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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.04.1896
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1896-04-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18960409026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1896040902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1896040902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1896
- Monat1896-04
- Tag1896-04-09
- Monat1896-04
- Jahr1896
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Die Morgea-AuSgabe erscheint um '/,? Uhr. di« Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. NeLaction und Expedition: JvhanneSgaffe 8. Dir Expedition ist Wochentag- ununterbrochen gedffnet von früh 8 bis Abend» 7 Uhr. Filialen: Dll« Klemm's Sortim. (Alfred Hahn). UntversitätSstratze 1, LoniS Lösche. Katharinenstr. 14, Part, und König-Platz 7. Bezugs-PreiS U der Hanptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geholt: vierteljährlich ^4.50, bet zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich >l S.—. Direkte tägliche Kreuzbandiraduug In» Ausland: monatlich 7.öO. 179. Abend-Ausgabe. KiMtr TaBlatt AnzeigenPreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reclamen unter dem Redactionsstrich <4 ge spalten) 50^, vor den Familiennachrichien (6 gespalten) 40^, Größere Schriften laut unserem Preis» verzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nolizei-Ämtes der Ltadt Leipzigs Donnerstag den 9. April 1896. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stet- an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig 98. Jahrgang. Amtlicher Theil. Bekanntmachung. Die sämmtlichen, bisher noch nicht zur Verloosung gekommenen Z'.procentigen Schuldverschreibungen der Saal-Eisenbahn vom 22. Juli 1886 werden im Auftrage des Herrn Finanzministers den Besitzern hiermit zum 1. November 1896 zur haaren Rückzahlung gekündigt. Die Besitzer werden aufgefordert, die Nennbeträge der Schuld verschreibungen vom 2. November 1896 ab bei einer der nach bezeichneten Stellen und zwar: u. in Leipzig bei der Königlichen Eisenbahn-Stations rasse, Th. Bahnhof, d. in Frankfurt a M. und in Erfurt bei den Königlichen Eisenbahn-Hauptcassen, o. in Berlin bei dem Bankhaus« von Jacob Landau und bei der Berliner Handelsgesellschaft, ä. in München bei dem Bankhause von Merck, Finck Sc Eo. gegen Quittung und Rückgabe der Schuldverschreibungen und der dazu gehörigen, alsdann noch nicht fälligen Zinsscheine Reihe I Nr. 20 nebst Zinsscheinanweisnngen zu erheben. Neben dem Capital- betrage der Schuldverschreibungen werden gleichzeitig noch die Stück zinsen für die vier Monate Juli bis einschließlich October 1896 gezahlt werden. Die Schuldverschreibungen nebst den zugehörigen Zinsscheinen und Zinsscheinanweisungen können einer der vorbezeichneten Stellen schon vom 1. October d. I. ab eingereicht werden, welche die Effecten der Staatsschulden. Tilgungscasse zur Prüfung vorzulegen hat und nach erfolgter Feststellung die Auszahlung vom 2. November d. I. ab bewirkt. Der Betrag der etwa fehlenden Zinsscheine wird vom Capitale zuriickbehalten. Bom 1. November 18W ab hört die Berziusung dieser Schuldverschreibungen auf. Der durch unsere Bekanntmachung vom 21. März d. I. auf den 9. April d. I. Vormittags 11 Uhr anberaumte Berloosungstermin ist ausgehoben. Zugleich werden die früher ausgeloosten, zum 1. Juli 1895 ge kündigten noch rückständigen Schuldverschreibungen Sir. 893, 2675 und 3372 zu 500 mit welchen die Zinsjcheine Reihe I Nr. 18 bis 20 nebst Zinsschein, anweisungen unentgeltlich zurückzuliefern sind, wiederholt und mit dem Bemerken aufgerufen, daß deren Verzinsung aufgehört hat, und daß dieselben werthlos werden, wenn sie während 10 Jahre jährlich einmal öffentlich aufgrrusen und dessenungeachtet nicht spätestens binnen Jahresfrist nach dem letzten öffentlichen Ausrufe zur Ein- lösuug eingereicht werden. Formulare zu den Quittungen werden von den obengenannten Stellen, sowie von der Staatsschulden-Tilgungscasse unentgeltlich verabfolgt. Berlin, den 2. April 1896. Königlich Preußische Hauptverwaltung der StaatSschulben. I. 576. 