Suche löschen...
02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.01.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-01-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18990104027
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899010402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899010402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-01
- Tag1899-01-04
- Monat1899-01
- Jahr1899
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
De-ugr-Pre» ß"«st«lle» ,h,«h,ltr vstr«rlstchrlich^!4«, ki »MdMi«r Bgltcher gustellu», iu- H««>rLLL Durch die Ho- b»zo«a für Toutfchioud und Oesterreich: vierteljährlich 6.—. Dtrrcte tägliche Krruzbandieuduug H>»>kvV»chlMr»che nschetM «, '/,? Uh«, Hst »«d^sturgab« «ochenwß» «» k Uh«. UeLartrs» «ad Lnr^tts«; ---»»eh««-« s. Die Lrveditio» ist Wochentag» »««uterbroche» ^ösfiet »o» früh 8 bi« Übend« 7 Uhr. Fiti-le«: VttO -kem«'» Porti»». (Alfred Hahn), AutversitSt-ftraßr S (Panltv«»^ e-»i« Lösche, Rathorinen-r. 14, pari, und KSnigSplitz 7. 7. Abend-Ausgabe. MpMer TagMM Anzeiger. Amtsblatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Nathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. Mittwoch den 4. Januar 1899. Arrzeigeu-Prei- Ne Sßespaltme Petttzeile -0 Pf-. »rclamea unter dem AedarttonSstrich (4ar» spaüe») Ü0ch, vor de, K<untli»»o«chrichte» («grspoU«) 40ch. Größer« Schriften laut unserem Pwis« verzelchuiß. Tobellanscher nnd Zissrrnfatz »ach höhe«» Tarif. -rtr«-Beilagen (ges«l»t), vnr mit de, Livrge».Ausgabe, ohne Poftbeförderunr ^tl 60.—, mit Postbesörderung 70.—. Annahmeschlut für Anzeigen' Abend-Ausgabe: vormitisg« !0 Uhr. Morgen »Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Lei de» Filiale» und Annahmestellen je eia« halbe Stunde früher. Anreizen find stet» au die Expedition zu richte». Druck und Verlag von E. Volz in Leipzig. S3. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Lechzt», 4. Januar. Der parteipolitische und der rein geschäftliche Lärm über die Ausweisungen au» Nordschleswig haben diesmal die Einkehr rechter AefttagSruhe verhindert. Selbst den sonst gegen die öffeutlichen Angeleaenheiten Gleichgiltigen war die Leistung der vom „Bert. Tagebl." aufgestachelten Herren Blell und Jakobi zu viel, ja sogar klerikale, also in natio naler Hinsicht nicht uberempfiudlicheBlätter schließen sich der — um mit dem vornehmen EugeitRichter zu sprechen — „Claque" an, dir da» Benehmen der grnannten Trefflichen „würdelos" findet. ES ist in der Thal «ine Schande, die auf ganz Deutschland fällt, aber irgendwelche politische Bedeutung kommt ihm nicht zu. Die große Mehrzahl des deutschen Volkes billigt die Ausweisungen und wir glauben, daß selbst Herr Richter sich nicht lange bei dem Circular seines Fractionsgenossen Blell aufhaltrn wird, wenn eS, wie nicht zu zweifeln, im preußischen Abgeordnetenhaus« zur Sprache kommt, wo, wie rin freundlicher Officiöser versichert, r» auch sonst nicht an GrmülbSbewegung fehlen wird. Einstweilen bejchäftigt sich da» Publicum vorzugs weise mit der gänzlich unpolitischen Action der Perleihung de» höchsten preußischen Ordens au den Maler Adolf Menzel und der Einsührung einiger deutscher Bezeichnungen in die Hrere-sprache. Beide Ent schließungen finden, vielleicht von etlichen Herren de« Adels und alten Herren de» OfficirrstandeS abgesehen, vollen Bei fall. Dem Borgehen de» Obercommando» bei der Ver- deutschung von Fremdwörtern ist gerade das nachzurühmen, was rin Berliner Blatt an ihm bemängelt: die Beschränkung aus wenige Aenverungen