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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 09.09.1898
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-09-09
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18980909010
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898090901
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898090901
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-09
- Tag1898-09-09
- Monat1898-09
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Unter diesem Titel bringt der „Vorwärts" eine Zu sammenstellung von Aeußerungen des Kaisers, die wir hier wiedergeben wollen, weil sie den nothwendigen Commentar zu der Kaiserrede in Oeynhausen über den Schutz der Arbeitswilligen bietet: „Als Herr von Puttkamer da» Wort aussprach, hinter jedem Streik lauere die Hydra der Revolution, konnte man aus so manchem Anzeichen schließen, daß der damalige Prinz von Preußen, der jetzige Kaiser, gleichen Sinne» mit dem damaligen Minister des Innern war. Aber bald, nachdem der Kaiser an» Ruder gekommen war, sprach er sich mehrfach in einem Sinne au», der zur Annahme berechtigte, daß er in dem Emporstreben der Arbeiterklasse ein be rechtigte» Bestreben sah. — Am 6. April 1889 betonte er gegen über dem Abg. Rösicke die Gleichberechtigung der Arbeiter mit den Unternehmern. — Bei dem Empfang der Arbeitgeber im Bergbau am 16. Mai 1889 sagte der Kaiser: „Es ist ja mensch lich natürlich, daß Jedermann versucht, sich einen möglichst günstigen Lebensunterhalt zu erwerben. Die Arbeiter lesen Zeitungen und wissen, wie das Verhältniß des Lohnes zu dem Gewinn der Gesell schaften steht. Daß sie mehr oder weniger daran Theil haben wollen, ist erklärlich." An die kaiserlichen Erlasse vom 4. Februar 1890 braucht blo» erinnert zu werden. Am 11. Februar 1890 äußerte der Kaiser dem Abg. v. Eynern gegenüber: „Ob wir nun Dank oder Undank für unsere Bestrebungen für die Ausbesserung des Wohles der arbeitenden Elasten ernten, in diesen Bestrebungen werde ich nicht erlahmen. Jedenfalls geben mir diese Bestrebungen nur für Alles, was wir thun, ein ruhige» Gewissen." — Bei Eröffnung de» StaatSrathes am 14. Februar 1890 sagte der Kaiser: „Der den Arbeitern zu gewährende Schutz gegen eine willkürliche und schrankenlose Ausbeutung der Arbeits kraft ist einer verbesserten Regelung fähig." In der Thronrede bei Eröffnung des Reichstages am 6. Mai 1890 findet sich der folgende Satz: „Die im Lauf« deS verflossenen Jahres in einigen Landestheilen vorgenommenen Ausstands- bewegungen haben mir Anlaß gegeben, eine Prüfung der Frage hcrbeizuführen, ob unsere Gesetzgebung den innerhalb der staatlichen Ordnung berechtigten und erfüllbaren Wünschen der arbeitenden Be- völkerung in ausreichendem Maße Rechnung trägt." Am 18. Juni 1897 hielt der Kaiser seine Rede auf dem Sparenberge zu Biele feld, in der der folgende Absatz vorkam: „Schwere Strafe dem jenigen, der seinen Nachbar an freiwilliger Arbeit hindert." — Am 5. Mai 1897 lobte der Kaiser beim Empfang des Präsidium» des Reichstages die englischen Maschinenbauer wegen der Ruhe und Ordnung, die sie bei ihrem Riesenkampf zeigten. — Am 17. De- cember 1897 spendete der Kaiser den Hamburger Rhedern sein Lob wegen der Abweisung der Forderungen der Hamburger Hafen arbeiter." Wenn der Kaiser in Oeynhausen davon sprach, daß mit Zuchthaus Diejenigen bestraft werden sollen, die „gar zu einem Streik anreizen", so steht das in