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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 15.04.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-04-15
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980415017
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898041501
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898041501
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-04
- Tag1898-04-15
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1 Morgen-Ausgabe npWer TaMatt Us» Druck und Verlag vou S. Pol» in LeivziA. 92. Jahrgang 187 Freitag den 15. April 1898« uv». r.9S.L0k. ^auillatsn »n. a. O Dir Morgen-Ausgabe erscheint um '/«? Uhr, dir Abend-Ausgabe Wochentags um b Uhr. v v. nt ßnr.v 87i HsrL »0. «v. po SS g.TbOl». .p.1.7.98 und klopfte seine braune Thonpfeife aus, „wurden auf einmal Zehn geköpft, schade, daß Sie noch nicht in Shanghai waren, es hätte Ihnen vielleicht Spaß gemacht; es ging übrigens Alles merkwürdig glatt: im Nu wird so einem Kunden der Zopf hoch gebunden, er kniet nieder, und wenn das Schwert scharf ist, so geht's: schwapp! ab. O, es ist ganz hübsch zum Anschauen, meinen Sie nicht?" und dabei drehte er unternehmungslustig seinen Schnurrbart. Wir gaben dem warmen Menschenfreunde einige Cigarren und einen silbernen Händedruck. „Lasten Sie mir Ihre Adressen hier, Gentlemen", rief er zuvorkommend, „wenn Sie noch einige Zeit hier bleiben, so benachrichtige ich Sie von der nächsten Hinrichtung, es macht Spaß, glauben Sie mir!" Wir saßen aber schon in unseren Rickshas und eilten der Chinesenstadt zu, die jenseits des französischen Settlements liegt und etwa 126 000 Einwohner zählt. Die Gegensähe be rühren sich ja häufig, aber kaum so schroff, wie in diesem Fall: eben noch weilten wir in einer kleinen französischen Stadt, deren saubere Straßen französische Schilder tragen und über deren Läden wir französische Namen lesen, deren Magazine uns die Bedürfnisse von Klein-Paris vor Augen führen und unter deren Bewohnerinnen wir auch einige allerliebste, kokette Fran zösinnen treffen, die mit zierlichen Schritten über den Damm trippeln und aus ihren Spihenröckchen kein Gehcimniß machen, und fünf Minuten später befinden wir uns mitten in Alt-China! Bor uns ein Graben mit trübstem Inhalt, dann eine hohe, vom Lauf der Jahrhunderte arg mitgenommene, vermoderte Mauer, aus deren Schießscharten über dem baufälligen Thore einige griinspaniiberzogene Kanonenrohre höchst melancholisch gucken, und nun durch das Thor hindurch an einer Militairwache vorüber, deren Soldaten jedoch auf Urlaub gegangen sind, und nur ihre blanken Piken und Lanzen zurückgelassen haben, in die Stadt hinein. Der allerechteste chinesische Gestank und Schmuh um uns herum, schmale, winkelige Gassen mit offenen Werkstätten und Läden, Menschengewimmel und Gekribbel, schreiende Lastträger, an den Straßenecken Aussätzige und Bettler, auf den kleinen Plätzen, die durch die letzten Regengüsse mit trüben Lachen überzogen sind, Gaukler, Wahrsager und Quacksalber, hier ein niedriger Tempel, da in einem Tümpel ein ganz malerisches, aber halbzerfallenes Theehaus, dann durch graue Thorbogen in neue schmudelige Straßen hinein, angegafft von allen Verkäufern, gefolgt von einer dichten Schaar kleiner und großer Chinesen, die jeden unserer Schritte mit neugierigen Blicken überwachen, das ist die Chinesenstadt Shanghai! Mon könnte sich viele Hundert Meilen von jeglicher euro päischer Niederlassung entfernt denken, so fremdartig ist diese Welt, in deren unmittelbarster Nähe sich seit einem halben Jahrhundert ein gut Stück Europa befindet, welches auch nicht den kleinsten Einfluß auf diese chinesische Nachbarschaft aus geübt hat. Ist das nicht bezeichnend für das große Reich der Mitte und Extra-vtiltgen (gesalzt), nur mit der