1. Ang. v. Hofsmann. Politische Tagesschau. * Leipzig, 9. April. Die LanbeSversammIung der Socialdemokraten Sachsens, die gestern und vorgestern in Dresden stattfand, um die bart umstrittene Frage zu lösen, welche Haltung die Partei nach Einführung der Dreiclassenwahl einzunebmen habe, bat, wie vorauSzusehen war, mit einer Niederlage Derjenigen geendet, die verlangten, daß künftig die sächsischen „Genossen" sich nicht mehr an den Landtagswahlen betheiligen und daß die jetzigen socialdemokratischen Mitglieder der Zweiten Kammer ihre Mandate niederlegen sollten. Es bandelte sich im Grunde bei diesem Verlangen, dessen Hauptvertreter der Ebefredacieur der „Leipz. Volksztg", Herr Ür. Schönlank, war, um nichts Anderes, als um den Versuch, der sächsischen Parteileitung das Heft aus der Hand zu nehmen und die sonst von dieser Leitung bei den LandtagSwahlen so wohl, wie in der Zweiten Kammer betriebene Agitation und Wühlerei der Parteipresse, speciell der „Leipz. Volksztg.", zu überlassen und dadurch den Einfluß dieses Organes zum maßgebenden zu macken. Es war natürlich, daß nickt nur die sächsische Landtagsfraction in ihrer überwiegenden Mehr heit, sondern auch die Berliner Parteipäpste diesem Verlangen sich energisch widersetzten und daß schließlich Herr vr. Schönlank unterlag. Die socialdemokratischen Mitglieder unserer Zweiten Kammer werden also ihre Mandate beibe halten und die Partei wird sich vorläufig an den nächsten LandtagSwahlen betheiligen. Der Erfolg dieser Betheiligung wird jedenfalls auch zur ferneren Belheiligung führen. Daß es bei diesem Machtkämpfe nicht an heftigen Angriffen und Vorwürfen von beiden Seiten fehlte, ist selbstverskändlick. Besonders scharf wurde Herr vr. Schönlant angegriffen, gegen den sogar ein Tadelsvotum beantragt wurde. Es wurde aber wieder zurückgezogen, da ein solches Votum das einige Vorgehen bei den nächsten LandtagSwahlen hätte beeinträchtigen und überhaupt einen Keil zwischen die sächsischen Genossen hätte treiben müssen. Und das soll um jeden Preis vermieden worden, denn beide Theile waren und sind der Meinung, daß die Einführung des Dreiclassenwahlsystems zu einer kräftigen Agitation für das allgemeine, gleiche, directe und geheime Wahlrecht in Sachsen ausgenutzt werden müsse, zu einer Agitation, welche nicht nur die Wiederherstellung des alten Wahlrechts, sondern auch die Beseitigung des Eensus fordert. Man hofft bei dieser Agitation aus die Unterstützung jener bürgerlichen Elemente, welche ikre Gegnerschaft gegen das Dreiclassenwahlsystem mit Gründen motivirlen, die für die Beseitigung eines jeden Eensus sprechen. In dieser Hoffnung schlug man sich und vertrug sich wieder. Das ist die erste Lehre, die der Parteitag den bürgerlichen Elementen gegeben hat. Man stritt dort so grob, wie — um mit Herrn I)r. Schönlank zu reden — die socialdemokratische Partei es gewöhnt ist; man stritt um die Machtfrage, welche die Leidenschaften am heftigsten zu erregen pflegt, aber man verständigte sich am Ende darüber, daß „Feinfühligkeit" die Actionskraft schwäche, und beschloß die gemeinsame energische