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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 21.03.1896
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-03-21
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960321019
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896032101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896032101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-03
- Tag1896-03-21
- Monat1896-03
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Und die Sonne des ersten Lenzestages lachte in den Saal, in dem ein großer, greiser Mann die Vertreter der Fürsten und des Volkes um sich versammelt hatte, um ihnen zu künden, daß der Frühling herangebrochen sei für ihn, für sie, für das deutsche Volk, und daß die junge Saat, der das Schwert hatte den Boden bereiten müssen, sich nun in glorreichem Reichsfrieden zu schöner Frucht entwickeln solle. Und die liebe Lenzessonne lachte auch in den Saal, in den dann die Männer des Volkes einzogen, und gar Vielen unter ihnen heilte sie die Wunden, die Deutschlands Zerrissen heit in vergangenen trüben Jahrzehnten ihrem Empfinden, manchmal auch ihrer Existenz, geschlagen hatte. Und Frühling war es auch für den Mann geworden, der 22 Jahre vorher einem Hohenzollernkönige vergeblich die deutsche Kaiserkrone angeboten halte und dem nun das Schicksal die Genugthuung gewährte, daß er, fast mit Einstimmigkeit zum Präsidenten gewählt, in seiner Dankrede sagen durfte, was so lange Wunsch und Verlangen gewesen, wäre nun zur Wirklichkeit geworden. Freilich zeigte diese Wirklichkeit gar bald, daß die deutsche Einigkeit im Parlamente sich weniger entschieden bewährte, als auf dem Schlachtfelde. Schon die Debatte, die kurz nach der Eröffnung des Reichstages über die Antwortadresse auf die herrliche Thronrede entstand, wies auf die Gegensätze im Parlamente hin und bald begann der Culturkampf, der Jahre hindurch die Volksvertretung in zwei feindliche Lager theilte, und dieser Kampf um die ideellen Interessen, um Religion, Kirche, Schule, Staat, ebbte erst ein wenig ab, als die noch hitzigeren Kämpfe um die wirthschaftlichen Interessen begannen, jene Kämpfe, die nun bald zwei Jahrzehnte in immer gesteigerter Heftigkeit andauern, Kämpfe, in denen wackere Waffengenossen zu erbitterten Feinden wurden und in denen vornehme Sachlichkeit mehr und mehr persönlicher Befehdung und Verdächtigung wich. Und das ist freilich das Schlimmste: daß die Form des parlamentarischen Kampfes sich so zum Nachtheil geändert bat. Denn daß gekämpft wird, ist an sich nichts Ungesundes. Widerstreit der Meinungen und der Interessen wird immer und überall vorhanden sein, und ganz besonders erst in Deutschland, wo Jeder seine Individualität zur Geltung bringen will. Aber wenn auch frohes Kämpfen deutsche Art ist, so sind doch Sachlichkeit und würdige Form nickt minder deutsche Art, und Eines sollte dem Anderen die Wagschale halten. Aber das Gleichgewicht ist verloren gegangen, und wie nach dem physikalischen Gesetze die Schnelligkeit des Falles in jeder Secunde sich vergrößert, so ist die Volksvertretung je länger, desto mehr der Schauplatz häßlicher, lärmhafter Scenen geworden, über die wir uns früher mit berechtigtem Selbstgefühl aufhalten konnten, wenn sie etwa im französischen oder ungarischen Parlament sich ereigneten. Jene Volks vertretungen aber finden in der Heißblütigkeit und Leb haftigkeit des Bolksckarakters eine gewisse