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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 19.10.1898
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1898-10-19
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18981019024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1898101902
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1898101902
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1898
- Monat1898-10
- Tag1898-10-19
- Monat1898-10
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In einem Telegramm der „Daily Mail" aus Alexandria beisst eS: „Alexandria ist der.Ort, wo der ganze Abschaum von Südeuropa und der Auswurf der Levante sich sammeln; es befinden sich dort viele Italiener, darunter eine Gruppe der gefährlichsten Anarchisten, die sich in Alexandria unbemerkt glauben. Sie haben aber alle dasselbe VersammlungSlocal, nämlich eine italienische Wcinkneipe niederer Gattung, und da, wie gewöhnlich, ein Angeber unter ihnen war, konnte der Polizeichef Harrington Bey alle Bewegungen der Anarchisten verfolgen. Der Führer der Bande ist der Casetier Ugo Parrini. Als derselbe vor den italienischen Consul gebracht wurde, versuchte er diesen anzusallen und wurde nur mit Mühe überwältigt. Da die Verhafteten Italiener sind, hat allein der italienische Consul das Verfahren gegen sie zu leiten, und dieser erhält seine Instructionen von Rom her. Er hat alle Dokumente in Beschlag genommen." Sind auch alle Verhafteten Italiener, so ist doch die Vermu- thung nicht abruweisen, daß auch andere „Propagandisten der That" an dem fluchwürdigen Plane betheiligt gewesen seien oder wenigstens um diesen gewußt haben. Bei der regen Ver bindung, welche die Anarchisten aller Länder unterhalten, ist eS jedenfalls wahrscheinlich, daß die ossiciöse Andeutung, die Fäden des teuflischen Planes reichten durch Europa, nicht auf bloßer Bcrmulhung beruht. Um so begreiflicher ist eS, daß von allen Seiten verlangt wird, eS solle mit dem inter nationalen Einschreiten gegen die Anarchisten endlich furcht barer Ernst werden, und daß die socialdemokratische Presse, die zwar die anarchistischen Blutthaten zu verabscheuen vorgiebt, aber um daS Schicksal der Tbäter sich zärtlich be sorgt zeigt, die amtlichen Mittheilungen über den Anschlag unterschlägt und sich den Anschein gicbt, „daS Ganze" für eine „plumpe Mache der internationalen Polizei" zu halten. Ueberraschen kann das, wie gesagt, nicht, über raschend aber ist die Plumpheit, mit der der „Vorwärts" seine angebliche Ansicht zu motiviren versucht. Er sagt nämlich, die italienischen Anarchisten hätten ja keinen be sonderen Grund gehabt, den deutschen Kaiser zu bassen. So kurz ist doch das Gedächtniß selbst der Leser des „Vorwärts" nicht, daß sie sich nicht daran erinnern sollten, daß Luccbeni gewiß noch viel weniger Grund gehabt hat, die kranke öster reichische Kaiserin zu bassen. Denn diese unglückliche Frau hat sich nie um Politik gekümmert, während Kaiser Wilhelm sich nie gescheut hat, sich als entschiedenen Feind der rotben Umstürzler zu bekennen. ES ist also sehr erklärlich und für den deutschen Kaiser sehr ehrenvoll, daß die anarchistischen Mordbuben ihn hassen. Wenn das der „Vorwärts" nicht zu begreifen vorgiebt, so ist das nur ein ungeschickter Versuch, die Empfindungen zu verleugnen, die ihn und seine Gesinnungs genossen mit den Anarchisten verbinden