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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 08.03.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-03-08
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010308026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901030802
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901030802
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-03
- Tag1901-03-08
- Monat1901-03
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Amtsblatt des Königlichen Land- nnd Amtsgerichtes Leipzig, -es Rathes «nd Notizei-Amtes der Ltadt Leipzig. ^123. Freitag den 8. März 1901. AuzetgeurPrei- die 6gespaltene Petitzeile -S H. Reklamen unter dem Redactton«ftrich (-gespalten) 75 vor den Familieanach- richten (6 gespalten) 50 L,. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertrnannahme 35 H (excl. Porto). Ertra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 80.—, mit Postbesörderung ^l 70.—. Iinaahmeschluß für Anzeigen: Abend-AuSgabe: BormtttagS 10 Uhr. Morgen-AuSgabe: NachmtttagS 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentag« ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz i» Leipzig. 95. Jahrgang. Aeber die Verwundung des Kaisers kommen jetzt die Nachrichten von den verschiedensten Seiten. ES laßt sich beim Rcgistriren derselben trotz, sorgfältigen Sichtens nicht immer vermeiden, daß Wiederholungen gebracht werden, weil daS Streichen der Stellen den Zu sammenhang stören würde. Da wir die trotz deö unpolitischen Charakters der Thal sich ausdrängenden Betrachtungen an anderer Stelle dieses Blattes bringen, können wir hier gleich mit der Veröffentlichung deS tatsächlichen Materials beginnen. G Bremen, 7. März. „Bösmann's Telegr. Bureau" meldet au« bester Quelle, die heute erfolgte Vernehmung Weiland's habe den unzweifelhaften Eindruck ergeben, daß er die That unter dem Einfluß seiner geistigen Erkrankung vollbracht hat. Zunächst scheint erbliche Belastung vor- Hande», da fein Vater seinen Angabe» gemäß ein Säufer, seine Schwester krampskrank ist und sein Bruder einen anormalen Brustbau hat. Er will bei Tisch manchmal Messer und Gabel kurzer Hand nach rechts und link« geworfen haben. Diese Angaben haben sich von der hiesigen Polizei nicht als thatsächlich coustatiren lassen, jedoch erklären Zeugen, welche ihn näher kennen, daß er ein geistig beschränkter Mensch sei, der häufig an Epilepsie leide. Bezüglich der That äußerte Weiland sich, er bade am gestrigen Tage sich nicht ordentlich wohl gefühlt und stets einen Anfall befürchtet. Als er nun mit der Menschenmenge auf das Herannahen des Kaisers gewartet habe, sei in ihm durch das Rauschen des TeichmannS-BruunenS auf dem Domhof und durch das Stimmengewirr des Publicums die Vor stellung entstanden, daß er wieder, wie vor Jahren, als Schiffer aus feinem Schiffe fahre; er sei dann immer erregter geworden und habe im beginnende» Krampfe im Wahne, er werfe ein Loth aus, das Eisen von sich geschleudert. Damit habe er dos Bewußtsein verloren. Bei diesen Aussagen machte Weiland nicht den Eindruck eines Sim» laute n, sondern eines bedauernswerthen Kranken. Das Eisen, mit dein Weiland geworfen hat, ist nach polizeilichen Angaben eine sogenannte Lasche von 21 cm Länge, 5 cm Breite und 8 mm Ticke und einem Gewicht von 550 Gramm. Das Eise» war mit vier Schraubenlöchern versehen und anscheinend noch nicht in Benutzung gewesen. Weiland behauptet, es auf dein