Entschuldigung, während die Bedächtigkeit und die Ruhe des deutschen Charakters solche Scenen ausschließen sollten. Darum aber, weil das Verhallen des deutschen Parla ments den Grundzügen des deutschen Volkscharakters nicht entspricht, ist der jetzige Reichstag nicht daS Spiegelbild deutschen Volkslebens und Volksempfindens. Das aber sollte er sein und mehr noch. Denn er sollte nicht nur Spiegel bild sein, sondern Vorbild, eine hohe Schule der Ge sittung, der geistigen Bedeutung und der Pflichterfüllung. Wenn er das ist, so mögen seine Mitglieder in der Sache verschiedener Meinung sein; sie würden doch das Ihrige dazu beitragen, das Band der deutschen Einigung fester zu gestalten. Das aber zu thun, ist Aufgabe des deutschen Reichstages. Denn die Einigung des deutschen Reiches ist nicht nur durch die Verträge zwischen den Fürsten, sondern im Wesentlichen durch das einmüthige Zusammen stehen des deutschen Volkes herbeigeführt worden. Und des halb haben die Abgeordneten die Pflicht, daß sie als die Er wählten des Volkes, als die Edelsten der Nation, das Werk, das das Volk in seiner Gesammtheit begonnen, getreulich weiterführen. Wenn sie diese Aufgabe erfüllen, so erledigen sie damit zugleich die weitere Aufgabe, der Volksvertretung das Ansehen und die Bedeutung zu verschaffen, die sie besitzen muß, wenn sie als gleichberechtigter Factor neben den ver bündeten Regierungen gelten will, und die ihr gebühren, nicht nur nach dem Gesetz und der modernen Doctrin, son dern auch nach den Opfern, die das deutsche Volk für seine Einigung gebracht hat. Daß wir noch nicht soweit gekommen sind, wer möchte e» leugnen? Wohl feiern wir heute den Frühling, der öor fünf undzwanzig Jahren über das deutsche Reich gekommen war; aber der Sommer will sich noch nicht zeigen, und vergebens spannen sich die Arme, um die Frucht hereinzubrinzen: sie ist noch nicht reif. Aber dadurch dürfen wir uns nicht ent- muthigen lasten. Es ist ja des deutschen Frühlings Art, oft noch Schnee und Frost zu bringen, so daß man schier meint, der Winter sei zurückgekehrt. Der junge Baum des deutschen Reiches ist glücklicherweise zu gesund und kräftig, als daß er durch einen Frühlingsfrost zerstört werden könnte. Deshalb dürfen wir heute froben Muthes des Tages gedenken, an dem der Zusammentritt der deutschen Volksvertretung die Einheit des deutschen Volkes zum ersten Male verkörperte. Wie die äußere Einigung des deutschen Reiches nur in schweren Kämpfen erreicht wurde, so soll auck die innere Einigung mancherlei Fährlichkeiten überwinden, ehe sie sich vollendet. Das Werk aber wird um so rascher gelingen und um so fester gefügt sein, je eher die deutsche Volksvertretung aus ihre hoben Pflichten sich besinnt. Deutsches Reich. Berlin, 20. März. Heute ist ein Jahr verflossen, seit der preußische Staatsrath jene denkwürdigen Sitzungen schloß, in welchen über die Hebung der Lage der Land wirt h schäft beratben wurde. Das Ergebniß der Be- rathungen war, daß der Staatsrath elf Maßregeln zur Durchführung empfahl. Es dürfte angezeigt sein, darauf hin zuweisen, inwieweit diese Maßregeln im Laufe des seit dem Schluffe der Staatsrathssitzungen verflossenen Jahres ge fördert sind. Der Staatsrath empfahl 1) die gemischten Transitläger nebst ihrem Zollcredit auf solche Läger zu beschränken, welche dem Transitverkehr dienen und nicht für den Jnlandverkehr ausgenutzt werden; — ein Bundesraths, beschluß hat Liese Beschränkung ausgesprochen; 