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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 16.02.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-02-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980216026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898021602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898021602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-02
- Tag1898-02-16
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Größere Schriften laut »usrrem Preks- orrzrichaitz. Tabellarischer and Zisfernsatz »ach höhere« Tarif. Extra-Beilagen (gesalzt), nur mtt de« Morgen.Ausgabe. odae Postbesörderunz' LV.—, mit Postbesördernag 7L—. Annahmeschluß für Anzeige«: Ab end-Ausgabe: BormsttagS 10 Uhr. Karge». Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei de» Filialen «nd Annahmestelle» je eia» halbe Stunde früher. Anzeigen find stet« an die Expedition z» richte». L:»ü aud Verlag vo» L. Polz in Leipzig 84. Mittwoch den 16. Februar 1898. 82. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 16. Februar. Die vorgestern abgehaltcne Generalversammlung des Bundes der Landivirthe lheilt mit allen ähnlichen Ver sammlungen baö Schicksal, daß sie je nach den Standpuncten der Beurlheilenden sehr verschieden beurtheilt wird. Sehr selten aber hat eine politische Veranstaltung zu so verschieden artiger Beurlheilung berausgesordert, weil es selten vorkommt, daß aus solchen Tagen die Redner so unbestimmt und viel deutig über ihre Ziele sich auslassen. Ganz zufrieden ist mit dem Verlaufe nur die freiconservative „Post", weil sie auf die gehaltenen Reden nicht näher eingebt und sich haupt sächlich an die beschlossene Resolution hält. Von dieser sagt das Blatt: „Ter Wortlaut der Resolution ist durchaus maßvoll, charakteristisch ist der vornehmlich gegen den antisemitischen Einbruch in conservative Wahlkreise gerichtete Schlußsatz der- selben. . . . Die Absicht, die kleineren politischen Parteiunterjchiede gegenüber dem gemeinsamen Standpuncte des Schutzes der nativ- nalen Arbeit zurückzudrängen, verdient volle Zustimmung. Auch kann es unter dem Gesichtspuncte der Sammlung der An- bänger der nationalen Arbeit nur mit Befriedigung begrüßt werden, daß der Bund und seine Redner sich nicht darauf ein- gelassen haben, sich in Bezug auf die 1903 behufs besferen Schutzes der Landwirthschaft einzuschlagenden Wege festzulegen, sondern sich auf die Bezeichnung des zu erstrebenden Zieles beschränkt haben. Die Generalversammlung des Bundes der Landwirthe bedeutet daher sowohl vom Standpuncte der Förderung der Interessen der Landwirthschaft als der Politik der Sammlung einen vollen Erfolg und darf somit als ein gutes Omen für die bevorstehenden Wahlen angesehen werden." Gerade die in der Antisemitensrage von der Ver sammlung beobachtete Haltung gefällt aber selbst der „Kreuz zeitung" nicht, die diese Haltung für mindestens zweideutig hält und auf Klärung dringt. Sie kritisirt die von Herrn Liebermann von Sonnenberg gehaltene Rede und fährt dann fort: „Den Ausführungen des Herrn Liebermann von Sonnenberg trat denn auch sofort der Freiherr von Wangenheim. Kl.-Spiegel, einer der Führer des Bundes in Pommer», ent gegen; er wies aus die Erklärungen des Freiherrn von Man- teuffel auf dem conservativen Parteitag in Dresden hin, denen zufolge der Bund für die conservativen Canbidaten stimmen könne. Auch für nationalliberale, Centrums- und antisemitische Candidaten könne der Bund eintreten; aber nicht dürfe er dulden, daß in seine Reihen eine radaulustige Herde eindringe und unter der Maske der Judenhetze socialdemokralijche Politik treibe. Ziemlich übereinstimmend wird über diese Aussührungen der Herren Liebermann v. Sonnenberg und v. Wangenheim in verschiedenen Blättern berichtet. Die ausführlichen