Domhof gesunden zu haben. Weiland ist vorläufig im hiesigen Gcrichtsgebäude interuirt worden. Ganz ähnlich berichtet die „Weser-Ztg.", in deren Berichte eS heißt: Die Bernehulung des Weiland hat als unzweifelhaft ergeben, daß er seine epileptischen Krämpfe nicht simulirt und daß er seine furchtbare That in einem Krankheitsansall vollbracht hat. Erbliche Belastung ist sicher vorhanden. Obgleich er mit seinem Stief vater in sehr guten Beziehungen lebt, hat er doch einst nach ihm gestochen. Seine Logiswirthe, Arbeitgeber und Arbeitsgenossen bestätigen, daß er an Epilepsie leidet. Von social ist! sch en oder anarchistischen Einflüssen ist absolut nichts nach- zuweisen. Er behauptet anscheinend glaublich, diesen ganz fern zu stehen. Er hat bei der Vernehmung nicht den Ein- druck gemacht, als sei er ei» so kluger Schauspieler, um eine solche Geschichte erfinden und glaubhaft vortragen zu können. Im Gegentheil, er schien der „arme, dumme Junge" zu sein, als welcher er von den Leuten, die ihnen kenne», geschildert wird. Für die Aussage, daß er das Eisen auf dem Domhof gesunden habe, hat sich bisher noch kein Anhalt gesunden. Dort haben Gasarbciter am Brunnen gearbeitet, diese haben aber das Eisen noch nicht identificiren können. Dem „B. L. A." ist noch über die Situation am Thatorte zu entnehmen, daß der Straßenzug, den der Kaiser passirte, an der Stelle eine starke Einschnürung er fährt, so daß der Thäter ziemlich nabe gestanden haben muß. Aus der Umgebung des Kaisers wird dem Blatte noch folgende genauere Schilderung des Vorkommnisses gegeben: Wie bei ähnlichen Gelegenheiten erfolgte die Abfahrt vom Bremer Rathskcller derart, daß ein Theil des Gefolges dem kaiser lichen Wagen vorausfuhr, der andere ihm folgte. Während die zuerst abgefahrenen Herren gar nichts bemerkten, sahen die folgenden eine» Mann am Boden liegen, glaubten aber, daß derselbe nur um geritten oder umgcstoßen sei, da der Wagen des Kaisers unbeirrt weiter fuhr. Auch der Kaiser selbst hat thatsächlich von dem ganzen Vorfall nichts bemerkt, bis er aus dem Bahn hofe angelangt war.. Die Beobachtung, daß der Kaiser scheinbar abgewehrt habe, mag dadurch entstanden sein, daß der Monarch, als ihn das Eiienstück getroffen hatte, unwillkürlich nach der Stelle faßte, wo er verletzt worden war, ohne sich selbst der Ursache bewußt zu sein. (In einem anderen Berichte desselben Blattes hieß es freilich, der Kaiser habe geglaubt, von dem Bindedraht eines nach ihm geworfenen Bouquets verletzt worden zu sein.) Auf dem Bahnhof bemerkte der Kaiser gleichzeitig mit seiner Umgebung, daß er verwundet sei. Tnrch die hiernach angestellten Ermittelungen wurde ein kleiner Aufenthalt hcrbeigeführt, während Lessen auch schon der Vorfall, wie er sich nach Beobachtung der an der Stelle stationirten Gendarmen, bezw. Unbetheiligter abgespielt hatte, dem Kaiser zur Keuntniß gebracht wurde. Nnnmehr wurde sofort ein Telegramm au die Kaiserin aufgesetzt, in welchem ihr der Vorfall mitgetheilt und betont wurde, daß jede Gefahr ausgeschlossen sei. Tics Telegramm halte weniger den Zweck der Mittheilung, als der Beruhigung, falls hier in Berlin etwa noch in der Stacht alarmirende Nachrichten eintrcssen sollten. Der Kaiser selbst hat der Sache eine ernste Be- deutung nicht beigelegt, blieb vielmehr noch eine halbe Stunde in heiterer Stimmung im Kreise der be gleitenden Herren und begab sich dann, nachdem der zweite Leibarzt, vr. Jlberg, einen Verband angelegt hatte, zur Ruhe und hat bis zur Ankunft in Berlin ungestört geschlafen. Die Kaiserin dagegen war trotz der beruhigenden Nachricht nicht ohne Sorge um ihren Gemahl und hat die Pflege selbst übernom men, wie eS bei der liebevollen Sorgfalt, die sie als Gattin stets beweist, gewiß nicht überrascht. Einige neue Gesichtspunkte bringt die „Nat.-Ztg." zur Sprache: Tie Verletzung des Kaiisers ist, wie wir von zuverlässiger Seite erfahren, nicht bedenklich und bietet zu Be unruhigungen keinerlei Anlaß. Sie besteht in einer Fleisch- wunde, die sich unterhalb des rechten Auges quer über Las Jochbein hinzicht und bis auf den Knochen reicht; ob auch! das Periost (Knochenhaut) verletzt ist, konnte nicht festgestellt werden, würde auch für die ärztliche Behandlung ohne Einfluß sein. Allerdings ist die Art der Verletzung eine solche, daß Zweifel über die Entstehung derselben auftauchen konnten; indessen ist soviel sestgestellt, daß die Annahme einer S ch n ß v e r l e tz n n g ausgeschlossen ist. Während der obere Wnndrand glatt und fest ist, erscheint der untere Wundrand wie untermiuirt und bildet eine taschensörmige Aus buchtung. Eine derartige Verletzung kann nur durch ein stumpfes Instrument, das in der Richtung von oben nach unten den Kaiser getroffen hat, hervorgerufen worden sein. Es ist deshalb die Vermuthuug ausgetaucht, Laß der aufgesundene Schienen riegel nicht von den: Epileptiker Weiland geworfen sein könne, weil er dann den Kaiser in seitlicher Flugrichtung getroffen hätte. Vielmehr gab man der Möglichkeit Rauni, daß ein von einem Dache zufällig sich ablösender Dachziegel den Kaiser getroffen haben könne. Dem steht aber der Umstand entgegen, das Spuren von einem Dachziegel weder im Wagen des Kaisers noch an der Attentatsslelle gefunden wurden. Wohl ober wurde an der Uuglücksslelle der eiserne Schienenriegel gesunden, der nach allen bis jetzt vorliegenden Meldungen das Wurfgeschoß ge wesen sein muß, das den Kaiser getroffen hat. Ta die Verwundung, wie schon bemerkt, taschcnförmig in die Wange eingeschlitzt ist, so ist die Annahme wahrscheinlich, daß das Eiscnstück von dem Thäter in einem ziemlich hohen Bogen geworfen wurde und erst iin Fallen den Kaiser getroffen hat. Unseres Erachtens ist bei dieser Auseinandersetzung ein wichtiges Moment außer Acht gelassen worden, welches die Erklärung für die Form der Wunde geben könnte, ohne daß man die 'Annahme, das Instrument sei im hohen Bogen ge worfen und habe den Kaiser in der Richtung von oben nach unten getroffen. DaS Instrument hat aus alle Fälle während des Wurfes rotirl und dadurch sehr leicht die taschenarlige Ausbuchtung Hervorrufen können. DaS heute ausgegebene Bulletin über daS Befinden des Kaisers besagt: G Berlin, 8. März. (Telegramm.) Bulletin: Das Be- finden des Kaisers am gestrigen Tage war befriedigend, der Schlaf in vergangener Nacht gut. Die Wunde zeigte sich beim Verbandwechsel reizlos. ES ist eine mäßige Schwellung der Augenlider und der rechten Wange, aber kein Fieber vorhanden. I)r. Leuthold, Bergmann, Jlberg. Neber den Eindruck der Attentatsbotschaft in Wien wird berichtet: G Wien, 7. März. In die aus Anlaß der gegen den deutschen Kaiser verübten That in der deutschen Botschaft aufliegenden Listen trugen sich zahlreiche Persönlichkeiten ein, unter ihnen Admiral Frhr. v. Spann, Viceadmiral Berghoser und Scctionschef im Ministerin!» des Aeußern Gras Szöcsen. Die „Wiener Abendpost" schreibt, die ganze gesittete Welt vereinige sich mit der deutschen Nation in dem Gefühle der Freude darüber, daß die That ohne ernste Folgen geblieben und die Ursache des Ereignisses lediglich in der psychischen Irritation des ThäterS zu suchen sei. Dies Gefühl der Freude werde nirgends wärmer empfunden werden, als in Oesterreich-Ungarn, wo dem mächtigen Herrscher des deutschen Reiches, dem ritterliche» Freunde und Bundesgenossen deS Kaisers Franz Josef die verehrungsvollste Sympathie entgegengebracht werde. Der Krieg in Südafrika. —Soviel steht nun fest, daß die Gerüchte sich bewahr heiten, nach denen AriedeilSnnlerhandlungen thatsächlich im Gange gewesen sind. Maa berichtet uns darüber: * Lands», 7. Mürz. Ter erste Lord deS Schatze-, Balfour, erklärte im Unterhause auf eine Anfrage Campbell Bauurrman'S, daß mit Botha Unterhandlungen stattgefunden haben, daß die Regierung aber nicht in der Lage sei, darüber augenblicklich irgend welche Mittheilung zu machen. (Wiederholt.) Die Verhandlungen sind aber offenbar resultatloS ver laufen, da Vas Entgegenkommen der Engländer Schalk Burger, dem stellvertretenden Präsidenten deS Transvaals, und Louis Botha, dem Oberstcommandirenden, nicht genügt bat, uns scheinen von Neuem ausgenommen werden zu sollen, worüber uns gemeldet wird: kV London, 8.März. (Privattelegramm.) DaSGouverne- ment kabelte an Milner weitergehende Concessionen für die Verhandlungen mit den Boeren, wodurch ein Compromiß sehr wahrscheinlich. Hiernach scheint doch den Engländern besonders viel an dem Zustandekommen eines CompromiffeS gelegen zu sein und von ihnen ist aller Wahrscheinlichkeit nach auch die An regung zu Verhandlungen ausgegangen, waS nicht auf einen be sonders großen Rest von Kampsesfreuvigkeit schließen läßt. Ohne Zusicherung der Unabhängigkeit werben die Boerenführer schwerlich Frieden schließen, sollten sie eS doch thun, so würde Krüger daran nicht gebunden sein. Er und seine Umgebung würden sicherlich jedem Abkommen, daS nicht Unabhängkeit gewährleistet, Widerstand leisten. Bei Schluß der Redaction gehen uns als Bestätigung noch folgende Mittheilungen zu: Von Pretoria nach London wird gemeldet, daß Sir Alfred Milner daselbst am Montag eingetroffen ist und seitdem die Verhandlungen mit den Boerenfübrern mit Bezug auf ein baldiges Einstcllen der Feindseligkeiten persönlich fortfübrt. ES wird jedoch gleichzeitig ausS Neue bestätigt, daß Botha von Schalk Burger die ausdrückliche Weisung erhalten und auch deren Inhalt durch Kilchener an Millner weitergegeben hat, als Grundlage für alle festzusetzenden Bedingungen die Unabhängigkeit der Republiken zu betrachten. Daß trotzdem die Pourparlers ihren Fortgang nehmen, beweist am besten, daß jetzt auf englischer Seite daS Princip der „bedingungslosen Uebergabe" nur noch auf schwachen Füßen steht, resp. bereits gänzlich fallen gelassen worden ist. Man erwartet in den nächsten Tagen einige überraschende Aufklärungen über daS Geheimniß der letzten zwei Wochen, und hofft auf Frieden. Aus Brüssel wird unS berichtet: Bei dem neulichen Empfang der Abgesandten deS belgischen TrauSvaalcomites durch den Präsidenten Krüger in Utrecht äußerte sich der Letztere in der zwanglosen Unterhaltung gegenüber seinen Ferrrlletsn. sj Zwei Brüder. Roman von Iranz Rosen. Nachdruck »crbvlcu. II. Josefa Waldburg war die Tochter eines hohen königlichen Forstbeamten gewesen. In einem weltfernen Gebirgsthal, in der erhabenen Einsamkeit der Wälder und Berge ihrer