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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 26.04.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-04-26
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010426026
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901042602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901042602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-04
- Tag1901-04-26
- Monat1901-04
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Freitag den 26. April 1901. SS» Anzeigen-Preis die 6gespaltene Petitzeile 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (»gespalten) 75 H, vor den Familiennuch» richten (v gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme L5 H (rxcl. Porto). Ertra Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung «/I ÜU—, mit Postbesörderung 70—. Ännahmeschlub für Anzeigen: Abend-Au»gabe: Bormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeige» siud stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi- Abend» 7 Uhr. Druck und Verlag vou E. Pol- in Leipzig. 95. Jahrgang. Die Wirren in China. Die deutsche Kriegsflotte in Sen chinesischen Gewässern und ihre Wirkung ans die diplomatischen Verhandlungen. Aus Shanghai, 16. März, wird uns geschrieben: Daß vir oft ausgestellte Behauptung, die Anwesenheit einer stattlichen deutschen Kriegsflotte in den chinesischen Gewässern sei werthlos, doch nicht ganz richtig ist, geht aus nachstehenden, aus Shanghai übermittelten Mittheilungen vom 16. März hervor: Die pessimistische Stimmung, die hier eine Zeit lang herrschte, ist jetzt einem Gefühle größerer Zuversicht gewichen, und zwar in erster Linie Dank dem energischen Auftreten des Feldmarschalls Grafen Waldersee und der fremden Vertreter gegenüber der hinterhältigen Politik des chinesischen Hofes. Man hofft dabei, daß vor Erfüllung der Hauptbedingungen der Mächte weder die Truppen noch die Kriegsschiffe zurückgezogen werden möchten. Die Anwesenheit der deutschen Panzer in der Uangts emündung hat nämlich ebenfalls er heblich dazu beigetragen, den chinesischen Hof zu einer nach giebigeren Haltung zu bewegen-. Man glaubte auf chinesischer Seite fest, daß der vom Grafen v. Waldersee erlassene Befehl zur Kriegsbereitschaft sich auch auf diejenigen Marine- theile beziehe, denen nach der Meinung der Chinesen ein Angriff auf das Aangtsethal zufallen mußte. Die zufällige gleichzeitige Anmusterung von Lootsen durch Admiral Bendemann bestärkte die Chinesen noch in ihrem Glauben, und die Vicekönige des Iangtsebecken» thaten ihr Möglichstes, um den Hof in Sianfu zu schleunigem Handeln im Sinne der Forderungen der Mächte zu bewegen. Auch der Telegraphendirector Scheng stand in eifrigem Depcschenwechsel mit Sianfu und wird in ähnlichem Sinne gewirkt haben. Zweifellos würden diese Bemühungen durch ein Zurückzirhen der Kriegsschiffe wesentlich abgeschwächt werden, während die Chinesen jetzt vor einem deutschen oder auch deutsch-englischen Vorgehen auf dem Yangtse eine sehr heilsame Besorgniß haben. Der Krieg in Südafrika. Lord Kitchener meldet aus Pretoria unter dem 23. April: Seit meinem letzten Telegramm sind folgende Mel dungen eingegangen: Gefangen wurden 113 Boeren, 10 Boeren ergaben sich. 138 Gewehre, 98 Pferde, ein Zwölf- pfünder und 15 000 Patronen kleinkalibriger Munition wurden erbeutet. 