2) durchgreifende Reform der Productenbörse im Sinne thunlichsier Beschränkung der den Productenpreis beeinflussenden Spiel- und Speculmionsgeschäfte; — das Börsengesetz liegt dem Reichstage zur Beschlußfassung vor; 3) Unterstützung der genossenschaftlichen Errichtung von Korn speichern, um das Angebot der Producenten zweckmäßiger zu ge stalten; — die demnächst zu erwartende Neben- und Kleinbahn vorlage wird dahinzielende Bestimmungen enthalten; 4) Erwägung einer Aendernng der Credit« und Ausbeute- Verhältnisse der Mühlen; — ist erfolgt; 5) die Reform der Zucker- und Branntweinsteuergesetz gebung; — das neue Branntweinsteuergesetz hat sich bewährt; das neue Zuckersteuergesetz liegt dem Reichstage vor; 6) die vom Herrn Reichskanzler in Erwägung genommenen Ver handlungen hinsichtlich der WährungsVerhältnisse zunächst ab- zuwarten; — diese Berhandlungen sind zum Abschluß gebracht; 7) zur Verbilligung der landwirthschaftlichen Production Er- - sßi^ung der Eisenbahntarife, Einführung der Staffeltarife -ur Vieh rc.; — die Aenderungen im Eisrnbahntarifwejrn sind durchgeführt; 8) Begründung leistungsfähiger Landgemeinden bei Ausführung der Gesetze über die Bildung von Rentengütern; — die Ausführung dieser Gesetze wird aufs Eifrigste gefördert, die Rentengütergesetzgebung durch den Anerbengesetzentwurf auszubauen versucht; 9) behufs Besserung des landwirthschaftlichen Realcredits eine möglichst ausgedehnte Umwandlung kündbarer, nicht amortisir- barer und hoch verzinslicher Privathypotheken in billigen, unkündbaren, mit Zwangsamortisation verbundenen Anstalt» - credit; — die Landschasien haben diese Umwandlung in die Hand genommen; 10) die Bildung eines Landes - Creditinstitutes im Anschluß an die Seehandlnng zur Förderung des Genossenschaft^- credits; -- die preußische Central - Genossenfchaftscasse ist schon seit mehreren Monaten in Thätigkeit; 11) Beförderung der Meliorationsarbeiten; — ist im Etat vorgenommen. Man wird nach dieser Uebersicht nicht behaupten können, daß die kurze Spanne Zeit eines Jahres zur Durchführung der Staatsrathsbeschlüsse nicht ausgenützt worden wäre. Sämmtliche damals vorgesehenen Maßnahmen sind entweder ausgefübrl oder in der Ausführung begriffen. Berlin, 20. März. Der Zusammenschluß der Molkereigenossenschaften, die ihre technischen Interessen durch den „Deutschen Milchwirthschaftiicken Verein", ihre wirthschaftlichen durch den „Allgemeinen Verband der deutschen lanowirtbfckaftlicken Genossenschaften" gewahrt sehen, findet in wirthschastlicher Beziehung immer mehr Anklang. Bei Erlaß des Genossenschaftsgesetzes vom 1. Mai 1889 gehörten erst 117, 1892 erst 331, im August 1895: KOO und am 1. Februar 1896; 659 Genossenschastsmolkereien deni All gemeinen Genossenschafts-Verbande an. Jetzt wird ge meldet, daß der Molkereiverband „Kleeblatt" zu Prenzlau dem Verband der brandenburgischen landwirthschaftlichen Genossenschaften, einem Provinzialverbande des Allgemeinen Verbandes, beigetreten ist. Der Verband „Kleeblatt" ist einer der größten Butterverkauföverbände in Deutsch land mit einem Jahresumsatz von mehreren Millionen Mark und mit gegen 20 der größten und besteingerichleten Molkerei genosienschasten als Mitglieder. Durch den Beitritt der Prenzlauer Molkereigruppe, die schon für sich allein eine Rolle gespielt bat, ist der „Allgemeine Verband der deutschen landwirthschaftlichen Genossenschaften" der alleinige Mittel punkt aller wirthschaslspolitischen