Suche löschen...
Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1897
- Erscheinungsdatum
- 1897-10-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-189710174
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-18971017
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-18971017
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1897
- Monat1897-10
- Tag1897-10-17
- Monat1897-10
- Jahr1897
- Titel
- Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.10.1897
- Autor
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
BezugS-PreiS W Her Hmlptexpeditiou oder des km Ktadt- deoirk md den Vororte« errichtete« A«s- Aeoestellea abgrholt: viertrljührlirb ^l4^0, »et zwednaltaer täglicher ZusteN««g in» vaut^l k^L Durch die Post bezogen für Tevtschlavd «nd Oesterreich: VierieHsbrlich S.—. Direkte täglich« Sreuzbandseudullg t>» Au»la«d: monatlich 7.b0. Li» Morgeu-Au-gabe erscheint «m V«? Uhr, di» Abeud-AuSgab« Wochentag» «m b Uhr. Nedartto« ««- Erpeditto«: Iohanne-gaffe 8. DieLkpedition ist Wochentag» unnnterbroche» -»öffnet von früh 8 bi» Abend» 7 Uhr, —o»c>» Filiale«: Ltt« Klemm'» Sortim. (Alfred Hahn), UviversitätSstraße 3 (Paulinum), Laut» Lösche, Katharinenstr. 1«, pari, «nd König-Platz 7. MWM.TiUMaü Anzeiger. Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, des Ruthes nnd Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. KV. Sonntag den 17. October 1897. Anzeigen-Preis die 6 gespaltene Petitzeile 20 Pfg. Reklamen unter dem RedactionSstrich ^ge spalten) SO/H, vor den Familiennachrichten (6gespalten) 40 A. Größere Schriften laut unserem PreiS- vrrzrichniß. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anreigen sind stets an die Expedition zu richten. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Sl. Jahrgang. Rus -er Woche. Vielleicht schreibt ein Kunst-Savigny einmal über den Beruf unserer Zeit, Denkmäler zu setzen. DaS Gutachten würde aller Wahrscheinlichkeit nach negativ ausfallen, obwohl in Deutschland niemals mehr Denkmäler und Monumente entstanden sind, als in der Gegenwart und jüngsten Ver gangenheit. Es ist ja immer so gewesen und kann nicht ander- sein: wenn em Geschlecht die Helden einer früheren Epoche m Bildsäulen verewigt, so legt eS seinen Geist in die Kunstwerke. Wenn aber die bildende Gegenwart un mittelbar an die zu verherrlichende Vergangenheit grenzt, der Größte, der Stempelgebende der abgeschlossenen Periode noch unter den Lebenden weilt und eben dessen Wesen in Stein oder Erz aufzufafsen die Blüthe der zeitgenössischen Kunst sich unvermögend zeigt, so ziemt es sich Wohl, die große Aufgabe einer besseren Zukunft aufzusparen. Zur Zeit sind in Berlin die aus einem engeren Wettbewerb hervor gegangenen Entwürfe eines Nationald enkmals für den Fürsten Bismarck der allgemeinen Be sichtigung zugänglich gemacht. Vor jedem Bildniß einer eigenartigen Persönlichkeit darf und soll man sich des Lobes erinnern, das Goethe in der Ode auf Oeser'S Gellert-Monument dem Künstler spendete: Er „fühlte den Geschiedenen". Das Hauptwort paßt — dem Himmel sei Dank! — nicht auf Bismarck und das Zeitwort — Gott sei's geklagt — paßt auf keinen der Scköpfer der zwölf Denk mäler, deren eines das Andenken an den Gewaltigen in der NeichSbauptstadt auch äußerlich festzuhalten bestimmt sein soll. Und wie keiner in Antlitz und Gestalt Bismarck erfaßt hat, so ist daS Beiwerk der Bildsäule überall uubismarckisch, undeutsch und — die Gerechtigkeit muß man der Gegenwart widerfahrenlassen — nicht einmal im Geiste der Zeit empfunden. Alle diese Dcnkmalsanlagen tragen einen Zug des