krassem Widerspruch zu den eben angeführten Aeußerungen, die die Arbeiterfreund lichkeit deS Kaisers in vollem Lichte zeigen. Allgemein bricht sich denn auch die Anschauung Bahn, daß die betreffende Stelle nur auf einen lapsrm liuguue zurückzuführen sei oder daß der Wols'sche Bericht die Worte des Kaisers incorrect wiedergegeben habe. Auffällig ist es jedenfalls, daß dasWolf' sche Bureau die Reden des Kaisers in ausführlicher Form sehrspät bringt. Das läßt darauf schließen, daß die Reden deS Kaisers nicht vorher genau im Wortlaut sestgestellt, sondern ex tempore gehalten werden. So ließe sich auch der Passus in der Rede deS Kaisers erklären, der mit entehrender Zuchthausstrafe das jetzt dem Arbeiter gesetzlich gewährleistete Recht, Ausstände zu organisiren, bedroht. Wahrscheinlich bat der Kaiser nur die gewalt- thätigen Ausschreitungen socialdemokratischer Streikagitatoren gemeint. Jedenfalls wäre eine schleunige Aufklärung durch den verantwortlichen Minister geboten, um der socialdemo kratischen Ausbeutung der Kaiserrede ein Ziel zu setzen. Nochmals das deutsch-englische Abkommen. —<>. Zudem deutsch-englischen Abkommen ergreift abermals die „Köln. Ztg", augenscheinlich officiöS in- spirirt, das Wort. Sie stellt als außer dem Bereich der Wahrscheinlichkeit liegend hin, daß zwischen den beiden Mächten Abmachungen in China, Kleinasien und Egypten getroffen worden seien und schreibt weiter: „Schon die Thatsache, daß die portugiesischen Finanzen in dem Abkommen eine Rolle spielen, deutet stark darauf hin, daß Portugal als Entgelt für finanzielle Unterstützung Zu- geständnisse in seinen Colonien machen muß. Wo» Eng land betrifft, so ist r» bekannt, daß e» stets auf den Besitz der Dela- goabai den größten Werth gelegt hat, und es verlohnt deshalb der Mühe, die in diesem Gebiete bestehende Rechtslage mit kurzen Worten darzustellen. Kraft eines Vertrages zwischen England und Portugal hat letztere» ersterem für die Delagoabat ein Vorkaufsrecht ein geräumt, und gegen diesen Vertrag hat Deutschland niemals Ver- Wahrung eingelegt, weil Portugal als selbstständiger Staat das Recht Hot, über sein Gebiet zu verfügen. ES fehlt somit zu einem Protest dir rechtliche Handhabe. Daß man aber auS dieser Frage eine Macht-, d. h. eine KriegSsrage, machen soll, werden in Deutsch land wohl nur sehr wenige Menschen verlangen. Die Lage war daher für Deutschland nichts weniger als leicht, zumal da wir selbst gar kein Recht auf die Delagoabai oder einen anderen Theil deS portugiesischen Besitzes geltend machen konnten. Es ist richtig, daß wir trotzdem die Aufführung des Vorkaufsrechtes als nicht Wünschenswerth betrachten und England die Aufführung seiner Absichten iu dieser Richtung nicht erleichtert haben. Wenn es sich nun bestätigt, daß England von dem Vorkaufsrechte in Folge des jüngsten Abkommens mit Deutschland Gebrauch machen wird, wenn also Deutschland sich hiermit einverstanden erklärt hat, so liegt es aus der Hand, daß England in diesem Theile des portu giesischen LolonialgebteteS uns Vortheile hat gewähren müssen, über deren Bedeutung heute nur die Eingeweihten urtheilen können. Jetzt schon, wie daS in einigen Blättern geschieht, die Bermuthung auszusprechen, daß wir gegen unsere Zugeständnisse nur MinderwerthigeS eingetauscht hätten, ist zum Allermindesten verfrüht." Wir theilen die Ansicht der „K. Ztg ", daß man den Leiter unserer auswärtigen Politik, die bis jetzt „nicht so un geschickt" gearbeitet haben, nicht „ohne Weiteres" einen solchen Fehler zutrauen dürfe, allein nach der Darstellung des rheinischen Blattes wird man sich doch darauf gefaßt machen müssen, daß Deutschland wieder einmal allzu bescheiden gewesen ist und sich seinen Dienst von entschieden weitesttragender Be deutung, den es England an der Delagoabai geleistet, ledig lich mit commer^iellen Concessionen in diesem Theile des portugiesischen Colonialgebietes hat bezahlen lassen. Die Boeren will die „K. Ztg." vollständig sich selbst überlassen wissen. Wir hätten zwar immer Sympathie für da» tapfere um seine nationale Existenz kämpfende Volk gehabt, aber wir könnten nicht als seine Schutzmacht gelten und seien nicht verpflichtet, bei jeder politischen Constellation für seine Rechte und Wünsche einzutreten. DaS ist, meinen wir, richtig, so lange England und dessen rücksichtslose Expansionspolitik außer Betracht bleibt. Hat dieses aber seine Hand im Spiele, so stellt Deutschland durch aus nicht „auS sentimentalem Empfinden seine eigenen Interessen denen der Boeren nach", wenn eS mit all dem ihm zur Verfügung stehenden Einfluß einer Erweiterung deS britischen Einflusses in Südafrika und einer Zermalmung des BoerenstaateS entgegenarbeitrt. ES dient nur seinem eigenen, doch nicht so ganz unbedeutenden colonialen Interesse in Afrika, wenn es dasjenige Volk nach Kräften moralisch und diplomatisch unterstützt, welches dem britischen Ländergeier auf seinem Flug vom Cap bis zur Nilmündung mit gespannter Büchse folgt. Sollte eS aber tatsächlich außer dem Bereich der Mög lichkeit gelegen haben, den Verkauf der Delagoabai zu ver hindern und Transvaal vollgiltige Garantie für seinen Fort bestand zu verschaffen, so sollten wir für ein Entgegen kommen von so unberechenbarem Werth für England doch wenigstens annähernd gleichwerthige Compensationen ver langt haben. Wir hoffen, daß die „Berl. Pol. Nachr.", welche bekanntlich, abgesehen von kommerziellen Vortheilen, von entsprechend wichtigen und nützlichen Compensationen in Südwestasrika, Ostasrika rc. reden, bester orientirt sind als die „Kölnische Zeitung." Deutsches Reich. D Berlin, 8. September. Zwei Männer von hervorragen der Bedeutung hatdiedeutscheMarine verloren, den Vice admiral z. D. Klatt und den Chef-Constructeur der Marine, Wirk!. Geh. Admiralitätsrath Dietrich. Viceadmiral Klatt hat der Marine fast dreißig Jahre angehört und während dieser Zeit an drei Feldzügen theilgenommen, zweimal gegen Däne mark und gegen Frankreich. Am 28. April 1849 war Klatt in die Flotte eingetreten und am 16. April 1878 schied er aus. Im Kriege 1864 befehligte er als Corvettencapitain den Aviso „Preußischer Adler" und 1870/71 führte er die Panzerfregatte „Friedrich Karl". — Chef-Constructeur Dietrich ist der Schöpfer der Pläne aller neueren deutschen Kriegsschiffe. Am Gründungstage des Norddeutschen Bundes, am 1. September 1867, trat Dietrich als Schiffsbauaspirant in die Marine ein und im Winter 1879/80, als der Geh. Admiralitätsrath Koch, nach dessen Entwürfen die Schiffe bis dahin meist gebaut wurden, den Marinedienst verließ, wurde Dietrich mit der Neuaufstellung der schwebenden Entwürfe beauftragt. Nach den Plänen Dietrich's sind seitdem alle Kriegsschiffe erbaut worden. In der Fülle seiner Kraft ist Dietrich jetzt heimgegangen, jetzt, da eine ganze Reihe neuer, von ihm entworfener Panzer und Kreuzer der Vollendung entgegen geht. * Berlin, 8. September. Die „DeutscheJuristen- zeitung" hat, wie mitgetheilt, zu dem vom 12. bis 14. Sep tember in Posen tagenden Juristentag eine besondere Nummer herausgegeben, in welcher die auf der Tagesordnung des Juristentages stehenden Fragen von compctenten Fachleuten be sprochen werden. So behandelt Rechtsanwalt vr. Korn- Berlin die Deportationsfrage. Indem er auf die von anderen Staaten, namentlich England, gemachten schlechten Er fahrungen hinwcist, führt er aus: „Hätte nun Deutschland von der Deportation Besseres zu erwarten? Di« Deportation kann ebenso wenig das Verbrechen ausrotten als jede andere Strafe. Werden die Verbrecher in eine Coloni« geschickt, so bleibt aller dings Deutschland vor neuen Strafthaten der Deportirten regel mäßig sicher. Aber dafür hat dann die Colonie die Last der arbeitsscheuen, jeder Besserung unzugänglichen Verbrecher zu tragen, welche sich zu großen Schaarcn ansammeln und zum Fluche der Colonie werden. Derartige Folgen sind un vermeidlich; denn vor Allem ist die Behauptung falsch, von welcher alle Lobredner der Deportation ausgehen, daß die Ver brecher im Auslande sich von selbst bessern, oder auch nur leichter sich bessern ließen als im Jnlande. Nur ein kleiner Theil arbeitet nach der Entlassung fleißig und wird ansässig. Die große Mehr heit der Deportirten aber folgt nur dem strengsten Zwange und flieht jede Arbeit, sobald es möglich ist Zunächst wäre festzustellen, wohin deportirt werden soll. Daß es mach Ost afrika, Kamerun und den anderen Colonien nicht geht, weil das Klima für Gefangene mörderisch ist, darüber ist man einig. Es bleibt nur Südwestasrika, das sich eines gesunderen Klimas erfreut. Allein wenn die Malaria dort auch nicht so bösartig auftritt als in den anderen Colonien, so ist sie doch vorhanden, upd man lasse nur erst die Sträflinge dort bei knapper und naturgemäß billiger Kost, gehemmter Bewegung und deprimirtem Geiste schwer« Erd- und Feldarbeit thun, dann wird sich zeigen, wie das dortige, für freie, wohlgepflegte Menschen erträgliche Klima auf Gefangen« wirkt. Ackerbau ist in Südwestasrika nur in geringem Umfange möglich. Nur Viehzucht in großem Maßstabe ist bei starkem Capitalbesitz mit Erfolg zu betreiben. Aber wenn selbst die Viehzucht in nennenswerthem Umfange vorhanden wäre — was vorläufig nicht der Fall ist —, sollen unsere Sträflinge etwa nach Afrika deportirt werden, um dort ein beschauliches 'Hirtenleben zu führen? Damit wäre der Straf zweck unvereinbar. Weshalb man ferner Südwestasrika mit un freiwilligen weißen Arbeitern beglücken will, während die dortigen Eingeborenenstämme geschickte und willige Arbeiter in Menge liefern würden, ist schwer zu begreifen. Die Deportation würde ferner gewaltige Kosten verursachen: Die Erfahrung in allen deportircnden Staaten hat ergeben, daß der überseeische Straf vollzug — Transport, wesentlich theurere Verpflegung und Gesundheitspflege, sowie bedeutend höhere Gehälter ein gerechnet — etwa drei Mal so viel kostet als der Strafvollzug im Jnlande. Die Deportation ist zudem ein neues Strafübel von besonderer Schwere: si' enthält die Verbannung aus der Heimath, die völlige Trennung von Familie und Freunden. Wer da weiß, was die Besuche von Verwandten den Gefangenen bedeuten, wird hierüber nicht im Unklaren sein." D Berlin, 8. September. Die Kaiserinist aus Oeyn hausen heute Nachmittag gegen 1j Uhr auf Station Wild park eingetroffen. (7) Berlin, 8. September. (Telegramm.) In Er