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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 18.11.1895
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1895-11-18
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18951118029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1895111802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1895111802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1895
- Monat1895-11
- Tag1895-11-18
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Was bisher über seinen Inhalt laut geworden ist, läßt nicht darauf schließen, daß er große Veränderungen gegen den laufenden Etat aufweisen werde. Selbst die Forderungen für neue Schiffe dürften nicht über daS Maß Hinauszehen, welches man nach der gesammten Entwickelung der politischen Verhältnisse erwarten mußte. Im Zusammenhänge mit dem Etat werden die üblichen Reckinnngssachen stehen, von denen die Uebersicht über die Reichs-Ausgaben und -Einnahmen des IahreS 1894/95 Wohl die wichtigste sein dürste. Was die übrigen Gesetzentwürfe betrifft, so wurde schon vor einiger Zeit mitgetheilt, daß unter den ersten, welche dem Reichstage vorgelegt werden würden, die Vorlage über den Verkehr »nt Butler u. s. w., das sogenannte Margarinegesetz, sich befinden würde. Tiefe Meldung hat inzwischen ihre Bestätigung gefunden. DaS Margarinegesetz unterliegt im Bundesralhe bereits eingehender Berathung. Ebenso der Gesetzentwurf über die Handwerker kammern. Beide Entwürfe waren bereits in der vorigen Reichstagstagung von den Regierungsvertretern angekündigt worden, sie waren Wohl auch sicherlich schon damals zur Vorlage gelangt, Wenn dieser Tagung eine längere Dauer beschicken gewesen wäre. Von den mancherlei Entwürfen, welche in der vorigen Tagung dem Reichstage von den verbündeten Regierungen nnlerbreitet, von diesem aber nicht erledigt waren, ist die Novelle zum GerichtsversassungS- ' gesetz und zum Strasgesetzbuch, welche die Entschädigung unschuldig Verurteilter, die Wiedereinführung der Berufung in Strafsachen u. A. enthielt, beim BundeSrathe wieder ein- ebracht. Auch sie dürfte sich also unter den ersten Vorlagen esinden, welche dem Reichstage demnächst zugehen werden. An den Gesetzentwurf über die Bekämpfung des unlauteren Wettbewerbs wird noch die letzte Hand angelegt. Es darf jedoch als zweifellos angesehen werden, daß er sowohl, wie der Börsen ge setzentwurs dem Reichstage schon im ersten Abschnitte seiner Tagung zugehen wird. Im klebrigen werden natürlich auch diejenigen Mittheilungen, welche aus Grund von Bestimmungen schon bestehender Gesetze gemacht werden müssen, wie die Nachweisunz der Nechnungsergebnisse der Berussgenossenschaften, Abänderung der Ausnahinevor- schriften über die Sonntagsruhe u. a. in., diesmal gleich nach der Eröffnung der Tagung dem Reichstage zugchen. Was die so sehnlich erwartete Reform der Militair-- Strafgerichtsordnunk betrifft, so kann leider nicht mehr bezweifelt werden, daß innerhalb der maßgebenden Kreise sehr scharfe Gegensätze herrschen, deren Vertreter einander mit ungewöhnlichen Mitteln bekämpfen. Schon am Sonnabend brachte die „Kreuzzeitung" über „Quertreibereien gegen die Thätigkeit des (preußischen) Kriegsministers" eine sehr scharfe Auslassung, in der es u. A. hieß: „Was wird mit der ganzen Hetze überhaupt bezweckt? Soll der Reichskanzler denuncirt werden, indem von ihm erzählt wurde, er