Cäsaren mäßigen. Ihr kalter Prunk spricht nicht zum Herzen, nicht zum Sinn. Ausgeklügelte, vielfach dem Alterthume ent nommene Allegorien und Symbole — aber auch die sich „germanisch" gebenden taffen keine Saite unseres Gemüthes an klingen — sind vielfach selbst dem Gebildeten nicht verständlich, dem Volke würden sie ewig fremd bleiben. Geist vom Geist der gouvernemeutaleu Gegenwart— insoweit müssen wir unser Urtheil einschränken — sind dieEntwürfe bei ihrem Mangel an Concentration und bei der Ueberwucherung des Decorativen allerdings. Als das Beste bezeichnet ist von der Jury bekanntlich das von Reinhold Begas entworfene Denkmal. Man begreift diese Auszeichnung sehr wohl. Es fehlt nicht an Formenadel, an herrlich gelungenen Einzelheiten, wie eine an ihrer natur wahren Bewegung entzückende, ein Schwert schmiedende jugend liche Krafkgestalt; die Bismarckfigur selbst ermangelt nicht des Geistes und der Kraft, wie dem Ganzen eine gewisse Wucht nicht abzusprechen ist. DaS Denkmal packt, aber cs fesselt nicht. DaS Beiwerk muthet auch an ihm fremdartig an, über die symbolische Bedeutung der zwei Seitengruppen streiten sich sogar die „Gelehrten", an der Stirnseite kniet ein Atlas, der soeben der Last der Weltkugel zu erliegen scheint. Bismarck'» Kraft aber ist seiner Weltbürde noch voll ge wachsen gewesen, als sie ihm von den Schultern genommen wurde. Seine eigene Gestalt, wie sie hier dargestellt ist, läßt die überlegene Ruhe, geschweige denn die Alles zwingende ein fache Größe, die seinem Wesen innewohnt, vermissen. Sie ist überdies greisenhafter gegeben, als der geschichtlichen Wahrheit entspricht. Es soll dahingestellt bleiben, ob daS Nationaldenkmal für den Reichsgründer nicht dessen Züge und Formen auS der Zeit der Reichs gründung aufweisen müsse. Absolut unzulässig ist eS nicht, ihn zu bilden, wie er bei dem Rücktritte von seinen Aemtern erschienen ist. BegaS greift aber nicht einmal so weit zurück. Wir haben den Fürsten Bismarck in den Tagen, die seiner Entlassung folgten, wiederholt gesehen, nicht nur im Wagen, auch stehend und schreitend, sich verbeugend. Seine ganze Erscheinung ist voller, manneskräftiger ge wesen, als sie der von der Jury hervorgehobene Ent wurf vor unS hinstellt. DaS deutsche Volk ist aber nicht gesonnen, „Bismarck im Ruhestande" ein Denkmal in Berlin zu setzen. DaS will allerdings auch der Entwurf deS Müncheners Maison, der aber diese seine Absicht ehrlich zu erkennen giebt. Er stellt seinen Bismarck dar in ge beugter Haltung, sitzend, mit gramdurchfurchten Zügen vor sich hin sinnend. Der Beschauer sagt sich auch, worüber. Von der Akademie der Künste, wo die Entwürfe ausgestellt sind, ist eS nur ein kleiner Weg zum Nationaldenkmal für Wilhelm I. Er führt an Rauch'S Monument deS großen Friedrich vorbei, dem volksthümlichsten Denkmal der Hauptstadt. Es ist gut, den Weg zu machen und dort an gesichts deS frostigen stolzen Prunks aufs Neue zu em pfinden: daS ist unser alter Kaiser nicht, daS ist kein Geleite und keine Symbolik, die sich für unfern alten Kaiser schickt. Und vor dem Friedrichs-Monument sollte man sich erinnern, daß ein wahrhaft großer Künstler Jahrzehnte lang über seine würdigste Gestaltung gesonnen. Wir wagen zu hoffen, die Mitglieder des ComitSs für daS Kanzler-Denkmal werden den Muth ihrer Meinung haben und standhaft erklären, die deutsche Nation wolle ihren BiSmarck verewigen, wie sie Wilhelm leider nicht verewigen durfte, so wie er ihrem Geiste vorschwebt und in ihr Herz eingegraben ist. Also nicht nach dem Entwurf von BegaS. So lange eS den Anschein