Berichte der Organe des Bundes, der ojficiellcn „Correspondenz des Bundes der Landwirthe" und der „Deutschen Tageszeitung", ent. halten aber von alledem kein Wort. Es wäre doch von Interesse, zu erfahren, wie die beiden genannten Redner nun eigentlich gesprochen haben." Was der „Kreuzztg." mißfällt, gefällt natürlich der anti semitischen „Tägl. Rund sch.", die in den über die Bünvniß- frage gehaltenen Reden eine für sich erfreuliche, für die Conservativen aber nicht angenehme Correctur der Dresdner Beschlüsse erblickt: „Die Reden, die auf dem Bundestage gehalten worden sind, haben ihre besondere Bedeutung als Ergänzung der Reden auf dem conservativen Parteitage und wir glauben nicht. Laß der Co in- mentar, den die Erklärung des Herrn von Manteuffel über das Berhältniß zwischen Bund der Landwirthe und conservativer Partei auf dem Bundestage gesunden hat, besonders gefallen wird; denn er zeigt deutlich, deß sich der Bund als den Herrn I der Lage betrachtet und die konservative Partei in erster Linie zu I unterstützen gedenkt, aber jeder engeren Bindung geflissent. > lich ausweicht. Man will die alten Parteigegensätze mehr und mehr verwischen und in erster Linie bündlerijch wählen. Wir begrüßen diese Loosung." Die „Tägl. Rundsch." spricht dann noch die Erwartung aus, daß der Bund immer in den Bahnen des Fürsten Bismarck bleiben werde,zu gleicher Zeit aber deutet daSOrgan des Fürsten, die „Hamb. Nachr.", an, daß der Bund durch den Gegensatz, in den er sich zum Dresdner Partei tage gesetzt habe, eine Unklarheit über seine Mittel und Wege verbreite: „Bemerkenswerth ist die Resolution, welche der Ausschuß des Bundes der Generalversammlung untcrbreitet und den diese angenommen hat. Der Bund stellt sich dadurch in Gegensatz zu der Politik der Sammlung, wie sie unter Anderem auf dem Dresdner conservativen Parteitage als Wahlparole proclamirt worden ist. Dieser Politik wird vom Bunde der Vorwurf gemacht, daß sie klare und bestimmte Ziele nicht erkennen lasse. Dem können wir doch nicht zu st im men. Der conservative Parteitag hat die Bekämpfung der Socialdemo, kratic als oberstes Ziel bezeichnet, hinter dessen Erreichung vorläufig alles Andere zurückzutreten habe. Das ist ein sehr bestimmtes und klares Ziel, dessen Erreichung nicht hoch genug zu ver- an sch la gen sein würde. Wenn der Bund der Landwirthe dagegen eine Politik treiben will, welche zur Stärkung Deutsch, lands im Innern wie nach außen den Schutz der gesammlen vaterländischen schaffenden Arbeit gegen ausländischen Wettbewerb und inländische Ausbeutung erstrebt, wenn er die Wiedergewinnung einer erträglichen Concurrenzlage für die deutsche Lanvimrt jchafl gegenüber dem Auslande und die Wiederherstellung gesicherter Existenzbedingungen für den in Landwirthschaft, Gewerbe und Handel iu gleicher Weise in seinem Dasein bedrobten Mittelstand zu fördern suchen will, so darf er unseres vollen Beifalls sicher sei». Es fragt sich nur, welche Mittel und Wege cr einschlagcn wird, um die Aufgabe zu lösen, die er sich gestellt hat." Auch die „Leipz. Ztg." ist nicht recht klar darüber ge worden, wie sich die einzelnen Puncte der Ncsolulion zu ein ander und zu den gehaltenen Reden verhalten und was nun eigentlich Parole des Bundes sein soll: „Nach dem ersten Satze der Resolution könnte es scheinen, als ob er dem von anderer Seite ausgegangenen Sammlungs- ruf einen Ruf zur Sammlung für Wahrung ausschließlich landwirthfchastllcher Interessen eutgrgensepc» und die Anbahnung eines Wahlcartells aller »ationalgesinnten Elemente durchkreuzen wolle. Nach dem dritten Satze der Resolution und den Aussprachen der Herren v. Plötz und Gen. scheint es da» gegen nicht fo. Hier sollen nur Diejenigen gesammelt werden, die aus dem Boden Les Schutzes „der gesaminten vaterländischen schaffenden Arbeit gegen