habe sich lebhaft für unbeschränkte Oesfentlichkeit des militairischen Gerichtsverfahrens ausgesprochen, die nirgends besteht? — Wollte man den Kriegsminister verdächtigen, indem man andeutete, er suche sich aus Rosten des Ansehens der ?rone Relief zu geben und für die Realisirung seiner Pläne Rücken deckung bei der Presse zu finden? Oder war es daraus abgesehen, den General v. Wittich als etwaigen Nachfolger des Kriegsministers dadurch unmöglich zu machen, daß man ihm Forderungen und Aeußerungen zuschrieb, die nie von ihm ausgegangen sind? Was hat es zu bedeuten, daß nunmehr auch die Generale v. Hahnke uud v. Pi essen auf die Bühne gezerrt werden? Wer schreibt das Alles? — Wie aber ist cs endlich zu erklären, daß gegenüber der in München wie in Berlin gegebenen halbamtlichen Berichtigung die Blätter, welche Len ersten Klatsch brachte», daran feslhalten, daß sie ihre Nachrichten von zuverlässiger und unterrichteter Seite erhalten hätten? Unserer Meinung nach liegt dem ganzen Treiben ein wohlüberlegter Plan zu Grunde, und es wäre im Interesse des Staates dringend zu wünschen, daß es gelänge, den oder die Urheber der fraglichen Miltheilungen sestzustellcn. Es ist doch merkwürdig, daß — nachdem seil nahezu 20 Jahre» Verhandlungen über die Militair-Strasgerichtsordnung gesührt und obwohl sie seit zwei Jahren in besonders lebhaften Fluß gekommen sind, Details darüber aber nie Len Weg in die OcssentUchkeit gesunden haben — jetzt plötzlich Enthüllungen über die Verhandlungen im Staatsmtnistcrium an gewisse Zeitungen verschickt werden." Es war von vornherein klar, daß diese Auslassungen in- spirirt waren und auf eine Störung des Gleich gewichtes in Negierungskreisen hindenteten. Diese Annahme wird heute durch die Meldung des „Hann. Cour." bestätigt, es sei eine DiSciplinar Untersuchung eingeleitet, um die Stelle zu ermitteln, von der aus Mittheilungen über die Verhandlungen des preußischen Slaatsministeriums über die Militairstrafgerichtsordnnng in die Oesfentlichkeit gelangt sind. Man hat wohl zu beachten, daß es sich bier nicht um Indiskretionen handelt, wie sie von Zeit zu Zeit zu Gunsten des „Vorwärts" oder gelegentlich auch einer andern Zeitung von Personen begangen werden, bei Lenen man als Beweg grund entweder die Absicht, die Socialdemokratie zu fördern, oder Bosheit oder auch gemeine Gewinnsucht annehmen kann. Die Vorgänge im preußischen Staatsminislerium werden geheim gehalten, womit nicht gesagt ist, daß außer dem Träger der Krone nicht noch andere Personen einen natürlichen, weil aus ihrer Berusspflicht hervorgebenden, An spruch auf Benachrichtigung von den Verhandlungen des Ministeriums haben. Aber diese Letzteren haben die im Interesse des Dienstes bekannt gegebenen Thatsachen selbst verständlich gleichfalls als Dienstgeheimnisse zu betrachten. Wenn nun in der Angelegenheit der MilitairstrafgerichtS- ordnung eine ganz ungewöhnliche Information der Lefsent- lichkeil erfolgt ist, so hat man es dabei nicht mit subalternen Indiskretionen, sondern mit einer in einem politischen Kampf- spiel ausgcspielten Karte zu tdun. Wir sind außer Stande, eine der zahlreichen Möglichkeiten, die die „Kreuzzeitung" hin sichtlich der Urheber und des Zweckes der Veröffentlichung andeutct, mit Bestimmtheit als Gewißheit zu bezeichnen; jedenfalls sollen Personen in hohen Aemtern durch Ihres gleichen auf illegitime Weise in ihren Stellen erschüttert