Action, von der man um so mehr erwartet, je zuversichtlicher man hofft, daß die Gegner wegen der abgethanen Wahlrechts frage und aus allerhand doktrinären Gründen einander in die Haare gerathen und dem gemeinsamen Feinde da durch eine Anzahl Mandate in die Hände liefern. Aber noch eine andere Lehre hat der Dresdner Parteitag den bürgerlichen Elementen gegeben. Schon auf dem Dresdner- Kreistage, welcher dem Parteitage vorausging, sprach der Genosse Fräßdorf: „Wir haben bisher doch nicht ge wählt, um Mandate zu erringen, sondern um unsere Ideen in die Masse zu bringen; wir wählten, um zu wühlen." Aehnliche Bekenntnisse, die beweisen, daß der Socialdemokratie die „Wühlarbeit" Selbstzweck und höchster Zweck ist, wurden auch auf dem Parteitage abgelegt, wo obendrein der Referent über die Landtagsthätigkeit ausdrücklich die „revolutionaire" Natur seiner Partei betonte. Wenn trotz solcher Bekenntnisse die sächsische Socialdemokraktie mit Recht auf die Uneinigkeit ihrer Gegner speculirt und sogar die Unterstützung bürgerlicher Elemente bei der Agitation für das allgemeine gleiche und directe Wahlrecht findet, so ver ¬ dienen die „Ordnungsparteien" nichts Besseres, als daß nach den nächsten LandtagSwahlen die Herren, die einander in Dresden die gröbsten Grobheiten sagten, gemeinsam auf die bürgerlichen Helfershelfer der revolutionairen Wühler toasten und trinken. Außer der Landesverfammlung der Socialdemokraten Sachsens hat die parlamentarische Osterpause eine solche Hochfluth von socialdemokratischen Parteitagen und soci a (demokratischen Gewerkschasts-Eongrefscn gebracht, daß der „Vorwärts" sich genöthigt sieht, auf die Berichterstat tung über dieselben nahezu zwei volle Beilagen zu verwenden. Socialdemokratische Parteitage haben nämlich ferner getagt für Badenin Heidelberg und fürWürttemberg in Stuttgart; im Auslande fanden Parteitage statt für Oesterreich in Prag, für Belgien in Eharleroi. Gewerkschafts- congresse hielten die socialdemokratischen Handlungs gehilfen und der Verband der Textilarbeiter und -Arbeiterinnen ab; ferner fand ein schweizerischer Gewerksckaftscongreß in Zürich statt. Der räumlichen Aus dehnung der Referate im „Vorwärts" über alle diese Versamm lungen entspricht freilich der Inhalt nur wenig und schon eine oberflächliche Vergleichung der Berichte des „Vorwärts" mit denen anderer Blätter ergiebt, daß die interessantesten Momente der Verhandlungen in den Referaten des „Eentral- vrgans" bedeutend zu kurz gekommen sind. Freilich sind das zumeist Momente, die sür die Socialdemo- kratie wenig erfreulicher Natur sind. Die „kraft vollen" Auseinandersetzungen z. B, die auf dem Con- greß der „auf dem Boden der modernen Arbeiterbewegung sichenden Handlungsgehilfen und -Gehilfinnen DeuischandS" zwischen dem vr. Ouarck aus Frankfurt a. Main und seinen Berliner Gegnern über die einzuschlagende „Taktik" Platzgriffen, Auseinandersetzungen, bei welchen die „Singer'schen Massen - Versammlungen" und die Arbeit mit dem „rothen Lappen" eine bedeutsame Rolle spielten, werden im „Vorwärts" ebenso zart und zurückhaltend be handelt, wie die neueste „Stegmüllerei" in Baden, wo die socialdemokratischen zwei Landtagsabgeordneten den auf dem Frankfurter Parteitag versehmten Abgeordneten sürLörrach als „Hospitanten" aufnahmen, um sich eineVertretung in den parla mentarischen Eommissionen zu sichern, und der „Umsturz" der vorjährigen Beschlüsse des württembergiscken Parteitags in Sachen der „Heilbronner Wirren". Augenscheinlich geht der „Vorwärts" bei der „Bearbeitung" dieser Puncte von dem Grund sätze ans, daß „der Pöbel nicht alles zu wissen