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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.10.1897
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18971005012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1897100501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1897100501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-05
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In Verbindung mit dieser Frage wird bei der Besprechung der Militairproceßreform vielleicht auch die Frage zu erörtern sein, ob nicht in Zukunft Strafsacken, in die sowohl Personen des CivilstanveS wie Militairpersonen verwickelt sind, am besten durch gemeinsame Gerichte zu erledigen sind, denn auch hier macht sich die absolute Trennung des Heer wesen« von dea civilen Einrichtungen störend bemerkbar. Man sollte daran denken, daß das deutsche Heer nur ein Theil unserer staatlichen Institutionen ist und daß es immer von Nachtheil sein muß, wenn ein Glied des Staatswesen« von den anderen völlig abgetrennt ist. Der StaalSorganis- mu« ist dem Körper de« einzelnen Individuums zu vergleichen. Und wie bei dem menschlichen Körper kein Glied völlig un abhängig ist und jedes Glied verkümmern müßte, wenn cs nur auf sich selbst angewiesen wäre, so ist eS sowohl für kaS Heer, wie auch für das gesammte Staatswesen schädlich, wenn das Heer fremd und manchmal sogar feindlich dea anderen Staatseinrichtungen gegenübersteht. Deutsches Reich. * Leipzig, 4. Oktober. Der Kaiser hat der 50. Haupt versammlung des GesammtvereinS der evangelischen Gustav-Adolf-Stiftung, z. H. des Leiters derselben. Geheimen Kirchenraths v. Pank in Leipzig, folgendes Telegramm zugehen lasten: Rominten, den 4. Oktober 1897. Ich habe die treuen Segenswünsche, welche Mir der Gesammtverrin der evangelischen Gustav - Adolf» Stiftung gelegentlich seiner 50. Hauptversammlung dargebracht hat, mit herzlicher Freude entgegengenommen und danke für Liese freundliche Begrüßung aus« Wärmste. Ich wünsche dea segensreichen Bestrebungen der Gustav-Adolf-Sache auch ferner Gottes Schutz und reichen Erfolg und werde der Stiftung wie den Vereinen in Meinen Landen gleich Meinen Vvrfabren an der Krone als deren Protektor stets Mein besonderes Interesse und Meine Fürsorge zu Theil werden lasten. Daß Mein, im Verein mit den übrigen evangelischen Fürsten Deutschlands seinerzeit an geweihter Stätte abgelegtes Zeugniß für unser evan gelische- Bekenntniß in der 50. Hauptversammlung einen so freudigen Wiederhall gesunden, hat Mich mit großer Befriedigung erfüllt. Wilhelm I. k. * Berlin, 4. Oktober. An die Meldung anknüpfend, daß eia ReichsversicherungSgesetz-Entwurf fertiggesteli' sei, schreibt der „Hamb. Corr.": „Schon Ende Oktober 1871 regte der Abg. Jakobi im Reichstage durch eine Inter pellation die Verwirklichung des Artikel- IV Absatz 1 der Reich-Verfassung an. Damal- erklärte der StaatSminister Delbrück, das Material für eine einheitliche Versicherungs gesetzgebung werde gesammelt, und er hoffe, sehr bald mit Eine Lücke. LS Aus juristischen Kreisen schreibt man UNS: Vor einigen Tagen brachten mehrere Zeitungen eine selt same (auch von uns erwähnte. Red.) Annonce. E« war darin eine hohe Belohnung angeboten für Denjenigen, der einer im Ehescheidungsproceß befindlichen Frau da- in der Ehe gezeugte Kind, daS der Vater verborgen halte, zuführen würde. Um die Frau in den Besitz des Kindes zu setzen, hatten sowohl ein Landgericht, wie