werden. Ob die Angelegenheit der Militairstrafproceßordnung daS eigent liche Kampsobject bildet oder nur als Vorwand bient, darüber lassen sich, so lange nicht einmal mit voller Sicherheit bekannt ist, ob die Veröffentlichungen, die den Gegenstand der er wähnten Disciplinarumersuchunz bilden, auf Freunde oder Gegner einer zeitgemäßen Reform des Militairftrafgesetzes zurückweisen, keine Vermuthungen anslellen. Zu dieser An gelegenheit selbst erhält der „Hannov. Cour." eine Berliner Zuschrift, die, nach einigen Bemerkungen über das gegen den Professor Delbrück eingcleitete Gerichtsverfahren und Len Fall Iastrow, den Minister von Köller als die Kraft be zeichnet, die zur rücksichtslosen Ausführung der „von oben herab" gegebenen Weisung treibt, „die bestehenden Gesetze zur Aufrechterhaltung von Sitte und Ordnung auf das Schärfste zu gebrauchen", und dann fortsährt: „Herr v. Köller scheint auch Hand in Hand zu gehen mit den zur Umgebung des Kaisers gehörenden Männern, die einer Reform der Militainirafproceßordnung nichtgeneigt sind. Er dürftedie Anschauung vertreten, daß ein öffentlich versahrendrs Militärgericht der Soeiat- demokralie Wasser auf die Mühle liefern könne. Sollte es Herrn v. Köller gelingen, mit seinen von hohen Militairs unterstützten Anschauungen an allerhöchster Stelle durchzudringen, so wäre eine Ministerkrisis wahrscheinlich, denn der Kriegsminister hat (worauf auch von uns kürzlich hinaewiejen worden. Red. des „Leipz. Tgbl.") im Reichstag erklärt, daß, wenn es ihm nicht möglich sei, die Reform durchzusetzen, er Se. Majestät um einen Nachfolger bitten müsse. In diesem Falle würde wohl auch der Reichskanzler Fürst Hohenlohe den Kaiser ersuchen, ihn von seinen Aemtern zu entheben, denn auch er dürste es als einen Mangel an Vertraue» zu ihm ansehen, wenn in dieser wichtigen Frage seine Ansicht venvorsen würde. Vorläufig jedoch besteht durch- aus die Hoffnung, daß in der nächsten SitzungSzeit des Reichstages der Kriegsminister einen Entwurf vertreten darf, dessen Grundzüge in der Errichtung ständiger Gerichtshöfe mit Berufungs instanz in jeder Garnison, in der Mündlichkeit und Leffenttichkei» des Verfahrens liegen; und was die Oesfentlichkeit angeht, so ist vorgesehen, daß sie nur ausgeschlossen werden kann auf Antrag durch Spruch des Gerichtshofes. In weichen Fällen der Antrag aus Ausschluß der Ocffcntlichkeit gestellt werden kann, soll gesetzlich be stimmt werden." So weit das hannoversche Blatt. Wir unsererseits glauben gleichfalls nicht befürchten zu müssen, daß man die bisherigen Erfolge des preußischen Ministers des Innern in der Be kämpfung des Umsturzes — die jüngsten wie die älteren Erfolge! — so hoch schätzt, daß man diesem Minister eine be sondere Autorität auf diesem Gebiete beimessen zu sollen glaubt. Wenn bezüglich der Flottendemonstration in den türkischen Gewässern aus dem Umstande, daß nur das Schulschiff „Moltke" sich daran betheiligen soll, auf eine absichtliche Zurückhaltung Deutschlands geschlossen wird, so ist das irrig. Eö sieben leider augenblicklich andere Schiffe nicht zur Verfügung. Der Marine-Correspondenl des „Hamb. Cvrr." schreibt seinem Blatte darüber: Nachdem die Schul fregatte „Moltke" unter dem Befehl des CapitainS zur See Schneider letzter Tage in Smyrna angekommeu ist, wird es den deutschen Reichsangehörigen im ganzen Orient zweifellos unter den gegenwärtigen Verhältnissen im