ausländischen Wettbewerb und inländische Ausbeutung" stehen. Zu diesem Zwecke verlangt der Bund von den politischen Parteien nur, daß sie die bevorstehenden Wahlen „nicht durch übertriebene Betonung parteipolitischer Gegensätze und durch unberechtigten Einbruch in solche Wahlkreise nahestehender Parteien gesährden, welche zur Zeit im Sinne des Bundes der Landwirthe wirthschastspolitisch gut vertreten sind." In dieser Allgemein- heit kann den Satz Jeder unterschreiben, der die wirthschaftliche Sammlung überhaupt will. Auch hier wie bei allen Programmen und Resolutionen kommt es jedoch nicht auf die allgemeinen Sätze, sondern auf ihre Anwendung im besonderen Falle an." Scharf betonen die parteilosen, aber der ministeriellen, in Dresden gebilligten SammlungS-Politik geneigten „Bert. Neuesten Nachr." den Gegensatz, in den die Bundes- I Versammlung zu dieser Politik sich gesetzt habe: I „Man hat die früheren unerfüllbaren Programmpuncte, Antrag fKanitz und internationale Doppelwährung, nicht Lirect als besondere Parole aufgestellt. Aber Herr v. Plötz erklärte, daß die Forderungen des Bundes dieselben geblieben seien wie bisher, daß der Bund in keinem Puncte zurückgewichen sei und es auch nicht thun werde; und Herr Oertel stellte den Grundgedanken des An trages Kanitz wieder aus, indem er sagte, der Staat habe die Pflicht, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln daraus hin- zuarbeitcn, daß die Getreideprcise eine stetige mittlere Höhe be- Haupte». Man darf bezweifeln, ob das möglich ist. . . . Man will vor Allem die Socialdemokratie bekämpfen. Da hüte man sich, im eigenen Interesse, die Agitation nicht so weit zu treiben, daß man der Socialdemokratie Waffen an die Hand giebt. In dieser Beziehung geht aber die agrarische Bewegung bei der schönen Parole „Schutz des Mittelstandes" stellenweise einen gefährlichen Weg. So bewegte sich auch Dr. Oertel gestern wenigstens bedenklich an der Grenze, wenn er jagte: „Wir wünschen nicht, daß in den sonnigen Vorderzimmern der einzelnen Geschosse unseres Wirth« schaslsgebüudes sich einige wenige Glückliche breit machen, während die Menge der Anderen in Le» jonnenarmen, licht- und lustlosen Hinterzimmern zusammengepfercht ist. . . Die Geschichte lehrt, daß, wenn eine Handvoll übermäßig Reicher einer Masse Blutarmer gegen übersteht, das Volk entweder der Zwingherrjchafl des Pöbels oder der Tyrannei des Mammons verfällt." Dasselbe hätte auch einer jocialdemokratischen Generalversammlung gejagt werden können." Die „Germania" betont ebenfalls den letzteren Punct: „„Der Staat hat die Pflicht, mit allen ihm zur Verfügung stehenden Mitteln darauf hinzuarbeiten, daß die Getreidepreije eine stetige mittlere Höhe behaupten", heißt es in der Oertel'jchen Rede. Eine solche „Weltaussassung" ist Agrarsocialismus. Mit solchen Auffassungen wird der Boden für eine socialistische Auffassung Les Staates und des nalionalen Wirthschajtslebens bei unseren Bauern gelockert." Die „Köln. Ztg." äußert sich gleichfalls sehr abfällig über die Bundesversammlung: „Ten freundlichen Worten, die Herr v. Plötz gegenüber der Industrie gebraucht hat, wird man nur das allergrößte Miß- trauen entgegenbrmgen können. Schon die unbedingte Feindschaft gegen die Handelsverträge, die wir gar nicht in allen Einzel- heilen vertheidigen wollen, die aber einen wesentlichen Antheil haben an dem heutigen Aufschwünge der Industrie und des Handels, schon das zeigt das Wohlwollen der Bündler gegenüber der Land wirthschaft in demselben verdächtigen Lichte, wie die ganze Canal politik des Bundes der Landwirthe. Was soll ferner die Ein- schiänkung bedeuten, daß man die Industrie nur insoweit unterstützen wolle, als sie „national" sei? Welche unserer In dustrie» ist denn nicht national und welch» bringt dem allgemeinen Wohlstände