ein OberlandeS- gericht eine vierwöchige Haftstrafe gegen den Ehemann an geordnet. Da aber die Militairbehörde — der Ehe mann ist Offizier und Träger eines sehr bekannten Adets- namen» — die Vollstreckung der gerichtlichen Anordnung verweigerte, so sehen sich die Anwälte der Ehefrau zu der Aussetzung der erwähnten Belohnung veranlaßt. ES läßt sich natürlich nicht ohne weiteres feststellrn, ob in dem speciellen Falle die Anordnung der Haftstrafe gegen den Ehemann den gewünschten Zweck — die Auslieferung deS Kindes an die Ehefrau, erreicht hätte. Soviel steht jedenfalls fest, daß für den betreffenden Osficier voraussicht lich die Durchführung der Maßregel nicht so unangenebm gewesen wäre, wie die Tbatsache, daß sein Ehestreit nun in die Oeffentlichkeit binausgedrängt wird. Es läßt sich ferner nicht bestreiten, daß die durch die Weigerung der Militair- behörde entstandene Nothwendigkeit, gewissermaßen ein Fang- aeld für das Kind festzusetzen, einen höchst unangenehmen Eindruck macht. Die Angelegenheit hat aber eine Bedeutung weit über den einzelnen Fall hinaus. Sie weist auf eine empfindliche Lücke in den deutschen gesetzlichen Zuständen hin. Wenn eine Gerichtsbehörde die Hilfe einer anderen Gerichtsbehörde in Anspruch nimmt, so muß dem Ersuchen Folge geleistet werden. Bor den Mauern der Caserne aber muß hier da- Verlangen eines Gerichtshofes höchster Ordnung — denn nur daS Reichsgericht steht über dem Oberlandesgerichte — Halt machen. ES wird dadurch eine vollkommene RecktSunsicher- heit geschaffen, denn wenn nicht nur in Strafsachen, sondern auch in Angelegenheiten deS bürgerlichen Recht- die An ordnungen der geordneten Gerichte von einer Militairbehörde verweigert werden können, so wird eS den bürgerlichen Kreisen erschwert, in irgendwelche Rechtsbeziehungen zu den mili- tairischen Kreisen zu treten. Die Angelegenheit hat indessen auch eine politische Be deutung. Man kann sich kaum «in wirksameres Agitations mittel für die Socialdemokratie denken, als daß sie darauf Hinweisen kann, eine staatliche Institution dürfe sich dem Willen einer anderen einfach widersetzen und die Autorität dieser anderen Institution unwirksam machen. Der Respekt vor der staatlichen Autorität überhaupt muß durch derartige Vorfälle verringert werden. Wenn die Machtmittel der geordneten Behörden an einem anderen Willen scheitern und wenn deshalb ein Preis auf die Erlangung eines Menschen gesetzt werden muß, so er innert das an die Anarchie deS Mittelalters. Eine- modernen Rechtsstaates am Ende deS 19. Jahrhunderts ist ein solcher Zustand jedenfalls nicht würdig, und man wird daher auf Mittel sinnen müssen, derartige Vorkommnisse für die Zu kunft auS der Welt zu schaffen. Wenn zwischen militairischen und civilen Behörden eine Einigung über die Durchführung „ o-, , - einer von diesen Bebörden angeordneten Maßregel nicht er-, der Sichtung desselben soweit fertig zu sein, daß er eine Vor ¬ lage machen könnte. Die nächste Anregung wurde durch eine Petition deS Ausschusses deS Vereines Deutscher LebenS- versicherungS-Gesellschaften im März 1874 gegeben. Diese Petition kam wegen deS Schlusses im Reichstage nicht zur Be- rathung, es wurde aber schriftlicher Bericht der vorberathen- den Commission erstattet, und diese batte sich einstimmig dahin erklärt, die Petition der Regierung als Material für die dringens erforderliche Reichsgesetzgcbung über das ReickSversickerungswesen zu überweisen. Eine Petition