türkischen Reiche eine große Beruhigung sein, ein größeres deutsches Kriegsschiff, außer dem kleinen in Konstantinopel stationirten Kanonenboot „Loreley", nabe zu wißen. Wenn sich auch die Fregatte „Moltke" in erster Linie nur auf einer Uebungsreise zur Ausbildung von Cadelten und Schiffsjungen im östlichen Tbeil des Mittelmeeres befindet und bereits vor ihrem Auslaufen aus Kiel gegen Mitte September den Befehl erhielt, auf ibrer Winterreise die kleinasiatische Küste anzulausen, so hat das Schiffscommando doch auf der Reise des Schiffes höheren Orts während der letzten Wochen Weisung erhalten, den Vorgängen im türkischen Reiche volle Aufmerksamkeit zu schenken und sich nötigenfalls den Vertretern der Reichs- regieruug in Len zu besuchenden Hafenptätzen im Orient zur Verfügung zu stelle». Aus diesem Grunde darf auch an genommen werden, baß die Fregatte „Moltke" länger als ursprünglich beabsichtigt war, im Aegäischen Meere stationirt bleiben wird, bis die Verhältnisse im Orient sich geklärt haben werden, was um so nothwendiger sein wird, als sich zur Zeit kein anderes größeresKriegsfahrzeug im Mittelländischen Meere aushält. Sollte daher auch das deutsche Reich, dem Beispiel der meisten anderen Großstaaten folgend, größere Seestreitkräfte im Orient zusammenzuziehen beabsichtigen, so werden diese von der Heimath aus erst die Ausreise antreten müssen. Unter diesen Umständen ist es ein günstiger Zufall, daß die Fregatte „Moltke" den großen Besatzunzselat von fast 500 Manii an Bord hat, so daß jeder Zeit von dem Schiff ein größeres Lalidungscorps würde an Land gesetzt werden können. Bon den weiteren Berichten des deutschen Botschafters in Kon stantinopel wird es adhängen, wohin der „Moltke" von Smyrna auS die Krcuztour fortsetzen wird. Nach einer ihr bis setzt mit- gegebenen Segelordre sollte daS Schiff unter Anlauten eines Hafens der syrischen Küste, u. A. auch nach Alexandrien dampfen. — Daß es zu einer Landung europäischer Truppen auf türkischem Boden kommen kann, liegt auf der Hand, denn wenn der Sultan auch offenbar eingeseben hat, daß die Zeit zum Handeln gekommen ist, die Mobilisirung des größten Theils der Armee (gegen lOO OOO Mann) angeordnet und schon ein starkes Truppenaufgebot nach Kleinasien unterwegs ist, so ist es dock noch sehr fraglich, ob es nun auch wirklich gelingen wird, die Ruhe wieverherzustellen, da nicht mit Unrecht Bedenken gehegt werden, daß das auf- gebotene Militair sich Wohl gegen die Christen, nicht aber gegen die eigenen Glaubensgenossen verwenden lassen werde, und man außerdem nach den neuesten Meldungen jeden Augen blick aus eine erfolgreiche Palastrevolution in Konstantinopel gefaßt sein muß. Vorläufig bleibt den Mächten nichts übrig, als abzuwarten, bis die Truppen sämmtlich an Ort und Stelle sind und aus dem Vorgehen derselben zu ersehen ist, welchen Verlauf die ganze Action nehmen wird. Dabei wird man gut thun, die Möglichkeit nicht außer Acht zu lassen, daß die gegenwärtigen Wirren der Anstoß zur Einleitung des letzten Stadiums in der der Auslösung zudrängenden Entwickelung der Dinge in der Türkei sind. Dann würde die Einmütbig- keit der Mächte auf eine noch größere Probe gestellt werden, als es jetzt geschehen ist, dann würde die türkische Gefahr, waS sie jetzt noch nicht ist, für Europa imminent werden. Seitdem das HauS Romanow-Holstein-Gottorp in Ruß land regiert, also seit 134 Jahren, ist