keine Förderung? Vieles, was die bündlerischen Redner sagten, klingt ja ganz annehmbar; wenn man aber ihre Worte mit ihren That.n vergleicht, so kann man sich unschwer ein Bild Her stellen, wie es in Deutschland zugehen wird, wenn sie erst einmal die unbeschränkten Herren sein sollten." Achnlich urlheilt die „Magdeb. Ztg." und urtheilen andere gemäßigt-liberale Blätter, von den freisinnigen ganz zu schweigen. So verschieden aber diese Urtheile sind, so deutlich zeigen sic, daß die Bundesversammlung eine Förderung der von der preußischen Regierung angeregten und von dem conservativen Dresdener Parteitage warm befürworteten Sammelpolitik nicht bedeutet. Aber der Bund ist, wie wir schon öfter betont haben, nicht als ein homo genes Ganze aufzufassen, sondern als eia Bau, der einer politisch und wirthschaftlich sehr gemischten Ge sellschaft Unterschlupf gewährt. Die aus den Bundes versammlungen auflretendcn Redner sind von der Bundes leitung ausgewählt; bei solchen Gelegenheiten kommen abweichende Ansichten nicht zu Tage. Trotzdem bestehen sie, und deshalb ist mit dem Bunde nicht als mit einer Partei zu rechnen, sondern als mit einem Sammelbegriffe, der in den einzelnen Theilen des Reiches seinen besonderen Inhalt durch die daselbst einflußreichen Bundesmitglieder erkält Daß das so ist, ergiebt sich überzeugend aus einem Vorgänge, der sich dieser Tage im 14. hannoverschen NeichStazswahl- kreise (Celle-Gifborn) abgespielt hat. Der „Hann. Cour." berichtet darüber: „In der in Lehrte unter Vorsitz des Oberlandesgerichtsraths von Rkden in Celle abgehaltenen, vom Vorstande des Lehrter Wahlvercins einberufenen Wählerversammlung, die aus allen Theilen des Wahlkreises zahlreich besucht war, ist der von der national liberalen VertrauenSmünnrrversammlung vor einigen Wochen als Kandidat in Aussicht genommene Landtagsabgeordnete Senator Baurath Wallbrecht zu Gunsten des Hofbesitzers Grote II. in Clauen von der Candidatur zurückgetreten, nachdem der Letztere die Erklärnng abgegeben, daß er der nationalliberalen Fraktion desReichstages im Falle seiner Wahl bei treten, aus dem Bunde der Landwirthe aber dann austreten wolle, wenn dieser unerfüllbare Forderungen an ihn stelle. Hofbesitzer Grote betonte in der Versammlung sodann noch selbst, daß er diese Er- klürung im Einverständniß mit seinen Freunden vom Bunde der Landwirthe abgegeben habe. Herr Grote sagte wörtlich: „Falls ich von der Leitung des Bundes der Landwirthe in irgend einer Beziehung festgelegt werden soll, dann werde ich aus dem Bunde der Landwirthe austreten; der nationalliberalen Partei, der ich schon jetzt angehöre, werde ich treu bleiben." Hofbesitzer Grote II. wurde alsdann einmüthig olS Reichstags- candidal der reichstreuen Parteien für den 14. hannoverschen Wahl kreis ausgestellt. Hofbesitzer Grote ist, wie wir noch bemerken wollen, seit 23 Jahren Mitglied des Provinzial-WahlcomitSS der national liberalen Partei." AehnlicheS hat sich in anderen Wahlkreisen — man er innere sich nur an Homburg-Kusel — oft genug ereignet. Es kommt eben nur darauf an, welches Bundesmitglied dorr „Hahn im Korbe" ist und ob diese und die übrigen maßgebenden Persönlichkeiten von dem Hahne im Bundes- directorium sich verdrängen lassen oder nicht. Diese ProteuSnatur des Bunde- ist vielleicht auch der Grund, aus dem die preußische Regierung sich noch nicht recht entschließen kann, offen mit der Sprache über das berauszurücken, was sie nicht sammeln will. Der Bund der Landwirthe ist für sie kein faßbarer Begriff, kein Programm, kein einheitlicher Wille. Die vorgestrige Bundesversammlung hat Klarbeit nicht geschaffen. Um so weniger dürfen in den einzelnen Wahlkreisen die übrigen naticnalgesinnken Elemente, sofern sie stark genug siuo, zögern, den Herren Bündlern Unterwerfung unter daS Pro gramm der