12 Boeren sind gefallen. Bei Hel vetia ist ein 4,7-Centimeter-Geschütz weggenommen worden, das unbrauchbar gemacht worden war, desgleichen ein unbrauchbar gemachtes Maximgeschütz. Außerdem sind eine erhebliche An zahl Wagen und Vieh erbeutet worden. Englische Verluste: ein Mann todt, ein Leutnant und 7 Mann leicht verwundet. Die Londoner Morgenblätter berichten aus Pretoria, es verlaute, daß Baden-Powell nach England zu rück k e h r e, da er das Conimando der Polizeitrüppe in Süd afrika niedergelegt habe. Beim Kriegsamte ist hierüber keine Meldung eingegangen, in Beamtenkreisen verlautet jedoch, Baden-Powell werde wahrscheinlich einen kurzen Urlaub nehmen. Amtlich wird aus C a p st a d t, 25. April, mitgetheilt: Die Zahl der in der vergangenen Woche dort vorgekommenen Pest fälle beträgt 64, von denen 33 einen tödtlichen Ausgang hatten. Unter den Erkrankten befinden sich 17 und unter den Gestorbenen 4 Europäer. In Port Elizabeth ist seit dem am 16. April gemeldeten Falle keine neue Pest erkrankung vorgekommen. Politische Tagesschau. * Leipzig, 26. April. Der Reichstag nahm gestern die zweite Berathung >ors Ge setzentwurfs über die privaten Bersicherungs- unternehmungrn vor. Der Berichterstatter der Com mission, Abg. Zehnter (Centr.) gab eine Ucbersicht über die in der letzteren beschlossenen Aenderungen; di« Grundlage d«S Gesetzes sei durch die Commission nicht verschoben, diese habe auch davon abgesehen, die privatrechtliche Seite des Versiche rungswesens in den Gesetzentwurf einzudeziehen, sie habe auch keinen Versuch gemacht, sie steuerliche Frage in diesem Gesetz entwurf zu regeln. Dagegen habe sic es nicht an Bemühungen fehlen lassen, dieses Gesetz auch auf die öffentlichen Versicherungs anstalten auszudehnen, also auf die vom Staate von Communen oder sonstigen öffentlichen Körperschaften errichteten Anstalten. Die Commission habe diese Bemühungen nicht gekrönt, sondern nur einzelne Bestimmungen der Vorlage aus die öffentlichen Versicherungsanstalten ausgedehnt. Die erste Discussion ent spann sich über die Frage der Kautionsstellung. Abg. Richter (freis. Volksp.) bezeichnete es als einen Rückschritt, derartige Vorschriften namentlich dem Auslande gegenüber zu machen. Wir seien mit den Versicherungen weit mehr auf das letztere angewiesen, als dieses auf uns. Namens des Reichsamts des Innern bat Geheimrath Gruner um Ablehnung des Richter- schen Antrages. Die Forderung der Kautionsstellung sei nament lich auch den ausländischen Versicherungsunternehmungen gegen über unerläßlich. Nachdem auch die Abgg. Schrader (freis. Vereinigg.) und Müller- Sagan (freis. Volksp.) für dir Ab schaffung der Prämien cingetreten waren, lehnte die Mehrheit den darauf hinauslaufenden Antrag Richter ab. Eine umständ liche Debatte veranlaßte die Berathung des § 11, wonach der Geschäftsplan einer Lebensversicherungsunternehmung die von ihr angenommenen Tarife, sowie die Grundsätze für die Be rechnung der Prämie und Prämienreserve vollständig darstellen, namentlich auch den Zinsfuß über die Höhe des Zuschlages zur Nettoprämie angeben und die Wahrscheinlichteitstafeln mit ent halten soll. Die Abgg. Müller-Sagan und Müller-Mein'-noen beantragen, hinzuzrrfügen: Auch ist anzugeben, ob und in welchem Maße bei der Berechnung der Prämicnreserve eine Me thode angewendet werden soll, nach welcher anfänglich nicht die volle Prämienreserve zurückgestellt wird, wobei jedoch der Satz von 12^/2 Procent der Versicherungssumme nicht überschritten werden darf. Für diesen Antrag stimmen die gesammte Linke, einschließlich der Nationalliberalen, vom Centrum ver Abg. Heim, außerdem die Polen und die Antisemiten. Die Rechte und das Centrum sind schwach besetzt. Bei ? 