braucht." Besonders auffällig ist die Zurückhaltung, mit der sowohl in Heidelberg als auch in Stuttgart die „Agrarfrage" be handelt worden ist. Abgesehen von dem in Stuttgart gefaßten Beschlüsse, in dem Parteiorgan „Schwäbische Tagwacht" den — Marktbericht landwirthschaftlicker Producte zu veröffentlichen und in zwanglosen Zwischenräumen eine Beilage zu dem ge nannten Blatte herauszugeben, die sich mit den „landwirth- schastlichen Verhältnissen" befassen soll, ist die Agrarfrage auf den beiden Parteitagen kaum gestreift worden, obwohl die süd deutschen „Genossen" sonst kein Bedenken tragen, der artige „Reichssachen" auch in ihren partikularen Con- ventikeln eingehend zu erörtern. Vermuthlich liegen die Dinge so, daß die „collectivistischen Bauernschädel" der social demokratischen Propaganda sich so wenig zugänglich er weisen, daß man es vorgezogen hat, die Resultate dieser Propaganda zu verschweigen. Hervorgehoben sei noch der Gegensatz, der wieder einmal zwischen Gewerkschaftsbewegung und politischer Organisation auf dem Congreß der Hand lungsgehilfen hervortrat. In Berlin wurde die politische Organisation, die Partei, als Hauptzweck der Bewegung erklärt, während in Wien das Dictum Anerkennung er zielte, ohne die Gewerkschaften schwebe die Partei in der Luft. Von sonstigen Einzelheiten verzeichnen wir nur noch die Verdrehung der Thatsachen, die man sich aus dem badischen Parteitag mit der Behauptung zu Schulden kommen ließ, die Nationalliberalen hätten bei den Wahl- anfechtungsdebatten im Landtag nicht die Gerechtigkeit, sondern „die rücksichtslose Gewalt" entscheiden lassen. Demgegenüber sei sestgestellt, daß erst bei den Nachwahlen die national liberale Mehrheit in der Zweiten badischen Kammer, welche bei den Hauptwahlen noch nicht erreicht wurde, wieder ber- gestellt worden ist. In Frankreich hat sich die Lage infolge des Conflicts zwischen Ministerium und Senat recht unerquicklich gestaltet. Der Ministerrath wird heute eine Entscheidung treffen über die Credite für Madagaskar, welche der Senat am 21. April prüfen und voraussichtlich abändern wird. Mehrere Minister halten es für möglich, auf das Votum deS Senats nicht Rücksicht zu nehmen und die bis zum 19. Mai, dem Tage des Wiederzusammentritts der Deputirtenkammer, nothwendigen Ausgaben zu macken. Der Ministerpräsident Bourgeois hält es jedoch sür besser, die Kammer einzuberufen, um sich über die Eredite zu äußern und dadurch zu zeigen, daß die Kammer nicht die Rechte deS Senats mißachten wolle, indem sie sich bis zum 19. Mai vertagte. Dringt Bourgeois als der Klügere durch, so bedeutet das freilich eine Niederlage gegenüber dem Senat, aber dieser dürfte sich durch das Entgegenkommen des Ministeriums gern versöhnen lassen, und somit wäre der Verfassungsconflict, der schließlich nur mit einer in mehrfacher Hinsicht hockst bedenklichen Revision enden könnte, wieder einmal beseitigt. Daß beide Theile froh sein werden, wenn der bäus liche Zwist in Güte beigelegt ist, liegt auf der Hand, denn in Petersburg zeigt man sich wegen des die Republik compromittirenden Haders bereits sehr ungehalten. Tie „Nowosti", welche in dem Conflicte des Senates mit der Regierung die Quelle von politischen Krisen für Frankreich erblicken, sagen, abgesehen davon, daß der Senat tactlos handelte, indem er im gegenwärtigen Augenblicke der Regierung Schwierigkeiten be- reitete, habe er durch sein Mißtrauensvotum indirect auch das russisch- sranzösische Einverständniß in der egyptijchen Frage verdächtigt. In Rußland bedauere man deshalb lebhaft den Beschluß des Pariser Senates, der außerdem Verwickelungen in Frankreich