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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.10.1899
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1899-10-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-18991005028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1899100502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1899100502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1899
- Monat1899-10
- Tag1899-10-05
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5»8. Die Morgen-AuSgabe erscheint n» '/,? Uh«, dir Abend-Ausgabe Wochentags um 5 Uhr. Ae-action und Erveditio«: JohanniSgafle 8. ^i« Expedition ist Wochentag- ununterbrochen geössnet von früh 8 bi- Abend« Uhr. Filialen: ttt» Klemm'- So.tim. (Alfred Hahn), Univcrsitätsskraße S (Paulinuui/. Louis Lüsche. Gatharinrnstr. 14. part. und N-ntgsvlatz 1. BezuW-PreiS I« der Hauptexpedition oder den tu» Stadt bezirk und den Vororten errichteten Aus gabestellen abgeholt: vierteljäbrlich ^>4.50, bei zweimaliger täglicher Zustellung ins Haus 5.50. Durch die Post bezogen für Deutschland und Oesterreich' »ierteljädrlich 6.—. Directe tägliche Kreuzvandiendirng ins Ausland: monatlich 7.50. Abend-Ausgabe. MMerTaMait Anzeiger. Knitsölatt -es Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes und Nolizei-Ämtes -er Ltadt Leipzig. AnzeigeU'PreiS die 6 gespaltene Petitzeile 20 Psg. Neclamrn ualer dem Redactionsstrich (4g* spalten) 50 ^j, vor den Familieunachrichte» (6 gespalten) 40/^. Gröbere Schriften laut unserem Pmis- vrrzeichniß. Tabellarischer und Ziffernsa» »ach höhere« Tarif. Ertra-Veilage« (gefalzt), nur mit de» Marge».Ausgabe, ohne Postbeförderung ^4 SO.—, mit Postbeförderung ^l 70.—. Ännghmeschlnß für Anzeigen: Abeud-Au-gab«: vormUtags 10 Uhr. Morgeu»AuSgabe: Nachmittag» »Uhr. Lei den Filiale» und Annahmestelle» je «ta« halbe Stuade früher. Anzeige» sind stets au di« Expedition z» richten. Druck und Verlag »»» E. Volz i» Setp»i» Donnerstag den 5. October 1899. 83. Zchrgang, Politische Tagesschau. * Leipzig, 5. October. Wenn die „Kreuzzeitung" und ihre Hintermänner, als sic von ibrer eben so plötzlich abgebrochenen wie begonnenen Miquclhctze zur Verdächtigung des Fürste« Hohenlohe zu rückkehrten, von der Absicht geleitet worden wären, den ultra montanen Gegnern de» Bicepräsidenten de» preußischen Staatsministeriums Wasser auf die Mühle zu leiten, so hätten sie ihren Zweck erreicht. Die „Germ ania", die ganz genau weiß, daß die Haltung der preußischen Conservativen und besonders der beamteten Mitglieder des Abgeordneten hauses an keiner Stelle so verstimmend gewirkt bat, als au der höchsten, und daß die Maßregelung dieser Beamten von keiner Stelle so nachdrücklich gefordert worden sein kann, als von der, die sich zur zeitweiligen Verbannung der canal- gcgnerischeu Mitglieder der Hofgesellschaft entschloß, weiß auch, daß sie Herrn v. Miquel den übelsten Dienst erweist, wenn man ihm in die Schube schiebt, sich „hinter dem Rücken der Krone" mit den Canalgegner „arrangirt" zu haben Und mit diesen Gegnern gegen den Fürsten Hohenlohe zu intriquiren. Und diesen Dienst leistet die „Germania" Herrn v. Miquel, wie zu erwarten war, mit Wonne. So giebt sie sich den Anschein, ganz genau zu wissen, wie die sogenannte „FriedenSconferenz" sich gestaltet habe: Mir haben bereits mitgetheilt, daß die Friedenscouferenz in den Nedactionsräumen der „Kreuzzritung" am Mittwoch Abend stattgefunden hat. Die „Kreuzzeitung" hat dies nicht in Abrede gestellt. Die beiden Delegirten zur FriedenSconferenz, von denen einer dem Herrn v. Miquel näher steht, hatten zu ihrem Bedauern den Lhcsredacteur der „Kreuzzeitung", Herrn Nbg. Prof. Kropatschck, nicht