und die Beibehaltung de« allerdings nicht durch deutsche Herkunft au-gezeichneten „Leutnant". Sprach liche Neuerungen greifen in dem Heere au» begreiflichen Ur sachen nur sehr langsam Platz unv um so langsamer, je zahl reicher sie sind; seldit die Anrede „Capitain" ist, obwohl die amtliche Bezeichnung schon sehr alt, »och gar nicht so lange gänzlich ausgestorben. Und wa» das Wort „Leutnant" an geht, so ist e» — und nicht nur bei der nichtdienst pflichtigen Hälfte der Bevölkerung — so populär wie die Sache, die e« bezeichnet, und würde allen Ausrottung«- versuchen gespottet haben. Erfreulich ist eS dagegen, daß der „Premier" dem Oberleutnant Platz gemacht hat. Bayern, das sich die neuen Ausdrücke ohne Zweifel aneignen wirb, kommt dadurch, sowie durch die Einführung de» „Fahnenjunkers" unddieUmwandlungde-„Portep4e-FähnrichS" >n einen rein deutschen „Fähnrich" wieder zu Worten, die bi« nach 1870 dort im Gebrauch waren. Auch Sachsen wird es nicht als einen Rückschritt erachten, wieder, wie ehedem, die Bezeichnungen „Leutnant" und „Oberleutnant" zu gebrauchen. Wie berichtet wird, soll auch der Ver kehrssprache eine kleine Verdeutschung in Aussicht stehen durch Vie Schreibung „Scheck" für „Check". Auch dies wäre zu be grüßen, noch mehr aber eine gründliche Reinigung des von überflüssigen Fremdwörtern noch wimmelnden Reichstag»- deutsch. Freilich sündigen hier — mit der Regierung — nicht nur Geschäftsordnung, „Präsidium" und „Bureau", sondern auch die Zeitungen. Hoffentlich entfällt künftig wenigsten« da» Wort „Frequenz" zur Bezeichnung de« — schlech ten Besuche» im Reichstage, unv wird, nachdem der Abgeordnete Rechtsanwalt undNotar Fable in Schwiebu» sein Nichterscheinen sozusagen programmatisch sestgelegt hat, durch den Ausdruck „Fahlerei" ersetzt. Bei einer Anwesenheit von 60 bi» 80 Abgeordneten — dergleichen kommt ja auch vor — würde es also heißen: „Die Fahlerei ist gering", während bei einer unter vier herabgehenden BesuchSziffer von einer beträchtlichen Fahlerei berichtet werden müßte. Es ist doch, von der Sprachreinbeit ganz abgesehen, verständiger, den Ausdruck nach ter Regel festzusetzen, anstatt nach der Ausnahme. Die klerikale Presse bestreitet jetzt, daß auf dem Delegirtentage der bayerischen Centrumspartei beschlossen worden sei, gegen jede Erhöhung der Militairlasteu zu stimmen, und fügt hinzu, bei jener Cvnferenz sei über haupt die Militairvorlage ebensowenig berührt worben, wie die Errichtung des bayerischen Senats in Berlin. Obne Sorge wegen einer oppositionellen Haltung de» bayerischen Flügel» namentlich gegen die Militairvorlage ist aber die nichlbayerische klerikale Presse augenscheinlich nicht, denn die „Köln. VvlkSztg." glaubt es nöthig zu haben, den bayerischen Freunden folgendermaßen inS Gewissen zu reden: „Die bayerischen Mitglieder der EentrumSpartei deS Reichstages werden e» in dieser Beziehung sicher nicht ander- halten, wie ihre Fractionsgenossen aus den anderen deutschen LandeStheilen, das heißt, sie werden sich nur aus Grund der Prüfung des gesammten Material« entscheiden, frei entscheiden, wie es ihr Recht ist. Sicher wird man innerhalb der Fraktion die Angelegenheit nicht in einer Weise behandeln und anstragen, daß daraus eine Gefahr für den Bestand der Partei erwachsen könnte. Wenn die Marinevorlage eine solche Wirkung nicht gehabt hat, warum sollte die Militair vorlage Dynamit sür den „CentrumSthurm" werden?" Die „Germania" fängt eS ander» an, die Oppositions stimmung deS bayerischen Flügels zu beschwichtigen, unv