Mehrheit ebenso zur Pflicht machen, wie die unter dem Banne der Berliner Bundesleitung stehenden Bündler da, wo sie die Macht haben, die Minderheit zur Unterwerfung unter die agrarischen Forderungen zwingen. Sonderbarkeiten über Sonderbarkeiten: das ist daS Stich wort, mit welchem man jede Ausführung über den Fortgang deS Zola-ProcesscS beginnen könnte. Gleich der Anfang der gestrigen Verbandlung brachte wieder eine solche. Man erinnert sich, wie sonderbar daS Benehmen deS gerichtlichen Schriftkundigen Bertillon war. Gestern „enthüllte" der Schrift experte Crepieux-Jamain, sein College Teyssonniöre habe ihm gegenüber geäußert, Bertillon sei — verrückt, derselbe Bertillon, besten Gutachten über DreyfuS entschied. Auch die „Anrore" erklärt ihn für wahnsinnig. Aber nicht genug damit, Crepieux - Jamain halt wiederum Teyssonniöre, der Bertillon so Arge- nachsagt, für über- gesckmappt und an Größenwahn leidend, ein psychopathisches i Moment, das sich auch bei Bertillon stark bemerkbar machte. I Teyssonniöre war gleich diesem Sachverständiger im Dreysus- I Proceß und behauptete seinerseits, DreyfuS wär auf sein Gut- Ferrrlleton. Durch eigene Kraft. 3j Roman von Alexander Römer. Nachdruck vrrbotcn. Die beiden Tanten standen im Vorgärtchen und beauf sichtigten das Hereinschaffen der Sachen. Von drüben aus den Anlagen kam ein junger, auffallend kräftig gebauter Mann herüber, in grauer Joppe und hohen Stulpenstiefeln, einen Filzhut auf dem blonden Haar. Ihr Auge glitt theilnahmslos an der neuen Erscheinung vorüber, bis seine Stimme sie aus ihrer Ver sunkenheit weckte. Sie hatte einen so warmen, vollen Klang. Sie verstand nicht die Worte, welche er sprach, nur der Schall berührte ihr Ohr angenehm. Er nahm seinen Hut ab, die Sonne vergoldete das lockige Haar, daß es leuchtete; er schüttelte den Tanten die Hände. Sie sah ihn jetzt doch näher an. Er hatte ein regelmäßig geschnit tenes, sehr wettergebräunteS Gesicht, auf dem «in fester Ausdruck in die Augen fiel. Der Knecht, welcher die Sachen ablud, mühte sich eben ver geblich, eine der schweren Kisten vom Wagen zu heben, es wollte ihm nicht gelingen. Mit raschem, sicherem Ruck griff der Fremde zu, stemmte seine breiten, mächtigen Schultern unter das Gewicht, und im Umsehen war der Koloß zur Erde befördert und von dort in das Haus. Die Anstrengung schien ein Spiel für ihn gewesen zu sein, sein Gesicht erschien nicht einmal höher geröthet, er redete jetzt freundlich mit den Tanten. Mariannens Mienen waren finster, Liesa sah hilflos und ängstlich aus. Es hatte den Anschein, als ob er Trost spendete, weitere Hilfe anbot. Marianne schüttelte abwehrend den Kopf. „Wir muffen unS einstweilen mit der Einquartierung ein richten", hörte Ottilie sie sagen, „schließlich muß mein Bruder ja mit seinen Absichten hrrausrücken." Die Augen deS jungen ManneS nahmen plötzlich die Richtung nach oben und trafen gerade in die der Lauscherin. Ottilie erschrak und fühlte, wie sie dunkel erröthete; auch über sein sonngebräuntes Gesicht, gegen welches die Weiße der vom Hut beschatteten Stirnhälfte grell abstach, flog eine flüchtige Blutwelle. Sie hatte gerade angefangen, den Vorgang mit einem gewissen Interesse zu verfolgen, jetzt trat sie hastig zurück, es war ihr un angenehm, in den Verdacht des Horchens zu kommen; wer mochte doch der junge Mann sein? Sein Anzug war derb, und doch hatte er nicht das Aussehen eines Bauers. Es lag in seiner Er scheinung ein gewisses Etwas, das fesselte, das es schwer machte, ihn zu übersehen. Sic ertappte sich auf dem Wunsch, noch einmal hinauszublicken, und sie that es vorsichtig. Die Scenerie unten hatte sich verändert, der Leiterwagen war leer und fuhr davon, die Tanten waren ins Haus getreten, und der junge Mann — wo war denn der geblieben? Ah! unter den Linden des anstoßenden