und die gerade in dem Versuche zur Entlastung der Mordgesellen sich enthüllen. Befremdlicher ist es, daß die dcutschfrcisinnige „Vossische Zeitung" sich den Anschein giebt, eine Polizeimache sür möglich zu halten. Sie giebt eine ihr au- London zugegangene Mittheilung wieder, wonach die ganze Verschwörung erfunden sein soll, um die Reise dcS Kaisers nach Egypten zu hintertreiben. Die Unsinnigkeit dieser Bcbauptung läßt sich leicht Nachweisen. Die Nachricht von der Verhaftung der Anarchisten in Alexandria ging am 15. October in die Welt, während bereits am 8. October bekannt wurde, daß der deutsche Kaiser die Reise «ach Egypten unterläßt. Es wäre also doch merkwürdig, wenn man eine völlig überflüssig gewordene Komödie hatte in Scene setzen wollen, eine Komödie, die doch immerhin gefährlich ist, weil sie aufgedeckt werden kann, und die, wenn sie aufgcdcckr würde, den Engländern recht theuer zu stehen käme. Denn bei der Art de-Z deutschen Kaisers, die den Engländern sehr wohl bekannt ist, würde er eS nie verzeihen, wenn man seine Person in einen derartigen Schwindel Hineinziehen wollte. ES erscheint fast unglaublich, daß ein Blatt wie die „Vossische Zeitung" einer solchen Mittheilung Glauben schenkt, und man kann als Motiv für ihre angebliche Leichtgläubigkeit nur an nehmen, daß sie in ihrem Doktrinarismus trotz Allem, was von den Anarchisten in der letzten Zeit geschehen ist, vor Maßregeln gegen den Anarchismus zurückschreckt. Es geschieht den Zeitungen, die die klerikale Presse wegen ihrer angeblich nationalen Haltung in der Protcctorats- srage gar nicht genug rühmen konnten, ganz recht, wenn sich die „Köln. Volksztg." über sie lustig macht und sagt: „Das Lob braucht uns nicht irre zu machen und wir brauchen uns gar nicht ängstlich zu fragen, wie Graf Caprivi, wenn ibm die Freisinnigen Beifall spendeten, ob wir vielleicht etwas Verkehrtes gemacht baden." Wie wenig tbatsächlich die nationale Gesinnung des Centrums über alle Zweifel er haben ist, ergiebt sich darcuiS, daß daS führende CentrumS- blatt erklärt, daß im Falle der Nichtwiederbeseyung des Ge- saildtschaftSposteiiS beim Vatikan ein scharfer Conflict zwischen den deutschen Klerikalen und der deutschen Regierung unaus bleiblich gewesen wäre. Krieg und Frieden mit dem Centrum hing also, waS wir von vornherein betont haben, lediglich von der Haltung des Papstes ab. Hätte der Papst den Nachfolger von Bülow's als ihm nicht genehm abge lehnt und wäre dadurch in der Besetzung bcö Gesandt schaftspostens rin längeres Vacuum eingetreten, so wäre die CentrumSpartei, zum Mindesten während der Zeit dieses „Interregnums", in schärfste Opposition gegen die preußische Negierung getreten. Die nationale Gesinnung des CentrumS ist also eine Gesinnung auf Kündigung, denn sie hält nur so lange vor, als eS dem Papste beliebt, den Waffenstillstand mit der deutschen Regierung zu verlängern; sobald er den Vertrag kündigt, fällt auch daS Ceutrum von der Regierung ab. Es ist ganz charakteristisch, daß die „Köl. Volksztg." in dem Artikel, in dem sie sich über die deutschen Officiösen lustig macht, den Papst nach Möglichkeit auS dem Spiele läßt und die Frage deS Protektorat« lediglich als einen Conflict zwischen Deutschland und Frank reich darzustellen sucht. Damit betont sie, daß sie nicht etwa gegen die Haltung deS VaticanS, sondern gegen Frankreich Stellung nimmt. Damit aber