Bestrebungen der Molkereien geworden, zumal da auch die bisher noch fernstehenden schleswig-holsteinischen Genossenschaften Neigung haben, sich dem dortigen Provinzialverbande anzuschließen. Ein besonderer Geschäftsausschuß für Molkereiwesen und dessen drei Gruppen für Ost-, West- und Süddeutschland prüfen die wirthschastspolitischen Fragen, bereiten gemeinsam geschäftliche Einrichtungen vor, nehmen Einfluß -auf die ButterpreiSnotirungen, Frachten, Handelsgebräuche u. A. Durch die letzteren Thätigkeitszweige gelangen die Molkereier dahin, für den Buttermarkt aus eigener Kraft einen ähn lichen mitbestimmenden Einfluß der Landwirthe herzustellen, wie er für den Getreidemarkt gegenwärtig durch Staatshilfe mittels des BörsengesctzcS angeftrebt wird. Das kann für die Landwirthe gleichzeitig ein Fingerzeig sein, auch für den Getreideabsatz Genostenschaften zu schaffen, welche allein den vollen Genuß der Erfolge sichern können, die jetzt auf dem Wege der Gesetzgebung errungen werden. FeiiiHstsir. Neues aus der Technik. Von Wilhelm Berdrow (Charlottenburg). Nachdruck verboten. Unter den technischen Fortschritten der jüngsten Monate stechen diejenigen auf dem Gebiete des Verkehres am meisten ins Auge, und zwar verdient insbesondere der Antheil, den die Elektricität fick auf diesem Felde in kurzer Zeit zu ver schaffen gewußt hat, alle Aufmerksamkeit. Von den Straßen bahnen ist hier nicht die Rede, ihre Frage ist entschieden, und so vollkommen zu Gunsten deS elektrischen Betriebes entschieden, daß die Beseitigung der Pferdebahnen auf der ganzen Linie noch von uns Allen erlebt werden wird. Jetzt aber beginnt die elektrische Kraft auch um den Betrieb der Vollbahnen mit dem Dampfe zu rivalisiren, und die Zeichen dafür, daß sie auch hierin Erfolg haben wird, mehren sich zusehends. Mitten im Winter vollzog sich z. B. in Württem berg ein Ereigniß, das, geringfügig an sich, doch als der Anfang größerer Unternehmungen, die ihm vermuthlich gar bald folgen werden, mehr Beachtung verdient, als ihm zu Tbeil geworden ist; die Eröffnung der ersten elektrischen Voll bahn in Deutschland. Von der Linie Ulm-FriedrichShafen abzweigend, verbindet diese elektrische Seitenlinie die Station Tettnang mit Meckenbeuren und ist trotz ihres Sonder charakters so eingerichtet, daß das rollende Material der Stammlinie, von elektrischen Motorwagen gezogen, direct auf die Zweigstrecke übergehen kann. DaS Elektricitätswerk zu Tettnang liefert die zum Betriebe erforderliche Kraft. Zum ersten Male hat man hier die Elektricität auf einer gewöhnlichen Eisenbahnlinie dem Dampfe in irgend einer Hinsicht — vermuthlich vom Standpunkt der Wohlfeilheit — überlegen gefunden, aber eS spricht viel dafür, daß der erste Fall nicht lange der einzige sein wird. Auch andere Länder haben schon Anfänge auf diesem neuen Wirkungsselde der Elektricität aufzuweisen. In den Vereinigten Staaten werden elektrische Locomotiven seit kurzer Zeit regulair im Streckendienst verwendet, um die für ge wöhnlich noch dem Dampf anvertrauten Züge durch längere Tunnel zu schleppen, und für Linien mit starken Steigungen wird dieselbe Zugkraft, da sie hier entschieden leistungsfähiger ist als der Dampf, wohl sehr bald ebenfalls in Anwendung treten. Endlich verdient eS große Aufmerksamkeit, daß seit einigen Monaten auf einer französischen Strecke, zwischen Paris und Trouville, die Expreßzüge von elektrischen Loco- motiven gefahren werden. Auch hier handelt es sich