, sind, wenn sie demnächst zum zweiten Male gefangen genommen werden sollten, straffrei. Ossiciercn ist gestattet, ihre Familie» in die Gefangenschaft Nachkomme» zu lassen, sic dürfen sich Privatwoknungen ncbmcn, ihren Wohnort verändern, Urlaub erkalten. Den Mannschaften ist ein Bezug-recht ans den Empfang von Tabak im nänilichcn Umsangc cingcräumt, wie cs den fran zösischen Soldaten ziistebt, sic sollen allwöchentlich einen oder zwei militairische Spaziergänge machen, cö soll ihnen volle Freiheit zur Ausübung ihrer kirchlichen Pflichten gelassen werden und cS soll ihnen gestaltet sein, sowohl sür eigene Rechnung wie für Privatleute zu arbeiten. lieber die Unruhen in den englischen KobtenberH- wcrkc» wird beute gemeldet, daß eine Versammlung »i Trimblc stattfand, auf der David Morgan beantragte, daß alle schottischen und nordeng tischen Arbeiter gctödtct werden sollten, wenn sie nicht vor Anbruch der Nacht die Stadl verließen, woraus die betreffenden Arbeiter eiligst die Flucht ergriffen. AuS Horksbire wird ebenfalls die Fortdauer der llinnhe» gemeldet. In LccdS- Wombwell »nd Math rotteten sich die Ausständigen zu sammen und drangen überall mit Gewalt in die Bergwerke, wo sie Maschinen zerstörten und Brand stiftete». Schwere Unruhen sind auch in CheSvcl (Ehidöwell?) vorgekommcn. Die Grubenarbeilcr warfen Steine nach den Polizisten, die ihrerseits mit der blanken Waffe cinhicben, so daß aus beiden Seilen zahlreiche Verwundungen zu verzeichnen sind. In Hock- mondwike warfen die Ausständigen »ach dem Dircctor und den Polizisten. Sämnitlicbe Gebäude, BureauS re. sind zerstört. Auch im Bezirk von Ehcstersicld gab cS gefährliche Demonstrationen. In Nothingham haben die Arbeiter gleichfalls die Gebäude tcmolirk. Während die behördlichen cLicherheitSorzane Aufforderungen, zur Qrknnng zurück- zukehrcn, erließen, schleuderte man Steine gegen sie, wo durch 12 Personen schwer verletzt wurden. Der ganze District ist in Gährnng. Nach einer Meldung des „Standard" begaben sich heute >000 Polizciagenten infolge der Ausschreitungen der Streikenden nach Nord- england. Rußland gliedert Buchara immer enger seinem Reiche an und die theilwcisc Selbstständigkeit dcö Emirs schwindet immer mehr. Nachdem die Einbeziehung Bucharas in den russischen Zollverband beschlossen worden, bat der russische Minister dcS Auswärtige» den Emir von Buchara und gleich zeitig den Ehan von Ebiwa veranlaßt, auf die bisher auS- gcübte Münzhoheit zu versichtc» und die Prägung dcö alten gesetzlichen Zahlungsmittels der Völker in Mittelasien, der „KhokandS" oder „TengaS", ein;»stcllcn. Diese Maß regel wird russischcrseilS mit der gegenwärtigen Mllnz- bewcgung, mit der Enttverlhung des Silbers begründet. In den asiatischen Münzhofen sei cS mit der Ausprägung der KhokandS oder Tciigaö nie besonders genau genommen worden; ihr Nominalwerth betrug anfangs 20 Kopeken, während dieselben jetzt nur mit 12 Kopeken angenommen werten dürfen. Im Jahre IH05 laust die gesetzliche Frist dcS Umlaufs ab. Es wird mir noch eine bucharisckc Gold münze „Tilla" im Wcrlhe von 4 Rubel» geprägt, sowie die Thcilsiücke der Tenga zu 5 und zu >/, Kopeken. Man hofft, dem Rubel ein freies Feld zu bahnen, und damit vollzieht sich, wie der „PeterSb. Herold" betont, ein weiterer