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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 02.07.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-07-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980702012
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898070201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898070201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-07
- Tag1898-07-02
- Monat1898-07
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Reklamen unter dem RedaetionSstrich (4 ge spalten) 50^, vor den Familtennachrichtea (6 gespalten) 40^. Größere Schriften laut unserem Preis- verzeichnih. Tabellarischer und Ziffernsatz nach höherem Tarif. Extra»veilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung ^l 60.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Ännahmeschluß für Änzei-rn: Abend-Ausgab«: Bormittag» 10 Uhr. Morge n-AuSgabe: Nachmittags 4 Uhr. Lei den Filialen und Annahmestellen je eine halb« Stunde früher. Anzeigen find stets an di« Expedition zu richte«. Druck und Verlag von E. Polz tu Leipzig. 92. Jahrgang. Der Einfluß Les Bürgerlichen Gesetzbuches nuf Las Erb- unL Pflichttheilsrecht Ler Ehegatten und Kinder. vr. 8. Meinungsverschiedenheiten »wischen den Ehegatten nnd zwischen Eltern und Kindern über vermögensrechtliche Fragen führen sehr selten zu Processen. Um so häufiger kann man in den AnwaltSstuben beobachten, wie ein Ehe gatte oder ein Vater oder ein volljährige» Kind, insbesondere nach geschehener Verheirathung, zu wissen wünscht, welche Rechte sie nach dem Gesetze eigentlich haben, um sich bei den zu erhebenden Ansprüchen danach zu richten. Auf Grund der vielleicht von beiden gegenüberstehenden Seiten einge- bolten Informationen verständigt man sich schließlich und vermeidet die Beschreitung des gerichtlichen Weges, nicht nur des üblen Eindrucks wegen, den Streitigkeiten zwischen den nächsten Angehörigen machen, sondern auch, um die ver wandtschaftlichen Beziehungen möglichst aufrecht zu erhalten. Mit dem am l. Januar 1900 erfolgenden Inkrafttreten deS Bürgerlichen Gesetzbuches erfahren die erbrechtlichen Ver hältnisse eine wesentliche Umgestaltung. Nach der gesetzlichen Erbfolge erhält der überlebende Ehegatte neben Kindern stets ein Viertel deS Nachlasses des zuerst verstorbenen Gatten, einerlei, wie groß oder wie klein die Zahl der hinterlassenen Kinder ist. Hinterläßt der Verstorbene überhaupt keine Kinder, wohl aber Geschwister oder Geschwisterkinder oder Eltern oder Großeltern, so soll der überlebende Ehegatte sogar die Hälfte der Erbschaft erhalten. Sind auch diese nahen Verwandten nicht mehr am Leben, sondern nur ent ferntere oder gar keine, so erhält der überlebende Ehegatte den ganzen Nachlaß. Die Erbfolge der Kinder ist zwar unverändert geblieben, aber die Höhe des Pslichttheils ist anders festgesetzt. Der selbe beträgt nämlich ohne jeden Unterschied stets die Hälfte deS gesetzlichen Erbtbeils. Einen Anspruch auf Hinterlassung eines Pslichttheils haben außer den Kindern und KindeS- kindern nur noch die Eltern und der Ehegatte. Er beträgt auch hier die Hälfte deS WertheS des gesetzlichen Erbtheils. Für die ersten Jahre der Geltung des Bürgerlichen Gesetz buches kann durch diese neuen Vorschriften manche Berechnung, insbesondere manche Meinung von Ehegatten und Eltern, einen geringeren Pflichttbeil zuwenden zu müssen, sich getäuscht sehen. Denn für alle Todesfälle, welche nach Ablauf der letzten Stunde deS Jahres 1899 Vorkommen, erfolgt die ge setzliche Beerbung, insbesondere auch die Berechnung deS PflichttheileS nach Maßgabe deS Bürgerlichen Gesetzbuches. Die gesetzliche Beerbung tritt bekanntlich