vom 3. Mai 1879 regte die Frage von Neuem an; sie wurde der Reichsregierung mit dem Ersuchen überwiesen, daß das Ver sicherungswesen im Wege der Reichsgesetzgebung baldmöglichst geregelt werde. In den Jahren 1880/81 und 1882 erhielt der Reichstag auf diesen seinen Beschluß vom BundeSrathe die Miltheilung, daß immer noch weiteres Material gesammelt werde und Erhebungen angestellt würden, daß aber die ver bündeten Regierungen nicht in der Lage seien, eine Vorlage zu macken. Seil der Zeit herrschte im Reichstage über die Frage Schweigen, in Negierungskreisen jedoch war inzwischen that- sächlich der Entwurf eines Reichsversicherungszesetzes fertig gestellt. Das Reichsamt des Innern hatte die Arbeit im Jahre 1883, und zwar auf Grund von Material, daS sich aus einer Enquete ergeben batte, die bereits 1879 durch ein Rundschreiben des Reichskanzlers an die verbündeten Re gierungen eingcleitet war, vollendet. Bei der Enqueie war die Bedürfnißf-age von verschiedenen Regierungen verneint worden, gleichwohl wurde der Entwurf den betheiligten Reichs« und Landesressorts zur Prüfung vorgelegt. Aber auch da ergaben sich ungewöbnliche Schwierigkeiten, und die Verhandlungen zogen sich bi- in daS Jabr 1837 hinein; dann schlief die Sache ganz ein, und erst Anfang der neunziger Jahre wurde» die Arbeiten wieder ausgenom men. DaS Reichsamt deS Innern nahm sich der Sache infolge von Anregungen durch die Presse wieder an. Im Jahre 1892 interpellirte aber auch der Abg. Graf v. Behr bei der zweiten Lesung deS Etats des ReicksamtS des Innern die Negierung über den Stand der Angelegenheit. Damals wurde vom Regierungsvertreter mitgetheilt, daß die Arbeiten wieder ausgenommen wären, daß man aber zunächst ver suchen würde, üoer die Erfahrungen, welche in anderen Ländern, namentlich in Amerika und England, aber auck in Frankreich, mit einer einheitlichen Versicherung«- gesetzgcvung gemach) wären, Kenntniß zu erhalten. AuS dieser Geschichte des Gesetzentwürfe- ersieht man, daß recht große Schwierigkeiten zu überwinden sein werden, ehe der Entwurf, der jetzt fertiggestellt ist, Gesetz werden wird. Namentlich die beiden Fragen, ob die Versicherungs anstalten einer Conceision unterworfen oder lediglich zur An meldepflicht angehalten werden sollen, und ob die Aufsicht vom Reiche oder von den Siaaten geführt werden solle, haben bisher große Hindernisse bereitet. Ob die Einzelregierungen j tzt geneigter sein werden, die Hindernisse zu beseitigen, als f üher, bleibt abzuwarten. Jedenfalls wird man gut thun, si o nicht etwa der Hoffnung hinzugeben, daß nunmehr schon in naher Zeit das Neich-versicherung-gesetz zu Stande kommen werde. * Berlin, 4. Oktober. Eine Genugthuung eigener Art ist dem „deutschen" Freisinn wieder einmal zu Theil ge worden: die Anerkennung der Polen; und damit nicht genug, sogar die Unterstützung bei Wahlen wird von pol nischer Seite bei weiterem Wohlverhallen des Freisinns in Aussicht gestellt. Auf dem Nürnberger Parteitage hat näm lich ein Redakteur der fortschrittlichen „Posener Zeitung", die ihre Aufgabe darin erblickt, die deutschnalionalen Bestrebungen in Posen zu durchkreuzen, so polenfreundlich gesprochen, daß ihn der „Dziennik KuzawSki" mit folgenden Worten lobt: „Wir sprechen Herrn Wagner für dies kühne Auftreten in der Vertheidigung der Wahrheit herzliche Anerkennung aus und begrüßen diesen rinmüthigen Beichluß der freisinnigen Partei mit aufrichtiger Befriedigung. Zeigt er dock, daß es sogar unter der nichtkatholischen Bürgerschaft noch nicht an einer Schaar von Leuten mangelt, die sich nicht von chauvinistischen Sophistereien leiten lassen, sondern dir Polen für gleichberechtigte Staatsbürger ansehen. Mehr verlangen wir auch von Len Deutschen nicht, als daß sie uns vollständige Gleichberechtigung zugesteben. Wenn die freisinnige Partei diesen Beschluß auch in der Wahlpraxis streng befolgt und gewissenhaft die darin enthaltenen Versprechungen hält, dann kann sie überzeugt sein, daß die polnischen Wähler da, wo sie keine Aus sichten haben, den eigenen Candidatrn durchzubringen, die freisinnigen Landidaten aufrichtig unterstützen werden." Auch beim „Dziennik BerlinSki" findet dieser Vorschlag volle Billigung: „Wir sind grundsätzlich mit dem Gedanken des „Dzienni Kujawski" einverstanden, müssen hier aber folgenden Vorbehalt machen: Man muß mit der freisinnigen Volkspartei ein Lartell schließen, es in seinen Einzelheiten besprechen, seine Forderungen aufstellen und die Forderungen der deutschen Bolksparlei berück sichtigen. Ein mit dieser Partei abgeschlossenes Cartell würde uns nicht allein den Wahlkampf erleichtern, sondern uns zugleich al« Beweis dafür dienen, daß wir mit Deutschen Hand in Hand gehen können und wollen, wenn sie unsere Rechte anerkennen." Als einen besonder- bedeutsamen Punkt dieses Cartell- hebt das polnische Blatt hervor, baß eS „eine unzweideutig ablehnende Haltung gegenüber den Plänen auf Vergrößerung der Flotte" einnehmen müsse: „Wir müssen uns auS allen Kräften mit der gegen die Regierung gerichteten deutschen Opposition zu verbinden trachten." — Gelangt Herr Richter rechnender Weise zu der Ueberzeugung, e« könne mittel- de« polnisch-freisinnigen Cartells für feine Partei auch nur ein Mandat erobert werden, so wird er wohl mit den Polen „abschließen." C> Berli«, 4. Oktober. (Telegramm.) Der Bot schafter ». Balow, stellvertretender StaatSsecretair de- Aus wärtigen Amte-, ist heute hier eingetroffen. — Die Kircheawahlen haben gestern mit einem uner warteten Siege der Liberalen begonnen. In der St. Elisabeth-Gemeinde, die seit neun Jahren unbestritten in den Händen der positiven Partei gewesen, haben die Liberalen die Majorität errungen. — Tie „Nat.-Z." erhält folgende Zuschrift: Nahmitz bei Lehnin, 2. Lctober. Sehr geehrte Redaktion l In Ihrer und anderen Zeitungen sind Berichte über die gegen mich vor vem KreiS-Ausschusje des Kreises Zauch-Belzig am 29. v. M. geführte Disciplinarverhandlung, die zu meiner Entsetzung aus dem Amte al« Gemeindevorsteher führte, erschienen. Darin ist angegeben, ich hätte mich bereit erklärt, «nein Möglichstes zu thun, um die Frau Palm aus meinem Haus« zu entfernen, sobald ich aus Grund des Mietbsvertroges dazu in der Lage wäre. Ich bitte in Ihrem geichatzien Blatte gefälligst mitzutheileu, Laß Obiges auf einem Mißverständnisse beruht. Ich denk« gar Nicht daran, die Frau Palm au- ihrer derzeitigen Wohnung in meinem Hause zu vertreiben, da mir kein Gesetz bekannt ist, das die Socialveinokratie für vogelfrei erklärt, und La ich, selbst wenn ein derartiges Gesetz bestände, obgleich ich ein entschiedener Gegner der Socialdemokratie, zur Ausübung derartiger barbarischer Gesetzesbestimmungen meinerseits nicht mitwirken würde. Das Urtheil FeuiHeton. Entwickelung der Sternkunde. Ein interessante- Werk beginnt jetzt im Verlag deS Bibliographischen Institut-, Leipzig und Wien, zu erscheinen und zwar