um keinen Versuch mehr, sondern die beiden im regulären Dienst stehenden Maschinen sind erst bestellt und gebaut worden, nachdem eine gleiche Probemaschine längere Zeit tadellos sunctionirt hatte. Man entschied sich hier für die sogenannte Heilmann-Locomotive, die, um der elektrischen Zuleitungen ganz entbehren zu können, in ihrem Mechanismus gleichzeitig einen Dampfmotor und Kestel, eine Dynamomaschine und endlich die an den Rädern werkenden Motoren besitzt. Offen bar ist diese Anordnung, da sie ein ganz bedeutende» todtes Gewicht bedingt — Kohlen und Wasser müssen, ganz wie bei einer Dampflocomotive, ebenfalls mitgeführt werden — gegenüber den an der Leitung laufenden elektrischen Motor wagen stark benachtheiligt; wenn sie trotzdem noch ihre Vor züge vor den gewöhnlichen SchnellzuaSlocomotiven behauptete, so spricht das für die elektrische Zugkraft im Allgemeinen um so mehr. Was der Heilmann-Locomotive im Besonderen nachgerühmt wird, ist neben der auf starken Steigungen er zielten großen Schnelligkeit ihr ruhiger Gang und eine Koblenersparniß, die nach den Versuchen der französischen Westbahn 15 Proc. gegenüber den Dampflokomotiven be tragen soll. Ein indirekter, aber darum nicht weniger bemerkens- werther Erfolg der fortgesetzten Bemühungen, die Elektricität in den Betrieh der Vollbahnen einzuführen, zeigt sich übrigens auf dem Gebiete des Eisenbahnwesens selbst. Wie das elek trische Licht den Ansporn gegeben hat, alle früheren Licht quellen zu verbessern, damit sie gegen die Neuerung concurrenzfäbig werden — das Gasglühlicht liefert den jüngsten Beweis — so scheint auch die drohende Erscheinung der elektrischen Locomotive überall auf die Leistungsfähigkeit der Dampflocomotive einen mächtig spornenden Einfluß zu üben. Die Locomotivfabriken überbieten sich in neuen und vervoll kommneten Typen, die Verwaltungen thun ebenfalls, besonders in allen Ländern, wo die Privatbahnen vorherrschend sind, ihr Möglichstes, und an allen Enden hört man von Be schleunigungen der Fahrzeit. Vor einem Jahrzehnt wagte man kaum an den 80-Kilometer-Necord (80 Kilometer pro Stunde) zu denken, heute ist die Geschwindigkeit der Courier- züge auf dem besten Wege, 100 Kilometer pro Stunde zu erreichen und in Einzelsällen zu übersteigen. 100 Kilometer soll die fahrplanmäßige Stundenleistung der neuen, oben er wähnten Blitzzüge Paris-Trouville werden, aber dasselbe ist auch vom Dampfe schon erreicht. Um ein Beispiel anzusübren sei der Wettfahrt auf den längsten durchgehenden Routen in England — London - Aberdeen über die westliche und östliche Küstenbahn — gedacht, die kürzlich wieder ein mal stattfand, und bei der die 860 Kilometer lange Strecke in 8>/« Stunden zurückgelegt wurde; die fünf Stationen ein gerechnet, ergiebt das mehr als 100 Kilometer Stunden geschwindigkeit, auf freier Strecke sind aber bis 130 Kilometer gefahren worden. Was ließe sich nicht schon erreichen, wenn dies die Durchschnittsleistung aller Schnellzüge würde! Nur ein Beispiel: In Preußen entspricht der eben erwähnten Strecke an Länge etwa die Linie Burg-Berlin-Eydtkuhnen, die beute in 15 bis 16, anstatt in 8 bis 9 Stunden, wie es möglich wäre, gefahren wird. In Oesterreich ist eine Schnelligkeit von 90 Kilometer wenigstens für die Courierzüge einiger Hauptrouten jetzt in Vorbereitung, so für die Strecken Wien- Nizza, Wien-Salzburg und -Prag. Doch genug deS Eisenbahntecknischen, da ich noch von einer anderen Domaine des