81 kam es zu einer parla mentarischen Katastrophe. Der genannte Paragraph will, daß die Kosten des Aufsichtsamts das Reich trägt. Als Gebühren werden von den Versicherungsunternehmungen Jahresbeiträge erhoben, welche nach den Bruttoprämien, abzüglich der Prämien für Rückvergütung und der zurückgewährten Ueberschüsse oder Gcwinnanthcile mit der Maßgabe bemessen werden, daß 1 Procent nicht überschritten werden darf. Weiter bestimmt der Paragraph, daß der Gcsammtbetrag der Gebühren annähernd die Hälfte der im letzten Reichshaushaltsetat für das Amt fest gesetzten fortdauernden Ausgabebeträge über die Verthe-ilung ver Gebühren durch das Amt erfolgen solle. Abg. Mülier- Meiningen (freis. Volksp.) beantragte die Streichung der auf die Gebühren bezüglichen Bestimmungen, so daß das Reich die Kosten zu tragen hat. Geheimrath Gruner bat, diesen An trag abzulehnen. Nunmehr legt« sich Abg. Richter ins Z-ug und proclamirte den Grundsatz, solche Steuer bei so schwach be setztem Hause einzusühren, halte er nicht für angebracht. Abg. Büsing (nat.-lib.) erklärte: Da wir nicht einen Gebühren tarif für die einzelnen Hanolungen des Aufsichtsamtes feststrllen können, so haben wir der Bestimmung zugestimmt. Einen ähn lichen Vorgang gab eS schon bei dem Hypothekendankgesetz. Nach dem auch Graf Posadowsky für die Bestimmung einge- treten war, bezweifelte, als es zur Abstimmung kommen sollte, Abg. Richter die Beschlußfähigkeit des Hauses. Die Aus zählung durch Namensaufruf ergab die Anwesenheit von nur 138 Mitgliedern. Das Haus ist also nicht beschlußfähig. Der Präsident nannte das Ergebniß rin wenig erhebendes und be raumte die nächste Sitzung auf Montag an: Fortsetzung ver Berathung des Versicherungsgesetzes und dritte Lesung des Ur heberrechts. Die Conservativen haben in der Commission für den § 1 des sogenannten Toleranzaiitragrs des kcutrnnis ge stimmt. Ob die ultramontane Mausefalle, die dieser Jnitiativ- Gesetzentwurf darstellt, in dieser Session noch ins Plenum des Reichstags zurücktransportirt werden wird, steht dahin. Höchst wahrscheinlich findet sich aber noch Zeit zu einer zweiten Lesung in der Commission, und wegen des moralischen Eindrucks, den eine, wenn auch noch so unverbindliche abermalige Abstimmung im Sinne der Jesuiten hervorbringen müßte, ist cs wohl erlaubt, die Conservativen, wenigstens die sächsischen Conservativen, zu fragen, ob sie auch wirklich wissen, was ihre Vertrauensmänner in Berlin thun. lieber die Tragweite des § 1 des Centrums antrags ist das Genügende überall gesagt worden. Er will schrankenlose Religionsfreiheit, abgesehen von den Schranken, die der Klerikalismus vermöge einer natürlichen Macht, die keine andere Religionsgesellschaft besitzt, noch je erwerben kann, zu sehen vermag und gewillt ist. Wie weit dieser Dupirungs- plan L la Veuillot geht, läßt sich am besten an dem Eifer er kennen, mit dem das Centrum gewisse nationalliberale Vor sichtsbestrebungen bekämpft und, leider mit conservativer Hilfe, zu Falle gebracht hat. Die verlangte „volle Freiheit des religiösen Bekenntnisses, der Vereinigung zu Religionsgemein schaften, sowie zu gemeinsamen Hauslehren und öffentlicher Neligionsübung" wollte ein Antrag Sattler u. A. dahin prä- cisirrn, daß ,,^cr Inhalt Des Bekenntnisses und die Art ver Religionsausübung nicht die bestehenden Strafgesetze verletzt." Dieser Antrag wurde, nachdem sich die Centrumsredner gehörig ins Zeug gelegt hatten, abgelehnt. Hier versteht es sich von selbst, daß dem Centrum nichts daran gelegen ist, den Mormonismus mit seiner Vielweiberei, das Stoptenthum, die indischen Fakire und dergleichen zuzulassen. Es wehrte sich aber gegen ein Verbot solcher „Religionen", weil andere Einschränkungen, die der Antrag Sattler enthält, es geniren würden. Sie gingen dahin, daß die volle Frei heit des Inhaltes des Bekenntnisses und die Art der Religions- Llmng „nicht zur Beleidigung Andersdenkender", „zur Erregung von öffentlichem Aergerniß und zur Störung der öffentlichen Ruhe und Ordnung" führen dürfen. Dieses sein Existenz minimum will sich der moderne Ultramontanismus um keinen Preis, selbst nicht um den der Duldung der Jünger Joseph Smith's und Brigham Doung's, nehmen lassen, und er kann es füglich auch nicht. Warum hier aber die Conservativen be hilflich sind, seine Macht schrankenlos auszudehnen, ist schwer erfindlich. Die Beispiele praktischer Intoleranz des Klerikalismus haben sich gerade in neuester Zeit so ge mehrt, daß aus dem Deutschland zugedachten „Toleranzgesetz" das sia vos, non vobis auch dem Harthörigen vernehmlich in die Ohren klingen muß. Dieses Gesetz, um von anderen zu schweigen, höbe nicht etwa das Jesuitengesetz von 1872, sondern alle der Zulassung von Jesuitenniederlassungen entgegenstehenden partikularen Gesetze und Verordnungen auf und brächte Sachsen unfehlbar eine Bescheeruna, zu deren Fernhalrung es des Reichsjesuitengesetzes gar nicht bedurft hätte. Indem er Rechtsgrundsätze statt greifbare Rechtssätze aufstelli, öffnet der Centrumsantrag überall im Reiche jedem Ultramontanen Thür und Thor, und in diesem Paragraphen steckt u. A. auch daS Recht auf die „freie" Errichtung geistlicher Gymnasien und Hochschulen, wie wir sie in der Schweiz be wundern, wie sie aber vielleicht auch die konservativen Evange lischen Sachsens nicht wünschen möchten. Was die Stellungnahme der Conservativen am wenigsten be greiflich erscheinen läßt, ist die allgemeine Zeitlage, die soeben einen „Ferdinand den Katholischen" wieder geboren hat, und die Lage in Preußen im Besonderen. Sieht man nicht, oder will man nicht sehen, wie die Verwaltung in Preußen mehr und mehr klerikalisirt ist?- Einen Bortheil können die Conservativen davon nur haben, so lange man sie beschwichtigen ni u ß. Diese Nothwendigkeit hat ihre Grenzen, wie sich in der Justizverwaltung der preußischen Regierung schon seit Langem zeigt. Auch in der politischen Verwaltung haben die Conser vativen Einbußen zu Gunsten des Klerikalismus erlitten, und soeben ist ein dieser Richtung nicht fernstehender Herr zum Re gierungspräsidenten von Arnsberg ernannt worden. Die erste Aufgabe dieses Beamten ist, die Zweitheilung de» Regierungs bezirks vorzubereiten. Der politisch außerordentlich wichtige Bezirk von Dortmund soll losgetrennt und ein eigenes Regie rungspräsidium erhalten. Wenn die Conservativen in der „Toleranz"-Commisiion fortfahren, Furcht vor dem Ultra montanismus zu zeigen, dürfen sie sich nicht wundern, wenn die Regierung auch in dieses neue Amt einen von der gefürchtenn Partei beruft. Zu den russischen LtuSentenunruhen wiro un» aus Peters bürg, 25. April, berichtet: Nachdem am Montag die Hoch schulen wieder eröffnet 'waren, fand mit Erlaubniß des Kultusministers o. Wannvwsky eine Versammlung von Studiren'den an den unter seiner Controle stehenden Hochschulen statt. Nach längerer Erörterung wurde mit 1361 gegen 228 Stimmen von den Universitälsstudenten folgende Resolution gefaßt: „Die Studenten setzen volles Vertrauen in die wohlwollenden Absichten der Regierung und hegen den Wunsch, ihr Zeit zur Durchführung der nothwendigen Reformen zu lassen. Sie bitten den Minister, Dir Examina bis zum Herbst zu verschieben, bis zu welchem Termin die Kameraden wieder an wesend sein können, die zur Zeit ausgeschlossen sind, weil andern falls auf