zwar genau so, wie wir eS vorauSsahen. Sie bringt ihm Vie kirchenpolitischen Anliegen deS gesammten Centrums in Erinnerung, stellt ein energisches Eintreten der CenlrumS- leitung für diese Forderungen in Aussicht und geht in letzterer Hinsicht der Fractioa mit gutem Beispiel voran. In einem au die Adresse der „Nordd. Allg. Ztg." gerichteten Artikel sagt nämlich die „Germania": „Im Uebrigeu aber müssen wir der „Nordd. Allgem. Ztg." be- merken, daß die „Erinnerung an alte Kämpfe" weder bei der Centrum-fraction noch bei der EentrumSpartei im Reiche und in Preußen erloschen ist und erlöschen kann, bevor nicht die Kampf gesetze, deren Fortbestehen diese Erinnerung an alte Kämpfe Tag für Tag wieder inS Leben ruft, beseitigt sind. Es ist die Schuld der Regierung, daß die- noch nicht geschehen ist, daß sie der Aushebung de« Jesuitengesetzr» oder wenigstens deS 8 2 de« Jesuitengesetze», welche «ine überwältigende Mehrheit des Reichstag« vom Grafen Limburg-Stirum bi» Singer angenommen hat, noch nicht zugestimmt hat; Schuld der Regierung ist es auch, daß sie die Rest« der Maigesrtz«, welche „dir Waffen auf den Fechtboden niedrrlegen" sollen, noch nicht beseitigt hat." Damit wird zugleich der Regierung angedeutet, waS sie ihrerseits zu thun habe, um die Oppositionsgelüste der baye rischen Klerikalen zu ersticken. Wie aber die Letzteren erst „Bezahlung" werden sehen wollen, bevor sie zu Leistungen sich entschließen, so wird hoffentlich di« Regierung erst Leistungen sehen wollen, bevor sie zu Zahlungen sich herbei läßt. Ucbrigen« wird die Militairvorlage ohne den baye rischen Flügel ebenso durchgehen, wie die Flottenvorlage durch gegangen ist. Und wenn dabei 80 bayerisch-klerikale Abgeord nete gegen die Vorlage stimmen, 30 weitere CentrumSstimmen dadurch zur Herstellung de« Gleichgewicht« nöthig werden und nur der Rest der Fraction ausschlaggebend für das Gesetz wird, dann wäre eine Belohnung de» ganzen Centrums mit Einschluß der bayerischen Opposition eine Handlung»- weise, für die man schwer die rechte Bezeichnung finden könnte. DaS Bulletin über die französisch-englischen Beziehungen lautet fortgesetzt: Sie kaffen viel zu wünschen übrig. Ueberall, in West- und Central-Afrika, in Cbina, in Neufundland, stoßen englische und französische Interessen aufeinander. Gerade die seit einiger Zeit fast in Vergessenheit gerathene Neufundland-Frage wurde, wie schon erwähnt, dieser Tage in ziemlich auffälliger Weise von einem großen russischen Blatte als ein neuer Zankapfel zwischen Frankreich und England bezeichnet. In Petersburg verfolgt man eben die französisch-englischen Beziehungen mit besonderer Auf merksamkeit. Sachlich wäre zu dieser Frage zu bemerken: Frankreich hat auf der Insel St. Pierre (13 Meilen südlich von Neufundland) in Verletzung deS Versailler Vertrages, nach welchem die genannte Insel al» friedliche Zufluchtsstätte französischer Fischer dienen soll, Befestigungen angelegt und damit in England Anstoß erregt. Schon im vorigen Sommer bat die englische Admiralität ein Schiff nach St. Pierre gesendet, um die französischen Befestigungen in Augenschein zu nehmen. ES stellte sich heraus, daß die Franzosen an drei Puncten der Insel Batterien errichtet und daß sie außerdem auf der Insel gewaltige Vorräthe aller Art von Waffen haben. Wie weit die Franzosen der Insel eine strategische Bedeutung beilegen, kann man daraus schließen, daß zwischen Frankreich und St. Pierre vor Kurzem ein Kabel gelegt worden ist. Die Fischerei bei Neufundland ist nicht nur eine Quelle