Morgen»Ausgabe, ohne Postbrsörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Aknahmeschluß fLe Aiyeizen: Abend-Ausgab«: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen sind stet- an di« Expedition zn richten. Re-action und Lrve-itiimr Aohannesgafse 8. Die Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geössnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr» Attzeigen-Preir die 6 gespaltene Petitzeile SO Psg. Veclamen unter demRrdactionsswich l4ge- spalten) 50^, vor den Famüieanachrichtea (6 gespalten) 40/H. Größere Schriften laut nnferem PreiL Nerzrichniß. Tabellarischer und Ztffernfatz nach höherem Tarif. Filialen: ktt» klemm'- Tortim. kAlfrek Hahn)« Universität-straße 3 (Paulinum), LoniS Lüsche, Latbarineutzr. 14» -art. und König-Platz 7. IW,90». II«?»- 153,-«. «.v. «.0. »l>. «I» »0. »v. »V. »v o W 'M t. o. t. o. t. o. t o. l v. l.0. ,. o. I. o. i 0. i. 0. l.0. Anzeiger. Ämtsvcatt -es Königlichen Land- nn- Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes -er Lta-t Leipzig. BezugS-PreiS h» der Hauptexpedition oder den im Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen ab geb alt: vierteljährlich ^4.50, zweimaliger täglicher Zustellung in» Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich: vierteljährlich «itl k.—. Direkte tägliche Kreuzbandiendung ins Ausland: monatlich 7.50. Am die Erde. Neisebriese von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. Das chinesische Shanghai. — Eine Gerichts sitzung. — Gefangene zur Abschreckung. — Merkwürdiger Zeuge. — Das Polizei- Gefängniß. — In der Chinesen st ad t. Shanghai, 19. Februar. Wie ich in meinem letzten Bericht erwähnt hatte, lassen Einen die drei europäischen Settlements in gewisser Beziehung ganz vergessen, daß man im Reiche der Mitte weile. Aber man darf hierbei nur die dem Flusse zunächst liegenden Theile unserer Ansiedelungen in Betracht ziehen; je weiter man vordringt und die Nachbarschaft des Stromes verläßt, desto chinesischer wird unsere Umgebung, bis wir uns endlich völlig in China befinden. Sehen wir von der sich weit in das Chinesenviertel, das fast 300 000 Chinesen bewohnen, erstreckenden breiten Nanking Road ab, so treffen wir meist auf schmale, winkelige Straßen und Gassen, von denen viele wegen ihrer Enge und der großen, an den Vorderseiten der Häuser befestigten langen Holzschilder in dem den Zopfträgern so angenehmen Dämmerlicht liegen. Alle Werkstätten sind trotz der gegenwärtigen kalten und unfreundlichen Witterung, die Einem die wärmsten Winterkleider oufnöthigt, nach der Straße zu offen, und eifrige Thätigkeit herrscht in ihnen; die Wege sind bei dem feuchten Wetter glitschrig und schmutzig, und man versteht sehr wohl, warum die Chinesen unter ihren Schuhen die mehr wie zollstarken Weichen Sohlen und die Frauen und Mädchen hohe Holzgestelle unter ihren Pantoffeln tragen. Von dem Wohlstände vieler Bewohner legen zahlreiche Häuser Zeugniß ab; sie sind mit trefflichen Schnitzereien an den sich längs der Front hinziehenden Holzbalconen und schönen Por zellanverzierungen über den Eingängen und an den Dachfirsten geschmückt und üben häufig eine große malerisch- Wirkung aus. Hier und da ein Tempel und — eine Markthalle, in der stets reges Leben herrscht; im Allgemeinen in den Magazinen und Geschäften eine weit geringere Beachtung der Götter und Dä monen wie in Canton und selbst in Hongkong, vor Allem ver mißt man an vielen der offenen Läden die kleinen, dem Eingänge zugekehrten Altäre, deren Abend» entzündete Opferkerzen die bösen Geister fernhalten sollen. Die stets auf ihren Vortheil bedachten Chinesen sparen sich Wohl die Ausgaben dafür, da ja Polizisten in genügender Zahl auf den Straßen Wache halten, und selbst der muthigste chinesische Geist soll vor so einem bewaffneten Policeman einen gewissen Respect