anwesend getroffen. Aber da die Sache drängle, hielten sie mit einem anderen Herrn von der „Kreuzzeitung" eine längere Confcrenz ab, deren Niederschlag in der kurzen Rückzug-» notiz in der Morgennnmmer der „Kreuzzeitung" vom Donnrr-tag zu erkennen war. Nachdem die FriedenSconferenz in den Redaction»- räumen der „Kreuzzeitung" beendet war, wurde auch die „Deutsche Tageszeitung" authentisch verständigt, so daß auch diese noch am Mittwoch Abend den Rückzug antreteo konnte, Vas freilich io minder geschickter Weise geschehen ist, als in der „Kreuzzeitung". Und ferner unterstellt die „Germania" Herrn v. Miquel, daß er dem gestern von uns mitgetheilten Artikel der „Cons. Corr." und dessen Angriffen auf den Fürsten Hohen lohe nicht fernstehe. Zugleich wird die Beschuldigung wieder holt, er sei eigentlich, indem er die Preßtbätigkeit deS Frei herrn v. Zedlitz duldete, der an der Ablehnung der Canal vorlage am meisten schuldige Theil, waS die von ihm wieder versöhnten Conservativen nunmehr zu vertuschen suchten: „Fürst Hohenlohe war in seinen bezüglichen Mahnungen ein offener und ehrlicher Mann, während die Conservativen in ihrer Opposition gegen die Canalvorlage in Herrn v. Miquel einen geheimen Freund der Fronde erblicken mußten, und zwar umsomehr, als Freiherr v. Zedlitz-Neukirch sie zum Festhalten an der unbedingten Oppsitionsstellung verleitet hat. Niemand hat glauben wollen, daß dieser Freund de- Finanzministers, dem noch während der Canalcampagne die Beförderung zum Ser- handlungsprüsidenten zu Theil wurde, ohne stillschweigende Zustimmung von Miquel selbst in der Opposition ge standen habe, und nur deshalb sind die politischen Beamten in dec Opposition geblieben. Die „Conservative Correspondenz" drückt sich auch jetzt noch daran herum, ob die conservative Partei demnächst für die Canalvorlage stimmen werde. Dafür sucht sie dieselbe in Rominten als Anhänger der „Sammlung-Politik", de» „Bielefelder Programm»" und de» „Kampfe- gegen den Umsturz" comprnsationSweise in empfehlende Erinnerung zu bringen, indem sie zugleich dem Herrn v. Miquel nach dieser Richtung hin ein ausdrückliche- Vertrauensvotum »rtheilt, während ein verhüllte» Mißtrauensvotum gegen den Fürsten Hohenlohe unschwer au- den beiden Au-lossungen der „Conser vativen Correspondenz" herau-zulesen ist." Wessen Geschäfte die „Cons. Corr." mit ihrer neuesten AngriffSschwrnkung besorgt hat, wird das conservative Organ nun wohl inne werden, und vielleicht wünscht rS jetzt im Stillen, man möge an höchster Stelle auf alle Partei treibereien nicht daS geringste Gewicht legen. Wenn übrigens an dieser Stelle der Unmuth gegen die canalgegnerischen politischen Beamten nickt nur, sondern auch gegen ihre früheren politischen Instruktoren wächst, so ist da» kein Wunder. WaS die Letzteren versäumt haben und welcher Geist infolge dessen in einem Theile des Preußischen Beamten- thumS sich entwickelt hat, geht aus einem „offenen Briefe" hervor, in dem der Landtagsabgeordnete Regierungspräsident z. D. von Colmar seinen Wählern in den Kreisen Filebne, Czarnikau und Kolmar auf eine Anfrage mittbeilt, daß er sein Mandat nicht niederlegen werde, und auf die ihm für seine Haltung gegenüber der Canalvorlage zugegangenen Dank schreiben Folgende- antwortet: Ich habe allerdings in voller Uebereinstimmung mit den Inter essen und Wünschen meines Wahlkreise- — meinem Eide gemäß nach meiner freien Urberzeugung ohne Aufträge und Instructionen, wie eS die allseitig beschworene Verfassung ausdrücklich vorschreibt, abgestimmt. Es erscheint deshalb auch gänzlich ausgeschlossen, daß ich jetzt, wie eS in zahlreichen mir zugegangenen Zuschriften irrthümlicher Weise zum