Hauses stand er, auf der obersten Stufe der Steintreppe, und neben ihm befanden sich jetzt zwei andere Herren, welche sich von einer kugelrunden Frau Schnaps oder Likör in kleine Gläser einschenken ließen. Ottilie lehnte sich nun, da sie sich unbeobachtet wußte, weit aus dem Fenster und verfolgte diese Vorgänge draußen mit un verkennbarem Interesse. Der leichte Sinn der Jugend ließ sich noch ablenken von dem schweren Kummer. Die lauten Männerstimmen, das Lachen drangen, vom Winde getragen, deutlich zu ihr herüber. Der eine der Herren, eine mittelgroße, gedrungene Figur in modischem grauen Anzuge, eine dunkelrothe Cravatte, die in der Sonne leuchtete, unter dem lose umgeschlagenen Hemdkragen geknüpft, lief die Stufen herab unter allerlei llbermüthigen Gesten, blieb unten auf der Straße stehen, lachend, Capriolen machend. „Hartwig! Sie sind und bleiben ein Hanswurst", rief es von oben, und der zweite, eine hohe, schlanke Gestalt in sehr Hellem, fast weiß erscheinendem Anzuge, schritt langsam, seine Cigarre auf dem Wege in Brand setzend, die Treppe hinab und gesellte sich unten zu dem Andern. Der junge Mann, welcher mit den Tanten geredet hatte, blieb oben in der Thür des Hauses stehen, Ottilie konnte sein Gesicht in der geringen Entfernung deutlich erkennen, weil es ihr zuge wendet und hell beleuchtet war; er schien keinen Theil an der Heiterkeit der beiden Andern zu nehmen, er sah ernst, beinahe finster aus. Der weiß Gekleidete wandte sich jetzt um, rückte an seiner barettartigen Kopfbedeckung und rief nachlässig: „Apropos, Heidemann, sagen Sie doch Ihrem Vater, daß er mir den Jäger Huber, sobald er sich hier blicken läßt, ins Herrenhaus schickt!" „Soll geschehen, Herr Baron", tönte die Stimme des An gerufenen zurück. Es fiel Ottilie auf, wie anders die Stimme jetzt klang als vorhin. Sie hatte überhaupt während dieser letzten Minuten sich selbst und ihre Lage vergessen, ihre Züge hatten sich lebhafter ge färbt; sie besann sich jetzt und erschrak über die Zeit, die sie ver trödelt hatte. E» war unverantwortlich spät geworden. Sie eilte rasch hinunter und fühlte sich erleichtert, als sie Niemand im Wohnzimmer fand. Eine braune Kaffeekanne stand in der Ofenröhre und ihre Tasse nebst Milch und Brod und Butter auf dem Tische. Einen Moment steckte Liesa den Kopf zur Thür herein, sagte ihr hastig „Guten Morgen" und forderte sie auf, sich selber zu bedienen. Der Vater sei schon fortgegangen, es sei ja auch bald Mittag. Ottilie hörte den Vorwurf heraus und versicherte eifrig, daß sie Niemanden brauche und sehr um Entschuldigung bitte, so spät gekommen zu sein. Sie wendete unwillkürlich den Kopf wieder dem Fenster zu, die schnarrende Stimme erklang draußen, die beiden Herren gingen am Hause vorüber, und das hochmüthige, vornehm bleiche Gesicht desjenigen, der Herr Baron tirulirt worden war, blickte über den Gartenzaun neugierig in die Fenster. Sein Begleiter schien ihn auf etwas aufmerksam gemacht zu haben, er nickte, und obgleich sie sofort zurllcktrat und sich in den tiefsten Hintergrund des Zimmers flüchtete, hatte er sie doch offen bar gesehen und von ihrer Erscheinung Notiz genommen. Mit einer dreisten Manier lugte und spähte er durch die Sonnen blumen und Georginenstauden, ja er schien einen Augenblick Lust zu haben, einzutreten, unterließ es dann aber und schritt lachend mit seinem Begleiter weiter. Ottilie war dunkelroth geworden, und ihr Herz klopfte. Die Herren gehörten zu den Bewohnern des Herrenhauses — in welch einer Stellung sollte sie hier leben. Eine peinliche Un sicherheit, eine tödtliche An^st überkam sie. Sie hatte vorhin Hunger verspürt, jetzt saß es ihr wieder in der Kehle, und sie trank ihren Kaffee unter verhaltenen Thränen. Tante Liesa trat ein, die Koffer und Kisten waren nach oben geschafft, das alte