haben! Nicht minder aber die in irdischer Gestalt herumwandernden Zopfträger, die, wenn sie nicht ganz genau den bekanntlich recht schmalen Pfad deS Gesetzes gewandelt, alle Veranlassung haben, den dunklen Uniformen der Polizisten, zumal denen der «. o. l. o. w.6p.k»6 w.Op'-'S l. o. 1. o. i. o. Der Osnabrücker Streik. * Wie bereits gemeldet worden, ist am Kohlenbergwerk Piesberg bei Osnabrück ein Streik ausgebrvchen, der sich auf das Hochofenwerk zu Georgs-Marien-Hütte auSgedebnt hat. Ueber die Gründe dieses ÄusstandeS und den Verlaus der zu seiner Beilegung gemachten Versuche werden nun von social demokratischen und — ultramontanen Blättern so gröblich entstellende Berichte verbreitet, daß eine objektive Schilderung der Thatsachen um so nöthiger erscheint, je leichter es möglich ist, daß der Ausstand noch weiter greift. Eine solche Schilderung liefert die folgende Zuschrift, die unS von genau informirter Seite zugeht: Osnabrück, 13. April. DaS im Jahre 1889 vom GeorgS- Marien-Verein erworbene früher städtisch-oSnabrückiscke Anthracitkohlen-Bergwerk am PieSberge, in dessen auch bedeutende Steinbrüche umfassenden Betrieben etwa 1000 katholische und 500 evangelische Arbeiter beschäftigt werden, hat seit etwa 1>/r Jahren mit bedeutenden Wasserschwierig keiten zu kämpfen. Infolge dessen arbeitet das Bergwerk gegen wärtig mit ziemlich beträchtlichen Zubußen. Im Interesse der Sicherheit des Betriebes und zwecks Herabminderung der bei den ungewöhnlich hohen WasserhallungSkosten durch jeden Förderausfall empfindlich gesteigerten Verluste hat die Werks verwaltung mit Beginn dieses IahreS verfügt, daß fortan an sieben in die Woche fallenden katholischen Feier tagen gearbeitet werden soll. Man glaubte damit um so weniger auf Schwierigkeiten zu stoßen, als in den sämmtlichen übrigen Betrieben des Georgs - Marien - Vereins, sowie überhaupt in allen industriellen Werken der Gegend, deren Arbeiter sich aus beiden christlichen Confessionen recrutiren, seit Jahrzehnten an jenen Feiertagen ein un gestörter Betrieb statlsiiidet. Nur am PicSberge war das noch auS der städtischen Zeit her nicht der Fall. Der Bischof von Osnabrück, mit dem daher zunächst wegen Durchführung der Feiertagsarbeit verhandelt wurde, hat dazu in einsichtigster Weise seine Zustimmung in einem Schreibe» vom 27. November v. I. gegeben, worin es u. A. heißt: „Indem ich mit Befriedigung anerkenne, daß der Georgs- Marien-Bereln in Rücksicht auf die für die katholischen Arbeiter bestehenden kirchlichen Vorschriften «S nicht unterlassen hat, für die Heranziehung der Arbeiter zu dem gewerblichen Betriebe an den Sonn- und Feiertagen eine diesseitige Einverständnitz-Erklärung herbeizuführen, will ich, namentlich auch in Rücksicht aus das von den betheiligten Pfarrern abgegebene Gutachten hiermit gestatten, daß vom 1. Januar k. I. die katholischen Arbeiter, welche in den gewerblichen Anlagen des Georgs-Marien-Bergwerks- und Hütten vereins am Piesberge beschäftigt sind, an folgenden Feiertagen (die sieben Tage werden bezeichnet) die ihnen obliegende» körperlichen Arbeiten verrichten, nachdem dieselben, wie dos Kirchengebot es vorschreibt, vor Beginn der Arbeit eine heilige Messe gehört haben ... Damit den Arbeitern zur Erfüllung dieser Pflicht Gelegenheit geboten werde, soll an den vorgenannten Feiertagen in der Capelle zu Eversburg und in der Pfarrkirche zu Wallenhorst zu einer passenden Zeit Frühgottesdienst abgeholten werden ... Im Ucbrigen freut es mich, ronstatiren zu können, daß Ew. Hochwohlgeboren die Deutschland und die Niederlande. Die „Deutsche Wochenztg. in den Niederlanden", welche in Amsterdam erscheint, druckt einen Artikel des holländischen „Amsterdamsche Courant" mit folgender Bemerkung ab: „Warum kein Deutsch? Nur höchst selten findet man in niederländischen