verrückt daS rheinische Blatt die Sachlage. Denn thatsächlich handelte eS sich bei dem Vorfall, der so viel Staub aufwirbelte, gar nicht um ein Vorgehen Frankreichs. Denn daö officielle Frankreich hat wenigstens in der Oeffentlichkeit seit längerer Zeit in der ProtectoratSfrage nichts von sich hören lassen, wohl aber hat das officielle katholische Kirchenthum durch den Mund seiner höchsten Persönlichkeit sich zu Gunsten des französischen ProtectoratS ausgesprochen. ES liegt unS natürlich völlig fern, die Sache der Franzosen führen zu wollen, aber es erscheint unS doch als unbillig, auf die Fran zosen loSzuschlagen, nur um den Vatican zu salvireu. Und wenn man, wie es die „Köln. Volksztg." thut, den Franzosen Renommirsucht und Eitelkeit vorwnft, so sollte man doch gercchterweise in den Vorwurf auch Denjenigen einbeziehen, der dieser Renommirsucht und Eitelkeit schmeichelt und dadurch die Entwickelung dieser schlechten Eigenschaften fördert. Nimmt man aber den Anstifter in Schutz und erklärt man, daß mau bei einem etwaigen Conflict deS Reiches mit dem Förderer der französischen Eitelkeit und Renommirsucht sich auf die Seite deS Letzteren stellen würde, so darf man es nickt, wie eS die „Köln. Volksztg." in dem erwähnten Artikel tbut, als ein Vorurtbeil bezeichnen, wenn die Gegner dcS CentrumS meinen, dieses besäße weniger nationalen Sinn und Vaterlandsliebe, als sie. Demi eine nationale Gesinnung auf Kündigung oder von Fall zu Fall, eine Gesinnung, die da sagt: „Wir sind national, wenn nicht —", eine Gesinnung also, die an eine Bedingung geknüpft ist und zwar an eine Bedingung, die, wie die Geschickte lehrt, keineswegs eine couckitio irrationalis zu sein braucht, eine solche Gesinnung ist, wie der Berliner sagt, „auch nicht die wahre Liebe". In Petersburg begleitet man die Orientreise des dentschen Kaisers mit nickt geringem Mißbehagen und zeigt sich über dieselbe noch besorgter, als in Frankreich und im Vatican. Man befürchtet, daß der materielle Erfolg der Reise zum Mindesten eine bedeutende Hebung deS deutschen Prestige» im Orient und dir Erlangung großer wirtbschaftiichcr Vorthcile sein werde. Sehr offen spricht sich darüber der Petersburger Mitarbeiter der „Pol. Corr." aus. Derselbe schreibt unterm 15. October: „In den politischen Kreisen Rußlands bildet augenblicklich die Orientreise des Kaisers Wilhelm II. einen Hauptgegen» stand des Interesses. Man geht hier von der Ansicht aus, daß diese Reise, insbesondere aber der Besuch deS deutschen Kaisers in Konstantinopel, jedenfalls für den weiteren Verlauf der Orientfrage nicht ohne bedeutsame Folgen bleiben werde. Diese haben sich schon bisher in der Annäherung der Türkei an Deutschland fühlbar gemacht und ihnen verdankt zum großen Thrile der Sultan die Reorganisation seiner Armee und in Folge derselben dir Kräftigung, die seine Herrschaft durch den Sieg über- Griechenland erlangt hat. Diese Stärkung wirb noch mehr hervor» treten, je inniger die Bande der Freundschaft und der Interessen werden, welche die Türkei und Deutschland verbinden und in der Begegnung der Souveraine der beiden Staaten einen prägnanten Ausdruck finden. Gegenüber den Meldungen, welche in einem großen Theilr des russischen Publicums und der russischen Presse Glauben finde«, daß Sultan Abdul Hamid an Deutschland einen syrischen Hafen etwa den von Jaffa, abtreten werde, verhalten sich die