Verkehrs, in der die Elektricität sich einzunisten beginnt, erzählen wollte. Die Binnenschiff fahrt, die dank der Verkehrszunahme im Allgemeinen und den überall unermüdlichen Vereinen für Fluß- und Canal verkehr heute wieder mehr als je in Blüthe stebt, ermangelt noch immer des richten Motors, der die Lastfahrzeuge sicher, schnell und billig durch Canäle und Flüsse transportirt. Das Pferd ist zu langsam geworden, daS Dampfschleppschiff zu theuer oder hier und da wegen der leichtverlctzlichen Ufer böschungen ungern gelitten. Was blieb schließlich übrig, als diejenige Kraft, die im Haushalt der Technik schon längst die Rolle des Mädchens für Alles spielt, die Elektricität? Wie diese elektrische Schlepperei vor sich geht, mag an den beiden ersten, in der jüngsten Zeit ausgeführten Anlagen dieser Art kurz geschildert werden. Auf dem die Aonne und Saüne verbindenden Canal von Bourgogne wird die sechs Kilometer lange Sckeitelstrecke in der Weise elektrisch be trieben, daß einige kleine Schleppboote mit Elektromotoren und Kettentrommel die Kähne ziehen, selbst aber ihre Kraft aus der über dem Canal aufgehängten Drabtleitunz entnehmen; letztere wird durch zwei kleine, an den Enden der Strecke be findliche Elektricitätswerke gespeist. DaS jüngste und größte Bei spiel dieser Art betrifft die thcils schon im Betrieb stehende, theils noch in der Anlage befindliche elektrische Schlepperei auf dem Erie-Canal in den Vereinigten Staaten. Von großer Länge, sehr starker Benutzung und in Folge seiner Lage zwischen dem Atlantischen Meere und den Canadischen Seen gehört dieser große Canal zu den wichtigsten auf der ganzen Erde, und doch nahm seine Benutzung in den letzten Jahren in Folge der übermächtigen Concurrenz der ihn begleitenden Eisenbahnen ständig ab. Die Canalgebühren waren bereits abgesckafft, nur eine Herabsetzung der Fracht kosten konnte dem Canal, der jederzeit die besondere Liebe der Negierung besessen hat, seinen Verkehr noch erhalten. Deshalb wurde die elektrische Tauerei eingerichtet, und zwar nach einem System, das vor dem eben erwähnten französischen Vieles voraus hat. Schleppschiffe sind gar nicht vorhanden, der Motor arbeitet sich vielmehr zur Seite des Canals an einem starken Drahtseil fort, in der Luft schwebend und mit dem zu schleppenden Fahrzeug durch eine Leine verbunden. Tas tobte Gewicht ist auf diese Weise fast auf Null reducirt, keine Leitungen und Träger beanspruchen den Raum über dem Canal, vielmehr sind sie sammt den Drahtseilen und den Motoren auf der Seite, wo sonst die Pferde gehen, uutergebracht; die erforderliche Kraft ist sehr gering. Man bezieht die Energie vorläufig aus näher belegencn Elektricitätswerken, doch wird bereits die Frage in Erwägung gezogen, ob nicht die wohlfeile Kraft der Turbinenwerke am Niagara auch dem Erie-Canal dienstbar gemacht werden könnte. Der Kernpunkt ist bei dieser Beförderung die Billigkeit des Betriebes, die ein amerikanisches Fachblatt folgendermaßen berechnet. Der Transport eine- Schleppbootes über den Erie-Canal mittels Pferden pflegte 170 -E zu kosten; die Einführung von Dampf schleppern hat diese Kosten auf 70 verringert, bei der elektrischen Beförderung endlich hofft man sie auf 32 drücken zu können. Einmal bei der Schiffstechnik angelangt, schalte ich hier gleich die Mittheilung einiger außerordentlicher Erfolge des Baues schneller Dampfer ein, die das letzte Halbjahr zu Tage gefördert hat. Während die Sehnsucht aller