Blättern Auslassungen gegenüber Deutsch land, welche, insofern« sie sich nicht mit Handelsinteressen decken, andere Regungen, als die der totalen „Wurschtigkeit" ventiliren Es ist deshalb eine ebenso auffallende, wie für nn- Deutsche angenebme Erscheinung, daß der „Amsterdamsche Courant" eS wagt, für das Deutschthum eine Lanze zu brechen und auf Gleichberechtigung der deutschen Sprache in Schule und Haus anzudringen." Der Artikel des „Amst. Cour." verdient auch in Deutschland gelesen zu werden. Er lautet: „ES ist eine eigenthümliche Neigung unseres Volkes, daß eS seine intellektuellen und künstlerischen Sympathien mehr dem Westen und Süden, als dem Osten zuwendet. Es ist deS Nübmcns kein Ende über den gallischen Geist, über französische Intelligenz und über den Pariser Chic. Für den mannhaften Ernst und den praktischen Sinn der Engländer fühlen wir eine Bewunderung, die Wohl nicht so laut aus gesprochen wird, deshalb aber nicht weniger tief sitzt. Was die Deutschen betrifft, so können wir zwar nicht leugnen, daß das „Llaclo in Kermanv^ demnächst den Weltmarkt beherrschen wird, aber wir schweigen lieber über diese Voraussicht und suchen jeder Annäherung an den Nachbar im Osten so viel wie möglich ans dem Wege zu gehen. Um die Bekanntschaft mit der französischen Literatur systematisch durchzuführen und die Sprache Jedem geläufig zu machen, hat man die Lilianes krantzamv gegründet. Französisch parliren ist die erste Bedingung für Jeden, der auf eine Schulbildung Anspruch machen will, die sich nur eben über den gewöhnlichsten Elementarunterricht erbebt. Und wenn in der Elementarschule überhaupt eine fremde Sprache gelehrt wird, so ist eS mit Vorliebe die französische, die man im Lehr programm findet. Zur gründlicheren Uebung deS Englischen hat man unlängst einen Club gebildet, der in dieser Beziehung dieselben Ziele wie die ^liiance krun^aise verfolgt. Wir lassen von jenseits der See „wcturos" kommen. Und wie lang ist es nicht schon her, daß Beets die englischen Briefchen unserer jungen Mädchen aus den besseren Ständen ironisirte! Soll Jemand im Auslande sich im Großhandel weiter ausbilden, so heißt es: „unbedingt zwei Jahr nach London"; nur hier durch erlangt man ein Brevet höherer Befähigung. Von Deutschland ist bei all' diesem keine Rede. Deutsch lernen wir ... . auch noch; Deutsch ist so einfach, sagen wir; Alles ist fast gleichlautend, vader-Vater, moeder-Mutter, zoon- Sohn, dochter-Tochter. Und mit einer genügenden Dosis linguistischen Leichtsinns plappern wir schon ziemlich schnell, was wir „een mondje vol Duitsch" (einen Mund voll Deutsch) nennen. Der Witz eines Holländers, der einem Deutschen einen Begriff von seinen vorzüglichen Sprachkenntnissen geben will und sagt: „Ich spreche alle Zahlen" (Sprache heißt un Holländischen taal und taal ist zugleich der Ausdruck für das deutsche Wort Zahl), ist gewissermaßen klassisch zu nennen. So sind wir nun einmal! Während wir von unserer Ge wandtheit in fremden Sprachen überzeugt sind, schießen wir riesengroße Böcke! Es ist dies ein nationaler Fehler, der einfach lächerlich sein würde, wenn nicht bei etwas Nach denken da- Bedenken auskeimen müßte, daß ein kleines Volk sich wohl am wenigsten den Luxus der Selbstüberschätzung gestatten darf. Gewiß: die Deutschen als Nation sind unS nicht sym pathisch. Zuerst schwebten uns immer die deutschen AnnexionS- gelüste vor Augen, und wie nach dem Wort des Apostels die vollkommene Liebe die Furcht ausschließt, so sind auch um gekehrt Angst und Mißtrauen nicht auf einmal mit Freund schaft zu vereinigen. Doch auch jetzt, wo diese Angst ge schwunden, sehen wir vielleicht im deutschen Volkscharakter zu viel (wie in einem Spiegel) unsere eigenen nationalen Mängel, als daß wir uns nicht viel mehr durch Franzosen und Eng länder angezogen fühlen