überall da ein, wo keine lctztwillige Verfügung, also weder Testament noch Erbvertrag, vorliegt. Der Pflichtteil beträgt nun bekanntlich gegenwärtig vielfach nur den dritten Theil des gesetzlichen Erbtheils, und mancher Testator wendet einem ungeratenen Kinde oder dem Ehegatten, mit dem er in Unfrieden lebt, nicht mehr zu, als er nach dem Gesetze muß. Er wird jetzt prüfen müssen, ob die Zuwendung m ihrer Höhe den Vorschriften deS neuen Gesetzbuches entspricht. Wird der Pflichttbeil nicht hinterlaßen, so ist der ungenügend Bedachte zwar nicht berechtigt, das ganze Testament um- zustoßen, sondern er ist darauf beschränkt, von den Erben Ergänzung deS ihm Vermachten bis zur Erfüllung deS gesetz lichen Pflichtteiles zu fordern. Aber derartige Streitigkeiten unmittelbar nach seinem Tode sucht doch jeder Erblasser ver ständiger Weise zu vermeiden. Anders stehen die Ehegatten in ihrem gegenseitigen Erbrechte da. Diese geht die gesetzliche Folge deS Bürger lichen Gesetzbuches gar nichts an, wenn sie ihre Ehe vor dem 1. Januar 1900 geschlossen haben. Ebenso wie die Rechte des ManneS am Vermögen der Frau während bestehender Ehe, also daS Recht der Verwaltung, des Nießbrauchs oder gar der Veräußerung und Belastung, von dem neuen Gesetzbuche nicht berührt werden, sondern dafür ledig lich die bisherigen Gesetze maßgebend bleiben, ebenso regelt sich auch das gegenseitige Erbrecht der Ehe gatten, welches ja doch in unmittelbarem Zusammen hänge mit dem ehelichen Güterrecht steht, lediglich nach den bisherigen Gesetzen. Die Ehegatten auS solchen Eben, welche zur Zeit des Inkrafttretens deS Bürgerlichen Gesetzbuches bereits bestehen, erhalten deshalb nicht die oben angegebenen gesetzlichen Erbtheile, sondern das buntscheckige Recht der deutschen Staaten bleibt für sie noch in Kraft, sie erhalten also, wie bisher, hier KindeStheile, dort die Hälfte der Erb schaft, dort Nießbrauch an den Erbtheilen der gemeinschaft lichen Kinder rc. Das Bürgerliche Gesetzbuch will nicht in Verhältnisse, in die sich zahlreiche Familien in ihrem Gedankenkreise eingelebt haben, cingreifen, sondern eS dem Einzelnen überlassen, wenn er es für zweckmäßig hält, eine Aenderung auf dem Wege der Errichtung eines Ehevertrages herbeizuführen. Derselbe bedarf gerichtlicher oder notarieller Beurkundung. Durch den selben können sie einfach erklären, daß sie nach dem ehelichen Güterrecht deS Bürgerlichen Gesetzbuches leben wollen. Sie können aber nicht eine bloße Abänderung ihres bisherigen gesetzlichen Gülerrechts vereinbaren,denn daS Bürgerliche Gesetz buch erklärt im Ehevertrage jedwede Zugrundelegung der auf» gehobenen Güterrechte für unstatthaft. In einem Ehe vertrage, der lediglich einige Abänderungen des bisherigen gesetzlichen Güterrechts enthielte, würde aber letzteres nach wie vor die Grundlage bilden. Das Bürger liche Gesetzbuch stellt selbst eingehende Vorschriften nicht nur über sein gesetzliches eheliches Güterrecht auf, bei dem der Ehemann durch Eingehen der Ehe das Recht der Verwaltung und des Nießbrauchs am gesammten Ver mögen seiner Frau mit Ausnahme dessen, was sie sich aus drücklich vorbehält, erwirbt, sondern cs regelt auch die ver tragsmäßigen Güterstände der allgemeinen Gütergemeinschaft, der theilweisen Gütergemeinschaft, nämlich ErrungenschastS- und Fährnißgemeinschaft, sowie auch der Gütertrennung. Nur auf Grund dieser Vorschriften sind Eheverträge zulässig. Es wird also zunächst noch auf Jahrzehnte hinaus das alte Recht in sehr wichtigen Beziehungen fortleben, wenn nicht hier und da die Einführungsgesetze der einzelnen Bundesstaaten diese oder jene veraltete Vorschrift ausheben, überhaupt manche Theile deS bisherigen