unterrichteten Kreise und namentlich die diplomatischen Kreise sehr skeptisch; so weit dürste die deutsch »türkische Entente wohl kaum ge deihen. Dagegen halten sich die bezeichneten Kreise überzeugt, daß Deutschland auf andere Weise große Bortheile erlangen werde, sprciell auf wirthschaftlichem Gebiete, insbesondere durch Eisenbahnconcessionen in Kleinasien. Gleichzeitig werde der Pomp, mit dem das Kaiserpaar durch die türkischen Ge biete reist, die Feierlichkeit des Empfanges in Konstantinopel und in Jerusalem auf die allezeit empfängliche Einbildungskraft der Orien talen einen großen Eindruck auSüben und diese Wirkung werde un fehlbar dem deutschen Volke zu Statten kommen, dessen Ansehen in den Augen der Orientalen dadurch sehr gehoben werden wird. Blos durch diese Reise wird vielleicht Kaiser Wilhelm II., ohne irgend welche materielle Opfer, eine Position im Orient erreicht habe», welche Ruß. land trotz unermeßbarer Opfer an Mensche» und au Geld, die eS zum gleichen Zwecke seit zwei Jabr- hunderten gebracht hat, nicht erreichen konnte. Nur diesem Grunde berührt es hier sehr unangenehm, daß Frankreich, da» gleichfalls so große Opfer zur Aufrechthaltuug seines Einflüsse» im Oriente gebracht, der trotzdem seit dem letzte» Bierteljahrhundert sichtlich schwächer geworden ist, jetzt in Gefahr ist, durch den mächtigen Druck, welchen die Anwesen- heit Wilhelm s 11. in Konstantinopel und an den heiligen Stätten ausübt, ihn noch weiter verringert zu sehen. Düse Verringerung würde vielleicht nicht bloS Deutschland zum Dortheüc gereichen, sondern indirekter Weise auch England, in Folge der Annäherung, die sich zwischen diesen beiden Mächten vollziebt. Daraus geht hervor, daß die französisch-russische Allianz nahe daran ist, eine ernste Schlappe im Orient zu erleiden, ohne daß die Umstände ermög lichen würden, da» Geringste gegen den even- tuellen Sieg der deutschen Politik erfolgreich zu unternehmen, dem sich zugleich der Bortheil Englands, deS un versöhnlichen Feindes Rußlands und Frankreichs, anschmiegt. Eine solche nichts weniger al» angenehme Perspective versetzt natürlich Rußland in einige Besorg« iß und beschäftigt es im hohe» Grade. Deshalb ist man in Petersburg sehr verstimmt und bc- unruhigt darüber, daß die Krise in der inneren Politik Frankreichs ins Unendliche in die Länge gezogen wird, wodurch die Thätigkeit auf dem internationalen Gebiete lahmgelegt wird. Tie Petersburger Journale erheben gegen da» Cabinet Brisson in bittere» Worten den Vorwurf, daß e», um sich zu erhalten, die Interessen und die Würde Frankreichs zum Opfer bringe, uod sie legen sich nicht einmal den Zwang auf, ganz offen den Wunsch nach einem baldigen Sturze dieses Cabinet» auszusprechen. Seit einigen Tagen werden insbesondere heftige Angriffe gegen den Minister de» Aeußereu, Herrn Delcassö, gerichtet, der beschuldigt wird, *r sei furchtsam, unentschlossen in der Behandlung der Faschoda-Frage, und man sieht voraus, daß die diplomatischen Verhandlungen über diese Angelegenheit unvrr- weidlich zu einer politischen Niederlage Frankreichs führe» werden, die dem russischen öffeUtlichen Geiste um so empfindlicher sein würde, als daraus auch England Bortheile ziehen würde, aus das man in Rußland stet» mit Argwohn blickt." Wir nehmen von diesen Auslassungen mit dem gehobene» Gefühle ressen Notiz, der früher aufzestanden ist, als seine Concurrenten, und