Aus- druck« kommt, wegen dieses meines Votums in den einstweiligen Ruhestand versetzt wäre. Denn die in Preußen von den Ministern sowie von allen anderen Beamten und Abgeordneten gleichmäßig beschworene Verfassung besagt mit klaren Worten, daß Abgeordnete für ihre ALsttmmargen .nicmal» zur Rechenschaft gezogen", geschweige denn bestraft werden können. ES muß de-halb immer wieder nachdrücklich hervorgehoben werden, daß die Zur- dispositionsstellung derjenigen politischen Beamten, welche gegen die Canalvorlage votirt haben, nicht wegen ihrer Abstimmung erfolgt sein kann, sondern au» anderen ihnen nicht mitgetheilten Gründen vorgenommen sein muß. Am Schluß de» offenen Briefe- erklärt Herr v. Colmar, daß er bei seiner Muße fortan „noch eifriger und besser seine parlamentarischen Pflichten werde erfüllen können". DaS beißt also, daß Herr v. Colmar trotz alledem und alle dem ein Gegner des Canal» bleibt. DaS socialdemokratische „Hamburger Echo" bekämpft sehr lebhaft die „Neutraltfirung der Gewerkschaften", die sich gegenwärtig auf Grund der im letzten Friidjahr gefaßten Beschlüsse in der Schweiz Hu vollziehen beginnt. Das ge nannte Blatt ist höchlich darüber entrüstet, daß Vertreter ter schweizerischen katholischen Organisationen z. B. die Ab schaffung von Festlichkeiten mit nicht-neutralen Festreden, da» Eingehen der socialbemokratiscken Zeitung und dafür die Herausgabe eines GewerkschaftSblatteS, Vie Entfernung social ¬ demokratischer Parteischriften auS den Bibliotheken der Ge werkschaften und AehnlicheS fordern. „Die Socialdemokralen müßten Idioten sein oder politischen Selbstmord begeben wollen, wollten sie diese dreisten Forderungen erfüllen" — ruft da» „Hamburger Echo" auS. Wenn da« Hamburger Blatt sich mit solcher Lebhaftigkeit gegen die neue Bewegung innerhalb der schweizerischen Ge werkschaften richtet, so liegt diesem Vorgehen die Absicht zu Grunde, nach Kräften vorzubauen, daß in Deutschland ähnliche Strömungen sich breit machen. Man weiß auf Seiten der socialdemokratischen Partei sehr gut, wie gern ein zur Zeit allerdings ganz geringer Bruchtheil der Gewerk schafter da» schweizerische Beispiel nachahmen möchte. Vor Allem ist e» das Organ deS Buchdruckerverbände-, also eine» der stärksten deutschen Arbeiterberufsvereine, der „Correspondent", der die Loslösung der Gewerkschaften von der socialdemokratischen Partei betreibt. Der „Correspon dent" bemerkte in dieser Beziehung jüngst u. A. daS Nach stehende: „Die Utopistereien, Kladderadatsch-, Verelendung-. und Zu sammenbruchstheorien, die Prophezeibungen und Sichtwechjel aus den ZunkunstSstaat, die lähmende Behauptung, daß innerhalb der gegenwärtigen Wirthschaftsordnung nichts für die Arbeiter erreicht werden könne, haben bis heute ihre zersetzende und demoralisirende Wirkung auch auf die Gewerkschafter geäußert, und wenn derartiger Unfug — sagen wir einmal von „oben" herab — heute nicht mehr getrieben wird, desto fester sitzen derartige Theorien bei den zum Nachdenken nur wenig geneigten Massen und werden noch von ge wissen „Führern", denen selbst wirthschaftliche und politische Er ziehung noththut, immer noch gepredigt." Die „gewissen" Führer, von denen der „Correspondent" hier spricht, werden sich auch auf dem bevorstehenden hanno verschen Parteitage wortreich genug vernehmen lasten und eS aller Voraussicht nach durchsetzen, daß die vom „Correspon- denten" sichtlich bevorzugten „Ketzereien" Bernstein's von der socialdemokratischen Orthodoxie verworfen werden. Tie socialdemokratische Partei setzt eben nach wie vor alle Kräfte daran, die Arbeiterbewegung zur Parteisache im Sinne deS revolutionären SocialiSmus zu machen. So lange gegen diese- Ve-Haltcn von den Berufsvereinen nicht anders al- ganz vereinzelt mit Worten protestirt wird und so lange Gewerkschaftsführer und socialdemokratische Parlamentarier vielfach ein und dieselbe Person sind, darf die den Gewerk vereinen gegenüber zu befolgende Politik nicht Bahnen ein schlagen, welche der Stärkung deS socialdemokratischen Ein flusses dienstbar gemacht werden könnten. Wenn man zu einem richtigen Urtheil über die Bedeutung deS Streiks in Erenjot kommen will, darf man nicht über setzen, daß der AuSstand unter den dermal- obwaltenden Umständen kein Streik gewöhnlichen Schlage- ist, dem man mit den landläufigen Mitteln und Mittelchen erfolgreich zu Leibe rückt, sondern daß er seiner Entstehung wie seinem Umfange und den in ihm wirkenden Kräften nach eine wahr hafte sociale Krise darstellt, welche den tiefen Ernst der inneren Lage Frankreichs grell beleuchtet. DaS Creuzot bildet recht eigentlich den Schlußstein im Aufbau der metallurgische» In dustrie Frankreichs, ihr Rückgrat nn Kampfe mit dem Wett bewerbe deö Auslandes. Ohne die mächtige industrielle Organisation deS Creuzot würde die französische Industrie der meiallurgischen Branche sehr bald von den Riesen- Etablissements in Deutschland, England und Amerika über holt werden, deren sprunghafte- WackSthum den unaufhalt samen, im Geschwindschritt sich vollziehenden Vormarsch erkennen läßt, in welchem die Industrien der ge nannten Concurrenznationen auf der ganzen Linie begriffen sind. Auf die Leistungen des Creuzot setzt deshalb auch die französische Eisenindustrie ihre höchsten Erwartungen für die Vertretung ihrer Gruppe auf der nächstjährigen Pariser Weltausstellung. Gerade weil die Socialdemokratie das weiß und sich überzeugt hält, daß die französische Regierung auf diese Cbance ibrer Ausstellungs politik unter keinen Umständen verzichten kann, glaubt sie, durch ihre jetzigen Streikintriguen einen unwiderstehlichen Druck auf das Ministerium und vermittelst diese» auf den Besitzer der Werke, Schneider, üben zu können. Sie übersieht aber, daß Schneider von der Gesammtbeit der Arbeitgeber moralisch unterstützt wird, weil diese fühlt, daß er nur daS erste Opfer des socialdemokratischen StreiklerroriSmus sein und mit seinem Unterliegen auch daS Schicksal aller anderen industriellen Unternehmer besiegelt sein würbe. ES ist also ein zweischneidiges Manöver, welche- von den Hetzern in Creuzot in Scene gesetzt worden ist, und auch die Negierung dürfte e» sich noch mehr al» einmal über legen, ob sie durch offene Parteinahme für die Streik propagandisten einen Präcedenzfall schaffen soll, dessen Folgen sich ihr selber al- kaum minder verhängnisvoll zu erweisen drohen, wie den industriellen Arbeitgebern und Capitalisten. Wie unS aus Creuzot telegraphfich gemeldet wird, schlug in der gestrigen Versammlung der Ausständigen der Abgeordnete Viviani vor, die Negierung zum Schieds richter zu wählen, indem er daran erinnerte, daß Loubet im Jahre 1893 zur Zeit des AuSstandeS in Carmaux den Glasarbeiterstreik geschlichtet habe. Die Versammlung nahm Biviani'ö Vorschlag an und wählte sieben Delegirte für die weiteren Schritte. Der achtziaste Geburtstag LriSpt'S, den der große Staatsmann gestern in Palermo beging, ist für ihn ein Tag hoher Ehrungen geworden, ein Beweis dafür, daß er noch kein abgethaner Mann ist, wie seine Feinde, deren er eine Unmenge hat, glauben zu machen suchen. Geboren in jenen Tagen, da daS Sehnen der besten Männer Italiens dabin ging, an Stelle der Kleinstaaten auf der Apennin halbinsel einen Einheitsstaat zu errichten, war CriSpi schon als junger Mann rin eifriger Anhänger dieser Ideen und schloß sich eng an Mazzini an. Seine Ueberzeugung war, daß