den Hochschulen Schwierigkeiten entstehen könnten, welche die Studirenden zu vermeiden wünschen." In der Ver sammlung war kein Vertreter der Behörde zugegen, nur ein Oberpedell. Die Versammlung verlief ruhig. Einer der studrn tischen Redner thrilte schließlich den Versammelten mit, eine hochgestellte maßgebende Persönlichkeit habe geäußert, die Re gierung erwäge, die abwesenden Studenten wieder zurückkehren zu lassen; doch nur für den Fall, daß die Studirenden sich ganz ruhig verhielten und sich nicht das Geringste zu Schulden kommen ließen. Auch involoirc diese gute Absicht der Regierung kein Recht für die Studirenden, di« Rückberufung der abwesenden Kameraden zu fordern. — In maßgebenden Kreisen scheint man obige Resolution nicht gebilligt zu haben.und in ihr eine unberech tigte Forderung zu finden, da am Dienstag der Rector der Uni versität einer an diesem Tage stattgefundenen zweiten Der sammlung Dir Antwort brachte, der Minister weiaerr sich, die Ab Haltung der Examina bis zum Herbst zu verschieben und in dieser Frage 'weitergehende Zugeständnisse zu machen, als er in dem kircularschreiden erklärt habe, in welchem er liberale Be stimmungen getroffen für diejenigen Studenten, welche ihr« Ab Wesenheit mit einer annehmbaren Entschuldigung begründen Feuilleton. Der Oger. Roman von Hermann Birkenfeld. Nachdruck virboten. Nahe der Kastanienallee, die nach der Roßwies« führt, holen sie Ulrich Fetthenne und Frida ein. Nun trennen sich ihre Wege, und mit nüchternem Gruße ve^ abschiedet sich Rudolf von ihr und dem Dicken Ulrich, um mit Frida von Oertel heimrugehen. HalbwcgS des Dorfes begegnet ihnen «in Paar: Herr Fritz mit ver Baronesse. Frida kann sich des Lachens nicht enthalten, wie sie die Herren so förmlich grüßend aneinander oorbeischreiten sieht. „WeißenhauS macht sich. DieS kam mir schon vor, als wär's in der Driburger Brunnenall«e in ihrer besten Zeit." Er schweigt, bis sie neckisch fragt: „Sie haben sich wohl bei d«r Unterhaltung mit Ihrer Jugendfreundin gänzlich verausgabt?" Da lacht er. „Sie scheinen umgekehrt durch Ihren Kavalier nur frische Anregung empfangen zu haben." „Durch verrn — Fetthenne! Eigentlich reizt schon der Name zum Lachen. Und sein Träger ist eine so drollige Figur!" „Wenn er nicht» Schlimmere» ist", grollt er. Das Lachen ist ihm vergangen. „Hm! Dafür möchte ich ihn nicht halten", antwortet sie. „Still — ich weiß, was Sie sagen wollen. Aber war denn er — waren Sir, al» Sie Ihr« Heimath verließen, ein fertiger Charakter? Ich glaube, «» verlohnt« sich der Mühe, darüber . nachzüdenken. Aergerlich nagt er an seiner Unterlippe. „Ich dank« für die Lection. — „— War gern «rtheilt. Uebrigens wollen wir über Viesen Herrn einstweilen nicht rechten. Nur, wa» er eigentlich ist, möchte ich wissen." „Der Sohn seine» Vater», das heißt, ein junger Mann, der sich'» erlauben darf, sein« Tage mit Nicht-thun todtzuschlagen." „Sie urtheilen nicht o^eettv." „Nein." „Er sagt, er wäre Student —" „Vertragt sich da» nicht mit dem Nichtsthun?" Ein« nachdenklich, Falte gräbt sich zwischen ihr, Brauen. „Den Eindruck, keinen unbändigen Fleiß entwickelt zu haben, macht er schon", sagt sie nach einer Pause; „deshalb aber braucht er kein schlechter Mensch zu sein." „Er scheint Ihr« Ge'dnlen sehr zu beschäftigen." „Und Sie sind zur Abwechselung 'mal ungenießbar. Ich glaube, ich habe Sie verwöhnt." Er ist wirklich kein angenehmer Gesellschafter heute Abend. Er hat zuviel über sich und Andere nachzudenken und ist sehr zu frieden, daß Onkel Gerhard heute zeitig schlafen geht. Ihre Begegnung mit den Karninern haben