ihnen einen erheblichen Vorsprung ab gewonnen hat/ Mit Genugthuung registriren wir auch das Eingeständniß, daß „nickt da« Geringste gegen den eventuelle» Sieg der deutschen Politik zu thun ist", und freue» unS der Beobachtung, daß die Verstimmung der maßgebenden russischen Kreise wegen dieser „Schlappe der russisch-fran zösischen Allianz im Orient" sich nicht gegen Deutschland, das sich ja auf einem durchaus friedlichen Eroberungszuge germanischer Thatkraft und Intelligenz befindet, sondern gegen Frankreich richtet, daS wegen der Verlotterung seiner inneren Verhältnisse die Wahrung seine» Ansehens nach außen völlig vernachlässigt. Die Anwesenheit deS russischen Außenministers Murawjew in Paris hängt zweifellos mit der durch die Orientreise.Kaiser Wilhelm » geschaffenen Lage zusammen. Möglicherweise stürzt daS Cabinet Brisson, da» die Revision Leirrlletsn. Die kleine Lulu. lüs Seeroman von Clark Russell. Nachdruck verboten. „Die Leute erlauben sich Freiheiten mit ihm, und der Mann, welcher Autorität besitzen soll, aber mit sich scherzen läßt, ist nicht nach meinem Geschmack. Der Einfaltspinsel soll mir keine Meuterei an Bord meines Schiffes großzichen, weil er nicht versteht, seine Fäuste zu gebrauchen. Können Sie astronomische Beobachtungen machen?" „Ja, Sir." „Haben Sie einen Sextanten?" Ich bejahte auch diese Frage, da ich das Instrument wirklich zufällig bei mir hatte. Wäre ich so glücklich gewesen, eine Heimath zu besitzen, würde ich es jedenfalls dort zuriickgelaffen haben. „Mit welchem Lohnsatz sind Sie geheuert?" fragte er, indem er seine Hand auf das Loggbuch legte. „Mit drei Pfund zehn Schilling monatlich." „Gut, Banyard erhält vier Pfund, und die sollen Sie auch bekommen. Ich erwarte, daß Sie stets anständig aussehen wer den, wenn Sie Ihren Dienst hier hinten thun, und verbitte mir alle ferneren Vertraulichkeiten und Späße, geschweige denn gar gegenseitiges Geschimpfe mit Ihren Maat»; sollte ich Sir je dabei erwischen, werde ich kurzen Proceß mit Ihnen machen." Sein Wesen war noch beleidigender als seine Worte. Ich biß mich auf die Lippen, um meine Aufwallung zu beherrschen, aber das Blut stieg mir denn doch zu Kopfe und ich blickte weg, damit er nicht die in mir kochende Wuth und ven Haß, der in mir aufstieg, in meinen Augen lesen sollte. Stolz ist an Bord eines Schifffrs eben nicht angebracht, und Zorn nützt dem Menschen überhaupt nirgends etwas. Auf See muß man die Dinge neh men, wie sie kommen. Ich wäre ein Narr gewesen, da» sich mir bietende Glück zu verscherzen, indem ich dem Capitain zeigte, welchen Eindruck auf mich die widerwärtige, verletzende Art ge macht hatte, mit welcher er für gut befand, mir seinen Antrag zu stellen. Nachdem er eine Bemerkung in das Loggbuch gekritzelt hatte, befahl er mir, nach vorn zu gehen, um Banyard zu ihm zu schicken. „Wo werde ich von jetzt ab mein Logis haben, Sir?" fragte ich. „Nun, natürlich im Deckhaus. Ich habe Ihnen gesagt, daß Banyard Ihren Platz einnimmt." „Der Koch ist keine paffende Gesellschaft für den zweiten Maat eines Schiffes wie dieses, Sir", wagte ich zu sagen. Er sah mich nach diesem Einwand stirnrunzelnd an, trotzdem aber fuhr ich fort: „Wenn ich die Leute beaufsichtigen und Autorität haben soll, kann ich nicht in engem Verkehr mit ihnen leben. Die Mannschaft wird dem Officier keinen Respekt bezeigen, den der Capitain nicht ehrt; kein