deS Reich- tbumS für die französischen Colonien und für da» Mutter land selbst, sondern sie dient auch als ausgezeichnete Vor- bereitungSschule für künftige französische Matrosen. Oefler wird in der französischen Presse die Insel St. Pierre da» „Gibraltar der neuen Welt* genannt und ihr eine besonder wichtige Bedeutung beigelegt, weil Frankreich, wenn es dir Insel beherrscht, die Verbindung Englands mit Canada empfindlich stören kann. Die englische Regierung ist augen scheinlich entschlossen, Frankreich in der gegebenen Frage zu einem entscheidenden Schritte herauszufordern. Bis jetzt ist dies nickt gelungen, und darum hat sie dazu gegriffen, die französischen Schmuggler auf St. Pierre aufs Strengste zu verfolgen. Die „Contemporary Review", ein angesehene» Londoner Blatt, enthält einen Aufsatz über die Schlacht von Om- durman und die -ampfeswetse »er Engländer aus der Feder deS Kriegscorrespondenten der „Westminster Gazette" E. N. Bennett. Nach seinem Bericht waren viele von den begangenen Grausamkeiten nicht nöthig, sondern ent stammten reiner Mordlust. Die auf dem Schlachtfeld ver wundeten Derwische wurden bekanntlich nach dem Siege obne Ausnahme von den Sudanesen niedergemetzelt. Zur Entschuldigung wurde seiner Zeit angeführt, daß so etwa» in einem Sudanfeldzuge nölbig sei, da der verwundete Derwisch noch gefährlicher sei, als der uuverwundete. Bennett bebauptel jetzt aber, daß auch unbewaffnete, ohnmächtige Derwische obne Unterschied nicht nur von den egyptischen schwarzen Truppen hingemordet wurden, sondern daß auch britische Soldaten an dem Gemetzel theilnahmen, „wie es hieß, gemäß dem Wunsche de» commandirenden Generals". Dem Troß wurde erlaubt, unter den Augen de» britischen General» zu plündern und zu morden. Dem Gemetzel auf dem Schlachtfeld« folgte die drei tägige Plünderung der Stadt Omdurman. Ueberall sab man mit Beute beladene Gruppen von Soldatrn auf den Straßen stehen. „Am 4. September kam ein Araber in mein Zelt und sagte mir, daß die eingeborenen Soldaten seine Frau und seinen kleinen Sohn mit Gewalt nach ihrem 4 englische Meilen entfernten Lager ge schleppt hätten. Mein Diener erzählte mir, daß einer feiner Freunde von einem sudanrsiiscken Soldaten erschossen wurde, weil er ihm nicht einen Geldbeutel geben wollte. Britische Truppen schossen mit Marim'schen Geschützen in eine flüchtige, in einen Knäuel zusammengedrängte Menge von Nickt- combattanten, Männer, Weiber und Kinder hinein. Die furchtbare Waffe mähte sie zu Dutzenden nieder." Man darf gespannt sein, welche Widerlegung der Aussatz, welcker die von englischen Zeitungen und Staatsmännern so ost und viel gerühmte Humanität in ein eigenthllmliche» Licht rücki von amtlicher Seite erfahren wird. Es heißt, er werde im Parlament zur Sprache gebracht werden. Ueber die Neuordnung der Verhältnisse auf Kreta wird uns auS Canea berichtet: Der zwischen dem P rinzen Georg und dem Präsidenten de» bisherigen National- ausschusse» Sphakianaki» entstandene Gegensatz bat folgenden thatsächlichen Untergrund: Sobald die Ad mirale dem NationalauSschuffe die Berufung deS Prinzen Georg amtlich mitgetheilt hatten, ließ Sphakianakis in vertraulicher Weise sowohl bei den Admiralen, al» auch in Alben anfragen, ob die Verwaltung deS Prinzen sich in parlamentarischen Formen, d. h. unter ständiger Mit wirkung der kretischen Nationalversammlung vollziehen werde. In diesem Falle solle noch vor der Ankunft de» Prinzen die frühere allgemeine (au» Christen und Mubamedanern be stehende) Nationalversammlung wieder zusammrntreten, uni unter Führung de- engeren NationalausschuffeS deu Prinzen als berufene Vertretung des gesammten kretischen Volkes zu empfangen. Natürlich würden dann beide Körperschaften auch weiterhin unter dem prinzlichen Commissar in AmtStbätigkeit geblieben sein. Die Admirale erklärten, jedoch, daß die Wieterberufung de» alten Landtage» vor dem Erscheinen de» Prinzen nicht angehe, da hierdurch der von diesem zu schaffenden Ver waltungsorganisation vorgegriffen werde. Es solle daher auch der engere Nationalau-sckuß nur bi- zum Eintreffen de» Prinzen im Amte verbleiben, um dem Letzteren die von dem Ausschüsse bisher innegehabte Amts gewalt übergeben zu können. Auch Prinz Georg bedauerte im Vorau», keinerlei Verpflichtung betreffs Einberufung de» Landtages eingehen zu können, da er sich in dieser Frage nach den Wünschen der Großmächte zu richten habe und diese bisher darüber noch keine Entscheidung ge troffen hätten. Diese Auskunft rief begreiflicher Weise unter den bi»berigen Führern der Kreter einige Verstimmung hervor, und wenn dadurch auch die Freute über die Berufung des Prinzen nicht verringert wurde, so war man doch ent schlossen, die Einberufung de» alten oder eine» neuzuwählenden Landtage» al- erste unerläßliche Vorbedingung für die weitere Organisationsarbeit zu fordern. Und da man dem Prinzen nicht die Gelegenheit geben wollte, den bisherigen National ausschuß zu verabschieden, so löste sich derselbe acht Tage vor dem Eintreffen de« Prinzen selbst ans und legte die ihm übertragenen Machtbefugnisse in die Hand Vr« gesammten kretischen Volke« zurück. Dieser Schritt batte damals in Athen recht peinlich berührt. Nachdem nun der Prinz ein getroffen war, versuchte derselbe wiederholt Sphakianaki» zum FrnrHeton. A Onkel Wilhelm'- Gaste. Roman von A. von der Elbe. Bt.chdruck vrrSotm. Man schob den Eßtisch in die Ecke, warf den Teppich hinterher und der Ballsaal war fertig. Frau von Gelbach setzt« sich an« Pianino. Sie »«rfllgte über eine große AuKvahl von Musikstücken, aber die sinnige Melodie: „Hop, Marianchen, hop, Marranchen, laß da« Kindchen tanzen", nach der sich zur Roth eine Franchise abhüpfen ließ, vermochte sie unermüdlich zu trommeln. Wendelin von Wendelstein zog «in Paar dunlelrothe Hand schuhe an und knickte, wi« im Ballsaal« Vie Hacken zusammen schlagend, vor Nella zusammen. „Ja, recht gern!" rief sie vergnügt, „aber die Schwälbchen müssen auch mit, di« können'« ja jetzt so wunderschön." Sie lief hin und holte di« b«id«n schüchternen Kinder au« ihrer Eck«. „Sin Paar von un» tanzt ihnen gegenüber, wenn die Reihe an sie kommt." Kurt fordert« natürlich Valetta auf, und da» Auge der Mutter glänzte. Gi« schlug besinnung»lo» auf die Tastrn und sah halb umgewandt der Jugend zu. Auch Bärmann begeisterte sich mehr und mehr. Seine kleinen in Fettpolstern halb verborgenen Augen schimmerten von Grog und Vergnügen. Er klopfte mit Händen und Füßen den Tart, zum Glück nicht allzu laut. Al» aber die Franyaise zu Ende war und die Hau»frau sich nach ihrem Gast umsah, war «r sanft eingenickt. Sie stellte sich vor ihn, um ihn dem Blick dn Urbrigen zu entziehen, nannte sein«n Namen und fing an, in ihrer liebevollen Weise mit ihm zu vlaudern; allmählich ermuntert« er sich, murmelt«: „Ja, ja — 6oä cknmn! komme schon", und war endlich wieder wach. Die Herren brachen auf. „War wieder recht nett bei Ihnen, Frau Majorin", sagte Därmann gnädig. „Mag so 'wa» höll'sch gern, Mahlzeit." Dann ging er. Nella verabredete sich mit ihrem Bruder für morgen