sollten, deren gute Seiten wir gerade deshalb um jo deutlicher wahrnehmen, als sie uns in hohem Maße fehlen. Aber diese Erscheinung erklären zu wollen, ist nicht dasselbe, als auszumachen, daß eS jetzt auch so bleiben muß. In der Thal liegen schwerwiegende Gründe vor, die es für unS Wünschenswerth erscheinen lassen, auf dem Sprach gebiete rc. mit Deutschland mehr in Contact zu kommen. In einer großen Handelsstadt, wie Amsterdam, ist es Wohl überflüssig, das Praktische dieser Behauptung näher zu definiren. Wie vielerlei Handelsbeziehungen mit dem großen deutschen Reich schon bestehen, und besonders wie sehr dieselben noch zu Gunsten unserer Volkswoblsahrt aus gebreitet werden könnten, das ist hier zur Genüge bekannt. Und nun kommt man bei der Betrachtung gerade dieses Punctes aus ein Gebiet, auf dem sich nicht mit Ziffern und Zahlen statistische Argumente aufstellen lassen. Es besteht ein gewisser, wenn auch nicht immer sofort fühlbarer Verband zwischen Dem, was man (man entschuldige die hochtönenden Worte) ideelle und materielle Beziehung zwischen zwei Völkern würde nennen können. Wir wollen damit sagen: wenn du mit Vorliebe die Sprache und Literatur z. B. Leines südlichen Nachbarn zu deinem geistigen Eigentbum machst, so kann eS nicht ausbleiben, daß diese Vorliebe sich auch auf anderem, auf materiellem Gebiet fühlbar macht. Die Wirkung bleibt nicht aus. Fühlst du dich im Französischen zu Hause, so wirst du dick auch geneigt fühlen, mit Franzosen Handelsverbindungen anzuknüpfen. Und nun wissen wir wohl, daß der spekulative Kaufmann sich durch dergleichen Sympathien nicht beeinflussen läßt, sobald ein handgreiflicher Vortheil dies gebietet; aber es ist die Frage, ob nicht gerade diese Sympathien ihm in gewissen Fällen den klaren Blick trüben, so daß er nicht sieht, auf welcher Seite der größte Vortheil zu holen ist. Man ersieht hieraus: wenn wir hier für die Ausbreitung unserer deutschen Handelsverbindungen Propaganda macken, so geschieht dies, mit dürren Worten gesagt, mit Rücksicht auf die „äudtxsttzesguaostis" (Geldfrage). Die „hohe" oder „höhere" Politik kann hier ganz aus dem Spiele bleiben. Ob „Albion" so „perfide" ist, wie eS das Renommee hat, ob Frankreich wegen seiner Zola- und DreyfuS-Affairen von uns auch auf dem Handelsgebict boycottirt werden muß, all dieses brauchen wir hier nicht zu untersuchen. In gewissem Sinne gilt die alte Lehre, daß man im Handel auch das „schmutzige Geld" acceptiren muß; in dem Sinne nämlich: daß eS einfach thöricht, unpraktisch, ja un möglich wäre, wegen divergirender Geistesrichtung commer- zielle Beziehungen abzubrechen. Als wir uns über den Boykott der Franzosen äußerten, sagten wir bereits: „dadurch, daß man mit ihnen Handel treibt, erklärt man sich durchaus nicht solidär mit dem, was sie auf irgend einem anderen Gebiete menschlicher Bestrebungen ausführen". Aber diese einfache Lehre über die Lebensweisheit der Völker verdient auch in Bezug auf Deutschland näher ins Auge gefaßt zu werden. Wir verlangen nicht, daß aus einmal unser Volk entflamme für das „Deutschthum". Was wir verlangen, ist: daß man die thörichte Einseitigkeit und Voreingenommenheit fahren lasse. Wir wiederholen: ein kleines Land wie das unsere bezahlt diesen Luxus zu theuer. Wir müssen mehr von der Ueberzeugung durchdrungen werden, daß uns vom Handels- standpunct aus Deutschland mehr sein kann, als eS bisher gewesen. Wir müssen einsehen, daß eines der dahin leitenden Mittel ist, daß wir auch auf intellektuellem Gebiet Deutsch land als die „meist bevorzugte Nation" behandeln. (So lautet der Ausdruck in Traktaten.) Brechen wir zunächst mit dem Wahn, daß erst Französisch und Englisch gelernt werden müsse und dann Deutsch .... „auch noch"; stellen wir unS zuerst mit unseren Nachbarn im Osten in denselben geistigen