widerung der Ausführungen der „Kölnischen Zeitung" bezüglich der bisherigen Ergebnisse der bedingten Strafaussetzung stellt die „Nordd. Allg. Ztg." fest, daß die Justizverwaltung die Anwendung des Verfahrens in jeder Weise zu fördern bestrebt sei, und daß die bisherigen Wahrnehmungen keinen Anlaß zur Besorgniß gäben; die neue Einrichtung werde sich dauernd nicht bewähren. (D Berlin, 8. September. (Telegramm.) Der „Neichsanzeiger" veröffentlicht eine Bekanntmachung, betreffend die Anzeigepflicht für Schweinestuche, Schweinepest und Roth- lauf der Schweine fürdenganzenUmfangdesReiches vom 1. October ab bis auf Weiteres. — Als nach der Annahme der Flottenvorlage der Centrums abgeordnete Spahn zum Reichsgerichtsrath befördert wurde, konnte man erwarten, daß auch der andere Centrumsführ-r, vr. Lieber, der jedenfalls größere Verdienste um das Zu standekommen der Vorlage hatte, als sein College Spahn, eine Auszeichnung erhalten werden. Da es nicht geschehen ist, hat Or. Lieber in melancholisch anmuthendem Humor auf der Katholiken versammlung in Milwaukee seinem Herzen Luft gemacht. Als ihm der Präsident der Versammlung nach einer von ihm ge haltenen Rede ein Abzeichen als Ehrenmitglied des Central vereins der deutschen Katholiken Amerikas überreichte, versicherte er, nach der „Voss. Ztg.", daß er das Abzeichen hoch halten werde, so lange ihm Gott das Leben fristen wolle, und sagte dann: „Als ich noch Student war, schrieb ich in ein Collegien- heft: „Ernst Lieber, keines Ordens Ritter, keines Fürsten Rath, frei wie ein Gewitter, kriecht in Gottes Staat", und was ich damals, wie eine Ahnung, wie ein Programm für mein Leben in studentischem Uebcrmuth in mein Collegienheft schrieb, ist auch heute noch die volle Wahreit. Keines Ordens Ritter, keines Fürsten Rath, dagegen getragen von der Liebe und dem Ver trauen des katholischen Volkes und geehrt durch diejenigen Zeichen, die es zu vergeben im Stande ist. Sie können versichert sein, wenn man mich zu Grabe trägt, ich bin jetzt 60 Jahre alt, wird man wahrscheinlich keinen Ordensstern, aber alle Abzeichen wie dieses, die mir im Laufe meines Lebens geworden sind, vor meiner Leiche hertragen." — Ueber die Einberufun g des Reichstages ist, wie die „Münch. Allg. Ztg." von gut unterrichteter Seite hört, ein definitiver Beschluß noch nicht gefaßt worden. Man giebt der Ueberzeugung Ausdruck, daß dieselbe in diesem Jahre sehr spät, wahrscheinlich im Anfang des Monats December erfolgen dürfte, jedenfalls erst nach Beendigung der preußischen Landtagswablen, welche im November statt finden werden. — Vor Anfang December dürste die Ein berufung des Reichstages auch schon wegen der Reise deS Kaisers nach Palästina nicht erfolgen. — Zu den preußischen Landtagswablen berichtet die „KönigSb. Allg. Ztg.": „Der Minister des Innern bat durch Erlaß vom 5. September angeordnet, daß okme Verzug mit der Anordnung der Vorbereitungen zu den Neuwahlen für das Hans der Abgeordneten vorzugebcn und dabei sicher zu stellen ist, daß sowohl die Abgrenzung der Urwahlbezirke, als auch die Ausstellung und Auslegung der Urwähler- und der Abtbeilungslisten dergestalt beendet werden, daß die Wahl der Wahlmänner in der zweiten Hälfte des Oktobers stattsindcn kann. Die definitive Festsetzung der Wahltermine ist Vorbehalten. — Der Ausschuß zur Vorbereitung der Wahl des ersten Bürgermeisters von Charlottenburg bat FeuiHeton» Abgefunden. Bon Carl Otto. Nachdruck verdaten. Don