die Beiden mit keiner Silbe eerwähnt. Auf seinem Zimmer sitzt er heute noch lange im Dunkeln, und die Hüttcnuhr schlägt «lf, als er Licht anzünvet, an der Läde seines Tisches zieht und Schreibzeug hervorholt. Wenn er auch auf seimn letzten Brief an Helene noch kein« Antwort hat, er muß seine Empfindungen irgendwo unterbringen .... „Kennen Sie Rudolf Lindau's „Kleine Welt"? Ich fand die Novelle kürzlich in einer von Onkel Gerhard's Dutzend Unter haltungsschriften und hab« heute vie Richtigkeit ihres Grund gedankens erprobt — in Anbetracht der Wellverlorenheit unseres Dörfchens. Ulrich Fetthenne ist hier. Und nicht einmal allein, sondern mit einer Freundin meiner Schwester und den beider seitigen Müttern. Im Sanatorium des Herrn Fritz. Welche Erinnerungen da in mir wach geworoen sind, zugleich mit der alten Feindseligkeit gegen den dicken Ulrich! Sie kennen ihn doch noch aus meinen Erzählungen? Mit Erna Hansen, seiner Dame, hatte ich ein merkwürdiges Gespräch, natürlich über alle Verhält nisse, die für mich todt sein sollten, und von «denen ich nun ein sehen muß, daß ich sie nur unter einem künstlichen Nebelschleier mir selbst entrückt hatte. Ein Aschenhausen, unter dem es glühte, und nun zuckt die Flamme heraus und will sich nicht dämpfen lassen. Das blasse Fräulein machte einen Versuch, mich zur Ver söhnlichkeit umzustimmen. Er mißlang, trotz blauem Augenau - schlag und gefühlvollen Seufzern. Sie Ihnen zu schildern ist eigentlich ebenso überflüssig als für mich schwierig. Ein Gesich , das wirklich «ne Cur nöthig zu haben scheint, obgleich man d e Karniner Luft ihr ebenso zuträglich halten sollte wie die Weißen hauser. Dies Gesicht denken Si« sich auf einem nicht zu kleinen Körper von fast derben Formen. Noch zu erwähnen aschblonde», ausgesucht schlicht ausgerüstetes Haar und «inen Tonfall in der Stimme, der zur Previgersgqttin prädestinirt. Schroffere Gegen sätze als sie und Frida sind schwer denkbar — mit der einzigen Ausnahme, daß Beide mich schulmeistern möchten. Natürlich war es dieser Besuch der Karniner, den Onkel Ger hard nicht nach Weihenhau» wünschte. Auch ich wollte, Herr Fritz hätte mir die heutige Begegnung erspart. Verzeihung für diesen Brief! Ich mußte zu Jemandem reden, und Sie sind das einzige Wesen, zu dem ich's in diesem Falle konnte. Ein paar Zeilen nur, bitte! aber bald. Rudolf Lammert." Ein Brief im Lavidarstil, wie er sonst nicht seine Art. Mit wendender Post erhält er Antwort. „Sprakensen, den 15. Juli 1880. Mein lieber Freund! Ihres zweiten Schreibens hätte es nicht bedurft, mich zu einer Erwiderung des ersten zu veranlassen, wenn nicht die Sorge um Papas alten Kampfgenossen jede Stu-nve, die ich von meiner häuslichen Thätigkeit (sic ist wirklich das geworden, was man im landläufigen Sinne häuslich nennt) erübrigen konnte, und noch mancherlei darüber hinaus, in Anspruch genommen Hütt«. Nun bin ich dieser Sorge überhoben: Heute früh hat Susa ihrem alten Freunde die Augen zugedrückt. Wie Großpapa dir Nachricht aus genommen hat? — Er sitzt in seinem Lehnstuhl und rechnet, oaß er nur ein Jahr jünger ist als der Verstorben« — sechsunvachtzig! Gewisse Gedanken ergeben sich da von selbst. ES sieht eben traurig aus in Sprakensen. Was Ihre Briefe anbetrifft, so gehe ich lieber gleich auf den zweiten ein, der mich trotz seiner Kurze am meisten interessirtr. Und da Sie gewiß nicht ivünschen, daß ich Ihnen meine An sichten verhülle, so kann ich Ihnen den Vorwurf der Starrköpfigkeit — wenn Sie's erlauben, neu erwachten Ogernthums — nicht ersparen. Niemals habe ich mich bisher für berechtigt