Derer, die sich für die oceanische Schnclldampferfahrt interesfiren, da rauf hinzielt, daS Meer mit 30 Knoten in der Stund« zu kreuzen, sind bisher auch die größten und schnellsten Passagier dampfer bei 21—22 Knoten stehen geblieben. Inzwischen hat der fortgesetzte Bau immer schnellerer Hochscetorpedos bewiesen, daß man an der Erreichung des ersehnten Zieles nock lange nicht zu verzweifeln braucht. Die neuesten Leistungen auf diesem Felde dürften nun die Torpcdobootjäger „Forban" und „Sokol" sein, ersterer von Normand in Havre für Frankreich, letzterer von Darrow für Rußland gebaut. Auf der Probe fahrt hat „Forban" 31 Knoten, „Sokol" 32 Knoten erreicht, also fast die Hälfte mehr als die bisher schnellsten Ocean renner, die dem Passagier zu Gebote stehen. Allerdings beweisen diese Erfolge auch immer wieder, baß derartige Renommirgeschwindigkeiten nur unter unverhältnißmäßizcn ökonomischen Opfern zu Stande kommen. Der „Forban" z. B., der bei 500 Pferdekräflen und 250 Ice Kohlenverbrauch pro Stunde die recht hübsche Marschgeschwindigkeit von 15 Knoten erreicht, braucht zu seiner etwa doppelt so hohen Maximalgeschwindigkeit geradezu zehnmal soviel Kohlen. Mit dem Vorrath seiner Kohlenbreker könnte also dieses Schiss 60 Stunden auSreichen, wenn eS mit 15, aber nur 6 Stunden, wenn es mit 30 Knoten führe; im ersteren Falle könnten 900 Seemeilen, im letzteren 180 zurückgelegt werden, was die Opfer, mit denen man glänzende Schiffsgeschwindigkeiten er zielt, wohl genügend beleuchtet. Um wieder auf die Elektricität zurückzukommen, sei er wähnt, daß sich die elektriscke Triebkraft nach und nach auch auf dem Lande einzubürgern sucht. Ohne gerade behaupten zu wollen, daß die Elektricität irgend welche Anlage besäßc, zu dem vielersehnten AllerweltSheilmittel zu werden, das der krankenden Landwirlhschafl bald von rechts, bald von links angepriesen wird, läßt sich doch voraussehen, daß auch aus diesem Boden für die Elektrotechnik bald einige Früchte reisen werden. Wie daS geschehen kann, davon hat die jüngste Zeil einige Vorahnungen gegeben. Auf einem Gute bei Rostock (Diedrichshagen) fand vor Kurzem in Gegenwart von Vertretern der Landesregierung und des landwirtbschasl lichen Ministeriums, sowie von Sachverständigen ein Versuch statt, größere Landflächen mit elektrischer Kraft zu pflügen, der allgemeine Anerkennung fand. Man findet einen Vor theil darin, die Kraft durch einige Drähte (hier geschah es von Warnemünde auS) auf das Feld zu führen, anstatt oie schweren Locomobilen unausgesetzt in Bewegung zu erhalten und außerdem einige Gespanne dem Anfahren von Master und Kohlen zu opfern. Auch soll eine directe Kraftersparniß in der Verwendung der Elektromotoren liegen. — Eine andere Rolle spielt die Elektricität im Memel-Delta, wo die Ländereien des HochdeichverbandcS, die durch 26 Kilometer Deichlänge vor der Ftulh geschützt werden, neuerdings durch sieben große elektrische Pumpwerke entwässert werden. Auch hier bat es sich praktischer gezeigt, die weitverzweigten Arbeits leistungen durch HochspannungSströme von einer Centralstelle auS zu betbätigen, als jedem Pumpwerk seine eigene Dampf anlage zu geben. Schon kürzlich konnte man «ine Reih« von Gütern auszählen, die eigene elektrische Centralstationen be sitzen; wie lange noch — und eS wird der wunderlichen Naturkraft wieder ein neue-, reiche» Arbeitsfeld auf allen Seiten offen liegen.
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