Rechts durch die ähnlichen Regelungen deS Bürgerlichen Gesetzbuches für ersetzt erklären und dadurch den Uebergang in die neuen Verhält nisse erleichtern. Die Behandlung jugendlicher llebelthiiter. Die bekannte Howard Association, welche im letzten Menschenalter für Reformen auf dem Gebiete des Straf- und Gefängnitzwesens in außerordentlich erfolgreicher Weise thätig gewesen ist, hat Anfang dieses Jahres eine Enquete über die Frage der zweckmäßigsten Behandlung jugendlicher Uebel- thäter veranstaltet. Zu diesem Zwecke hat sie an alle englischen Autoritäten auf dem Gebiete eine Anfrage über den Erfolg der bestehenden Einrichtungen und über die vorzuschlagendcn Reformen gerichtet. Es sind zahlreiche Antworten eingegangen, welche in einem soeben erschienenen Berichte der Gesellschaft zur Veröffentlichung gebracht werden. Da die Frage auch für Deutschland von großer Wichtigkeit ist, und zwar umsomehr, als die in Aussicht gestellte Reform unseres Strafgesetzbuches vor aussichtlich gerade bei der Behandlung der Jugendlichen einsetzen wird, so theilt der auf diesem Gebiete in Deutschland sehr thätige Landgerichtsrath vr. Aschrott in der „Deutschen Juristen-Ztg." kurz die wesentlichen Ergebnisse der Enquete mit. Die Hauptpuncte, in denen alle Gutachten übereinstimmen, sind folgende: 1) Es wird gebilligt, daß, insbesondere seit dem Jahre 1880, auf G e f ä n g n i ß st r a f e bei Jugendlichen immer seltener erkannt wird; die Anwendung der Gefängnisstrafe empfehle sich bei Jugendlichen nur in den schwersten Delictsfällen. 2) Geldstrafe könne bei Jugendlichen nicht als ein geeig netes Strafmittel angesehen werden; in zahlreichen Fällen ver wandle sich die erkannte Geldstrafe in Folge ihrer Uneinbring lichkeit in Gefängnißstrafe, die man doch bei Jugendlichen mög lichst zu vermeiden suche. Da aber häufig die strafbaren Handlungen der Jugendlichen auf ein Verschulden der Eltern, insbesondere auf mangelhafte Beaufsichtigung, zurückzuführen seien, so empfehle sich für diejenigen Fälle, wo ein solches Ver schulden festzustellen sei, eine directe Strafbestimmung gegen die Eltern, und zwar sei auf Geldstrafe und Friedensbürgschaft zu erkennen. 3) Es sei zu wünschen, daß noch mehr als bisher bei allen leichteren Delictfällen die bedingte V e r u r t h e i l u n g zur Anwendung gelange; dabei sei jedoch diese Maßregel dadurch wirksamer zu gestalten, daß zur Beaufsichtigung der bedingt Verurtheilten nach amerikanischem Muster besondere Beamte bestellt würden. 4) Die Ueberweisung an eine Erziehung?« oder Besserungsanstalt habe zwar viele gute Erfolge aufzu weisen, allein es sei nicht zu verkennen, daß in letzter Zeit von dieser Maßregel ein zu weit gehender Gebrauch gemacht worden sei. Es seien dadurch manche Mißstände in den Anstalten hervorgerufen worden: die Anstalten feien häufig zu groß ge worden, um jedem Insassen die erforderliche individuelle Be handlung angedeihen zu lassen, und um in ausreichender Weise die besseren Elemente vor der Gefahr der Ansteckung durch die schlechteren zu bewahren; am besten hätten sich dabei noch die tiLining-gfiips bewährt, wo Knaben seemännisch ausgebildet werden, und es sei eine Vermehrung derselben zu empfehlen. Vor Allem aber hätte die zu häufige Anwendung der Ueber weisung bedauerlicherweise dazu geführt, vielfach in den Eltern das Gefühl der Verantwortlichkeit für ihre Kinder abzuschwächen. Es empfehle sich deshalb, die Ueberweisung auf solche Fälle zu beschränken, wo bereits eine Vorbestrafung vorliege und sich also eine andere Strafmaßregel als unwirksam erwiesen habe. 5) Dagegen sei von der Anwendung der Prügelstrafe ein größerer Gebrauch als bisher zu machen. Dieses ,,-chyi-r Luck güarp punisstrnonl" sei die wirksamste und humanste Maß regel in allen denjenigen Delictsfällen, die einerseits nicht so leichter Art seien, um die bedingte Verurtheilung gerechtfertigt erscheinen zu lassen, andererseits aber auch nicht so schwerer Art, um auf Gefängnißstrafe zu erkennen. Es empfehle sich deshalb eine Aenderung der Gesetzgebung dahin, daß bei allen Delikten Jugendlicher — unter Hinaufrückung der diesbezüg lichen Altersgrenze auf 16 Jahre, einzelne Gutachter schlagen vor: auf 18 Jahre — auf Prügelstrafe erkannt werden könne. Die Prügelstrafe sei, soweit möglich, in Gegenwart der Eltern zu vollstrecken, sie solle aber — ebenso wie die bedingte Ver urtheilung — nicht in daS Strafregister eingetragen werden. Endlich wird In dem Gutachten vorgeschlagen, für die Ab- urtheilung Jugendlicher ein besonders geregeltes Strafverfahren vor besonderen Gerichten einzufllhrcn. Deutsches Reich. * Leipzig, 1. Juli. Die „Nationalliberale Eorrespondenz für daS Königreich Sachsen" schreibt: „DaS Vaterland" wendet sich m seiner Nr. 25 vom 24. Juni — demselben Tage, an welchem sich in der Hauptsache die Stichwahlen vollzogen haben — in einer Betrachtung über die Wahlen in überaus abfälliger, ja direct verletzender Weise gegen die nationalliberale Partei in Sachsen und daS Auftreten ihrer Candidaten im Wahlkampfe. Nach direktem Einvernehmen mit namhaften conservativen Parteiführern, die sich darüber unzwei deutig ausgesprochen baben, daß sie jenenAngriff mißbilligen und insbesondere der Ansicht, daß die konservative Partei darauf angewiesen sei, bei künftigen Wahlen ganz selbstständig vor- zugeben, die Ueberzcugung von der Nothwendigkeit eines geschlossenen Zusammengehens entgegenstellen, besteht für die nationalliberale Parteileitung kein Anlaß, sich mit jenem jüngsten ebenso befremdlichen wie bedauerlichen Vorstoß deS „Vaterlands" weiter zu befassen." * Leipzig, 1. Juli. Die kürzlich in Druck erschienenen Entscheidungen deS Leipziger EbrengerichtShofeS für deutsche Rechtsanwälte enthalten in ihrem Vor wort interessante statistische Mittbeilnngen. Darnach sind, ab gesehen von den Entscheidungen betr. der Zulassung zur Rechts anwaltschaft, im Iabre 1896 die in erster Instanz erkannten Strafen gebilligt in 19, gemildert in 2, verschärft ebenfalls in Um die Erde. Neifebriefe von Paul Lindenberg. Nachdruck verboten. DieResidenzdesFrühlings. — Kirschblüthen- feste in Kyoto. — „Wir sind so glücklich! Wir findsoglücklich!" — Tempelfestzug. — Kirsch- blüthentanz. — Ganz Kyoto im Freuden taumel. Kyoto, 3. Mai. Die Nacht ist herabgesunken, eine weiche, milde Frühlings nacht. Die beiden Thürflllgel meines ebenerdigen Zimmers im Uaami-Hotel sind weit geöffnet, in Hellem Mondschimmer liegt der Garten vor mir mit seinen dichten Kamelien-, Azaleen- und Rosengebüschcn, aus denen einzelne kleine steinerne Tempel säulen hervorleuchtcn; unmittelbar rechts erstreckt sich ein tiefe» Thal in zartem weißen Glanze, ganz weiß erscheinen die hoch ragenden Stämme der Cedern und Pinien, deren dunkles Gezweig sich mit jeder Zackung vom klaren Himmel abhebt, und wie von mattem elektrischen Licht überhaucht steigt aus einem Teich ein zierliches Lempelhäuschen empor, dessen Dach und Säulen sich im Wasser widerspiegeln. Hier oben weihevolle tiefe Stille, nicht ein Blättchen regt und bewegt sich. Von unten aber her, wo sich in langer Linie die in ihrem Hintergründe von Berg zügen begrenzte Stadt ausbreitet, deren Lichterreihen überall auffunkeln, schallt froher Sang und Klang herauf, ertönt ge dämpft Musik und Singen, und immer wieder und wieder hört man'» zwischendurch rhythmisch erklingen: „Etajattjah! Etajattjah!"