unter dem Titel „DaS Welt geb Lu de". Eine gemeinverständliche HimmelSkunde von Or. Wilhelm Meyer, Direktor der „Urania" zu Berlin. Wir geben im Nach folgenden unfern Lesern auS dem fesselnd und anziehend ge schriebenen Werk einige Abschnitte von allgemeinem Interesse wieder, welche lichtvolle Ausblicke gewäbren auf die Ent wickelung dieser von Jahr zu Jahr wieder populärer werdenden Wissenschaft. In den früheren EntwickelungSstadien deS MensLengeisteS und auch beute bei den geistig zurückgebliebenen Stämmen der Naturvölker spielten und spielen die Gestirne eine ganz hervor ragende Rolle. ES ist Tbatsache, daß ein Buschmann, rin gar armseliges Geschöpf, da- nicht im Stande ist, sich eine Hütte zu bauen, sich unter den Sternen besser auSkennt al- Hunderttausende unserer gebildetsten Großstädter. Vielleicht ist der fortwährende Aufenthalt im Freien, die Orientirunz nach Zeit und Nichtnng die erste Ursache diese- Interesse« der Naturvölker an der Sternenwclt gewesen, während die Bewohner großer Städte über den Koben Mauerzeilen der Straßen nur ein kärgliche« Stückchen de- ewigen Firmamentes sich auSspannen sehen, dessen Sterne kaum die dunstige Atmosphäre durchdringen und in dem Lichtmeere der Straßen fast gänzlich verschwinden. Selbst die Sonne, deren lebenspendende Kraft noch am unmittelbarsten in die Augen springt, vergißt der Städter, obgleich er, ihm zwar längst unbewußt, sein ganze- Thun nach chem schönen Rbythmu- regelt, den sie allein durch Tag und lNachl und Sommer und Winter erzeugt. Die Be« ziehukagen zwischen dem Sonnenstände und den Angaben seiner Uhr «erden ja auch immer verwickelter. Wie ander- war da« Damals, al« man sich noch nach der Sonne selbst um sehen jmußre, wenn man di« Zeit wissen wollte, al« eben Iedernitann noch sein eigener Astronom war. Nur der Land mann sueht vielleicht noch^gelegentlich dankbaren Sinne« hin auf zu vder strahlenden Spenderin aller Freuden, deren wir gedankenlose Erdenbewohner theilhaftig werben. Wie Lie Menschen dazu kamen, die Gestirne göttlich zu verehren, zist leicht zu begreifen. Es war zu offenbar, daß unsichtbare ^Gewalten, deren Quelle über der irdischen Welt liegt, in da« Geschehen der Ding« hier unten eingreifen; die Sonne aber und die übrigen Gestirne mußten zugleich als außerirdische, ungreisbare, vielleicht wesenlose Dinge erkannt werden. Sie wurden also zu etwas über dem Menschen Stehendem, zu seiner Gottheit. Die tausendfältige Abhängig keit von den Geschehnissen dort oben am Himmel, die keine menschliche Macht zu lenken, abzuwenden oder herbeiznfübren vermochte, lehrte den Menschen Furcht und Dankbarkeit em pfinden gegenüber seiner Gottbeit. Und die Sonne mußte hier notbwendig die erste Rolle spielen. Alle-, wa« der kulturlose Mensch in seiner Huf- lostgkeit empfand und uuternabm, wurde von ibr beherrscht. Si« erweckte ihn am Morgen und lockte ihn au- seiner dumpfen Höhl« in- Freie hinau-, zur Jagd nach Beute; sobald sie Abend« von ihrem Tagewerk auSruhte, erschlaff.cn seine Glieder, und Furcht vor den unheimlichen Mächten der Dunkelheit trieb ihn zurück in die Höhle. Und wenn er nun, im Kreise der Familie um da» Feuer gelagert, jenem so un endlich schwachen Abglanz der Strahlenfülle deS Tage-, erleuchtet von den ersten Funken der aufdämmernden Inielli- genz, nachzudenken begann, wie alle diese Dinge wobl zngchcn mögen, und ob jene himmlischen Wesen menschenäonlick, sterblich seien, da schossen die ersten Keime