Heimath, war sie im kleinen, engen Familienkreise aufgewachsen, wahr und klar, unschuldig und vertrauensvoll — in Unkenntniß der Gefahren und Klippen, die den Lauf des Menschenlebens hemmen. Sie hatte nur kennen gelernt, was gut und recht ist, und fand es selbst verständlich, das Gute und Rechte zu thun. Sie wußte nichts von den wunderlichen Schicksalsverschlingungen, in denen aus Rechr — Unrecht und aus Böse — Gut wird. In der Weltabgeschiedenheit ihres jungen Daseins hatte sic ihren Mann kennen gelernt, der, als einer der Jüngsten im Ge folge des Landesherrn, diesen auf den Freuden der Gemsjagd begleitete. Er gewann die thaufrische Alpenblume lieb, und sic erblickte in ihm ein glückverheißendes Wunder aus einer geheim- nißvoll lockenden Welt. Ihr Herz ergab sich ihm. Sie heiratheten einander. Zum Trotz der Bevenken in Jvsefa's Familie, welche meinte, sie paffe nicht in ein Leben, da für sie weder geboren noch erzogen worden sei; sie werde den An sprüchen des verwöhnten Weltmannes nicht genügen können — seine Leidenschaft werd« verrauchen und er ihrer überdrüssig wer den. Zum Trotz auch der Unzufriedenheit seiner Eltern, welche für den einzigen Sohn andere Wünsche und Pläne hatten und dem Mädchen, das er ihnen aus einem unbekannten Dasein zu führt«, Mißtrauen und Zurückhaltung entgegenbrachten. Aber die elterlichen Bedenken erwiesen sich als unbegründet. — Josefa war dem Leben, in das si« durch ihr« Heirath ver pflanzt wurde, völlig gewachsen durch den jungfräulichen Adel ihrer Seele, der auf ihrem Sein und Denken lag wie das herbe Morgenlicht auf den Firn«n ihrer Heimathsberge. Sie faßte die Welt, in die si« eintrat, mit der ursprünglich«» Frische, dem un verdorbenen Gerechtigkeitssinn und der naiven Geradheit ihres selbstständig und zwanglos entwickelten Empfindens auf. Sie überlvand das Mißtrauen, mit dem man sie empfing, ohne «s überhaupt zu ahn«n, und ging über alle gefahrvollen Momente ihres ungewohnten Pfades sicher und leicht hinweg. Lächelnd und heiter erschien sie ihrer Umgebung — von der Natur bevorzugt, vom Dasein verwöhnt. Niemand ahnte, daß sie ein schweres Leben führte; daß hinter ihrer klaren Stirn sorgenvolle Gedanken wohnten, daß ihre glänzenden Augen heimliche Thräncn weinten, und daß ihr unerfahrenes Herz mit tausend Schwierigkeiten, Nöthen und Aengsten zu kämpfen hatte. Josefa wurde von ihrem Gatten geliebt und auf Händen ge tragen; es gab kein zarteres, zärtlicheres Vcrhältniß zwischen Eheleuten. Aber er war ein leichtsinniger Jüngling gewesen und blieb ein leichtsinniger Mann. Er liebte das Leben und wollte es auf alle Weise genießen. Er liebte seine angesehene Stellung im Regiment und verlangte, daß die Verpflichtungen, welche diese Stellung ihm seiner verwöhnten Meinung nach auferlegte, mit den größten häuslichen Opfern erfüllt wurden. Josefa wußte oft genug nicht, woher sie das Geld nehm«n sollte, um den Haus halt in ihrer eleganten Wohnung im vornehmsten Viertel der Stadt zu bestreiten. Sie versuchte vergebens, eine Lebensweise zu ändern, die auf die Dauer doch nicht durchführbar sein konnte, wenn auch der Vater immer wieder großmüthig die Hand öffnete, um dem Sohne, dem er nichts versagen konnte, das Leben zu er möglichen, das ihm lieb war. — Sie hätte es nur auf Kosten des häuslichen Friedens durchsetzen können — und das gewann sie nicht über sich. Sie saß daheim und rechnete, wenn er mit seinen Kameraden frühstückte, und wenn er halbe Nächte