Capitain aber, welcher seinen zweiten Maat ehrt, wird ihn zum Logisgefährten des Schiffskochs machen". Zu meiner Ueberraschung schien er hiervon betroffen zu sein; er sah mich mit einer Art an, die mir sein höfliches Benehmen im Hotel in Erinnerung brachte. „Nun wohl, Sie find «in Gentleman und können hier hinten leben. Es liegt Wahrheit in Dem, was Sie sagen, und nach Dem, was gestern vorgefallen ist, muß ich mich nach Unterstützung um sehen. Bringen Sie Ihre Sachen in die Backbord-Koje, neben der Dorrathskammer, und schicken Sie Banyard zu mir." Damit entließ er mich. „Welches mag ihre Cajüte sein", dachte ich im Stillen und fühlte, wie mein Herz klopfte bei dem Gedanken, daß ich von jetzt ab ihr nahe sein, am selben Tisch mit ihr sitzen, aller schmutzigen Arbeit Uberhoben und vor ihren Augen als der ge bildete Mensch erscheinen sollte, als welchen mich zu fühlen ich sicher mehr berechtigt war als der alte Windwärts. Am Lande, sagt man, steckt eine Frau hinter Allem, was geschieht; aber son derbar ist eS, dem weiblichen Einfluß auch am Aequator, in der Mitte des Atlantischen Oceans, zu begegnen, im Vordercästell einer kleinen Brigg zu hören, wie er die armen Theerjacken er füllt, sie unzufrieden macht mit ihrer Lage, die ihnen fortwährend die Kluft zeigt, welche ste trennt von dem Wesen, unter dessen Augen ihnen die Arbeit zur Lüft wird und für welches sie sich gern den Hals brxchen würden, wenn es ihnen zum Besten wäre. Ich ging nach vorn. Klein-Welchy und die Anderen sahen mich scharf an al» ich vorüber ging; wahrscheinlich hatten sie er wartet, mich mit einem blauen Auge und einer gebrochenen Nase zurückkommen zu sehen. Als ich in das Deckhaus kam, rüttelte ich Banyard in seiner Hängematte, denn hier gab es keine Pritschen, und rief: „Stehen Sie auf, Banyard, der Schiffer will Sie in seiner Cajüte sprechen." Sein wetterhartes Gesicht fuhr auf, wie von einer Sprung feder in die Höhe geschnellt. „De Schipper raupt mi, seqgst Du? Wat is all wedder lot?" „Wenn Sie unschuldig daran sind, brauchen Sie sich nichts daraus zu machen." „Brauchen Sie sich nichts daraus zu machen? — So, wat fall dat bedüden?" schrie er. „Es soll heißen, daß, falls der Schiffer denkt, Sie hätten ver sucht, das Schiff anzubohren, Banyard, so könnte das Ihnen gleichgiltig sein, vorausgesetzt, daß nicht Suds und der alte Sam beschwören, sie hätten Sie mit einem Stangenbohrer nach unten gehen sehen", antwortete ich, und ging eilig hinaus, um nicht in Lachen auszubrechen; denn nie hatte ich etwas Komischeres ge sehen, als Pendel's erschrockenes Gesicht. Er stürzte fort, noch ehe ich das Vorderdeck erreicht hatte, um sich möglichst schnell zu rechtfertigen. Angesichts seiner Absetzung ihn noch so zum Besten zu haben, war eigentlich grausam; auf See wird man aber leicht herzlos. Mit Hilfe von Scmn, dem Koch, brachte ich meine Kiste nach meiner Koje im Hinterdeck; darauf kehrte ich zurück, um mein Bettzeug zu holen. Die Mannschaft ging kurz vor acht Uhr zum Frühstück und jetzt war es beinahe so spät. Alles war deshalb auf den Beinen, und die Wache auf Deck, welche mit Scheuern fertig war, kam eilig herunter, um Neues von mir zu hören und zu erfahren, warum ich meine Kiste nach hinten geschafft hätte. „Ei, Jack is tweiten Maat worden", schrie Blunt, als Ant wort auf Suds' Frage. „Banyard iS afsett un kümmt för Jack tau uns; 't is en gauten