Connex, wie dies seit Jahren mit den Franzose» und Eng- ländern geschah, dann folgen die Vortheile auf dem Handels gebiet von selber. Und dann sei doch auch nachdrücklich noch bemerkt, daß — falls wir von den Engländern „gmartness^ und von den Franzosen „osxriG lernen können, — die mannhafte Raffe der Germanen, die auf dem besten Wege ist, die Welt zu erobern, in einigen der schätzenswerthesten Eigenschaften, die iau seiner Nation zu eigen wünschen darf, un» als Vorbild dienen kann. Wir wissen nun wohl, daß dieses Plaidoyer für die „Moffen" (Spottname für die Deutschen) hier und da etwas Verstimmung Hervorrufen wird — so tief wurzelt bei Manchem die Antipathie — dies kann uns aber nicht ab halten, dasselbe zu führen. Es ist wohl eine dankbarere Aufgabe, mit den Wölfen zu heulen und der Menge bei zustimmen, ja ihr selbst in unmotivirter und unrichtiger Vorliebe Recht zu geben; im Interesse der großen Menge halten wir es aber für richtiger, ihr in gewisser Beziehung reinen Wein einzuschenken. —" SS tvsocxxz englischen und indischen, auszuweichen, denn es herrscht in Shanghai eine strenge Durchführung aller gesetzgeberischen Vor schriften, und der „Gemischte Gerichtshof", von welchem ich bereits in meinem letzten Feuilleton gesprochen, hat Tag für Tag reichlich zu thun. Die Stätte dieses Gerichtshofes befindet sich am unteren Ende der Nanking Road. Wie bei vielen Tempeln, ist auch hier an der Straße eine Weiße Mauer gezogen, deren innere Seite mit grellbunten Drachenbildern bemalt ist. Um diese Mauer herumgehend, steht man vor einer mit einem weiten Thorwege versehenen schmalen Halle, die unten an ihrer rechten Seite einen durch starke Bambusstäbe vergitterten Käfig auf weist, in welchem während der Gerichtssitzungen mehrere Ge fangene „zur Abschreckung", gleich wilden Thieren, ausgestellt werden. Jeder dieser Gentlemen hat einen großen Holzkragen um von etwa 3 Fuß Durchmesser, d. h. der Hals ist in eine viereckige schwere Holzplatte eingespannt, welche Ergänzung der Kleidung nicht gerade eine behagliche Stimmung Hervorrufen soll. Unsere Gefangenen aber, fünf an der Zahl, waren rechr guter Dinge, sie plauderten munter miteinander, zwei von ihnen hatten sich's, mit übergeschlagenen Beinen, auf dem Boden so bequem wie möglich gemacht, den Kragen als aufrechtstehendes Kopfkissen benutzend. Ihren zahlreichen, sie neugierig betrach tenden Landsleuten schenkten sie nicht die geringste Aufmerk samkeit, als sie jedoch unsere Photographicapparate bemerkten, kam plötzlich Leben in ihre faulen Glieder, d. h. sie kehrten uns flugs ihre verehrten Kehrseiten zu; und Einer von ihnen, der wohl rin wenig Englisch konnte, rief fortwährend: „One vollnr": sie wollten uns also ihre lieblichen Gesichter zuwenden, wenn wir ihnen einen Dollar opferten, wonach wir jedoch keinerlei Gelüstchen trugen. Durch eine zweite Thorhalle, deren offene, schwarze Thor- flügel mit bunten Götterfiguren bemalt sind, gelangt man in den Vorhof eines kleinen Tempels, dessen weiße Rückwand in blauen und rothen Farben ein wildes Fabelthier aufweist; hier auf diesem Hofe trafen wir dichtgedrängt zahllose Menschen, die aufmerksam und eingeschüchtert nach der Richtung des be nachbarten Gerichtsgebäudes blickten, zum Haupttheil wohl vor geladene Zeugen. Das Gerichtshaus lag gleich neben dem Tempel; seine kleine, offene Vorhalle war von englischen und indischen Polizisten, sowie chinesischen Gefängnißbeamten ge füllt, welch letztere einen Trupp Häftlinge bewachten, von denen einige Handschellen trugen. Von dieser Halle trat man sogleich in den Gerichtsraum ein, der einen höchst ärmlichen Eindruck macht; die Decke des wenig großen, weißgetünchten Saales wird von dunklen Holz fäulen getragen, an denen lange, schwarze Holztafeln mit gol dener chinesischer Schrift befestigt