gehalten, Ihnen Rathschläge bezüglich Ihres Ver haltens zu Mutter und Geschwistern zu rrtheilen, jetzt aber muß ich Ihnen zurufen: Lassen Si« die Flammen nur aus der Asche herauslodern! Sie sind in Gefahr, Versteckens mit sich selbst zu spielen, zum Nachthril de» herzhaften Kernes, der in Ihnen steckt, zum Schmerz der Ihren. Was Sie mir über Ihren Herrn Ulrich und s«in« Begleiterin geschrieben haben, find« ich sehr erklärlich, aber deshalb noch keineswegs richtig und noch weniger groß ge dacht. Daß mußte ich Ihnen sagen, so gewiß ich Si« damit nicht kränken möchte. Für des Herrn Doctors Sorge um unsere GutSwirthschaft — wie soll ich dafür danken? Wen er nn» zu Hilfe schickt, der wird schon der Recht« sein. Zumal jetzt, wo ich mehr als je um meinen Großpapa sein muß. Er hat ja sonst Keinen mehr, seine ein samen Stunden zu kürzen. Werden Sie mir bald einen erfreulicheren Brief schreiben als der letzte? Sie wissen ja nun, wie ich da» und wie ich es mit Ihnen meine, mein lieber Freund. Ihre Helene von Rheinrrn." Erst am Spätnachmittag hat Rudolf diesen Brief erhalten, der seine widerspruch-voll« Stimmung um nicht- glättet. Verdrießlich steckt er die Blätter mit Helenens eigenthümlich ausg«reckten Schriftzügen ein, hängt unten die ihm von Onkel Gerhard zur Verfügung gestellt« Büchs« über die Schulter und will ins Freie. In Der Hausthür begegnet ihm Frida. „Waidmannsheil!" lacht sie. „Oder muß man bei Ihnen auch Hals- und Beinbruch wünschen wie bei Onkel Gerhard?" Der Scherz verfängt nicht. Si« drückt sich vor feinem Ge ficht sogar wie erschreckt an die Wand: „Pardon, Herr Nimrod!" „Den Spott haben Tie billig", brummt er. Sie weiß ja, daß er noch kein Stück Wild zur Strecke gebracht Hal. „Au!" ruft sie aus. Eigentlich hatte ich mich nach der Stim mung des gnädigen Herrn erkundigen wollen; nun sehe ich —. Wie nannte Herr Fetthenne Sie doch noch?" Er hat an ihr vorüber wollen, bleibt nun aber mit gerunzelter Stirn stehen. „Kindereien scheinen Ihnen Spaß zu machen." „Und Ihnen Grobheiten. Dafür aber mögen Sie nachber lange warten, bi» ich Sie wieder abhol«." Sie dreht ihm den Rücken. Er murmelt etwas Unverständliches, gewiß aber nicht» Höf liches vvr sich hin und geht sem«r Wege. Zwischen ihm unv Frida knattert seit rin paar Tagen rin beständiges Geplänkel. Was ihn geradezu ärgert, ist, Daß ihr« angeborene Gemüthsfriscke mehr als einmal sich in offenen Muth willen auswächst. Als sei eine groß« Last von ihrer Seele ge wälzt, so unverwüstlich heiter lebt sie dahin, seitdem Herrn Fritzens Dasein fast nur noch seinen Luftdamen gehört. Letztere Bezeichnung natürlich eine Schöpfung Onkel Gerhard'». Eine halbe Stunde etwa muß Rudolf Lammert marschiren, bis au dem Wechsel, wo lver Doctor ihm ein sicher«» Abkommen in Aussicht gestellt hat. Erst durch die Aller, an der Roßwiesc vorbei, zwischen Buschwerk und einer Eichenschonung hindurch, dann durch die ernst« Stille de- Fichtenhochwaldes. Lautlo» fast geht es oorwärt» auf dem elastischen Bowen der breiten Schneuse, di« sich durch den Forst zieht, schnurgerad«, wie die Fichtenstämme an ihren Seiten. Kaum daß ein Tannenzapfen leise knackt, wenn er sich unter seinem Tritt in den Waldboden preßt. Nur noch fünfzig Schritt bis zum nächsten Gestell, in das er einzubiegen hat, um zu seinem Ansitz zu arlangen. Schon steht er das Helle Grün eine» jungen Buchenbrstande», der dort an fängt, vor sich, da — knackt va nicht etwa» — vor ihm — ein, zwei Mal? Als ob die Hähne eine» Doppelgewehr«- gespannt würden. Er bleibt stehin uckd lauscht.
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