haben konnte, der Verzögerung der Denkmals- Angelegenheit liege eine außerkünstlensche Absicht zu Grunde, war es ein natürlicher Wunsch der Verehrer deS Altreichs kanzlers, weitere Schritte zur Ausführung gethan zu sehen. Nun darüber Beruhigung eingetreten und daS Ergebniß der zweiten Wettbewerbung hinter der Aufgabe zurückgeblieben ist, so soll man warten lernen, bis der deutschen Kunst ein Genius ersteht, der „Bismarck zu fühlen" weiß und von dem gesagt werden darf: Er . . . sammelte mit Geistesflug In Marmor alle» Lobes Stammeln. Die Dankesschuld an den Großen kann nicht mit einem Denkmal schlechthin bezahlt werden, sondern nur mit einem Werke, das seiner Nation zum Ruhme gereicht. Man muß der „Kceuzztg." nachsagen, daß sie für die Münchner Kammerverhandlungen über die diesjährigen großen Manöver daS treffendste Urtheil gefunden. Sie siebt den focialdemokratifch-ultramontanen und den particularistischen Klagen über angebliche Ueberanstrengung der Truppen die Absicht zu Grunde liegen, durch den Appell an die Genußsucht und die Bequemlichkeit in der bayerischen Bevölkerung Stimmung gegen unsere HeereSeinrichtungen zu machen. Solchem Be ginnen darf man ruhig zusehen; es muß an der Kraft und dem Ehrgeiz der süddeutschen Jugend zu Schanden werden. Die bemerkenSwerthe Ungeschicklichkeit der heereSfeindlichen Wortführer, die gänzlich ungediente Herren in der langen und in der kurzen Robe nicht vor dem Eingehen in die subtilsten militairischen Einzelheiten zurückschrecken läßt, hat sogar die Mißbilligung einiger klügerer demokratischen Blätter gefunden. In Summa eine Blamage, wie sie dem Dreibund Grillenberger-Sigl-Schädler recht oft zu wünschen ist. Der Kriegsminister Frhr. v. Asch hat redlich zu dem erfreu lichen Erfolge beigetragen. Daß er mit seiner im Finanz ausschuß abgegebenen Erklärung über die Angelegenheit der Militairstrafproceßordnung Niemand befriedigen konnte, war vorauSzusehen. ES kann nur Wunder nehmen, daß man in norddeutschen nationalliberalen Blättern sich etwas von einer Befragung in diesem Augenblicke versprach. Herr v. Asch sagte bei Lichte betrachtet, nicht», nicht einmal von der Stellung der bayerischen Regierung zu der aufgeworfenen Frage, ob es sich bei dem Aufgeben de» obersten MilitairgerichtShofS um den Verzicht auf ein Reservatrecht handle. Der Minister sprach von der — selbstverständlichen — „Wahrung der bayerischen Reservatrcchte". Der Plural enthält in diesem Falle weniger, als der Singular umfaßt hätte. Die kernige Sprache der Abwehr, die protestantische Ver sammlungen und Behörden gegen die in der CanisiuS- Encyklika zu Tage getretene römische Ueberhebung und Friedfertigkeit geführt, hat in der nationalliber alenPartei ein kräftiges Echo gefunden. Eine Sonderauffaffung bekundet wiederum nur die „Köln. Ztg.", die mit einer überlegensein, sollenden Gleichgiltigkeit die päpstliche Herausforderung als eine guautitö u^gligeadla abthun und insbesondere den Antrag auf Aushebung der preußischen Gesandtschaft beim Vatikan nicht gestellt sehen möchte. Das Blatt meint u. A.: „Einem duldsamen Katholiken und erst recht einem nicht über- hitztcn Protestanten dürfte die Bulle in ihrem alter thümlichen i Curialstil, der weniger Donnerkeile als grobe Klötze schleudert, I eher ein kulturhistorisches Behagen verschaffen, wenn er die kühne I Metaphernsprache mit den farblosen, in abgerissenen Redensarten sich bewegenden Schriftstücke der modernen Staatsweisheit vergleicht. Beim Lesen der Bulle wehte uns ein Hauch aus dem Mittelalter an, wie etwa, wenn wir in einem kleinen Landstädtchen