auf« Ei», und der Referendar bat, sich anschließen zu dürfen. Er beschloß bei sich, diesem anmuthigen fröhlichen Mädchen zu Ge fallen sein« vernachlässigte Kunst de» Schlittschuhlaufen» wieder HsrAvrHUfUchsn. Während die Mutter ihr verwöhntes Töchterchen zu Bett brachte, räumte Nella mit dem Mädchen auf. „Mama", sagte Valeska gähnend, „findest Du Wendelstein nicht auch sehr fein?" „Recht artiges Männchen, jawohl. Aber Dein lieber Detter Kurt, Kindchen, der immer so herzig gegen Dich ist, sollte Dir doch besser gefallen?" Die jungen Leute gingen die Königsstraße hinunter, sie hatten sich ihre Eigarnn angexündet und beschlossen, noch ein Glas Bier mit einander zu trinken. Als sie sich im Caftz gegenüber saßen, fragte der Referendar: „Sagen Sie 'mal, lieber Rusteberg, dieser alt« Afrikaner, ziemlich vulgairer Kerl, he? Wie kommt Ihre Frau Tante zu dem Verkehr?" „Ist ihr Hausherr, ein ganz gelungener Kau- und hat die nicht gerade unang«nehme Eigenschaft, Besitzer von ein paar Milliönchen zu sein." „Na ja, auf zweifelhaften Weaen zusammengerafftes Geld, wie?" meint« Wendelstein achselzuckend. „Erlauben Sie 'mal; der Alt« hat gewiß tüchtig gearbeitit. Tüchtig und mit Verstand. Die gebratenen Tauben fliegen be- kanntttch heutzutage nirgends mehr umher. Warum soll man nun nicht Fleth und tüchtig« Leistungen, auf allen Gebieten, auf d«n«n man sie findet, respectiren? Wa« ist denn irgend eine« Mensch«» Vermög«» Anderes al» die kryfiallisirt« Arbeit eine» Vorfahren?" ,Hst mir doch lieber, ttxnn da» Erwerben ein paar Jahr hunderte zurückliegt." „Un» sollt'« auch wohl schwer fall«»." „Gilt auch nicht sür anständig." „Mr brächten'« nicht fertig. Di« Herren Vorfahren, Raub ritter und Eonsort«n, haben einfach zuaegrifsen." „Darüber liegen anständig« Schleier. Wer mag in alten Lhroniken wiihkn? Frisch erworbene» Geld hat etwa» Degoutante», Schmutzig««!" ri«f Wendelin wegwerfend. „Die Wendelstein« sollen schlemm gewesen sein, haben schauderhaft gewegelagrr^." D«r Referendar lochte: „Hätten sie '« nur noch mehr gethan. Auf meinen Zweig ist leider nicht vi«l gekommen. Aber, wa» ich sagen wollt«, Ihre Fräulein Schwester reizende jung« Dame!" „Ja, sie ist «in gut«» und verständige« Kind." Man traf sich von nun an ost auf dem Eis«, verabr»d«t« sich für'» Theater, sah sich in Gesellschaften, sowohl bei Frau von Sel bach, di« einen einsamen Abend zu Hause für verloren hielt, al« auch b«i gemitasa«u«n Bekannten. Der erste Eindruck, den Wendelstein von der neuen Cousine empfangen hatte, wurde bei jedem Wiedersehen ernster und tiefer, allein Nella'S unbefangen« Natürlichkeit schnitt jeden Versuch zu zärtlicher Sentimentalität ab. Sie schien mit allen sich ihr nahenden Herren gleich gern zu plaudern und zu tanzen und war gar nicht geneigt, sich von dem Vetter in Beschlag nehmen zu lassen. Valeska zeigte sich filz jede Annäherung des Referendars viel dankbarer, ihr imponirte feine geckenhafte Art, sie fand ihn über aus vornehm und anziehend. Auch Kurt gefiel ihr, gewiß, und seine Schätzung als dereinstigen Majoratserben hatte sie von der Mutter gelernt. Jedoch beide junge Männer kamen ihr nicht näher. Kurt flatterte als vergnügter Ballschmetterling von einer Blum« zur anderen. Alle Zeit, welche die Reitschule ihm ließ, schenkte er der guten Gesellschaft. Er war ein beliebter Vor tänzer, «in stets frischer, gut aufgelegter Plauderer, hi«lt schöne Pstrlde unid hatte einen großen Zuschuß, den er aber nicht ver- aeudete. Spiel, Gelage, schlechte Gesellschaft lockten ihn nicht. DaS Sumpfen und Liederlichsein stießen ihn ab. „Wozu?" fragte er sich, „w«nn'S mir doch 'mal keinen Spaß macht. Bin doch aus gutem Hause und nur an anständige Menschen gewöhnt. Weshalb sich da» Leben versalzen und verpstffern? Es ist ja ohne alle jene Reizmittel so schön." So blieb er gesund, für zartere Eindrücke empfänglich und leicht erfreut. Wat di« Kameraden dazu sagten, ob einer hier oder da mit Achselzucken flüsterte: „er ist nicht zu brauchen", oder ob man ihn mit seinem Siigbolzraspeln neckte, meinte, er würde in der Fülle seiner Cotillonorven «rsticken und nach seine« hundertundzehnten Eroberung fragten, da» focht ihn Alle» wenig an. Er war eben Keiner von Denen, der den großen Gänsemarsch d«r Anderen mitmachen mußte, er ging seinen Weg für sich, that frank und frei, wa« ihm gefiel, und anständig war daS immer, wa« er machte und g«rn that. Drillet Capilef. Der Oberst außer Dienst von Wendelstein hatte für seine groß« Familie eene Parterrewohnung in Waldhausrn gemiethet. Er war hier so nah« der Stadt, daß er seine noch schulpflichtigen Kinder sticht hinrinschicken und im Nothfalle di« Straßenbahn benutz«« konnte. Hier lebt« er billiger und zurückgezogener, al« die» in einem großen Orte, wo et Kameraden und allerlei Rück sicht«» gab, hätte geschehen können. Der Frühling war gekommen. In dem vernachlässigten Vor gärtchen de» im Schweizerstil von billigem Material aufgeführten HauseS, in dem di« Wendelstein« wohnten, schoß es frisch uns grün aus trockenem Laub« hervor. Auch der Wald hinter dem Hause begann schon einen grünen Anflug zu bekommen. Die Sonn« schien hell und eine belebende Wrrdrtraft lag in der reinen Luft. Es war gegen Mittag, au« dem Walde hervor kamen zwei junge Mädchen, beide schlank, rothhaarig, mit feinen Gesichtern voll Sommersprossen. Die Jüngere sehr lebhaft und beweglich die Andere sanft, zierlich und ruhig. „Findest Du nicht, Jutta", sagte die Jüngere, Muntere, „daß Papa in letzter Zeit viel menschlicher ist al» sonst?" „Wie Du wieder redest, Adelheid!" „Ja, ja, menschlichrr! Im Allgemeinen ist er ja wie ein Wolf oder Löw«, der brüllend umgeht, wen er verschlingen möge." „Papa hat seine Sorgen. Mama so viel leidend, Vie un- enden Mittel und wir Alle, für die es langen soll." a, Du hilfst doch." „Sprich Nicht davon, die Eltern dürfen'« doch nicht merken und wie wenig bringt da«!" „Du bist eine Dame Krösu» gegen mich!" „Thue doch auch etwa«." „Ja, wenn ich Dein« Geduld und Dein Geschick hätte!" Die Aeliere der beiden Fräulein von Wendelstein wandte sich dem Hause zu. „Also unweigerlich wieder an d«n Stickrahmen?" rief Adelheio kläglich. „Ja, ich muß." Ein Viertelstiindchrn später saßen sie in dem geräumigen Eß und Wohnzimmer der Familie; Jutta stickt« eifrig und Adelheid schaukelte sich auf der Seitenlehne de« verbrauchten alten Divans. Sie hatte sich mit beiden Händen angefaßt, ließ die Beine nach außen hlnunterhängen, trommelte manchmal mit den Hacken gegen da« zerrissen» Polster und schwatzte vergnüglich: „Du Biedere, Musterkind, w«ißt Du nicht, wa« ich anfangen könnte?" „Hier steht rin Korb voll furchtbar zerrissener Strümpfe zu stopfen." „Scheußlich, solch« Zumuthung! Ach, ick wollte, ich wär« ein Junge. Bei un« ist r« so, al» wenn man eine Hand voll Erbsen und Linsen durcheinander wirft. Die Erbsen, da» glückliche Jungensdolk, rollt hinaus in» Leben und wir armen Linsen, wir liegen platt fest." „Wenn Du nur thun wolltest, wa» Dir zukommt, Deine Hände rühren."
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite