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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 07.02.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-02-07
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010207024
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901020702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901020702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-02
- Tag1901-02-07
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Nmlsblatl des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Nathes und Volizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. ^°7V. Donnerstag den 7. Februar 1901. Anzeigen. Prei- die 6 gespaltene Petitzeile LS Reklame« unter dem RedactionSstrich s4 gespalten) 7b L,, vor den Familienunch richten (6 gespalten) 50 Ls. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungeu und Osfertenannahme 25 H (excl. Porto). Ertra Beilagen (gefalzt), nur mit de« Morgen-Ausgabe, ohne Poslbesörderung 80.—, nlit Poslbesörderung 70.—. Iinnatfmelchluk für Änzeigen: Abend-AuSgabe: Vormittag» 10 Ubr. Morgen-Ausgabe' Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je ein« halbe Stund« früher. Anzeige« sind stet» an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet oou früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in LeiLziG. 95. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die Gefechtsstärke der englischen Armee. Nach der „Inter. Revue" besteht das englische Heer in Süd afrika gegenwärtig aus 84 Bataillonen Infanterie, 21 Batail lonen berittener Infanterie (zu 4 Compagnien), 17 Reiter- Regimentern, 9 Batterien reitender Artillerie, 45 Batterien Feld-, 2 Batterien Gebirgs- und 3 Compagnien Fußartillerie, 10 Feld-, 7 Feftungscompagni-n Genietruppen, einer berittenen Genrecompagnie, 2 Compagnien Pontonniere, 20 Bataillonen Miliz und 20 Bataillonen Jeomanry. Außerdem ist noch eine Anzahl nicht fechtender Truppen vorhanden. Bei der Be rechnung der Stärke nehmen wir bei der Infanterie für das Bataillon 600 Gewehre an, eine Zahl, die erfahrungsgemäß nur bei den Gardetruppen überschritten worden ist. Sämmtliche andere Bataillone der Fußtruppen betraten während des ersten Ab schnitts deS Krieges die Grenzen der Boerenstaaten mit weniger als 600 Gewehren. Bei der Reiterei war in dieser Zeit der Pferdebestand sogar auf 200 für das Regiment herabgesunken. Wenn wir hier also 400 annchmen, so wird das das Höchstmaß bedeuten. Wir gelangen dann zu folgenden Ziffern: 84 Batail lone Infanterie, 50 400 Gewehre; 21 Bataillone reitende In fanterie, 8400 Gewehre; 20 Genie-Compagnien, 3000 Gewehre; zusammen 61 800 Gewehre Gefechtsstärke; ferner 17 Reiter-Regimenter, 6800 Säbel; 56 Batterien, 336 Ge schütze. Hinzuzufügen ist noch die Miliz und die Neomanry; letztere als Reiterei verwandt, ergiebt etwa 8000 Säbel, die Miliz gegen 10 000 Gewehre. Rechnet man noch etwa 5000 Gewehre der Freiwilligentruppen hinzu, so er halten wir als Höchstzahl der Gefechtsstärke der gegenwärtig in Südafrika stehenden englischen Truppen: 71800 Gewehre, 14 800 Säbel und 336 Geschütze. Von dieser Ziffer sind selbstverständlich die Verluste durch Krank heiten und Gefechte in Abzug zu bringen. Ucber die heutigen Streitkräfte der Boeren, ihre Waffen und ihren Krug-vorrath fehlen Angaben, die eine auch nur annähernd zuverlässige Schätzung ermöglichen. Vergegenwärtigt man sich die ungeheure Ausdehnung des Kriegsschauplatzes und die Mensch und Thier aufreibende Thätigkeit, die einen starken Procentsatz der eng lischen Masten in kurzer Zeit abnutzt, so wartet — falls die Boeren weiter fechten wollen und können — der