der nahen Marktkirche schlug es sechs Uhr. Die junge Mutter schrak zusammen. Sie hatte eine ganze Weil« im dumpfen Hinbrüten an der Nähmaschine gesessen. Der Glocken ton erinnerte sie wieder an die Gegenwart. Das spielende Kind neben ihr auf dem weißgescheuerten Fußboden sah mit lächelndem Antlitz empor. Eine Perlenreihe von Zähnchen glänzte in dem rosigen Mündlein. „Mama!" stammelte das liebe, blondhaarige Ding und hielt triumphirend die Gummipuppe hoch. Schon seit geraumer Zeit hatte es an den Gliedmaßen der bedauernswerthen Spielgenossin energische Beißübungen unternommen. Die arme Puppe! — Obwohl si« Goldchens größter Schatz war, wonach sie täglich verlangte und in entrüstete Schreie aus brach, wenn er nicht gleich zur Stelle war, so wurde doch oft recht unsanft mit ihm umgesprungen. Als vorhin die Näh maschine so emsig schnurrte, hatte sich Elschen in aller Still« einer großen Aufgabe unterzogen. Mit den scharfen Mäuse zähnchen versuchte sie, der hilflosen Mizipuppe die noch wohl erhaltene linke Fußspitze abzubrißen. Jauchzend kündete sie der güten Mama das Gelingen des Wersts. Das Kind hatte der Mutstr schöne, dunkelblaue Augen. Ein träumerischer Ausdruck lag darin. Aber jene Augen, die so liebevoll nach ihm sahen, waren geröthet vom vielen Weinen. Düstere Sorgenschatten ruhten auf ihnen. — Die jung« Näherin schob das halbfertige Schürzenzeug bei Seite. Ein Lächeln traurigen Glückes huschte warm über die anmuthigen Züge. Sie setzte die Kleine auf das bescheidene Sopha, das den Hintergrund des Zimmerchcns ausfüllst, und preßte ihr einen langen, leiden schaftlichen Kuß auf die Wange. Dann zog sie die geblümten Vorhänge des niedrigen Fensters zurück und sah auf die Straße hinab. Unten wälzte sich der großstädtische Verkehr in ge wohnter Weise vorüber. Kaum vermochten sich die Gefährte der elektrischen Straßenbahn den Weg durch das Menschen- und Wagengewühl zu schaffen. Nur gedämpft schallte der Lärm des Getriebes zu dem fünften Stock der großen Miethscaserne hinauf. Der Regen hatte aufgehört. Vereinzelte Tropfen fielen noch gewichtig von den vorspringenden Theilen der Häuserfronten herab. Das graue Himmelsgewölbe lichtete sich. Die Sonne umkleidete noch einmal den scheidenden Herbsttag mit goldenem Glanze. Im gegenüberliegenden Hause ward ein Fenster der dritten Etage geöffnet. Heitere Walzerklänge quollen heraus und fröh lichen Antlitzes trat ein junges Paar hervor. Ein Brautpaar! Der schmuck« Mann hatte kosend seinen Arm um die zierli.be Taille des hübschen Mädchens gelegt und sein ganzes We en drückte den Stolz glücklicher Liebe aus. Hinter ihnen er'ch -n das Bild einer rundlichen Matrone, deren bedaglt.b« -tu-e d«r Gruppe einen harmonischen Abschluß gab. Die Näherin starrte verschleierten Blickes -inüder. In ihr stiegen Erinnerungen an eine Zeit aus. die n.'ch nicht so gar ferne lag und die sie mit heißer Liebesglutd und kaltem Schmerze erfüllt hatte. Ein Herbsttag voll heiteren Sonnenschein« war e» gewesen, al» sie den Geliebten kennen gelernt hatte. Der Dorstadtverein hatte ein Gartenfest veranstaltet mit Kinder belustigungen und einem Balle. Frau Maurermeister Ringler hatte sie dazu eingeladen. Diese Einladung war ein Zeichen der Anerkennung für das bescheidene und anständige Mädchen. Es hatte in der Ausbesserung der Wäsche und bei der Her stellung von Kinderkleidern für die sprößlingsreiche Familie viel Fleiß und Sorgfalt bewiesen. Wie hatte sich