von Probleme» auf, an deren Lösung die Menschheit ewig zu tbun haben wird. Wa« in jenen ersten Anfängen der Menschheit, von denen wir keine Spar von historischer Ueberlicferung mehr besitzen, und di« vielleicht um sünszigtausend Jabre hinter unserer Zeit zurücklieg-n, Uder die Gestirne gedacht worden ist, läßt sich mit einiger Wahrscheinlichkeit wiekergeben, wenn man Vie Meinungen und Sagen betrachtet, welche die Natur völker unserer gegenwärtigen Zeit besitzen. So heißt e« in Ratzel'« „Völkerkunde" von den Busch männern, die man mit al- die armseligsten menschlichen Geschöpfe de« gegenwärtigen Erdkreise« anzusehen Hal: „Eine gut« Beobachtung der Vorgänge am Himmelszelte bezeugen nicht nur einige von ihren Märchen uud Mytben, sondern auch ihre eigene Kenntniß der Sterne und die Namen, die si« ihnen geben. Bon jenen heben wir die Geschichte von der Sonne hervor, die al« Mann auf der Erve lebte und an der Achselhöhle Licht «u-strahlte, da« aber nur einem kleinen Raum um die Hütte zu Gute kam, weshalb von den ersten Buschmännern einige Kinder «»«gesandt wurden, um sie in den Himmel zu werfen, woher sie seitdem allen scheint. Der Mond, der auch bei den Buschmännern männ lichen Geschlechte« ist, erscheint al- ein Mann, von dem die Sonne in ihrem Zorn mit dem Messer (idren Strahlen) Stück für Stück abschneidet, bi- er bittet, sie möge koch noch ein bißchen für seine Kinder übrig lassen; diese« bißchen wächst dann wieder, di« e« Vollmond wird, um neuerding« von der Sonne beschnitten zu werden. Mit dem Monde wird auch der Ursprung de« Tove- in Verbindung gebracht." Letztere« tritt noch deutlicher in der ähnlichen Lage der Fidschianer hervor, welche folgendermaßen erzählt wird: „Sie lassen zwei Götter, Mond und Ratte, sich streiten, ob die Menschen sterblich sein sollten, wie der Mond, da- heißt sterbend und wiederkebrend, oder wie die Ratten, da- heißt einfach sterbend, nicht wieverkchrend. Da die Ratte siegle, sind nun die Menschen sterblich." „Bei den Hottentotten läßt der Mond durch seinen Boten, den Hasen, den Menschen sagen, daß sie gleich ihm vergehen und wiederkebren sollten. Der Hase richtet die Botschaft in dem entgegengesetzten Sinne aus, wofür der Mond ibn mit einem Stabe wirft, der ihm die Oberlippe schlitzt." „Bon allen Sternen ist der Kanopu den Buschmännern am bekanntesten; sie haben fünf ver schiedene Namen für ihn und baden auch Bildernamen für Sterngruppen. So nennen sie Orion- Gürtel: drei Schilv- krötenweibchen, an einem Stab aufgebangen, Kastor und Pollux: die Elenkühe; Prokyon: da-Elenmänncken; a, L und / de« südlichen Kreuze-: die Löwinnen; die anderen Sterne desselben BilveS: Löwen; Magelbaens Wolke nennen sie Steinbock. Vom Ursprung der Sterne haben sie die Sag», daß ein Madcken von dem früheren, den Buschmännern vorangehenden Volke Licht zu machen wünschte, damit die Leute ihren Weg nach Hause fänden; sie warf daher glühende Asche in een Himmel, und diese wurde zu Sternen." Von den Völkern in der Nähe der Nilquellseen wirb folgende interessante Sage erzählt: „In uralter Zeit", sagen die Wanyoro, „waren der Menschen viel auf der Erbe. Sie starben nie, sondern lebten ewig. Da sie aber über- mütbiz wurden und keine Gaben darbrachten, ergrimmt« der große Zauberer, der die Geschicke der Menschen lenkt, warf da- ganze Himmelsgewölbe auf die Erde nieder und lödtete sie alle. Um aber die Erde nicht verödet zu lassen, sandte der große Zauberer einen Mann