Sprung, dat is 't, ik segg äwer nich, dat Jack sik nich för so 'n Posten schicken däd." „Ik hop, Du wardst Di nich gor tau sihr upspeelen", murrte der alte Sam. „Du weitst, wo dat dauht, bi kein Mlltz vull Wind, blot taum Tiedvertrieb, in 't Takelwark hrrüm Handtieren tau möten. Ik hrw schon erlebt, dat einer vörnam worden rS dörch so 'n Wechsel, äwer ik kann nich seggen, dat ik vel dorvon Hollen däd." „Nun, Maat», laßt mich mal sprechen", sagte ich.' „Ich habe nichts dazu gethan, daß ich zweiter Maat geworden bin. Nennt es nicht Beförderung! Dies ist kein Kriegsschiff. Wär« ich statt dessen Koch geworden, so würde ich Kupfer putzen müssen und auch nichts dazu sagen. An Bord muß man eben thun, was einem, befahlt« wird. Sam wird natürlich knurren, aber laßt ihn keinen Unsinn schwatzen. Es liegt doch wahrhaftig nichts Großes darin, ein Vordercästell zu verlassen, um zweiter Maat einer so kleinen Brigg zu werden." „Jack ist ein Gentleman", mischte sich hier Deacon «in, „und ik will doch leiwer ihn taum Vörgesetzten hebben, as einen un wissenden Zimmermann." „Wer seggt denn, dat hei kein Gentleman is", brummte der alt« Sam. Is äwer etwa en Gentkman wat beteres ? De Schipper näumt sik seter ok en, un dorbi is hei blot so 'n Ort Schinner- knecht." „Aewer Sammy, up weck Sid drückt Di denn hüt de Leber", schrie Klein-Welchy. „Mi fall de Diiwel Halen, wenn ik nich glöw. Du ärgerst Di blot, dat Oll-Windwärts nich in 't Vördrr- castell verfett worden is. Mi dücht, de ganz Sak kümmmert uns nicks; 't is nich dat irst Mal, dat hei Maat is, un wenn hei blot mal Oll-Windwärts in en dustern Nacht äwer de Sid schubbsen will, denn will ik giern üm de ganz Welt mit em segeln." „Ich nehme keinen Abschied von Euch", setzte ich meine unter brochene Rede fort, „denn es könnre dahinten einen Zank geben, der mich, ehe zwölf Stunden vergehen, wieder hierher zurück führt. Bleibe ich aber hinten, so soll Euch niemals «ine hilfreiche .Hand bei einem schweren Stück Arbeit fehlen, und wenn ich den Änderen auch keine besseren Manieren beibringen kann, so sollt Ihr Euch dock über die meinigen nicht zu beklagen haben. Daß Ihr mir meine Pflichten nicht schwerer machen werdet, als sie wahrscheinlich ohnedies schon sein werden, das hoffe ich von Euch." Nachdem ich diese schönen Worte gesprochen hatte, schulterte ich mein Bettzeug und ging in mein neues Logis. — Ich brauchte nur wenig Zeit, meine neue Koje einzurichten. Ich borgte mir von dem Koch einen Spiegel, und da ich ver- muthete, ich würde Miß Franklin beim Frühstück treffen, so machte ich aus mir, wie Jack es elegant bezeichnet: „einen regu lären, aufgedonnerten, polirt«n Stutzer". Glücklicher Weise für meine Eitelkeit war die Reise nock kurz und inrine Kleidung in Folge dessen noch ziemlich gut. Meine Narrheit ging so weit, daß «s mich einen Kampf kostete, meine Weste nicht mit meiner Uhrkette zu schmücken, aber ich fürchtete zu sehr des Maats boshaftes Auge. Daher steuerte ich klar von Juwelenschmuck und beschränkte mich auf den einfachen Anzug von: schwarzer Hose, Lootsen-Jacke und ivehendem, seidenem Halstuch. Es war jetzt acht Glasen; ich ging dgher hinauf, um ven Maat abzulösen. Er starrte mich mit häßlichem Grinsen an, und nachdem er mir den Cur» de» Schiffe» angegeben hatte, < fragte er mich, wo ich meine Mahlzeiten einnehmen würde.
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