*) Welch zauberhafte, schöne Nacht, die mit ihrer weihevollen Stimmung die Seele so ganz ausfüllt und die buntfarbig-er regten Eindrücke des Tages mit sanften Accorden beschließt. Dieser Ankunftstag in Kyoto, der alten, heiligen Tempelstadt, in der Jahrhunderte lang die Mikados, göttlich« Verehrung genießend, lebten, wird Einem später wie ein Traum erscheinen, und schon jetzt, wenn ich die Augen schließe und an einzelne der bunt-phantastischen Bilder zurückdenke, ist'S mir, als ob ich sie nur im täuschenden Spiel der Phantasie gesehen hätte — — aber frohsinnig und freudebewegt dringt es von unten wieder herauf: «Etajattjah! Etajattjah!" „Wir sind so glücklich! Wir sind so glücklich!" und sagt mir, daß dieser Tag holde Wirklichkeit war! Die holdeste Wirklichkeit, di« sich auf unserem kreisenden Erdbälle verstellen läßt! Den Lenz feiert man jetzt hier, die Kirschblüthenzeit, und die ganze Einwohnerschaft dieser volk reichen Stadt scheint vom Frühling trunken zu sein, aber eine Trunkenheit ist'», die nur innigster Freude an der Natur und einem selbstzufriedenen Glück entsprungen sein kann. Wahrlich, hier hat aber auch der Frühling sein Hauptlager ») Pch geb« hier nur di« Klangform de« Rufe» wieder. aufgeschlagen! Welch ein süßer Duft allüberall, welch eine linde und doch stärkende Luft, und wie glüht's allerorten hervor aus dem dichten Grün, in welches eingebettet am Bergeshange unser Daami-Hotel liegt, von Azaleen und Rosen und Kamelien, viele Hunderte an jedem Busch, daß diese wie riesige Blumen sträuße ausschauen; über die von leichten Bambusstäbchen ge bildeten Veranden der Theehäuschen hängt ein Mantel von weißen nnd blauen Dolden der Syringen herab, das Berückendste aber ist doch die Blüth«npracht in Roth und Rosa und Weiß an den Kirschenbäumen: gleich mächtigen Glocken erscheinen deren Kronen, und bei jedem Windhauch löst sich ein zarter Blüthenregen und vergrößert den Blumenteppich auf dem frisch sprießenden Rasen. Kirschblüthenzweige In jedem Häuschen der Stadt und in den Händen von Alt und Jung, von Arm und Reich; in den offenen Auslagen der Läden — und in den Hauptstraßen reiht sich ein Geschäft an das andere —, Kirschblüthen in Vasen und Gläsern, und auch über den Eingängen zu den Wohnungen Blüthenkränze und -Zweige. Von vielen der kleinen Häuser flattern Fahnen herab oder sind nahe den Thllren aus bunten Stoffen luftige Draperien angebracht, um die an jedem der Häuschen befindlichen Papierlaternen aber winden sich schmucke Guirlanden von würzigem Tannengrün. Frohsinniges Leben erfüllt während dieser Vlütheniage die Straßen. Zu Tausenden durchziehen sie Costümirte, kein Alter, kein Stand ist ausgeschlossen, Knaben und Mädchen, kaum daß sie trippeln können, Junglinge und Jungfrauen, Männer und Frauen, selbst ehrwürdige Siebziger nehmen an dem allgemeinen Jubel theil. Alle sind m bunte, meist seidene Kimonos gekleidet, welche togaartig die ganze Gestalt umhüllen, die jungen Mädchen und Frauen der besseren Stände haben um ihre Gesichtchen leichte, nur die Augen frei lassende Schleier gewunden, viele der Männer tragen MaSken oder Bärte, andere verpuppten sich in Thiergestalten oder stellten sich ganz auffallend« Trachten zu sammen, und all das wirbelt in lebhaftestem Wechsel durch einander, einzeln, meist aber in kleineren und größeren Trupps, wandern diese Vermummten hier- und dorthin, alle von echtester Heiterkeit beseelt, alle singend und oft musicirend, immer wieder und wieder ihr „Etajattjah! Etajattjah!" erschallen lassend, und die übrigen sich in den Straßen aufhaltenden Einwohner stimmen mit freudiger Begeisterung ein: „Etajattjah! Eta jattjah!" „Wir sind so glücklich! Wir