Marie auf den Festtag gefreut! Es war das «rste frohe Ereigniß unter den wichtigeren Vorkommnissen in ihrem prosaischen Leben gewesen. Sie war noch nicht lange fort aus dem Heimathstädtchen im friedlichen Wiesenthale. Die Mutter war gestorben, die Wittwe eines Musikanten, der seiner Lebtage nur ein dürftiges Einkommen, aber einen desto größeren Durst besessen hatte. Kaum aus der Schule heraus, hieß es der Mutter im Nähen zur Hand gehen, von früh bis spät. So schmal die tägliche Kost auch war, so wollte sie doch erst verdient sein. Und so war die Zeit dahin gegangen. Sie stand im zwanzigsten Lebensjahr«. Eine Schöndelt war sie eigentlich nicht, aber die schlanke Gestalt mit dem blonden reichen Haarschmuck, die großen Augen und natürlich.' Ar.murd brachten ihr manchen bewundernden Männer blick ein Da «kard die Mutter plötzlich an einem Nevvenschlage. Der a'.de adgerackerte Leib wurde zur ewigen Ruhe bestattet. An einem frostigen Novembertage trug man sie hinaus. Die Stimmung der Natur paßte so recht auf dieses armselige Menschenschicksal. Ein Frauenleben voller Duldung und Ent sagung, das seinen Abschluß gefunden hatte. Marie erschauerte, als sie daran dächte. Dann war sie fn di« große Stadt gezogen. Sie fand Arbeit in einem der großen Confectionsgeschäfte, und als ihr wegen Beschäftigungsmangel gekündigt wurde, bot sich Gelegenheit als Hausnäherin in bürger lichen Familien. Eine Mart und zwanzig Pfennige für den Tag, neben freier Kost, mußten gerade hinreichen, um sich durch's Leben zu schlagen. Sie hätte es freilich leichter haben können. An ver führerischen Lockungen fehlte es nicht. Dem frischen, stets sauber gekleideten jungen Mädchen näherte sich mancher Herr, dessen Börse einen leichten Sieg davon zu tragen hoffte. Auch eine Heirathsgelegenheit hatte sich geboten. Der flotte Stein druckergehilfe, der mit im Hause wohnte, hatte wiederholt um ihre Hand gebeten. Aber er trank gern und der Alkohol Marie dachte an die Mutter, die oft bittere Zähren über des Vaters bösen Dämon geweint hatte. Eines Sonntags hatte es eine Schlägerei unter den Arbeitern gegeben, der Rausch steigerte den Zorn und es floß Blut. Vier Monate Gefängniß gaben dem jungen Manne hinlängliche Muße zur inneren Einkehr. Gerade an ihrem Geburtstage hatte man ihn verurtheilt. Sie war Zweiundzwanzig geworden. Als er freigekommen war, ging er in die Fremde. Er hatte sich aus Scham nicht wieder sehen lassen. Wieder waren Monate verstrichen. Marie war mit der Maurermeistersfamilie auf das Gartenfest gegangen. Sie fühlte sich geehrt, daß sie an der Veranstaltung eines „besseren" Vereins theilnehmen durfte. Ach, und wie köstlich war das Fest! Am Nachmittag der Kinderreigen und die Spiele, dann die Illumination beim Dunkelwerden. Hunderte farbiger Papier laternen glühten in feenhaftem Scheine. Das dunkle Grün der Bäume, in das sich schon di« Tönungey des Herbstes mischten, stach so traulich davon ab. Dazu die fröhlichen, schwatzenden Menschen! Die Herren meistens in dunklem Gesellschaftsanzuge mit Heller Cravatte, die Kinder und jungen Fräuleins in Weiß mit Bändern und Schleifen in zarten Farben, die Frauen in gediegenen Toiletten von ernster Pracht. Und erst der Tanz — Mariens Herz wollte schier zerspringen unter dem vollen Busen vor Stolz und Schreck, als d«r schöne Bautechniker sich mit ge sellschaftsgewohnter Eleganz von ihr «inen Lanz erbat. Si»
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