sind. An der einen Längs seite steht der grünbrzogene Richtertisch, vor welchem durch niedrige Holzgitter ein Platz für die Angeklagten abgcgrenzt ist; an dem Tisch saß der chinesische Richter, der als Zeichen seiner Würde einen blauen Glasknopf oben auf seinem Käppi und eine von demselben abgehende Quaste aus Pferdehaar trug und dessen graue Augen durch die großen Brillengläser klug Alle und Alles musterten; neben ihm hatte der europäische Beisitzer, dieses Mal ein Engländer, der in seiner Alltagsgcwandung er schienen war, seinen Platz. Neben dem Richter standen einige chinesische Dolmetscher und Schreiber, die ihm mehrmals Thee brachten und Feuer zu seiner Cigarette reichten; zur Seite des Europäers hatte sich der Kommandant der englischen Polizisten niedergelassen, einige seiner Untergebenen harrten auf einer schmalen Bank an der Wand seiner Befehle. Auf ein Zeichen des Richters wurden zwei Angeklagte durch eincn Gefängnißbeamten hereingeführt, der seine Pfleglinge — an den Zöpfen hielt; sie knieten sofort vor dem Richtertisch nieder, und der Ankläger brachte seine Sache vor, einer der Verhafteten vertheidigte sich ganz lebhaft, aber nach seinem be trübten Gesicht zu schließen, mit welchem er wieder abzog, hatte er mit seinen Angaben wenig Glauben gefunden. Neue An geklagte erschienen, sogleich auf die Knie fallend, drei Kulis, die einem ihrer Gefährten Geld abgenommcn; sie gestanden es offen ein, sonst wäre auch wohl der Bambusstock zur Nachhilfe des Gedächtnisses in Thätigkeit getreten, denn wenn auch bei diesem Gerichtshöfe die Tortur abgeschafft ist, so wirkt der Bim-Bom- Bambus bei Gelegenheit doch recht tüchtig mit. Der eine der Drei bettelte noch um Gnade, aber schwups! wurde er von dem Aufseher am Zopf emporgerissen und hinausgebracht. Draußen ließ sich jetzt ein jämmerliches Blöken vernehmen, alle im Gerichtssaal Anwesende horchten verwundert auf, um alsbald in ein vergnügtes Lachen auszubrechen; von einem chine sischen Gefängnißwärter wurde ein dicker Hammel hereingezerrt, der sich heftig sträubte und seine Abneigung, vor Gerichtsstelle zu erscheinen, durch immer stärkeres Blöken ausdrückte; und nun ein lautes Heulen und Schluchzen, von dem hinter dem Hammel geführten Angeklagten herrührend, welcher sich weinend niederwarf und mit seinem Kopf mehrmals auf die Erde schlug. Als Zeuge erschien ein baumlanger, englischer Polizist, der be kundete, daß der Angeklagte besagten Hammel in schändlicher Weise gequält habe, und zwar hätte er ihn — zu stark gefesselt! Der Hammel bestätigte dies durch jammervolles Mah-Mäh; zwei Wochen Gefängniß bekam der Missethäter, nachdem sich kurz der chinesische Richter mit dem europäischen Beisitzer be- rathen, und das Quartett: Verhafteter, Gefängnißwärter, Polizist und Hammel, verschwand. Wir folgten diesem Beispiel und besuchten noch die nahe gelegene Haupipolizeistation, deren großes, neues Gebäude sehr stattlich in rothem Backsteinbau errichtet ist. An der einen Seite des Hofes befindet sich ein richtiger, ausgedehnter Käfig mit starken Eisenstäbcn; in ihm waren die heute Verurtheilteii ver sammelt, über ein Dutzend Männlein, von denen uns einzelne vergnügte Grimassen schnitten, während andere sich durch die Stäbe hindurch von einem umherziehenden Händler Reis und getrocknete Fische einfeilschten. Nahe diesem Käfig liegen die stark verwahrten Einzelzellen für gefährlichere Verbrecher, von denen wir drei hier eingesperrt vorfanden; der eine war einer .. „ , , , ... Mordthat angeklagt, und der unS führende englische Sergeant I trübt es nicht die Erwartungen herab, daß es bald hier anders bemerkte mit einem gemüthlichen Lächeln, daß Jenem wohl der I werden könnte? Kopf kürzer gemacht werden würde. „Neulich", setzte er hinzu > —
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