statt der uniformirten gleichgiltigen Polizisten einen Nachtwächter mit Laterne, Horn nnd gewaltigem Spieße antreffen. Früher hätte eine solche Bulle ja vielleicht einiges Blutvergießen gekostet, jetzt kostet sie nur rin erschreckliches Tintenvergießen und einen großen Aufwand an Lnngenkrast.... Durch eine hitzige Polemik macht man für die Canisiusbulle nur Reklame: die Ceiitrumsblütter suchen ihren Lesern nicht ohne Erfolg den Glauben beizubringen, als ob der Protestantismus sich unter dem Bannstrahl aus dem Vatikan krümmte, obschon wahrscheinlich mehr Protestanten, wie auch auf geklärtere Katholiken, über die Bulle gelächelt, als sich ernstlich darüber geärgert haben." ES ist Gewohnheit der „Köln. Ztg." geworden, solche Opiate zu verabreichen. Sie hat es m der Taxil-Affaire mit einem Eifer gethan, daß sie klerikaler als mancher Kleriker dastand. Das Blatt macht mit diesen Einschläferungsver suchen aber lediglich Hauspolitik; ein Publicum, not» beua ein liberales oder evangelisch-conservatives, hat es nicht hinter sich. Vom socialdemokratischen Parteitage verdient Einiges nachgetragen zu werden. Zunächst etwa», waS sich, soweit wir eS schon kannten, die antisemische Presse ohne Grund bat entgehen lassen. Der Genosse und Abgeordnete Fischer bemerkte im Verlaufe einer sonst uninteressanten Katz balgerei mit dem „Genossen" Katzenstein: „Als ich ihn (Katzen stein) sprechen hörte, habe ich mir gesagt: „daß der Tropfen semitischen Blutes, der nach Auer in der Partei vorhanden sein muß, ihm fehlt." So zu lesen in dem Bericht des „Vorwärts". Nicht zu lesen ist da, weil thatsächlich nicht erfolg, ein Protest der Bayern gegen die Wiederverlegung der Parteileitung von Hamburg nach Berlin. In der Nürnberger Parteivrrsammlung, die die Delegirten zum Parteitag wählte, wurden von einem Führer, der dadurch keinen Widerspruch hervorrirf, sehr entschieden gegen die Wiedereinsetzung Berlins als socialdemokratischer Capitale Front gemacht, und zwar unter Hinweis auf den unheil vollen Einfluß des BerlinrrthumS. In Hamburg war Alles still und auch für daS Fallenlassen deS Maifeier-Schwindels, dem in der Münchener Versammlung sehr entschieden daS Wort geredet worden war, hat sich kein Bayer erhoben. Die bayerischen Größen waren allerdings nicht anwesend. Im anderen Falle wäre die Debatte über den Weltfeiertag wohl eine etwas vertieftere gewesen. Zum Schluß eine unwidersprochen gebliebene Aeußerung des in der Partei angesehenen Herrn Ewald. Er meinte zur Frage der Betheiligung an den preußischen Landtagswahlen: „Es geht ein Zug der Unzufriedenheit durch die Partei, und dieser Zug wird noch vermehrt, wenn wir unS an den Landtagswahlen betheiligen und mit bürgerlichen Parteien pactiren." Diesen Zug der Unzufriedenheit von der Partei und ihrer Leitung abzulenken, ist daS zweifelhafte Verdienst deS herrschenden RegierungSsystemeS. Die Militairstrafproceßordnung und die Lage. Unter dieser Ueberschrift veröffentlicht die Münchener „Allgem. Ztg." einen Leitartikel, der um so größere Beachtung finden wird, je offener er au-spricht, was bisher zumeist nur angeveutet wurde, und je mehr anzunehmen ist, daß er nicht nur der Ansicht der großen Mehrzahl der deutschnational gesinnten bayerischen Bevölkerung Ausdruck giebt, sondern auch die Stim mung kennzeichnet, die in den leitenden Kreisen der bayerischen Hauptstadt herrscht. Der Artikel knüpft an ein Berliner Telegramm vom 14. d. M., in dem gesagt ist, der Reichskanzler scheine die Hoffnung noch nicht ausgegeben zu haben, sein wegen der Militairstrafproceßordnung gegebenes