und eine Frau „von oben" hernieder. Beide waren geschwänzt. Sie zeugten einen Sodn und zwei Töchter, die mit einander Umgang pflogen. Eine gebar ein ekelhafte- Tbier, da« Chamäleon, die andere einen Riesen, den Mond. Beide Kinder wuchsen auf; bald aber entstanden zwischen ihnen Streitigkeiten, denn da« Chamäleon war böse und beimtückisch, und zuletzt nahm der große Zauberer den Mond hinauf, von wo er noch immer zur Erde herabschaut. Um jedoch an seine irdische Herkunft zu er innern, wird er groß und leuchtend und nimmt dann ab, wie um zu sterben, stirbt aber nicht, sondern gebt in zwei Tagen um den Horizont von Osten nach Westen und erscheint, müde von der Reise, klein am Westhimmel wieder. Die Sonn« aber ergrimmt« so heftig über ihren neuen Nebenbuhler und brannte ibn fo stark, daß noch heute die Flecke in seinem Gesichte zu sehen sind. Das Chamäleon und seine Nachkommenschaft bevölkerte die Erde, die Schwänze gingen verloren, und die ursprünglich bleiche Hautfarbe ward unter der glühenden Sonne bald zur dunkeln. Auch heute noch sind die HimmelSspbären von Leuten bewohnt, die ge schwänzt sind und viele Hecrden haben. Die Sterne sind Wächter, welche der große Zauberer bei Nackt ausstellt. Die Sonne endlich ist von riesenhaften Leuten bewohnt. Als eine« Abends Emin Bei nach dem Namen der gerade sebr hell am Himmel stehenden Venu- fragte, antworteten ihm die Wanyoro: „Geliebte d^S Monde-". Wo wir uns auch sonst noch auf der Erde umsebeu, be gegnen wir bei den Naturvölkern vem Sonnen- und Sternen- cultuS, an den fick Fragen und Sagen über die Wellscböpsung, über den Tod und das Schicksal veS Menschen nach seinem Hinschcivcn innig knüpsen. Die Sagen zweier Völkergebiete mögen hier noch Platz finden. Von den nordam erikan »scheu Indianern erzählt Ratzel: „Die drei Scköpsungselemente Erde, Wasser und Feuer treten als die starke» Grunvlinien hervor. Tas Wasser ist da- Ueberwiegenve, die Erde ist nur eine Insel in demselben, der Himmel und die Sonne sind vor beiren vorhanden, und die Sonne bringt vom Himmel oder mit Erlaubniß deS Himmels da« Feuer auf die Insel Erde berab. Deutlicher noch spricht Vies Vie SchöpfungS- sage der Hasrnindianer auS: Der Vater wohnt im Zenitb, die Mutter im Nadir, der Sobn eilt am Himmel zwischen beiden hin und her. Als er so eines Tages umher wanderte, bemerkte er die Erde. Zu seinem Vater zurück- gekebrt, sang er ibn folgendermaßen an: „O, mein Vater in der Höbe, zünde doch Dein himmlische« Feuer an, denn auf dieser kleinen Insel (Erde) sind seit Langem meine Brüder schon unglücklich. Siehr sie an, mein Vater, habe Mitleid mit den Menschen!" Pinart bezeichnet al« „Grunvtogma" de« altzutiscken Glauben« Vie Anbetung der Sonne und de- Monde-, welcher al« Bruder der Sonne, jene al« Schwester dargeftellt wird. Sie entbrannten in Liebe zu einander, wurden getrennt und suchen sich seitdem. Malina (die Sonn«) wurde von ihrem Bruder Anninga verfolgt und machte ibn schwarz im Gesicht, um am Tage ibn wirrer zu ent decken. Da- ist der Grund der Fleck« im Monde, der bi- auf den heutigen Taz um die Sonne sich dreht, vergeben« bemübt, ibr nabe zu kommen. Nach dem letzten Viertel fädrt er mit einem Schlitten, dem vier große Hunte vorgespannt sind, auf die Seebund-jagd und kommt wohlgenährt wieder. Viele Sterne haben mythologische Bedeutung. Der Morgenstern und der Abendstern leuchten dem zaubrrkunvigen Noaidea.
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