heraus beschwören dürfte. Die „Nowoje Wremja" meint, die Vorgänge in Frankreich machen einen peinlichen Eindruck. Wenn auch der Con- flict des Senates mit der Regierung den Gang der internationalen Ereignisse nicht beeinflussen dürfte, so sei er doch geeignet, Wirren und Krisen im Innern Frankreichs herauszubeschwören. Die Herren Senatoren tadelten die Haltung der Regierung in der Tongola- Frage, während es gerade dieser Haltung zu verdanken sei, daß die Gegensätze zwischen Frankreich und England sich nicht zugespiyt haben. In Paris ist die Stimmung eine so nervöse, daß man sich über allerlei phantastische Gerüchte nicht zu Wundern braucht. So wird behauptet, Rußland mache im Interesse Frankreichs Anstrengungen, Deutschland von der bisherigen Haltung in der ezyprischen Frage abzubringen, und das Fernbleiben der Minister von der Belfortfeier wird als ein Zugeständnis Frankreichs an Deutschland gedeutet, wodurch dieses gewonnen werden solle. Man wird natürlich auch nicht verfehlen, die Reise des deutschen Reichskanzlers Fürsten Hohenlohe nach Feuilleton. Gottbegnadet. 19) Roman von Konrad Telman«. Nachdruck verboten. Thea hielt eS zuletzt für ihre Pflicht, Harry dringend zu einer Reise oder einem Badeaufenthalt zuzureden. Aber nein, er wollte bleiben. Mit dem eigensinnigen Trotz eines verzogenen launischen Knaben weigerte er sich, zu reisen. Sie wollte ihn ja durch ihr Zurückbleiben nur ins Unrecht setzen, und er sollte als hartgesottener Egoist vor den Menschen dastehen, das war Alles. Er aber bedankte sich sür die Rolle, die sie ihn spielen lassen wollte. Mit ihr oder gar nicht ging er fort. ES war ganz vergebens, daß Thea ihm alle die zwingenden Gründe auSeinandersetzte, weSbalb sie bleiben mußte. Es reizte ihn nur zu häßlichen Worten der Erwiderung, be sonders, als sie immer wieder betonte, man müsse sich ein schränken und auf da» Geld Bedacht nehmen, man habe allen Grund, sparsam zu leben. Als er daraufhin höhnisch lachte, sagte sie ganz ernst und ruhig: „DaS Geld ist un geschenkt worden, Harry. Und wir dürfen nie mehr fordern, als dies. Es ist unsere Pflicht, damit auszukommen. Wir selbst verdienen ja nicht-, wir geben nur au-, was jene- ge schenkte Geld uns abwirft. E« ist doch Ehrensache, darauf uns zu beschränken, Harrv!" Nun warf er sich in die Brust. „Aha! DaS ist also ein Vorwurf, weil sich nicht« verdiene! Und warum verdien' ich nicht«? Weil ich nicht will! Oder giebt e« sonst in der ganzen GotteSwelt noch einen andern Grund dafür? Glaubst Du wirklich nicht, daß ich mit einer einzigen Concert-TournSe mehr verdienen würde, als mit einem Jahr Bewirthschaftung von Lensihn? Wer bat mir die« verwünschte Gut denn aus gehalst? Ich hab' mich doch wahrhaftig genug dagegen ge sträubt. Ich brauch'« nicht, ich will's nicht. Nichts ver dienen! Oho, liebe Thea, oho! Laß mich nur wollen! Da in meiner Kehle hab' ich mehr Capital, als Dein Herr Papa in seinen eisernen Grldschränken und Kornspeichern. Und ich habe schon seit Langem Neigung, e« einmal ein Bischen aus- zumünzrn. Ich halt'« nicht mehr au- in dieser Enge und in dieser Unthätigkeit. Eine- schönen Tage- gehe ich nach Amerika und werde Concertsänger von Beruf. Ich kehre mich an keinerlei Rücksichten mehr. Ich muß mich einmal voll zur Geltung bringen, das bin ich mir schuldig. Und ich glaube, von Deiner Idee, daß ich nichts verdienen könnte, würdest Du reckt rasch curirt werden. Ihr freilich versteht von dieser Art verdienen ja nichts. Wenn man nicht gerade als Krämer oder Landmann seinen Säckel füllt, ist man in Euren Augen gar kein richtiger Mensch, vor dem man Respect haben muß. Künstler