Versprechen zu erfüllen, an und lautet: „Wir vermögen diese Hoffnung nicht zu theilen. Wir sind der Meinung, daß der Vortrag der Minister und der Kronrath die Krisis, die jetzt schon Monate dauert, allenfalls hinausschieben können; gelöst wird sie aber auf diesem Wege nicht. Wir geben weiter und stellen fest, daß rin solches Hinausschieben der Ent- scheidung weder dem nationalen Gedanken noch den monarchischen Traditionen in Deutschland ersprießlich sein kann. Keinerlei Bemäntelungsversuche können die Thatsache verschleiern, daß der Kaiser nicht gewillt ist, den Fürsten Hohenlohe in die Lage zu versetzen, eine Militairstrafproceß. ordnung dein Reichstag vorzulegen, welche inhaltlich den Forderungen entspricht, die auch durchaus gemäßigt gesinnte Kreise an jene Vor- läge stellen. Die Abneigung deS Kaisers, dem gewiß ehrlich ge- meinten Wunsche des Fürsten Hohenlohe zu entsprechen, kann zweierlei Gründe haben. Entweder will der Monarch diesem Reichskanzler eine solche parlamentarische Kräftigung nicht mehr zu Theil werden lassen, oder er hat als oberster Kriegsherr seiner preußischen Truppen Bedenken gegen wesentliche Bestimmungen deS ihm vorliegenden Entwurfs. In beiden Fällen ist klar, daß Fürst Hohenlohe nicht mehr im Amte bleiben sollte. Mit einer halben, zerschlissenen Militairstrafproceßordnung oder gar keiner vor den Reichstag zu treten, geht für den gegen- wärtigen Reichskanzler nicht an; darunter würde eine deutsche Institution leiden, die uns höher steht als jede Person: die monarchische Gewalt. Jeder Reichskanzler und Minister- Präsident ist der Repräsentant der Willensmeinung seines Souverän» gegenüber der zur Mitwirkung an der Gestaltung der öffentlichen Dinge berufenen verfassungsmäßigen Vertretung deS Volks. Di« Möglichkeit solcher Repräsentanz hört auf, wenn greifbar für Jedermann wird, daß der Minister nicht mehr den Willen de» Monarchen hinter sich hat. In einem solchen Falle leidet nicht nur unvermeidlich das Ansehen des obersten Beamten in unerträglicher Weise Noth, sondern weil die eigentlch« Willensmeinung der Krone vor dem Parlament un- vertreten bleibt, verliert auch sie an ihrem berechtigten maßgebenden Einfluß. Darin liegt eine fortgesetzte Gefährdung unserer inneren Zustände, die daS politische Gewissen offen verurtheilen muß. Alle Einigkeit innerhalb deS preußischen Staatsministeriums und der obersten ReichSbehörden kann dem Schaden nicht abhelfen, welcher auS einer in wesentlichen politischen Fragen bestehenden Discrepanz der Versprechungen und Ansichten zwischen dem Kaiser und seinem ersten Staatsbeamten entsteht. Wir halten deshalb eine baldige Entscheidung dieser ersten Prrsonalfrage, die au» den angeführten Gründen doch nicht blos eine solch« ist, für unvrrmridlich. ES bleibt möglich, daß der Kaiser sich entschließt, einen anderen Reichskanzler mit der ge- wünschten Militairstrafproceßreform in königlichster Weise aus zustatten. Der Monarch würde damit in großem Stil ein nationales Verlangen erfüllen. Viele, sehr viele Schwierig, leiten unserer inneren Lage wären damit beseitigt. Wir sind fest überzeugt, daß die preußische Armee wie das gesainmte deutsche Heer Dank unablässiger, braver Arbeit auf einer Entwickelungs- stufe angelangt ist, auf welcher auch der Nachfolger des Großen Kurfürsten ohne Bedenken Ehre und Recht seiner Soldaten getrost in die Hände seiner Militairgerichte legen kann. Auch die Meinungsverschiedenheit mit Bayern wird in solchem Fall zwar keinen anderen Eharakter, wohl ober eine andere Färbung annehmen. Diplomatisch« Verhandlungen können dann