Persönchen trocknete die Schweißperlen von der Stirn und war noch etwas zerfahren. Sie bemühte sich aber, recht freundlich zu sein, sie wollte doch sehen, wie „das kleine Fräulein" — die Bezeichnung kam verlegen und unsicher heraus — geschlafen habe, und ob ihr nun das Frühstück schmecke. Ottilie dankte, so warm sie es vermochte — wenn die Tante nur nicht gerade wie ein Dienstmädchen ausgesehen und so fatal nach Zwiebeln und Petroleum gerochen hätte. Die Tante setzte sich zu ihr, strich ihre blaue Schürze glatt und nöthigte ihr gewaltsam noch eine Taffe Kaffee und eine Semmel auf. Da Marianne nicht anwesend war — sie ordnete oben auf dem Boden noch Allerlei —, so war Liesa zutraulicher und redseliger. Ottilien'« Neugierde und Interesse waren so weit erregt, daß sie sich zu einigen schüchternen, vorsichtigen Fragen aufschwang. Und da klärte sich ihr ungefähr die Situation. Der junge Herkules mit dem blonden Haar und den Stulpen stiefeln, da» war Herr Ludwig Heidemann, der einzige Sohn des Krugwirths, der dermaleinst rin hübsches Erbe antreten und eine glänzende Partie sein werde. Der alte Heidemann hatte von jeher sparsam und tüchtig gewirthschaftet und immer das Seine zusammengenommen, wobei ihm seine Frau redlich geholfen. Er hatte auch klug speculirt, was ihm nicht allein die Mühle ein brachte, der hatte sein Schäfchen im Trocknen. Und der Ludwig war ein prächtiger Mensch und ein grundgescheidter dazu. Man hatte oft gemeint, er müsse auf die hohen Schulen, studiren und einmal mehr werden als der Vater, aber der Alte habe nie von dergleichen wissen wollen. Sein Junge sollte auf dem ererbten Anwesen später weiter wirthschaften und arbeiten, wie es sein Vater gethan. „Und ist der Sohn denn auch damit zufrieden?" schaltete Ottilie ein, um doch etwas zu sagen. Sie lächelte dabei ein wenig spöttisch; die Tante pries den jungen Mann so enthusiastisch und sah sie dabei so forschend und bedeutungsvoll an, vielleicht combinirte sie schon für sie eine gute Partie zusammen. Ein Gemisch von Zorn, Widerwillen und komischem Empfinden stritt sich in ihr. „Der Ludwig?" wiederholte Tante Liesa, und ihre Miene wurde nachdenklich. „Ich weiß es wirklich nicht zu sagen", meinte sie, „er ist ein zu guter Sohn, er thäte nie etwas gegen den Willen seines Vaters, und dann — na — ob es gerade gut thut, wenn einer aus seinem Stande heraustritt und sich zu den Vornehmen hält, das ist auch die Frage. Wir erleben es ja nun an Deinem Vater, Kind — mein Gott! Wie stolz war unser Vater auf unseren Fritzbruder, schon von klein auf wurde er geputzt und auf die hohen Schulen geschickt. Daß er der Müllersohn sei, sollten sie da draußen in der Stadt gar nicht wissen, seine Gespielen, das waren ja lauter Gutsbesitzers-, Geheimraths- und Grafensöhne. Und dann ging er auf die landwirthschaftliche Akademie, ja, so nannten sie es, glaube ich, und studirte da Oekonomie. Dazu malkamernochmanchmal nach Hause, aber von der Müllerei wollte er nichts wissen, das Klappern der Räder fiel ihm auf die Nerven und den Mehlstaub fand er gräßlich. Na, unser Vater kaufte ihm ja auch bald ein Gut, Euer Erlenmoor; ein Graf war, glaube ich, bankerott darauf geworden, aber es soll da Alles sehr elegant gewesen sein, Alles vornehm und herrschaftlich, und das hatte unserm Fritz wohl besonders in die Augen gestochen, denn er war ja erpicht und versessen auf Erlenmoor. Was sonst die Sach verständigen waren, die alten, erfahrenen Oekonomiker, die sagten schon dazumalen, da muß einer viel hineinstecken und viel selbst Mitarbeiten, wenn er das Gut in die Höhe bringen will. Na, Mitarbeiten wollte er ja auch, wie er damals versicherte, es ist nur nicht viel daraus geworden." Das Blut war Ottilie in den Kopf gestiegen. Ihr Vater also
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