existiren für Euch ja kaum. Ihr sollt's aber einmal erleben, wie man als Künstler auch zu Geld kommen kann. Eh! Als ob ick nicht jeder Zeit im Stande wäre, mir ein Vermögen zu erwerben! Ich! Mil meiner Stimme! Wenn ich nur mal erst will! Verstehst Du? Und Ihr — dies ganz miserable Leben hier zwingt mich über kurz oder lang doch noch dazu, zu wollen!" Er hatte sich in Äser und Zorn bineingeredel, seine Augen blitzten. Es war förmlich, als wäre etwas von ihm abgefallen. Und Tbea betrachtete ihn mit großen, ver wunderten Augen. Was war das? So hatte sie ibn noch nie sprechen hören. Das war ja gerade, als ob ein Anderer aus ibm geredet bätte. Einer, den sie nicht kannte und vor dem sie erschrak, wie vor etwas Fremdem, waS sich da gefahrdrohend vor ihr heranfreckte. Harry batte ja von je her mit dem Gedanken gespielt, daß er jederzeit als Sänger nicht nur berühmt, sondern auck reich werden könne. Er ge fiel sich in dieser Vorstellung, die ihm Macht und Ansehen vorspiegelte, er fühlte sich geborgen und stolz dadurch. Unter diesem Schutz war er im Stande, Alles anzunehmen und sogar zu fordern, ohne sich im Geringsten beschämt zu füblen oder auch nur Erkenntlichkeit zu zeigen. So deutlich, wie jetzt, hatte er freilich noch nie gesprochen, so greifbar hatte die glänzende Zukunft, von der er träumte, nie vor ihm ge standen. Und jetzt klang es ja gar, als ob er ihr drohe und zugleich sie vorbereiten wolle. Glaubte er, daß sie nun ibn bitten werde, von seinen, Wnnsch abzulassen? Daß sie ihm gute Worte geben und ihn zu versöhnen suchen werde? Wollte cr^ das und nur daS? Dann sollte er sich getäuscht haben. Es war eine Wallung beißen Stolzes, die über sie Herr wurde. Und klar und kühl klang ihre Stimme, als sie jetzt sagte: „Wenn eS Dein Glück ist, in dir weite Welt zu gehen und dort Ruhm und Geld zu gewinnen, Harry, ich werde Dir niemals dabei im Wege stehen, — von mir hast Du nichts zu fürchten." Dann wandte sie sich und verließ ihn. Er hatte ein paar Secunden lang die Empfindung, als ob er sie zurückrufen und ihr ein besänftigende«, scherzendes Wort sagen sollte. Sir war immer so leicht zu begütigen! Aber dann warf er den Kopf trotzig auf. Warum nicht gar! Wenn es so stand, wenn sie ihn so leichten Kaufs preis zugeben bereit war — von mir hast Du nichts zu fürchten! Wie sie das gesagt batte, — wie herablassend, wie gleichgiltig, fast verächtlich! Das Blut schoß ihm in die Schläfen. Er war ihr also wohl nichts mehr. Früher batte sie ihn freilich angebetet. Aber seit sie ihr Kind hatte, schien sie ihn nicht mehr zu brauchen. Oder sie glaubte nicht daran, daß es ihm Ernst war mit dem, was er gesagt. Daß er es nur so bingeredet batte. Sie könnte sich denn doch täuschen. Das Leben war nicht länger zu ertragen. So oder so mußte eS ein Ende nebmen. Seine Stimme verrostete ibm in der Kehle. Seine jugendliche Spannkraft, seine Lebensfreudigteit verkümmerten hier. Er war es nicht nur sick, sondern auch der Welt schuldig, endlich einmal wieder etwas aus sick zu machen, mit seinem Pfunde zu wuchern. Er brauchte An regung, Anerkennung, Bewunderung. Er wollte reisen, sich aus diesen unwürdigen Berbältnissen losmachen, diese drückenden Fesseln sprengen. Freie Babn! Das sollte sein Losungswort sein. Und gleich morgen fort! Wozu nock länger zögern? Mit diesem Entschluß ging er, sich sein Reitpferd satteln zu lassen. Er wollte nicht einmal diesen letzten Abend mehr auf Lensibn vertrauern. Lustige Gesellschaft brauchte er, die ibn ablenkte, die ibm über seine hastig durcheinanderwirbelnden, aufgeregten Gedanken sortbalf. Heute war er so recht in der Stimmung, sich