durch feierte, lag sie wach im Bett und sorgte und härmte sich müde. Sie quälte sich, das rollende Geld zusammen zu halten, damit er es ausgeben könne. Sie zeigte ihm nie ein böses Gesicht, und seine allzeit sprudelnde Heiterkeit war ihre liebste Erholung von Sorgen und Aengsten. Sie war schwach gegen ihn, und um so stärker gegen sich selber. Sie hätte ihn nicht ändern können. Vielleichr wußte sie das. — Aber Alexander Waldburg hatte noch eine andere Schwäche. Er spielte. — Lange wußte sie nicht darum. Als sie es eines Tages erfuhr, gerieth sie in Verzweiflung. Auf den Knien flehte sie ihn an, mit dieser Leidenschaft zu brechen, die sie Alle ins Unglück stürzen konnte. Er war gerührt, zerknirscht, überzeugt; versprach ihr Alles, was sie wollte und blieb den ganzen Tag zu Hause. Nie hatten sie sich so geliebt, wie an diesem Abend. — Am andern Abend spielte er weiter. — Nachdem dieselbe Scene sich mehrere Male wiederholt hatte, gab sie es auf, mit ihren schwachen Kräften das rollende Rad aufhalten zu wollen. Wer weiß, wie es gekommen wäre, wenn nicht eines Tages der Tod Allem ein jähes Ende gemacht hätte — dem Glück und der Angst. Alexander Waldburg verunglückte auf der Gems- jagd und starb nach kurzem, schmerzensreichem Krankenlager, fern von seiner Frau, die nur noch zurechtkam, um die Leiche des Gatten und Geliebten heimzuholen. Ja, nun hatte Josefa's Unruhe ein Ende -- aber auch ihr Glück. Nichts in der Welt tonnte sie entschädigen für das, was sie verloren. Sie mochte nicht zu ihren Eltern zurücktehren. Sie verließ ihre schöne, theure Wohnung und miethete für sich und ihre beiden Kinder das Gartenhäuschen am Wasser. Aber ehe sie darin zur Ruhe kam, gab es noch manchen schweren Tag zu bestehen. Ihre tiefe Herzenstrauer um den Lebensgefährten rauh ver letzend, kamen die verschiedensten Anforderungen an seine Hinter bliebenen, in der häßlichen Gestalt unbezahlter Schulden, und Josefa sah die Unfähigkeit, diesen Forderungen gerecht zu werden. Sie selbst besaß eben genug zur Bestreitung ihres kleinen, bescheidenen Haushaltes. Von ihres Mannes Eltern durfte sie nichts erwarten. Gegen den Sohn waren sie stets freigebig gewesen; für seine Wittwe hatten sie nichts gehabt als schöne Worte, die ihren Schmerz nicht lindern und ihre Lage nicht bessern konnten. — Um sich von der dringendsten Noth zu befreien, ließ sie sich ihr väterliches Erbe im Voraus geben und befriedigte damit die ihrer Hilflosigkeit gegenüber unerbittlichen Gläubiger. Nun hatte Niemand mehr etwas von ihr zu erwarten. Nun war es aber auch mit ihren Aussichten auf ein behaglicheres Leben einstweilen vorbei. In gänzlicher Zurückgezogenheit von der Welt, aus der ihr nur wenig Freunde in Trauer und Armuth gefolgt waren, lebt« sie fortan nur der Erziehung ihrer — seiner beiden Söhne. Peter saß schon auf der Schulbank, als er den Vater verlor. Manfred aber konnte noch nicht sprechen — kaum erst laufen. Peter begriff noch nicht viel von dem Geschehenen. Er wußte nur, daß er einen stattlichen, schönen, fröhlichen Vater gehabt hatte, der nun niemals wiederkommen würde. Er sah seine Mutter darum weinen und zürnte seinem Vater. Auch später, als er begreifen lernte, daß sein Vater todt sei, und daß die Todten nicht wiederkommen können, wollte das Gefühl der Ent fremdung, das sich einmal gegen ihn in seinem Herzen festgesetzt hatte, nicht ganz wieder weichen. — Manfred wußte, begriff und dachte fürerst gar nichts, und lernte