sind so glücklich!" Dichte Schaaren strömen jetzt zu einer benachbarten Gasse, Trommel- und Paukenklang ertönen in deren Richtung, ein Tempelfestzug naht: Blaugekleidete Musikanten schreiten voran, dann Tempelknaben in Scharlachröcken, Priester wandeln in langen weißen Gewandungen einher, goldgestickte Tempelbanner flattern im Winde, über die niedrigen Häuschen hinweg ragt ein aus Holz geschnitzter mächtiger goldener Baldachin mit einem vergoldeten Buddha, wie prächtigen Tempelgeräthen hinter den halb zurückgeschlagenen Brocatvorhängen, das Ganze ruht auf zwei langen, schweren Balken, die an jedem ihrer Aus läufer von etwa zehn jungen Leuten getragen werden, welche sich springend fortbewegen, der Schweiß rinnt ihnen von der Stirn, sie keuchen, aber mit lustigen Mienen singen sie ihr: „Etajattjah!" Ablösungsmannschaften schreiten lachend und plaudernd hinterher, ihrem Aeußeren merkt man die Anstrengung vom Tragen des Baldachins an, nicht aber ihrer frohen Laune. Kostbar aufgeschirrte Tempelpferde werden von Tempeldienern in dunkelgrünen Seidengewändern geführt, in bunter Reihe folgen dann bekränzte und mit seidenen Fahnen geschmückte große Triumphwagen, in denen neben bildhübschen jungen Mädchen Musikanten sitzen, guirlandenumwundene große Trans parente mit rothen Schriftzeichen, allerhand Tempelembleme, wieder jene von singenden Trägern geschleppten Baldachine, andere Tempelpferde, singende Tempeltnaben in Blau-weiß, schließlich in einem Gefährt der Oberpriester in blauer Seide, zwei weißgekleidete Priester hoch zu Roß hinterher, und viele Hunderte von Zuschauern reihen sich jubelnd an und wallen dem Zuge nach, der sich die von Menschen dicht gefüllte Straße entlang windet, den Bergen zu, auS deren üppigem Blätterdickicht die Tempeldächer hervorlugen. Lachende Frühlingssonne liegt auf Allem und umgiebt mit zitterndem Strahlenschimmer die goldstarrenden Baldachine, die Luft aber ist erfüllt vom tausend fachen Gesänge des „Etajattjah! Etajattjah!" „Wir sind so glücklich! Wir sind so glücklich!" Zwei Stunden später. Der Abend naht, glühendroth, gleich einer feurigen Kugel, will der Sonnenball hinter den Bergen verschwinden, über denen sich lange violette Streifen hinziehen. Wir haben das Theater ausgesucht, in welchem zu dieser Früh lingszeit — in ganz Japan nur qier in Kyoto — der „Miyako- Odori", 1>er Kirschblüthentanz, aufgeführt wird. DieS Theater ist äußerst zierlich aus feinstem Holze erbaut, das Innere besteht aus einem mittelgroßen viereckigen Saal, der von drei Seiten durch Bühnen eingeschloffen wird, die vierte Seite, der Haupt bühne gegenüberliegend, ist von einem logenartigen Raum aus gefüllt, in welchem wir unsere Plätze erhalten. In der Mitte, die mit Matten belegt ist, auf denen Kissen liegen, sitzen und lagern die Zuschauer, scherzend und plaudernd, die langen Pfeifchen immer wieder mit frischem Tabak versehend und an den glimmenden Kohlenbecken entzündend. Stets neue Trupps, unter ihnen viele Costümirte, strömen herein mit „Etajattjah"- Rufen, welch' letztere bei den schon Anwesenden ein freudige» Echo erwecken. Der Vorhang der Hauptbühne ist mit Kirschblüthenzweigen bemalt, derjenige der linken Bühne weist BambuSzweige, der der rechten Chrysanthemum» auf; diese beiden letzteren Vorhänge rollen nun in die Höhe, links sitzen, natürlich auf den mit Kissen versehenen blendend weißen, mattenbelegten Dielen, zehn lieb liche Musikantinnen in blau-rothen Seidencostümen, theil» die Vati, eine Art kleiner Trommel, spielend, theilS unter leisen Gesängen, zarte Glockenspiele in Bewegung setzend, recht» sieht man zehn in schwarze mit Blumen gestickte Seide gehüllte Sängerinnen, welche