einmal einen Rausch anzutrinken, unsinnig bock zu spielen, irgend eine Tollheit zu begeben. Warum auch nicht? Er war ja noch jung und batte Ansprüche ans Leben zu machen, er hatte es noch nicht genossen. Und lange genug batte er sich im Zaum gebalten. Ein wildes Verlangen nach Rausch und Betäubung, nach einem AuStoben aller seiner Kräfte war in ihm. Und morgen wollte er auf Abenteuer auSzieben, — in die weite Welt. Das sollte heute seine Vorbereitung dazu sein. Als das Pferd ihm vorgeführt wurde, schlang er sich die Zü^el um den Arm und so, in hohen Reitstiefeln, eng anliegender Joppe und grauer Schirmmütze, rief er von der Rampe deS Herrenhauses aus nach seiner Mutter. Als Frau Lydia erschien, sagte er: „Ich reite nach Dellin, Mama. Mir ist's gerade eingefallen, daß ich'S versprochen habe. SaH Thea einen Gruß Ick mag sie nicht abrufen lassen, sie wird gerade in der Milchkammer sein. Und Franz soll meine Koffer packen. Morgen reise ich. Frau Lydia war viel zu klug, um nicht sofort zu begreifen, daß zwischen dem Ehepaar etwas Entscheidendes vorgefallrn sein müsse. Sie ließ sich jedoch nichts davon merken, sondern fragte nur: „Morgen? Und allein? Wohin denn?" „Irgendwohin", erklärte er. „Ich weiß nicht." Er fühlte, daß er ihr jetzt von Rechts wegen den Vorschlag hätte machen müssen, mitzukommen, aber das hätte ihn in der Ausführung seiner Pläne gehindert und seine Abenteurlust gedämpft. Er schwang sich rasch in den Sattel. „Eö ist so schwül", sagte Frau Lydia, die ihre Enttäuschung über sein Sckweigen hinter ihrer wieder vorbrechenden mütter lichen Aengstlichkeit fast vergaß. „Es wird gewiß ein Ge witter geben. Du nimmst gar nichts mit? Und Du reitest ganz allein? Das ist ja furchtbar leichtsinnig, Harry. Ja, flehe Dich an . . ." Zum ersten Mal im Leben erschien ihm die mütterliche Besorgniß, die ibn während seines ganzen Daseins begleitet hatte und ohne die er sich dieses eigentlich überhaupt nick: vorstellen konnte, übertrieben und quälerisch. Er hatte eine unbehagliche Empfindung dabei und sie stachelte ihn in feiner jetzigen aussätzigen Stimmung vollends zum Trotz. Daß man ihn dock immer bevormunden wollte! Schließlich war er ja Wohl kein Kind mehr. ES ärgerte ihn, daß Tbea im Grunde gar nicht so unrecht hatte, wenn sie einmal auf seine allzugroße Abhängigkeit von seiner Mutter anspielte. Früher war ibm das nie so zum Bewußtsein gekommen. Jetzt machte er eine ungeduldige Handbewegung gegen Fran Lydia zurück und ritt ohne einen weiteren Gruß davon. Um nach Dellin zu gelangen, pflegte er die andertbalb Meilen entfernte Station einer kleinen Zweigbahn zu be nutzen, die ihn in einer halben Stunde dorthin brachte, wenn er den richtigen Zug traf. Tie ganze Strecke zu Pferde znrückzulegen, wie die Delliner Officiere, war ibm zu an strengend; lieber stellte er den Gaul bis zu seiner Rückkunft bei dein StationSverwalter unter. Heute überzeugte er sich freilich durch einen Blick auf die Uhr deS Dorfkirchtburms, an dem er vorübersprengte, daß er daS Thier gewaltig würde auSgreifen lassen müssen, um den Dellinger Zug in Borken friede noch zu erreichen. Er war ein vortrefflicher Reiter. Hans Wietzlow pflegte zn sagen, daß eS das einzige „Landmannhafte" an ihm )ei. Nur reite er zu sehr wie ein SportSman. In Wahrheit betrieb Harry daS Reiten mehr al« Kunstfertigkeit, mit der er sich sehen lassen wollte; ein ausdauernder, sein Pferd liebender, mit ihm gleichsam verwachsener Reiter war er keineswegs. Schonung kannte er für Pferde nickt. Hierin so wenig wie irgendwo sonst nahm er Rücksichten, wenn
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