Schritt zur Eroberung Asiens auf friedlichem Wege. Die asiatischen Herrscher dürften freilich mit dieser friedlichen Er oberung weniger zufrieden sein. Die mannigfachen Bemühungen der griechische« Re» ierung, ein Sinken dcS Agios berbcizuführcn, sind bis» er ohne Erfolg geblieben. Auch die Hoffnungen, die sie betreffs der Rückwirkung der Korinlhcn-Ernte in dieser Richtung hegen durfte, haben sich nicht verwirklicblicht. Bis her wurde cS als etwas Selbstverständliches angesehen, daß die Korinthcn-Ernte gleichbedeutend mit einer zeitweiligen Er leichterung dcS Geldmarktes sei. Diese so sehnsüchtig er wartete Erleichterung ist nun beucr noch nicht cingetreteu. Die Käufer verhalten sich außerordentlich reservirt und bieten so niedere Preise, wie »och nie. Wohl wird ver sichert, daß die heurige Korinthcn-Ernlc zu den besten gezählt werden könne, aber man bleibt dem Lande die Erklärung schuldig, warum trotzdem der Verkehr so stau ist. DaS Agio, das sich unwandelbar über 60 Procent erkält, bekundet eher eine Tendenz zum Steigen als zum Falle», und cS ist nickt abzusebc», wann eine Verbesserung der Lage cintrctcn werde. Die Ausfuhrzölle sür Korinthen sind in Gold z» entrichte» und sollen in die Easse des neuen lOO-Millioiien-AnleheiiS fließe». Um dem bedrängten Markte einige Erleichterung z» verschaffen, hat der Finanzminister gestattet, daß diese Zölle auch in Papier, nach dem feweiligcn Goldcours umgcrcchnel, entrichtet werden könne», aber der erwartete Erfolg dieser Maßregel ist anSgeblieben; daö Agio will nicht heruntergchen. WaS die Negierung auch unternehmen mag, sie be gegnet einem SleptieiSmiiö und einer Indifferenz des Geld markts, die wobl vor der Eröffnung dcS Parlaments nicht verschwinden werden. Erst dann, wenn man die Gewißheit dafür erlangt haben wird, daß das neue Eabinct über eine wirkliche Mehrheit im Parlament verfügt, kann eine Wendung zum Besseren ciittrclcn. Der Regierung sebll cS nicht, an gutem Wille» und an der Fähigkeit, die Schicksale dcS Landes in gedeihliche Bahnen zu leite», aber so viel man bis jetzt ersehe» konnte, bat sie noch keine» genügenden Halt in, Volke selbst und ist ihre Zukunft zu unsicher, als daß die öffentliche Meinung und insbesondere der Geldmarkt ans ihren Bestand hauen könnlcii. Deutsches Reich. ff Berlin, 7. September. Wenn der „Vorwärts" und die übrige socialdemokratische Presse anläßlich der Greuel von Aigue« Mortes das Verhalten französischen Schlächter beschönig» und deren Opfer noch' obendrein beschimpft, al« ob sie nur die gerechte Strafe dafür erkalten hätten, weil sie den französischen Arbeitern im eigenen Lande Be schäftigung und Verdienst raubten, so muß zur Steuer der Wahrheit doch constatirt werden, daß die tendenziöse Fälschung dcS TbatbcstandeS kaum weiter getrieben werden kan», als cS hier geschehe» ist. Denn wenn dem so wäre, wie es die socialdenivkratischc Presse ihrem Leserpublicum weiß macht, so müßte» doch jetzt, nachdem die Italiener daS Feld den fraiizösischcn „Gcnosscn" überlassen haben, letztere alsbald in die eroberten Positionen triumphircnd cingezogeu sein. Aber nichts von alledem ist der Fall. Nur ganz ver einzelt melde» sich Franzosen zur Uebernahmc der den Ita liener» brutal entrissenen Arbeiten. So ist cö in AigucS MortcS, so in