die Saiten der Taica, der japanischen Guitarre, rühren. Die Musik ist von feierlichem Eindruck, und mit feierlichen Schritten nahen von rechts und links, also der Richtung der Loge her, je fünfzehn in prächtige farbige Seiden- Kimono» gehüllte Tänzerinnen, vor den Sängerinnen vorbei ziehend und sich auf der Hauptbühne vereinend, deren Vorhang in die Höhe gegangen ist und eine wirkung»volle Winterland schaft zeigt, mit Schnee auf Bäumen und Sträuchern und einem schneebedeckten Theehäuschen in der Mitte. Der Winter hat Alles in Banden geschlagen, getragen ist die Musik und ebenso der Tanz, der mehr aus einem anmuthigen Hin- und Herwiegen besteht. Nun aber sehen die Batis und Taicas mit frischeren Klängen ein, Heller ertönen die Glöckchen, fröhlicher erklingen die Stimmen der Sängerinnen, rascher werden die Bewegungen des Tanzes, eine Frühlings-Landschaft ist an die Stelle der winterlichen getreten: grüne Auen, von Bäumen beschattete Häuschen, blinkende Teiche, ein silberklarer Bach sprudelt über die Räder einer Mühle, „der alte Winter in seiner Schwäche zog sich in rauhe Berge zurück!" In lustigem Reigen winden sich die Tänzerinnen, Kinder nahen und weisen den Erstaunten die ersten Blüthenzweiqe vor, eine Ahnung kom menden Glückes durchweht Natur und Menschen. Immer froher und lebhafter werden nun Musik und Tanz, jetzt rauschende Weisen, ein jubilirendes Singen und Klingen, im Umsehen ist die Bühne in einen Blüthen- und Feuer-Garten verwandelt; Hunderte von Lichtchen sind aufgeflamm't und leuchten aus den Kirschblüthenzweigen hervor, die sich von oben und von allen Seiten her in duftigsten weiß-rothen Gebilden zusammenranken, an die Stelle der Fächer in den Händen der Tänzerinnen sind Kirschblüthensträuße getreten und singende Kinder schwingen solch«, ein einziges Blüthenmeer, und in demselben die zierlichen, buntfarbigen Gestalten der schönen Tänzerinnen .... Begeistert sind die Zuschauer und Hirschauerinnen aufge sprungen, stürmisch klatschen sie in die Hände, und wie ein ein ziger Jubelschrei ballt's durch den Raum: „Etajattjah! Eta jattjah!" „Wir sind so glücklich! Wir sind so glücklich!" Und in der ganzen weiten Stadt tönt nun zur Abendstunde dieser Ruf wieder. Wie e» überall leuchtet nnd funkelt auS den zahllosen Papierlaternen vor den Häuschen und Geschäften, nur schrittweise gelangt man vorwärt», so dicht sind die Menschen massen auf den Straßen, wohl die Hälfte von ihnen ist costümirt, fast Jeder und Jede trägt in der einen Hand an einem Stab eine rothe Papierlaterne, in der anderen einen Fächer, und oft wird dieser im Rhythmus an die erstere ge schlagen zum Gesang de»: „Etajattjah!" Alles ist lustig und guter Dinge, Alles freut sich des frühlingumwobenen Daseins, hier führt ein Trupp einen lustigen Tanz auf, da wird ein kleines Ständchen ge bracht, dort erregt ein al» Tiger Verkleideter die allgemeine Aufmerksamkeit und in der Nähe beklatscht Alles einen sich mühsam an Stöcken fortschleppenden Bettler, der plötzlich seine Krücken hinwirft und wie ein Hampelmann sich an einem der Tänze betheiligt. Nirgend» eine vrrletzende Scene oder rin rauheS Wort, nirgends Trunkenheit oder gar Streit, es ist ein überaus an- muthiger Frohsinn, ein wahrhaft poetischer Rausch, der diese zahllose Tausende erfaßt hat, die dem Frühling huldigen und die Mairnzeit feiern, ein Rausch von Glück und Freude! Mitternacht ist längst vorüber, goldleuchtend steht der Mond am Himmel, jubelnd aber erklingt's noch immer von der Stadt herauf zu mir her in die feierlich« Einsamkeit: „Etajattjah! Eta- jattjah!" „Wir sind so glücklich! Wir sind so glücklich!" —
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