der stärkste nationale Staat Italien» daS Banner ergreifen, daß daS Land nur unter der Führung PiemontS sich den Weg zur Einheit babnen könne. So machte er denn im Jahre 1859 kurz entschlossen seinen Frieden mit Piemont und König Victor Emanuel 1. und nahm im folgenden Jahre an jenem denkwürdigen Zuge der 1000 gegen Sicilien Theil. Wie CriSpi in den folgenden Jahren stet» in den vordersten Reihen Jener stand, die für Italiens Macht und Größe eintraten, wie „Italien bi- zur Adria" seine Losung ward, daS gehört der Geschichte an. Erwähnung grthan sei hier nur noch jener kritischen Tage in den Sommermonaten deS Jahres 1870, als gewisse Parteien in Nom den Anschluß an Frankreich dringend forderten, wogegen CriSpi sich mit aller Wucht wendete und die ärgsten Drohungen auSstieß für den Fall, daß man dennoch mit Napoleon gehe. In der Folgezeit hat CriSpi vielfach den Haß und die Mißgunst der Parteien erfahren müssen; er wurde mehrmals durch seltsam zusammen gebrachte Oppositionen gestürzt, aber immer, wenn daS Vater land sich in Nolh befand oder schwierige Aufgaben der ver- Feuilleton. Auf freien Sahnen. 4j Roman von Rudolf von Gottschalk. ei-lddiuck vkriotk». Nachdem der Baron seine „Klette", wie er Clara bisweilen nannte, von sich abgeschüttelt, wandte er sich galant dem kleinen Gast aus dem Schulhaus« zu, er hatte wenig Anlaß, sie für voll anzusehen, und diese verkümmerte Weiblichkeit erregte in der Stille sein Mitleid. Auch daß sie mehrere Prüfungen bestanden hatte, impcmirte ihm werter nicht, nach seiner Ansicht gab's nur ein großes Staatsexamen für das Weib, die Liebe — und dazu konnte Eulalia ja kaum zi.ngelassen werben. Doch gerade, um seine geringschätzige Ansicht zu verbergen, war «r besonder» höflich gegen sie, und er gefiel sich in allerlei khörichten Galanterien. War er doch überzeugt, daß 'das vielgeprüfte Mädchen,das Alles sehr ernst nehmen würde, etwa wie «in Eskimo weib oder eine jüngere Hottentotten, wenn er ihre körperlichen Vorzüge rühmte. „Ein Glas Rothwein wär« mir willkommen nach dem Ritt — stoßen wir an! Auf 'Ihr Wohlsein, Fräulein Momer!" „Du kommst spät", versitzt« Clara, di« nach dem ersten Rausch des Wiedersehens im ihre kritttige Stimmung verfiel. „Der Graf ließ mich nicht lo», ich mußt« zu Tisch bleiben. Freilich vermißt' ich unser gemächliches Souper. Die Gräfin hatte heute ihren fürstlichen Lag, da sitzt sie auf dem Throne und verlangt Huldigungen — da» ist nicht mein Geschmack. Ich liebe das bescheidene Veilchen, da» Blümchen Wunderhold — darum sind wir auch so gute Freunde, Fräulein Eulalia!" „Und was hast Du gekauft?" „Lassen wir doch diese wirchschaftlichen Dinge, e» ist lang weilig! Uebrigons habe ich noch nicht» gekauft, doch die Ma schinen sind sehr brauchbar, wir können sie «richt entbehren; e» giebt indeß andere Dinge, von denen «vir plaudern können, süßere Dinge, mein Schatz! ES wäre ja zum Verzweifeln in der Welt, wenn es nur Geschäfte gäbe." Eulalia wollte nicht länger stören; sonst plaudert« sie oft bi» Mitternacht mit der Barontn; doch wenn der Baron au»nahm»- weise Abends einmal zu Hause war, da trat sie bei Zeiten ihr«» Rückzug an. „Wir begleiten Si« noch durch den Park", sagte der Baron, „es ist «in schöner Abend! Di« Nachtigallen singen." „Doch sind schon einigt von diesen Vögeln eingegangen, die wir früher verpflegen ließen", versetzte Clara. „Ich liebe nicht die Massenconcerte", sagte der Baron, „eine einzige Virtuosin ist mir lieber als ein ganzes Chor! Solch' «ine Nachtigall ist ein« Primadonna — sie will allein gehört werden. Alles Schöne wird als ein Singleton ausgespielt; eine lange Farbe zu haben, ist nur ein« Beruhigung für den Plebs." Sie wandelten durch den Park — Clara hing am Arme de» Gatten und sah bisweilen zärtlich und innig zu ihm empor. Da kam ein -Obevknecht mit der Meldung, «in Pferd sei im Hohlweg gefallen, der neulich getauft« Schimmel, und hab« sich so beschädigt, daß «r getödtet werden müßte. Aornesröthe überflog das Gesicht des Barons, er machte mit der Reitpeitsche «ine ungeduldige Bewegung. „Ich will sehen, wer daran Schuld ist", sagt« «r, Clara's Arm loSlassind, „auf Wiedersehen, Fräulein Blomer." Er hat «in zu hitzige- Temperament, dachte dies«, ich möchte ihm jetzt nicht in dm Weg kommen; Clara aber drückte ihr zum Abschied di« Hand. „Vergiß dm Rechtsanwalt nicht — ich habe eher keine Ruhe, bi» ich weiß, wo ich mein gutes Recht suchen und findm kann. Nachdenklich blickt« Eulalia der zum Schloß zurückschreitm- den Gutsherrin nach. „Seltsam — sie liebt ihn untd will doch gegen ihn processirm. Mr Menschen sind doch complicirt« Wesen, besonders wir Frauen. Auch ich ertappe mich oft auf dm wunderbarsten Widersprüchen. Da» muß in unserer Natur liegen." Drittes Capitel. DaS benachbart« Städtchen amnuihig gelegen, <nn Fuße einer Bergkette, in derm Schluchten und an deren Hängen sich mehrere dichtbevölkerte Dörfer hinaufzogm, hatte sich ein neues Rathhau- gebaut — und da» war «in Glück für die reiseiiden Künstlergesellschaften, denen der große, aber etwas verfallen« Saal de» alten Rachhause» zur Verfügung gestellt wurde. Da wurde eine stattliche Bühne hineingebaut, und es konnten mehrere Plätze und Ränge für da» Publicum eingerichtet werden. Da» Städtchen war von zahlreichen Rentier», perlstonirtm Officievm und reichen Familien, dir sich au» der Großstadt zurückgezogen, bewohnt, und da außerdem in den Riesendörfern ringsum zahlreiche Fabrikbesitzer und auch sonst vermögende Grundbesitzer wohnten, so war ein solvente» und gMkdete» Thmterpublicmn vorhanden, und r» lohnte sich, daß die Schau- spieleraes«lischest der Großstadt in dm S»mmrrf«ri«n hier «in« lange Reih, von Vorstellungen gab. Dai Hau» war immer gut besucht und das Publicum sehr beifallslustig, während die Abonnenten in der Großstadt sich selten befriedigt zeigten, und ein gelangweiltes Publicum sich nur dann zu lebhaftem Beifall aufraffie, wenn irgend eine gefeierte Künstlerin oder «in Stück, das sich eines von der Zeitungspreffe ausposaunten Ruhme- erfreute, auf der Bühne erschien. Heute wurde „Die Waise von Lowwod" von der Frau Birch- Pfeiffer gegeben; das etwas ältliche Stück der guten Bühnen mama sand in der Provinz noch immer zahlreiche Anhänger. Die Jane Ehre spielte eine junge Darstellerin mit vielem Feuer und vielem Beifall ein Fräulein Rosalie Minden, ein Theater kind; der Vater spielte Anmelderollm und half gelegentlich die Stühle mit auf di« Bühne tragen; das ausgehende Gestirn der Tochter erhellte sein dunkle» Leben. Unter den Zuschauern befand sich auch der Jnspector Bär mann mit seiner Tochter Alice; nur aus das Zureden des Herrn Hugo Trams hatte er sich zum Besuch dieser Vorstellung herbei gelassen; denn er dachte sehr gering von dem ganzm Bühnen trödel, und selbst wmn einmal ein lustiger Schwank gegeben wurde, war er einer der undankbarsten Zuhörer; er hatte zu viele ernste Ding« im Kopf, um sich an diesem Schnickschnack zu ergötzen und daS Lachen war überhaupt nicht seine Sache. Ganz ander» Herr Hugo Tram», der ein großer Freund des Theaters war, und welchem der Komiker auf der Bühne das fröhlichste Lachen ablockte. Als früherer Besucher einer land- wirthschaftlichm Akademie hatte er auch für dos Poetisch« großes Derständniß; das wird zwar dort nicht gelehrt, aber unter seinen Studiengenoffen gab «» zahlreiche Dichter. Eine solche Auf führung in der Stadt vor einem gewählten Pübkicum hatte für ihn aber noch besondere Reize. Hier konnte er seine ewigen Wafferstiefsln au»ziehen, in städtischer Eleganz erscheinen und so auf seine geliebte Alice nicht blo» den Eindruck solider Tüchtigkeit machen, sondern auch den einer fernen Bildung. So war er auch an diesem Abend so fashionable und weltmännisch, wie irgend möglich; sein wohlgenährtes Gesicht glänzte vor Behagen, und er hatte eS sich nicht nehmen lassen, den Platz neben Alice zu behaupten, so daß er ihr während der ganzen Vorstellung theils sinnige, theil» witzige Bemerkungen zuflüstern konnte und außer dem die Genugkhuung hatte zu sehen, wie diese Annäherung von Stadt und Land ringsum beobachtet wurde. Bisweilen blickte der alte Bärmonn seitwärt», und wenn Alice bei solcher be zaubernden Nachbarschaft ein verdrossene» Gesicht gemacht hätte, so würde sie noch vor dem Schlafengehen darüber eine ernstliche Strafpredigt erhalten haben; doch Alice sah freundlich und an geregt au», mehr von den Vorgängen auf der Bühn« al» von den Bemerkungen ihres Nachbars. Nur wenn der Vorhang gefallen, war es ihr sehr peinlich, daß das Publicum Zeit fand, sich auch mit ihr zu beschäftigen. Sie saß mit dem Vater und Herrn Trams der Bühne gegenüber, doch gab es auch Seitenplätz«, von denen aus nian sowohl die Bühne als auch Vas Publicum m's Auge fassen konnte — und auf einem dieser Plätze saß Timotheus, der sich um Jane Ehre und ihre böse Tante und den grillenhaften Lord Rochester gar nicht kümmerte, sondern keinen Blick von Alice und Hugo Trams verwandte. Nach dem Vorspiel war eine große Pause — man drängt« sich an das Buffet, das in einem Nachbarsaal aufgestellt war. Hier konnte auch Timotheus sich seiner geliebten Alice nähern — und es gelang ihm, während Hugo Trams, der verhaßte Mitbewerber, von einigen bekannten Herren und Damen „gestellt" war, für Alice am Buffet eine erquickende Limonade herbeizuschaffen; ja, einig« Minuten lang behauptete er ganz allein das Terrain; der alte Bärmann war von Vater Trams, der sich auch verspätet eingefunden, in ein wirkhschaftliches Gespräch verwickelt worden. Ein vielsagender Blick, ein herzlicher Dank — das konnte Timotheus entschädigen für alle die Pein, die er empfunden, als er die Beiden, die sich nach des Vaters Willen zeitlebens ange hören sollten, in so traulicher Nachbarschaft gesehen. „Und wie gefiel Ihnen das Vorspiel?" „Es hat mich sehr aufgeregt; ich fühle etwa» in mir, was diosem Trotz der Jane Eyre verwandt ist, der sich dagegen sträubt, nach fremdem Gebot ihr Leben einzurichtcn; Alles erzitterte in mir bei ihren Worten, und ich war so hingerissen, daß ich auf's lebhafteste Beifall klatschte." „Und Fräulein Minden?" „Ein herrlicher Trotzkopf! Das muß schön sein, so auf der Bühne zu stehen und zündende Wort« in'» Publicum zu schleudern, und während man eine fremde Gestalt darstellt, so sein eigenstes Wesen auszuspielen. Da fühlt man gewiß erst, was man in sich trägt; ich beneide Fräulein Minden um diese Jane Eyre." Jetzt traten Bärmann und Trams wieder Hera» und sie be merkten mit Verdrossenheit, daß der junge, „interessante" Schul lehrer, wie ihn die Gutsherrinnen und GutStöchter der Nachbar schaft zu nennen pflegten, nachdem ihn Frau von Siebeneck so über die Taufe gehoben, ihre Entfernung benutzt batte, um sich hinter ihrem Rücken zuAlice hinzuschlängeln; sie erwiderten seinen Gruß nicht sonderlich freundlich und fanden es ganz in der Ordnung, daß er sogleich bei ihrer Annäherung da» Feld räumte. Alice blickte während der folgenden Acte des Stückes ganz ver träumt auf di» Bühn« — diese Jan« Eyre, diese» Fräulein
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