den gcsammten südlichen Departements, so in Paris, Nancy und überall, wo Italiener in Arbeit standen. Der französische „Genosse" meint anscheinend, er sei sür gewisse Beschäftigungen zu gut, will aber auch fremd ländischen „Brüdern" weder die Arbeit noch den Verdienst gönnen. Aber die Hetze geht trotzdem vorwärts. In bel gischen Arbeiterkreisen herrscht lebhafte Besorgnis), daß nach Abschlachtung der Italiener nun die Reihe an sie kommen dürste. Denn der belgische Arbeiter ist gleich dem Feuilleton. Sein einziges Gut. I2j Roman von B. Corony. Na-truck verdoie» (Fortsetzung.) Die heilige Handlung war beendet und Gisbert geleitete seine Frau zu dem harrenden Wagen. Von bräutlicher Er regung konnte man an Konstanze nichts bemerken, marmorblaß und unnahbar stolz sah sie auS, aber auch bezaubernd schön in dem weißen schimmernden AilaSkleid, welches der Schleier wie eine zarte Nebelwolke umwallte. Farbensprühende Dia manten schmückten HalS und Arm. Ten Weg von der Kirche bis zum Schloß bestreuten zierlich geputzte Landmädchcn, vor der langsam fahrenden Wagcnrcihe hergebend, mit grünen Zweigen und den ersten FrühjahrSblumen. Dem nun folgenden Feste wohnte Frau von Arnheim nicht bei. Sie fühlte sich erschöpft und suchte auf dringendes Zureden Alerandra'S ihre Gemächer auf. Nur wenige Stunden währte das frohe Beisammensein, dann machten sich die Neuvermählten reisefertig, um mit dem nächsten Zuge die Heimath zu verlaßen. Her früher im reinsten Blau strahlende Himmel hatte sich jetzt bewölkt, heftige Windstöße brausten heulend um das Haus und durch den Park, die hohen Baumkronen bin und der reißend, als gelte eö, sie ihres kaum gewonnenen Blältcrschimickcs wieder zu berauben. Nachdem beide von der Mutter Abschied genommen, bob Gisbert seine junge Gattin in den Wagen. Sie neigte sich noch einmal berauS und blickte nach dem Schloß. Frau von Arnheim lehnte an einem der hohen, geöffneten Fenster. Da fing sich der Wind plötzlich in dem weißen Vorhang, daß dieser hoch ausflog und sich dann zurücksinkcnd um die regungslose Gestalt legte. Mit einem unwillkürlichen AuSruf des Ent setzen- barg Konstanze daS Gesicht in Len Händen. „WaS ist Dir?" fragte der Freiherr besorgt. „Nicht- — nichts!" stammelte die Erschrockene, sich mühsam fassend. Warum mußte sic an jene fürchterliche Erscheinung gemahnt werden, von welcher sie immer noch nicht recht wußte, ob dieselbe ein Ficbertraum, ob Wirklichkeit gewesen? O, das grauenvolle Phantom mit den Zügen der Mutter und dem lang nachschicppenden Bahrtuch! War e- ein böse-Vorzeichen, daß der tückische Zufall ihr gerade jetzt di« Erinnerung daran so lebhaft zurückries? Schaudernd, fröstelnd drückte sie sich in die Ecke des Wagens. Der Mann neben ihr, die ganze Gegend, sogar ihr eigenes Ich kam ibr fremd vor. Wohin waren die glühenden, goldigen Bilder gezogen, die ihr einst vcrschwebtc»? Vorbei — vorbei! — In den Strom feurigster Lust hatte sie zu tauchen gehofft, und jetzt — Alles kalt, nüchtern, grau wie der wolkcnbcdcckle Himmel. 10. Capitel. Auf dem Edelhof war cS während dcS verflossenen Winters noch trübseliger geworden. Hildegard hatte sich zwar dem Gebote des Vaters, Eaniory zu meiden und das Haus nie mehr vbne Begleitung zu verlassen, gefügt, aber ein Ausdruck stiller Schwcrmuth machte jetzt ihre Aehnlichkeit mit der Ver storbenen auffallender als je. Freilich, so widerstandslos wie diese gab sie sich dem Kummer nicht bin, sie rang tapfer mit sich selbst und fand eine kräftige Stütze an der klugen, freund lichen und tbeilnebmcnden Großmutter; aber daS weiche, treue Herz der früh Entschlafenen hatte sie geerbt, und auf diesem unentweihlen Altar war eine heilige Flamme entbrannt, die ibr ganzes Wesen mit läuternder Glulh durctidrang. So fest wie an daS Wort Gottes glaubte sie an die Unwandelbarkeit der Liebe. Camory weilte nicht mehr als Gast bei dem Grafen von der Lauen. Er war nach der Stadt gezogen, kebrte aber von Zeit zu Zeit wieder, denn die holde Makchcnblumc in dem bergumschlossenen Thal vermochte er nickt zu lassen. Zum ersten Male war sein wilder, unruhiger Sinn gefesselt. Die schroffe Zurückweisung, welche er von ihrem Vater erfahren, hatte, weit entfernt, ihn zu cntmulkigcn, seinen Wunsch, die Geliebte dessenungeachtet zu erringen, nur heißer und leiden schaftlicher gemacht. Er fand stets Mittel und We^e, sie zu sehen, wen» auch nur von fern. Hans Rainer gcri'etb dann immer in zornige Aufregung, bewachte Hildegard eifersüchtig und beargwöhnte und quälte sie ebenso wie einst ihre Mutter. Dadurch wurde sie besangen und ängstlich, und ihr stilles, sckeucS Wesen, die natürliche Folge seiner Heftigkeit, reizte und erbitterte ihn. Er liebte ja seine Tochter über Alles und meinte nur für ihr Glück zu sorgen. Ungefähr acht Wochen nach des Freiherr» Abreise kam ein Abend, an welchem Rainer sich in besonders übler Stimmung befand. Die cingcschüchtcrle Hildegard war ikm nicht wie sonst entgegengeeilt, als er von dem Felde zurückkehrtc. DaS hatte ihn lies gekränkt, und nun hörte er nicht auf, daS Mädchen zu tadeln und zu schelten. Dazu kam noch, daß der Knecht Rupert, der mit dem Wagen nach G. . . hinübergeschickt worden, um iiöthige Einkäufe zu besorgen, übermäßig lang auSblicb. „Geh schlafen, Kind, Dir fallen die Augen zu", sagte die Großmutter endlich, und Hildegard stand auf und umarmte wie allabendlich den Vater. Es tbat ihr leio, ihn erzürnt zu haben, und sie hätte gern reckt zärtlich zu ibm gesprochen, aber sein finsterer Blick und der strenge, unfreundliche Ton seiner Stimme benahnicn ibr den M»th. „Bezieh Du Dich auch zur Ruhe", wandte sich die alte Frau an den in düsteres Nachsilincii versunkene» Mann. Er antwortete nicht. Sie legte die Hand aus seine Schulter und wiederholte ihre Worte. „Ich weiß, WaS ich zu thuu babc", erwiderte er kurz. „Schlafen könnte ich doch nicht; mir gebt zu viel im Kops herum. Uebcrdies beunruhigt cS mich auch, daß der Rupert noch nicht zurückkommt. Ich habe ihm eine große Summe mitgcgeben." „Er ist ja brav und ehrlich. Es handelt sich jedenfalls nur um eine zufällige Verzögerung." „Ach was! Der Versuchung und günstigen Gelegenbeit kann Einer leicht unterliegen. Jeder war einmal ehrlich, ehe er auf- hörtc, eS zu sein." „Durch Deinen beständigen Argwohn machst Du Dich und Andere unglücklich." „Ich bin nun einmal so und habe keinen Grund, von irgend Jemandem eine gute Meinung zu haben", stieß er raub hervor. „Gerade heute tobt eS wieder in mir, daß ich die Welt ans den Fugen reißen möchte. In einem engen Zimmer kann ich cS nicht auSbalten." „Willst Du denn noch fort?" „Nur in den Garten hinunter. Geh zu Hildegard und lasse mich. Du weißt, eS ist am besten, wenn man sich gar nicht um mich bekümmert." Seufzend bot sic ihm die Hand und suchte ihre Enkelin auf. Diese schlief noch nickt. Sie schien geweint zu haben. Tie alte Frau küßte sie aus die Stirn und sagte tröstend: ..Tu mußt das dem Vater nicht übel nehmen. Bist ja dock sein Lieblinß, sein Alles. Wer so viel gelitten hat wie er, kann nickt immer in rosiger Laune sein, und wenn er verlangt, daß Du Dein Herz bezwingst, so bringe ihm daS Opfer; der liebe Gott wird Dick segnen dafür. „Ich will eS ja auch", erwiderte Hildegard. „Stets werde ich eine gehorsame Tochter sein Aber wenn ich ibn so finster und zornig sehe wie heute, überfällt »ich eine furchtbare Angst. Mir ist dann immer, als müßte irgend etwas Schreckliche- geschehen. Sieb nur, wie ich zittere." „DaS ist ja Tborbcit!" tadelte die Großmutter. „Du bist kein zimperliches Stadlfräulein, sondern ein gesunde-, frisches Land mädchcn. Fange mir nur nicht mit schwachen Nerven an, sonst verliere ich die Geduld. So ein junges Ding wie Tu geht nickt gleich zu Grunde, wenn cS der Sturm ein wenig rüttelt. Da beißt cö fest aus den Füße» stehen und den Kopf hübsch oben behalten. Jeder bat sein Päckchen zu tragen, und daS Deine ist noch nickt daü schwerste. Nun gute Nacht! lind inorgcn will ick ein heiteres Gefickt sehen. Man muß sich nicht selbst cinrcdcn, daß man uugtücklich ist, sonst schickt der Himmel wirklich einmal etwas recht Bitteres." „Du hast recht. Ich will nicht mcbr so kindisch sein. Morgen soll der Vater keine Ursache zur Unzufriedenheit haben." Sie gingen zur Ruhe. Einige Stunden mochten verflossen sein, als die alte Frau vlötzlich emporstihr. Was war da für Lärm und Stimmengewirr? Welch entsetzlich schwere, er stickende Lust im Zimmer? Rauch — immer dichter werdender Rauch! Träumte sic den»? Nein, dort draußen flog jetzt ein förmlicher Fnnlcnregen vorüber. „Hildegard, Hildegard, wach aus!" rief die Erschrockene, den Arm ihrer Enkelin ergreifend. „WaS ist geschehen?" stainmellc daS Mädchen, warf schnell ein Kleid über, lies an daö Fenster »nd prallte mit einem Sckrci dcS Entsetzens zurück: „Um Gotte'ivillcn, der türkische Pavillon ist ganz in ticken Qualm gehüllt und dazwischen glüht cö wie ausstcigcnde und zerstiebende Raketen! Mit Lichtern eilt man im Schlosse hin und her — der Park füllt sich mit Menschen!" Sic riß die Thür auf und eilte die Treppe hinab. Die Großmutter folgte ibr. Im Hofe stand Rainer unter seinen Leuten. Die Spritze war bereit- aus dem Verschlag geholt worden. „DaS ist reckt, HanS, daß Du dem Nachbar zu Hilfe kommen willst!" rief die alte Frau. „Davon kann nickt die Rede sein", erwiderte er ruhig. „Ich muß den Etclbos zu schützen suchen, so viel eS in meiner Macht stebt. Tie uninittelbarc Näbe ist höchst gefährlich und das einzige Glück, taß vollkommene Windstille herrscht." Tic Sturmglocke läutete. Die Feuerwehr a»S dem Dorfe und die Spritzen von den verschiedenen Gütern raffelten heran. Eine Schaar Landlente lief hinterher. Grauenvoll ballte der Rus: „Es brennt! Es brennt!" durch die Nacht. Ta züngelte eS plötzlich dura) den schwarzen Rauch. Au-
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