der Fall nicht vor gekommen, daß dem regierenden Zaren als erstes Kind ein Mädcken geboren worden ist. Da indessen seit 1797 in Rußland die erblickqMchronfolge in gerade absteigender Linie nach dem Rechte de^Erstgeburt und dem Vorzug der männ lichen vor der weiblichen Linie festgesetzt ist, so würde die am Freitag Abend geborene Tochter des Kaisers Nikolaus II. und seiner Gemahlin Alexandra bis zur Geburt eines Sobnes als Thronfolgcrin angesehen werden können. In Wirklichkeit wird die Großfürstin Olga aber erst dann ofsiciell als Tbronfolgerin anerkannt werden, wenn der Bruder des Kaisers, der jetzige Thronfolger Georg, sterben und inzwischen nicht ein Sohn geboren sein sollte; denn in dem Manifeste Nikolaus' II. vom 1. November v. I. wurde ver ordnet, daß der Großfürst Georg so lange als Thronfolger zu tituliren sei, „bis Gott die mit der Prinzessin Alix einzugehende Ehe des Kaisers mit einem Sohne segnen werde". Das l8. Jahrhundert bat nicht weniger als vier regierende Kaiserinnen auf dem Throne Rußlands gesehen, und wenn die selben auch nicht auf Grund einer feststehenden Thronfolge- ordnung zur Regierung gelangt sind, so kann man doch wenigstens von einer derselben sagen, daß sie die Geschicke deS Landes mit mehr Energie und größerem Erfolge geleitet hat, als die meisten ihrer männlichen Vorgänger oder Nachfolger. — Die Thal- fache, daß das erstgeborene Kind des regierenden Zaren ein Mädchen und nicht ein Knabe ist, bat auch eine gewisse politische Bedeutung; denn nach russischer Auffassung wächst die Autorität deS Herrschers, wenn er auf einen Sohn als Nachfolger Hinweisen kann. Diese Auffassung ist sehr allgemein, und selbst besonnene, ernste Politiker in Ruß land haben von der Geburt eines Kaisersohnes ein Erstarken F-uilletsn» Der Kampf ums Dasein. 17j Roman von A. von Gersdorsf Nachdruck verboten. (Fortsetzung.) Als er die Potsdamer Brücke erreichte, blieb er zögernd stehen. Wohin zuerst mit seiner Glücksverkündigung?! Zu Iakoba, zu Vater und Schwester?! Er wußte kaum, wer sich inniger freuen würde. Und dann siegte doch die Sehnsucht nach der Heiß geliebten. Er warf sich in eine vorüberfahrende Droschke und fuhr u ihr. Unterwegs noch einmal anhaltend und einem plötz- ichen Gedankenblitz folgend, erwarb er rasch eine Flasche Champagner und ein Bouquet rother Rosen. Schrecklich theuerl Aber solch ein Tag mußte mit Champagner begossen, mit Rosen bestreut werden! Und man war ja nun in recht guten Verhältnissen, man konnte sich solch kleine Extravaganz schon gestatten. Er erinnerte sich lächelnd, wie er ihr damals gesagt, daß sie ihm den goldenen Trunk credenzen solle am SiegeStage. Wie rasch er die Treppen hinaufsprang! Zwei Mal zog er so rasch die Klingel, daß sie selbst herauseilte, ihm zu öffnen. Wie sie ihn vor sich stehen sab mit dem glücklichen Gesicht, den Rosen und dem Wein, sank sie in ahnungsvoller Freud« an sein Herz! Noch den Wein und die Rosen in den Händen, umschlang er sie und flüsterte selig: „Willst Du am 2. Februar meine Frau werden?" Dann saßen sie zusammen in dem kleinen Salon, wo e- so vornehm duftet« und durch die bernsteinfarbenen Vor hänge der blaffe Sonnenstrahl goldige Lichter über da- ganze Bild warf. ^ Wie glücklich sie waren! Sofort in eine Welt von Plänen tauchend, einander unterbrechend mit Fragen und Ideen, die gar nicht dazu gehörten, bis Iakoba plötzlich sagte: „Aber Helmuth! Wir müssen zum Vater und zur Schwester — wir müssen theilen, unser Glück und unsere Rosen unv unseren Wein. Theilen mit unseren liebsten Menschen! Komm! Wir nehmen Alle» mit. Ich ziehe mich rasch um und wir fahren zu ihnen!" „Oh! Du Liebste, Beste! Ja, ja. DaS wollen wir!" Im Sturmschritt durchmaß er das Zimmer, saßle Alles an, besah Alles, fand Alles reizend, wieder, als sei er zum ersten Male hier: wieder, als sei er ein anderer Mann, während er eine Weile allein blieb, bis Iakoba sich zum Aus gehen fertig gemacht hatte. „Hast Du schon Antwort aus Stuttgart?" fragte er unterwegs. „Ja. Gestern. Ich möchte mich noch einige Tage ge dulden. Es wäre so furchtbar viel zu thu». Und sie würden mir mit Vergnügen 3000 ^ zahlen, da sie nicht daran zweifelten, daß der Roman sich eignen würde. Einen reizen den, schineichelhaften Brief. Ja, man fängt an, berühmt zu werden." Hclniutb lächelte glücklich, während er an ihrer Seite im bequemen Wagen dahinrollte und manch bewundernder Blick das schöne Paar streifte. „Es ist auch Zeit, daß ich wieder Geld bekomme", meinte Iakoba heiter. „Bei mir ist bald Ebbe, am 1. Januar muß ich wieder Miethe bezahlen — und dann auch kündigen, denn behalten könnten wir die Wohnung doch nicht. Schon wegen der Entfernung von Deinem Bureau." „Und ist auch zu klein für uns Beide!" „Viel zu klein." „Hast Du nicht auch einen Roman bei Schmidt?" „Ja — einen restaurirten, das heißt einen alten, den ich umgearbeitet habe. Schmidt sagte mir neulich, daß er mir morgen Bescheid senden wolle, und wenn er die ganze Nacht lesen müsse, waS bei meinen Arbeiten eigentlich kein Opfer sei, da sie den Leser eben festhielten. Er entschuldigte sich in seiner reizenden Weise' sehr, daß er trotz der langen Zeit noch ,m Rückstand sei damit, aber die Umgestaltung der Redaction, aller dortigen Verbältnisse, deS ganzen Blattes beschäftigte ihn fast jede Minute de- Tage-." „So?! Ich denke, er bat da mit seinem Verleger einen Krach gehabt und gekündigt?" „Die Kündigung ist aber nicht angenommen worden, und man hat sich den Ansichten diese- „Helden der Ueberzeugung", wie Bierke sagt, gefügt und in seinem Sinn die ganze Sache neu organisirt!" „Alle Achtung! Der Mann imponirt mir." „Glaube ich. WaS der will, seht er durch. ES kommt ibm eben so gar nicht an aus Menjchengunst oder Vortheil. Wenn er nur sein Auskommen hat für seine Familie — und da- findet er leicht. Sein RenommS« als Redacteur ist vor züglich. Wer wird denn also einen Schmidt geben lassen, wenn er ihn halten kann? Denke Dir, da fällt mir ein Zug von ihm ein, der so ganz Er ist. Ter Besitzer also bot ihm erst eine ganz bedeutende Gehaltszulage an, wenn er unter den bestehenden Verhältnissen weiter bleiben wolle. Nein. Thäte ihm leid, die bestehenden Verhältnisse seien faul. Er verlangte, daß sie umgestaltet würden. Der Schluß war also, daß der Besitzer sich fügte und Schmidt auch die Gehalts zulage anbot. Die aber hat er vorläufig abgelebnt: er wolle erst beweisen, daß er im Rechte sei und den Vortheil des Blattes am besten beurtheile. Ich möchte gern unter ihm arbeiten, von Dem kann man lernen, als Mensch und als Schriftsteller." „Wenn er sich blos nicht so entstellte, dadurch, daß er sich so rattenkahl scheeren läßt und seinen Anzug so vernach lässigt. Er hat eigentlich einen schönen Kopf, ein wirklich edleS Gesicht und eine — man muß wirklich sagen — pracht volle Denkerstirn. In besserer Fatzon würde er sich famoS machen." „Na, daS gieb auf", lachte Iakoba, als sie fröhlich vor dem Hause, in welchen! der Oberst wohnte, auS dem Wagen sprang. 13. Als Wächter, von dem Stelldichein mit Kathinka kommend, aus dein Hause trat, um kurz und rasch, wie er in all' seinen Entschlüssen war, sofort zu RawelSki zu gehen, stieß er fast mit einem Manne zusammen, der eilig in die Thür wollte. „Hollah — Sie! Sperren Sie doch Ihre Augen ge fälligst na nu! Fritz! Das ist ja 'ne Begegnung!" sagte Wächter verblüfft, als er seines Vetters, de- kleinen Papierkändlers, ansichtig wurde. „Ach! Da bist Du ja! Dich sucht' ich gerade." „Mich?! So. Na — hält' ich kaum vermutbet. Ich dachte, Du könntest ohne mich bester leben. Willst mich wohl zum Thee einladen? Thut mir leid, bin schon versagt." Damit schob er den Mann bei Seite und wollte an ihm vorbei. „Halt doch 'mal, Franz! Ich muß Dich sprechen. ES ist von höchster Wichtigkeit." „Wüßte nicht, daß mir irgend WaS von Dir von Wichtigkeit zu hören wäre!" gab Wächter böbnisch zurück, der den Empfang von damals keineswegs vergessen hatte. Der Papierhändler schritt mit ihm auS. „Ich bitt'Dich, Franz, sei nicht mucksch! Ich will ja Alle gut machen. Komm' doch alle Tage, wenn Du willst, ich will Dich aufnehmen wie meinen Bruder —" „Wird Wohl bei Euch nicht viel heißen. Na, ich werd' Euch nicht in Versuchung führen. Guten Abend, Herr Wächter!" „Aber so hör' mich doch bloS an. Tu sollst mir ja blos eine Frage beantworten!" „Mach's kurz. Ich bab' keine Zeit!" brummte Wächter und schritt kräftig aus, unbekümmert darum, daß der kleine Mann immer einen halben Schritt hinter ihm herbüpfen mußte mit seinen kurzen Beinen und pustend und nach Alhem schnappend seine Angelegenheit vorbrachte. „Bei uns sind nämlich häßliche Dinge passirt. Meine Frau ist ganz verwandelt und sie macht linr's Leben schwer." „Meinetwegen. WaS geht's mich an!" „Gar nichts! Gar nichts! Halt' dock bloS 'mal einen lumpigen Augenblick still und sieh den Brief an, ob Du etwa die Handschrift kennst." Und der Papierhändler hielt Wächter, so gut es ging, ein weiße-, zerknülltes, einqerisseneS Papier unter die Augen. „Kenn' keine Handschriften." „Aber die Frau — meine Frau — sie sagt: Es könnte doch sein. Und Du bist doch mit ihm gegangen." Wächter blieb so plötzlich stehen, daß sein lieber Vetter, noch im Schuß der Bewegung, einige Schritte weiter stolperte. „WaS ist los? Mit wem bin ich gegangen?" „Mit dem, der wabrscheinlich diesen Brief geschrieben hat. Vielleicht hast Du 'mal was Geschriebenes von ibm gesebe». Nämlich der — mit dem Du im Thiergarten gingst — bei der Schlägerei. Ich war nämlich auch bei, wie sie Euch ab faßten und sah schon, wie Du den langen Strolch 'runter schlugst — na — was halt' ich mick in Deine Privatsache zu mischen — und ich wollt' meiner Wege gehen" — haspelte der Papierhändler athemloS heraus, während er seinem Vetter den fraglichen Brief hinhielt und ihm dann unter eine Laterne folgte. „Ach! den Fido meinst Du? Die Canaille. Na, laß sehen!" sagte Wächter und warf einen flüchtigen Blick auf die Handschrift. „Nein. DaS ist dem seine Pfote nicht. Aber — kalt' mal halt' mal — alle Hagel! I, das ist ja wohl — na freilich — kennen thu' ich die Handschrift doch und ganz genau —" „Na —!? Von wem ist sie?!" „DaS ist so sicher di, Handschrift von meinem alten Ab
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