seinen Vater aus den Er zählungen seiner Mutter und anderer Leute kennen, wie man die Hauptperson einer schönen, traurigen Geschichte kennen lernt. Frau Josefa hatte gethan, was in ihren Kräften stand, um der leiblichen und geistigen Erziehung ihrer Söhne gerecht zu werden. Sie ermöglichte cs ihnen, gute Schulen zu besuchen, und Beide dankten cs ihr mit Fleiß und gutem Vorwärtskommen.' Sie hatte es sogar gewagt, Pcter's stillen, sehnsüchtigen Wunsch zu erfüllen und ihn studiren zu lassen. Daß es gelang, lag auße: an ihrem opferfreudigen Muthe ebensoviel an ihm selber der charakterfest genug war, inmitten wohlhabenderer Gefährten mit einer Zulage auszukommen, die für keinen derselben gereicht hätte. — Vor Kurzem hatte cr sein Examen bestanden und war nach mehrjähriger Trennung in das kleine Haus zu seiner Mutter zurückgekehrt, von da aus die Pflichten seiner bald erfolgten An stellung erfüllend. Dec verhältnißmäßig große Jahresunterschied hatte die Brüder bei ihren Studien getrennt. Sie hatten wohl dieselbe Schule, aber stets verschiedene Elasten besucht. Auch jetzt hatten sie naturgemäß nicht .viel Zeit für einander erübrigen können. Jndeß hatte das nicht verhindern können, daß sie trotz ihrer auch an Herz und Charakter grundverschiedenen Art mit echt brüder licher Liebe an einander hingen, in die sich bei dem Aelteren ein Gefühl väterlicher Fürsorge, bei dem Jüngeren eine ehrfürchtige, gläubige Bewunderung mischte. Am 'Abend vor dem Tage, an welchem Frau Josefa begraben werden sollte, saßen die Brüder in dem verwaisten Wohnzimmer beisammen. — Alle die traurigen Arbeiten und Obliegenheiten, die der Tod eines Angehörigen für die Zurückbleibenden mit sich bringt, waren durch Peter's umsichtiges Walten erledigt. Frau Josefa war feierlich aufgebahrt, alle Vorbereitungen zu ihrem letzten Wege waren getroffen. Peter sah blaß und abgespannt aus, wie Jemand, der Kummer und Sorge und eine groß« Verantwortung fühlt, und das Alles verlieh seinem jungen Gesicht etwas über seine Jahre Gereiftes und Männliches. Er hatte sich in einen altmodischen Sessel gesetzt und das Haupt nachdenkend in die schmale, kräftige Hand gestützt. Manfred saß auf dem breiten Fensterbrett. Das weiche Lickt des Maiabends beschien sein frisches Knabengesicht, das, ab gesehen von einer leisen Schwermuth, in den kindlich offenen, blauen Augen keine Spuren irgend welcher traurigen Erregung trug. Sein gewaltsamer Schmerz war ebenso heftig empfunden, wie schnell vergangen, und hatte einer weichen, ein klein wenig romantischen Trauer Platz gemacht. — Seine Gedanken weilten in diesem Augenblick weniger bei jenem Leben, das erloschen war, als bei dem anderen reiz- und räthselvollen, das nun vor ihm lag. Er war daher ganz vorbereitet auf die Worte, die nach langer Stille aus dem Hintergründe des Zimmers an sein Ohr schlugen. „Freddi, tvir müssen nun einmal ernst miteinander reden. Es ist die letzte ungestörte Stunde vor der Ankunft unserer Ver wandten, die wahrscheinlich Alle über unsere Zukunft ein Wort mitredcn werden. Wir müssen uns klar lverden, was wir selber wollen, damit wir wissen, was wir ihnen zu erwidern haben. — Ich für meine Person bin mündig; ich kann schließlich thun und lassen, was ich will. Du aber bist minderjährig und mit Deine» Entschlüssen einer fremden Autorität unterworfen. Nichtsdesto weniger kannst Du bestimmte Wünsche haben. Ich möchte sie
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