Engländer noch eine schwierige Aufgabe. Wie die bimländer die Voereusarmcn vnbreunen Ein Berichterstatter der „Neuen Freien Presse" schildert in einem, Pretoria, 20. October, datirten Briefe, wie die Engländer in der Nacht vom 15. auf den 16. October als Strafe für die Beschädigung der Eisenbahn zwischen Heidel berg und Standerton 15 an der Strecke gelegene Farmen niedergebrannt haben. Er schreibt: Es wirb das Bettzeug auf dem Tisch in der Mitte des Zimmers aufgehäuft, mit Petroleum übergossen und ange zündet. Natürlich sind die Engländer so human, das Vieh, welches requirirt wird, die Frauen und Kinder vorerst hinauszutreiben, und wenn dies auch bei Nacht geschieht, so ist es ja durch die Erhaltung des Lebens der Unglücklichen ge rechtfertigt. Welche Sccncn sich dabei abspielcn, dies auszu malen, bedarf wohl nicht vieler Phantasie. Wem sie fehlt, der möge bei einer Feuersbrunst jene Frauen beobachten, die ihre Habe verlieren. Wenn sic auch für den materiellen Verlust durch Assecuranzen entschädigt werden, die Trennung von so, vielen Sachen, die durch Erinnerungen lieb und thcücr, durch die Gewohnheit unentbehrlich geworden sind, vollzieht sich nur ' unter heftigsten Gemüthsaffecten, selbst wenn der Glaube an! göttliche Prüfungen den Tröster bildet. Bei den armen Boeren- , flauen fallen alle diese mildernden, tröstenden Momente weg. s Nicht der unerforschliche Rathschluß Gottes schwingt die Brand fackel, ein Trupp Soldaten, die unter dem Banner europäischer Civilisation mit der Devise: „Gleichheit aller Rassen" ins Land gezogen kamen, schleudert sie in jenes Heiligthum, von dem der Engländer sagt: „iblz- Uouso ia ni,v cm--tls". Die Verzweiflungsrufe, das Jammern und Flehen der schutzlosen Mutter, das Kreischen der erschrockenen Kinder, all diese Ausbrüche rasenden Seelenschmerzes, für den der Himmel zu hoch, zu weit, dringt an menschliche Ohren in nächster Nähe, und diese Menschen lachen, lachen zum tiefsten menschlichen Elend! Nein, doch nicht Alle; es giebi Officiere, die innerlich diese Acte brutaler Verirrung verdammen, aber auf Befehl durchführen müssen. Wie weit ein Weib in seiner Verzweiflung gehen kann, zeigt folgender Fall, der sich früher ereignet hatte. Bei einer dem Untergänge geweihten Farm stand General R u n d l e. Tie Boerenfrau bat, einige werthvolle Stücke aus dem Hause tragen zu dürfen, was der General bewilligte. Als die Frau aber zu wiederholten Malen in das Haus "zurückkchren wollte, um noch etwas in Sicherheit zu bringen, ließ sie der General ab wehren. Sie flehte: „Nur noch einmal", doch Rundle blieb unerbittlich. Da sprang die rasende Frau ihm ins Gesicht und versetzte ihm zwei Schläge. Ter General, starr vor Ver blüffung, ließ nun alle von der Frau heraus gebrachten Sachen ivieder in das Haus zurück tragen und hierauf dasselbe in Brand stecken. Die Familien der vernichteten Farmen wurden in Standcrton in einem kleinen Hause zusammengepfercht. Natürlich trifft diese barbarische Strafe nur Unschuldige, denn die Vocrensrauen sind nichi in der Lage, die Männer an der Zerstörung der Eisenbahn zu hindern. * Lonreiwo MarqueS, 6. Februar. („Reuter s Bureau.") Tie Eisenbahn ist 53 Kilometer von hier von den Boeren abgeschuitien worden. London, 6. Februar. Amtlich wird bekannt gemacht: Die Negierung hat sich entschlossen, außer den bereits in der Cap. colouie gelandeten Mannschaften weitere Verstärkungen von 30 000 Berittenen zu senden. Mau rechnet, daß 10 000 Mann Jeoinanry dafür verfügbar fein werden, daß ferner die berittenen Polizeitrupven iür Südafrika unter Einrechnung der in den Colonien angcworbenen Mannschaften aus 8000 Mann bestehen, und ^oß die neuen von den Cvienicu gestellten Eou.ingente 5000 Mann betragen werden. Ter Nest der erforderlichen Mann^ schäften soll aus Cavallerie und berittener Infanterie Les Mutter landes aufgebracht werden. Ter erste Transport geht am Sonn abend ab. Die Wirren in (tl)imi. Fvirdrnsvcrlruuölungctt. Eine in New Aork cingctroffcne Depesche aus Peking vom 5. Februar berichtet: In der heute Morgen äogehaltencn Be sprechung der fremden Gesandten mit den chinesi schen Bevollmächtigten wurden diesen die Namen von zwölf hervorragenden chinesischen Beamten unterbreitet, deren B e st r a f u n g verlangt wird. Die Bevollmächtigten er widerten, daß China die ernste Absicht bade, die Forderungen der Mächte ganz zu erfüllen, doch traten 'sie gleichzeitig dafür cln, daß in gewissen Fällen die V e r b a n n u n g anStelle der Todesstrafe trete, weil es sich um Personen handele, die nabe mit dem Throne verwandt sind. Nach einer langen De batte wurde beschlossen, daß dir fremden Gesandten eine Liste der zu bestrafenden Beamten aufsetzen sollen, und daß diese den Chinesen als envgiltige unterbreitet werden soll. Die Ge sandten sind von dem Wunsche erfüllt, daß die beiden chinesischen Bevollmächtigten endlich nachgeben. Tsching fragie an, ob die fremden Truppcn Peking verlassen würden, wenn China zeige, daß es die Absicht habe, die Bedingungen der Collectionote zu erfüllen. Die Gesandten lehnten eS aber äü, über diesen Gegenstand in eine Debatte einzutreten. Die Bevollmächtigten wünschten auch Näheres zu-erfahren über dir Plätze, an denen fremde Wachen stationirt werden sollen, um die Verbindung mir dem Meere aufrecht zu erhalten, und fragten weiter, ob die Zer störung der Forts nothwendig sei. Lie Wirkung Vcr Verzögerungen im britischen Krwgsschiffban. Ter Versuch des russischen Admirals, die 90 See meilen von Port Arthur entfernten Blonde- unv Elliot- Inseln als r u s s i s ch e s E i g e n thu m zu erklären, hat in England viel Erregung geschaffen. Angesichts der Zahl unv Stärke der russischen Geschwader in Ostasien, die unter Umstän den noch durch die französischen Schiffe verstärkt werden könnten, halten englische Fachzeitungen die Entsendung des Linienschiffes „Ocean" 'vom Mitielmecr nach China nicht für hinreichend zur Stärkung der doriigen britischen Secsireirkräfte. Ohne das Mittelmecr- oder Canalgeschwader zu schwächen, ist aber kein neues Linienschiff mehr ocrwendungsbercit, da außer den älteren zu: Rückkehr 'bestimmten Sck ssen „Barfleur" und „Ceniurion" von 10 500 Tonnen schon „Goliath" und „Glorh", die Schwester schiffe des „Ocean", von 12 500 Tonnen Deplacement in China stationirt sind. Nicht einmal im 'Mittelmeer kann die durch den Abgang des „Ocean" entstandene Lücke durch ein neues Linien schiff airsgefüllt werden, oa die Wirkung der großen Streiks der letzten beiden Jahr« und die Verzögerungen in der Abliefe rung von Panzerplatten und Geschützen sich nun sehr nachteilig fühlbar machen. Bon der „Formidablc"-Classe von 15 000 Tonnen Deplacement wird höchstens das 'Linienschiff „Jmpia- cäble", das jetzt Probefahrten macht, Ende März verwendungs bereit sein, während „Formidable" und „Irresistible", die schon im Jahre 1900 hätten fertig sein sollen, noch bedeutend zurück sind. Selbst das wie „Ocean", „Glorh" unv „Goliath" eben falls der „Canopus"-Classe angehörige Linienschiff „Albion", oa^ bereits am 21. Juni 1898 zu Blackwell von Stapel lief, ist i noch nicht für die Indienststellung bereit. Als Folge der in den letzten Jahren vorgekommenen Unregel- >äß:gleiien beim Schiffbau und tn der Eisenindustrie ist Vie britische Marine nun nicht im Stande, ihren bisher befolgten Grundsatz, ein aus dem Mittclmcer-Geschwader abgehendes Schlachtschiff immer sofort durch ein stärkeres und neueres zu ersetzen, Vurchzuführen. Politische Tagesschau. * Lcipzig, 7. Februar. Wieder ein Tag voll zweckloser parlamentarischer Ver handlungen! Im Reichstag, der gestern die Debatte über reu freisinnigen Initiativantrag auf Aufhebung der Tbeatercensur fortsetzie, stellte sich nur heraus, was man schon vorder wußte, daß nämlich weder der Antrag selbst, noch ein solcher auf Comimssionsberatbnng auf Annahme zu rechnen hat; trotzdem aber konnte zur Abstimmung nicht ge schritten werden, weil der socialdemokratische Abgeordnete Stadtbagen so viele Mitglieder des Hauses zum Saale hinaus redete, daß nur ein beschlußunfähiger R st zurückblieb. Nun muß nochmals die Debatte er öffnet werden und das Resultat der ganzen Rederei wird sein, daß dem Anträge ein Begräbniß im Plenum bereitet wird unv Alle» beim Alten bleibt. Wie sebr da» zu bedauern ist, braucht nach der Fülle von Mißgriffen, die gerade in jüngster Zeit bekannt geworden sind, nicht betont ;n werden. Die Hauptschuld tragen die Antragsteller, die es unterlassen haben, mit dem Reichskanzler Fühlung zu nebmen und sich zu vergewissern, wie er und der Bundes- ratd überhaupt über die Frage der Competenz des Reichs tags za Beschlüssen solcher Art denkt. Hätte man erfahren, baß der BunreSrath die Compclen; des Reichstage» be streitet, so Kälte man im preußischen Abgeordnetenhaus« früher Vorgehen und es den Landtagen der übrigen Einzel», staaten, in denen man sich über Censorenwillkür zu beklagen hat, überlassen sollen, den gleichen W g zu geben. Dann hätte man wenigstens etwas erreicht, denn der preußische Minister deS Innern bat sich bekanntlich nicht blind gezeigt gegen die Uebclstände auf dem Gebiete der Tbeatercensur im führenden deutschen Staate. Außer den Antragstellern hat das Ccntrum einen wesentlichen Antbeil daran, daß der Vorstoß gegen dt: Censnr ausgeht wie das Hornberger Schilßen. Ter Abgeordnete Roer en erklärte sich gegen den Antrag Bassermann auf CommijsionSberalbung aus Eompe- tenzbedenken. Hat denn aber das Eentrum bei seinem „Toleranzantrage" solche Bedenken gezeigt? Für die Gesinnungsgenossen des Herrn vr. Lieber ist der Reichs tag koch stets compelent, wenn er etwas beschließen soll, wa» dem Cenrrum iv den Kram paßt. Diese Fraktion Halle also r-cht wobl sür Commiisionsberathung einlreten können, wäre eS auch nur gewesen, um die CompclcnFrage zu klären. Der Hauptgrund, aus dem Herr Noeren im Namen seiner Fraktion die Einsetzung einer Eoinm ssion bekämpfte, war jedenfalls der, daß das Eentrum >» einem Ausschüsse mit seinen Wünschen nicht durcbzudringen sürcbteu mußte. Und wohin riese Wünsche gehen, ist bekannt genug: Tbeatercensur, die ausgeübt wird von geistlichen und zwar von ultra mon tanen Censoren oder wenigstens von Leuten, die nach den Vo.schrifkcn der römischen Moralisten ibreS Amtes walten. Und gelänge es, mit Hilfe des „Toleranzantrages" im ganzen Reiche den Jesuiten freie Wirksamkeit zu sichern, so würde kein Monat vergeben, bis Herr Roercn dem Reichstage die Competenz beimäße, rcichSgesetzl'.ch die Tbeatercensur so zu regeln, daß den frommen Vätern „der ibnen gebührende Einstuß" auf die Eeusur eingeiäuml würbe. Da das aber vor der Hand nicht zu erreichen ist, muß der Reichstag drei Tage lang ins Blaue bincinreden, um am Schluffe einzuzesteben, daß er in der Sache weder etwas kann noch will. — Auch das preussische Abgeordnetenhaus bat gestern auf die erste Lesung der Eanalvorlage noch eine volle Sitzung verwandt, odnr im Geringsten das Dunkel zu lickten, das über dem Schicksale der neuen Vorlage rubt. Die Debatte zerflaiterte noch mehr als vorgestern. Für die Herren am RegierungSlische war eS allenfalls erfreulich, je einen conservativen und einen frei- conservativen Redner (v. Staudy und v. Tiedemann) zu bören, die sich für die Voilaze erwärmten; aber auch zwei Schwalbe» machen noch keinen Sommer. Die Art, wie im Reichstage der agitatorische Vorstoß der Pole» auf postalischem Gebiete behanbclt wird, muß je !ä ger um so größeres Befremden erregen. Nachdem soeben, zweifellos auf Anregung deS Staatssekretärs des ReichS- postamtS, die Oberpost^ircctioncn in Posen und in Brombcrg durch ibre bekan te Verfügung den Polen zum Schaden keS deutschen Interesses auf das Weiteste enrgegengekommen sind, bat der Abgeordnete von Zazdzewski in der gestrigen Sitzung der Bubgetcommission Beschwerden der pol- FerrLlletsn. Vie Geschwister. 7s Roman von Alexander Römer. Nack^n'ck SkrloUn. „Freilich, der Justizrathstitel", rief Leopold höhnend, „eine schwindelerregende Aussicht. Gott stehe mir bei, wenn ich mir das Leben hier ausmale. Zahm bei Muttern wohnen, Tag für Tag geduldprüfende Verhandlungen mit weitschweifigen Clienten, die umschmeichelt werden wollen, wenn sie wieder kommen sollen, Verwaltungen von Waisenfonds, die nichts einbringen, Abends im günstigen Falle ein Schoppen im Rathskeller in Gesellschaft ehrbarer Philister. Herrlich, beneidenswerth! Glaubst Du wirk lich, Mutter, daß ich das aushalte, und daß solch ein Leben meinen Gaben entspricht?" „Ach, Poldel, ich finde es ja auch schade, und Du könntest sicher einen höheren Platz ausfüllen, aber ich weiß nicht, wie es werden soll, wenn Du Dich nicht fügst. Denk dabei, es handelt sich vielleicht nur um ein paar Jahre " Sie wurde plötzlich di'nkelroth, die blasse Frau, und senkte die Augen, als ihr Sohn sie scharf ansah. Es überkam sic ein schreckliches Gefühl, eine tödtliche Scham über das Wort, welches ihr da entschlüpft war. DeS Sohnes Blick sagte ihr, daß sie sich verstanden hatten — der Tod des Mannes, der ihr Wohlthäter war. konnte hier allein Erlösung bringen. Leopold warf sich in einen Stuhl, daß es krachte. „Siehst Du, dahin bringt er's", sagte er mit einem spöttischen Ton in seiner Stimme, „Du sprichst es auch schon aus, und hübsch ist es gerade nicht von uns Beiden, aber wenn Einer es so treibt, so darf eS ihn auch nicht Wunder nehmen —" „Ach, Poldel", rief di« schwache Frau geknirscht, „das war eben sehr Unrecht von mir, es ist mir so über die Zunge gelaufen, ich weiß eS selbst nicht wie. Gott erhalte ihn noch lange, er hat cs sehr gut gemeint. Du hättest ja gar nicht studiren lönnen, wenn er die Mittel nicht hergegeben hätte, und so reichlich — Tu hast doch als Student Dein Leben schön genossen —" „Jawohl, nun, fahre nur noch eine Stunde weiter so kort, es klingt wundrrhübsch, und mir in den Ohren gerade, wie die abgedroschene Melodie aus einem Leierkasten. Nee, Mutter, wir wollen uns einander lieber nicht auch noch belügen. „ O Poldel — dies ist schrecklich —" Frau Doctor Kramer sank hilflos in sich zusammen, während Leopold seinen Hut und Uchttzieher nahm, „Ich mutz noch ein Weilchen an die frische Luft", sagte er, „hier ist's ja zum Ersticken." „Willst Du es überdenken?" fragte sie schüchtern. „Ueberdenken, als ob es da etwas zu überdenken gäbe", ent gegnete er schneidend, „ich geh' eben darüber zu Grunde, so oder so. Ich sehe mich schon im Spiegel genau so citronengelb, mumienhaft und hager, wie der Alte." Er zündete sich eine Cigarre an, eine echte von theuerstcr Sorte, wie er sie allein liebte, bürstete seinen Hui, fuhr mit dem Kamm durch das sorgfältig frisirte wellige Haar und lächelte c'nst- weilen seinem Spiegelbilds noch besänftigt zu. Es gab ihm das Bild eines Satten, der keinen süßen Trunk, der seinem Munde geboten wird, zurückzuwcisen gesonnen ist, und wohlerfahren ist an der üppigen Tafel des Lebens. Wer Leopold jetzt durch die Straßen wandern sah, mußte ihn für einen sorglosen, glückverwöhnten Dandy halten, er schritt planlos weiter, nur um sich zu zerstreuen. Bei Dabelstein, der fashionablen Kneipe, wo die.Primaner auch ihren Stammtisch hatten und er ehemals manche vergnügte Stunde mit den Kameraden verlebte, war es noch leer. Es verlangte ihn auch nicht nach der Gesellschaft drinnen. Die grünen Jungen mit den rothen Mützen interessirten ihn nicht mehr, und die Beamten oder jungen Assessoren, die dort ver kehrten, fand er langweilig. Ihn zog es mehr zu den Officirren, die unter dem Zeltdach vor dem Hotel du Nord saßen und sich zur Hofgesellschaft zählten. Es war ihm gelungen, dort einige Be kanntschaften anzuknüvfen, die er sehr sorgfältig cultivirte. Aber heute gährt« es zu toll in ihm, er schritt auch dort mit flüchtigem Gruß für die paar jungen Marssöhne, welche die Lack stiefel auf das Asphaltpflaster streckten, vorüber, er mußte in der Stille ungefähr mit sich fertig zu werden versuchen. Er eilte weiter, in der Richtung des Schlosses nach dem See zu. In seinem Kopf« schoben sich di« Gedanken. Er käme ja auf diese Art rasch zu einer unabhängigen Stellung, Denn wenn er auch vorhin über des Alten Praxis gespöttelt hatte, er wußte es, daß sie hübsch« Einnahmen abwarf, von denen sich allmählich die heimlichen Schulden bezahlen ließen. Auch Susi flog ihm durch den Sinn. Dos kleine Ding würde natürlich an eine baldige Heirath denken. Hui solch' ein Ehejoch, dazu war es denn doch noch zu früh. Der junge Herr nahm den Hut ab uns ließ den lauen Abend wind um seine heiße Stirn wehen, seine Miene verrieth nichts von der Sehnsucht eines Liebenden nach d«r Bereinigung mit der Geliebten. Der Abend war ungewöhnlich schön, der Vollmond stieg hinter dem dunklen Waldrand herauf und spiegrlt« sich im See. " Nrben dem Steg, wo er stand, lagen Boote angckettei, oer Mann, dem sie gehörten, und der an schönen Abenden oft Gelegenheit fand, Mondscheinschwärmer auf den See hinaus zu fahren» schlenderte auf und ab. Leopold liebte das Wasser und verstand es, ein Boot zu lenken, seine Liebhaberei waren Segelpartien. Daran war heute nicht zu denken, es regte sich kein Lüftchen. Aber in seiner augen blicklichen Stimmung lockte cs ihn, sich einsam auf dem stillen ^ee :reio.'n zu lassen, und er nriethete eins der Boote. Der tiefe Fried« in der Natur sänftizie seine aufgeregten Sinne, cr überließ sich einem stillen Träumen. Bessere, freund lichere Gedanken kamen in seine Seel«, wozu das Sorgen und Hasten, jeder Tag konnte Neves bringen, die Zukunft lag für Jeden in dichtem Nebelschleier. Er tauchte nur leise plätschernd die Ruder ein, und kam doch vorwärts, er ging mit ver Strömung. Er lenkte den Kahn am Ufer entlang, um das Schloß herum, an den schönen Garten anlagen, den dunklen Grotten und plätschernden Springbrunnen vorüber, dann glitt er weiter hinaus in den See. Der' Himmel über ihm war wolkenlos blau, matt blinkten in dem noch halben Dämmer dirser langen Tage die Sterne hervor. Auf dem großen, grauen Stein, eine gute Strecke vom Ufer, der aus der Fluib hervorragte, nisteten Möoen. Di« we ßen Flügel der schlafenden Vög«l blinkten im schwindenden Lichte, in Schauren saßen sie da, dicht aneinander gedrängt, die Köpfe unter den Schwingen verborgen, in schweig samer Ruhe. Leopold fuhr in weitem Bogen um oen kahlen Stein, um sie nicht aufzustören. Er träumte — Formloses — Unverstandenes — eine Ahnung, das; nicht alle Kräfte in ihm geweckt seien, daß es noch «in höhens Lrbcn gäbe, als das, was er kannte, schwebte durch sein« Seele. Er ruderte weit hinaus in die stille Einsamkeit. Der Tage»- schrmmer erlosch vollständig, das Mondlicht allein übergoß die weite Wasserfläche und die dunklen, waldigen Ufer mtt silbernem Schein. Umkchrend, hiclt er wieder näher dem Uferrand«. Ein paar verspätete Krähen flogen über die Waldwipfel zu ihrer Nachtrast, hier und da zirpte «in Vogel im Schlaf, sonst Schweigen, tiefes Schweigen. Hier im Halbkreis am Ufer rmtana lag Villa an Villa, lichi- loS di« meisten, es war noch zu früh für die Somrnervilligatur. Jehl rin Lawntcnnisplah mit feinrm Drahtgitter «ingehegt, der weiße Sand glitzerte gleich Silber. Das war die Villa des Hofmarschalls Rovenfele; wenn er um den Vorsprung bog, den die Grotte bildete, mußte er sie liegen sehen. Er hielt plötzlich d«n Athem an, urtd zugleich sein Ruder — aus der dunkeln Grotte glitt ein Kahn, eine weiße Gestalt saß darin, sein Herzschlag stockte — die schwarz« Ulanin! Er nannte sie in seinen Gedanken noch immer so, er hatte sie lange nicht in der Nähe gesehen, nun beleuchtet« der Mond voll dieses wunderschön«, von" einer leichten weißen Schleierhülle umrahmte Gesicht. Ein Märchenbild, ein« verwunschen« Prin zessin. Sie trug ein ganz Helles Kleis, welches in dem schimmerirdrn Licht weiß erschien, und ein weißer Shaiwl umhüllte ihre Schultern. Die kleine Gondel, auch die Ruder waren roth uns weiß gestrichen, und der Sitz, auf dem sie saß, hatte scharlach rotste Polster. Sie lehnte sich nachlässig ein wenig zurück und tauckie die Rnder ein. Da gewahrte sie ihn. Sie stutzt: einen Moment, dann er- rönte ihr cigenthümliches, silberhelles Lachen, das er schon kannte, in das riese Schweigen hinein. Er hielt den Hut in der Hand, war aber keines Wortes mäch tig. Tie beiden Boote lagen dicht neben einander. „Ei! ei! es giebt hier heute Abend also noch mehr Mond scheinschwärmer", sagte sie hciter, „ich pflege um diese Stunde sonst keine Gesellschaft zu treffen." „Gnädiges Fräulein machen also öfter solche Seeprom:- naden", entgegnete «r sichtlich befangen, um nur etwas zu sagen. „Nun, wie Sie sehen, ich hab's bequem", meinte sie, nach der Grotte, wo noch eine Gondel angrkettct lag, zurückblickend. Leopold strengke seine Augen an, um in das Dunkel zu spähen, ob dort nicht Jemand, wenigstens ein Diener sei, der ihr das Boot loSqekettet habe und zu ihrem Schutze dablieb. Aber es rührte sich nichts drinnen. Todteirstille, nur das leise Gurgeln des Wassers zwischen den Steinen. Sie mußte seine Gidanken «rrathen, sie lacht« wieder, ihr leises, klingenides Nixenlackun. „Ja, spähen Sie nur, da ist Niemand, ich bin ganz allein." „Aber gnädiges Fräulein, ist daS nicht bedenklich " „Bedenklich? inwiefern? Schauen Sie sich doch rrm auf dem stillen See, meinen Sie etwa, daß Räuber am Ufer htnrer den Büschen lauern? Und vorwitzige junge Herren eiwa pflegen um diese Stund« hinter ihren Schoppen zu fitzen, und finden, fo weit ich sie kenne, wenig Geschmack an einsamen Wasserprome naden. Wollen sie auf Abenteuer ausgehen, fo finden fie dir besser am Sande. Ich wette, Ihnen, Herr Kramer, ist heute etwas Besondere» pafsirt, waS Sie zu dies«m Gelüst getrieben, etwa» sehr Angenehmes oder sehr Unangenehme»." Leopold überwand seine Befangenheit und fand sich in die Situation. Ibn beschlich ein seltsame», beinahe unheimliche» Gefühl. Sie schien die Absicht zu haben, neben ihm zu bleistrn, die Boote gkitirn eng Bug an Lug.
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