in ganz FarriHatser. Aus -em Leben -er -rutschen Kriegsmarine. Von H. von Niessen, Lapitainlieutrnant a. D. Nachdruck «erböte«. IV. Mutzestunden an vard. Was machen denn nur die Leute während der Freizeit an Bord? Diese Frage hört man häufiger aufwerfen, wenn von dem Leben und Treiben auf einem Kriegsschiffe die Rede ist. — Womit beschäftigen sich die Mannschaften, was pflegen die Officiere in den Mußestunden zu thun? DaS zu wissen erscheint Vielen nicht minder interessant, als Be richte darüber, wie der Dienst gehandhabt wird, was daS Exerciren, die Fahrt u. s. w. nut sich bringt. Und in der That ist die Frage wichtig genug, da von der richtigen Ausnutzung der freien Zeit, der Stärkung zu neuer Thätig- leit viel abhängt, soll sich die Besatzung wohl an Bord fühlen, den nicht leichten Dienst mit stet» gleichbleibender Lust verrichten. Biel Zeit zur Ruhe ist am Tage nicht gegeben, sie ist aber zweckentsprechend vertheilt und vollkommen ausreichend! Da ist zuerst Morgens von 37 bi» 38 Freizeit, dann Mittags eine solche von Z12 bi» 32 und Abends schließlich von ZkVbiS Z9 Uhr. Eigentlich währt jede einzelne bis zur vollen stunde, jedoch hört mit den angegebenen Zeiten die Erlaubmß zum Rauchen auf und es beginnt die Vor bereitung zum Dienst, sodaß diese letzten Viertelstunden die Uebetaaü istadien bilden. „Baa^t »nd Banken", ruft auf entsprechende» Tom- mando db ffsmannsmaat der Wache nach voraufge- gangrnem >> nfignal durch da» Luk in die unteren Schiffsräume, wo es von den in den einzelnen Decken Wache habenden Unterofficieren wiederholt wird. Es bedeutet, daß die Backen (Tische) und Bänke, die für gewöhnlich, um nicht Platz wegzunehmen, unter Deck aufgehängt sind, heruntergeschlagen werden. Dieses wird von den, sich regel mäßig darin ablösenden Mannschaften einer Bank besorgt, welche sich darauf mit ihren Kaffetöpfen (Morgens und Abend») bezw. den größten Speisegefäßen (Mittag) nach der Combüse (Küche) begeben, um dort Stoff zu holen. Sie stellen Brod und die Butterbüchsen, sowie für jeden Mann einen Kumm, der als Trink- und Eßnapf dient, nebst Messer und Gabel auf den Tisch, decken also gewissermaßen, wenn auch von richtigem Tischdecken natürlich nicht die Rede ist und höchsten» auf der Back der gesondert tafelnden Unter- officiere ein derartige» Wäschestück prangt. Das genannte Signal bedeutet gleichzeitig die Erlaub- niß zum Rauchen, von der selbstverständlich der ausgiebigste Gebrauch gemacht wird. Streichhölzer zum Anzünden deS GlimmstengelS oder der kurzen Kalkpfeife giebt e» aber nicht. Diese Errungenschaft der Menschheit ist in den Mann schaftsräumen wegen der Feuergefährlichkeit verpönt. Statt ihrer wird eine brennende Lunte in einer hängenden Blech glocke festgeklemmt, um die sich die Rauchbedürftigen wie die Motten am Licht sammeln. Das Essen selbst beginnt erst eine Viertelstunde nach „Backen und Banken" auf entsprechendes Signal „Früh stück", „Alle Mann Mittag" oder „Äbendbrod" und zwar wird täglich das Mittagsmahl vorher von dem Comman- danten, dem ersten und dem wachthabenden Officier probirt. Im Allgemeinen hört man nur sehr selten Klagen und da» Essen, so einfach eS ist, mundet vortrefflich, wenn auch manche Gerichte zuweilen einer merkwürdigen Abneigung der gesammten Mannschaft begegnen. Früher auf den langen Geetouren kam das häufiger vor; da bildeten Pflaumen und Klöße eine angenehme Abwechselung zwischen dem ewigen Schwabber (präservirtem Fisch) oder dem Lachs mit Reis bezw. Reis mit Lachs. Heutzutage, wo die Schiffe nicht so lange Fahrten machen, in den Häfen auch größten- theils Frisch-Proviant übernehmen, ist das Einerlei nicht so groß, die Portion dabei für den Mann reichlich, zumal wenn während der Fahrt einige Seekranke den Anderen er lauben, sich auf ihre Kosten besser zu ernähren. Die Mahlzeiten der Officiere finden zu denselben Zeiten statt, wie diejenigen der Mannschaften. Ein eigener con- tractlich engagirter Civil-Koch und -Steward sorgt unter Aufsicht eines Meßvorstandes dafür, daß etwas Ordent liches auf den Tisch kommt, wenn es auch manchmal den etwas verwöhnteren Gaumen nicht recht gemacht wird. Der Commandant speist in der Regel für sich allein, oder mit dem Adjutanten, ebenso der Admiral mit dem Chef des Stabes und dem Flagglieutenant gleichfalls zu denselben Zeiten. Nach einer halben Stunde erfolgt das Ablösen der Posten, die eS, hungrig wie sie sind, sehr Übelnehmen, wenn „das Verfangen" nicht rechtzeitig stattfindet, zumal da daS Alleinsein, wo auf daS Abräumen gewartet wird, nicht zu den Annehmlichkeiten gehört. Die Backschaften der Woche müssen erst da» Geschirr reinigen und wegstauen, bevor sie sich der allgemeinen Frei- heit hingeben dürfen. Diejenige Mittag» wird meist schlafender Weise verbracht. Da sieht man die Matrosen glatt auf Deck in der Sonne liegen, die Mütze al» Kiffen unter den Kopf oder gar al» Schutzschirm über da» Ge sicht gebreitet, daß man sich fragt, wie eS möglich ist, daß ein Mensch auf den harten DeckSplanken es auch nur fünf Minuten in solcher Lage aushalten kann. Und wie lange liegen die Leute so? Eine Stunde und darüber! Nicht immer ungestört, wenn ein Wacher sich zwischen all* den Beinen wie im Schwerter tanz hindurchschlängelt, beim Ueberholen des Schiffes ein mal auf dieselben tritt, oder ein mißgünstiger, schalkhafter Kamerad es sich nicht nehmen läßt, die in die Luft ragenden Nasen auf diese oder jene Weise zu kitzeln. Auch die Fuß sohlen sind ein beliebtes Angriffsobject für derartige Scherze. Nicht Alle schlafen aber! Wie am Lande, so giebt es auch an Bord stets enragirte Kartenfexe, die jeden freien Augenblick benutzen, um ein Spielchen zu machen, sei es auf dem harten Deck, sei es auf dem Schooß eines der Mit- thuenden, oder auf dem Rücken eines Schläfers, wobei meist Karten von recht fragwürdiger Sauberkeit, die gar nicht kriegsschiffmäßig gebraßt und getoppt d. h. gerade sind, zum Vorschein kommen. Singen und Harmonika-Spielen hört man Wochentags in der Mittagszeit selten. Damit wird sonderbarerweise Rücksicht auf die Schlafbedürftigen ge nommen, obwohl sich diese dadurch wahrscheinlich in ihrer Ruhe nicht stören lassen würden. Auch Morgens wird nicht gesungen! Da denkt Jeder an den kommenden Dienst, überdies ist diese Freizeit die kürzeste, zumal da während ihrer das Umziehen der Mann schaft in den Tagesanzug erfolgt, das bei den eng im Zwischendeck in Regalen stehenden Kleiderkisten nicht gerade bequem genannt werden kann. Ein ganz andere» Bild zeigt dagegen der Abend! Zwar müssen sich dann die Leute auch „für die Nacht" umziehen, de» Tage- Last liegt jedoch hinter ihnen, diese Freizeit ist die längste und so sucht sich denn Jeder die Stunden zu ver treiben, so gut eS geht. Da sieht man die Kartenspieler in vermehrter, wenn auch nicht in verbesserter Auflage, dort lauscht ein zahlreicher Zuhörerkrei» den abenteuerlichen, nicht immer bei der Wahrheit bleibenden Erzählungen eines „Seemanns" d. h. eines weitgereisten Matrosen, zu dem die au» dem Binnenlande stammenden Vierjährigen wenigstens zuerst mit Respekt emporsehen. An anderer Stelle wieder
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite