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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 31.05.1901
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1901-05-31
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19010531021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1901053102
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1901053102
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1901
- Monat1901-05
- Tag1901-05-31
- Monat1901-05
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Wir nähern uns jetzt mit Macht dem Winter und der Kälte; fast täglich regnet es in Strömen, Vie Wege gleichen einem Morast und das „Veld" ist üppig grün. Bricht einmal die Sonne hinter den dicken Wolken hervor, dann herrscht eine mollige oder gar tropische Temperatur. Mein Befinden ist glücklicher Weise wieder tadellos, nachdem mich 4 bis 6 Wochen lang eine Krankheit geplagt hatte, die der Arzt nicht diagnosticiren konnte, die mich aber in meiner Beschäftigung wenig hindern konnte. Es wird wohl eine von jenen Affectionen gewesen sein, die in Folge des Krieges und der Ueberfüllung des Ortes mit zwangs weise eingebrachten Boerenfamilien unv strapazirten Soldaten auftreten. Hier sind momentan sicher an 2000 Personen zu sammengepfercht; außerdem laufen draußen mindestens 25 000 Stück Vieh herum und suchen hungernd nach Gras. Die Zeit ist sehr nahe, wo diese Viehmasse verhungern und dann zu Tausenden ihre faulenden Leichen das Feld bedecken werden; schon jetzt herrscht unter ihnen die fast stets tödtliche Lungcnseuchs. Dis Engländer halten Vas Vieh so nahe bei vem 'Ort innerhalb des Bereiches ihrer Kanonen und Maximgeschütze, um die noch fechtenden Boern draußen auszuhungern. Komisch ist nur dabei, vaß alle Augenblicke kleine Boerentrupps, sogar am Hellen lichten Tage, herankommen und Vieh wegholen. Von aushungern ist natürlich gar keine Rede, obwohl der ganze District völlig ent blößt ist von Vieh, Getreide und Menschen, d. h. einer Wüste gleicht. Fast sämmtliche Häuser sind von den völligver rohten Soldaten geplündert oder innen zerstört. Den friedfertigsten Boeren, die niemals gefochten haben, die ins Dorf gekommen sind zur Beschützung, und deren Hab und Gut laut Anschlag unter dem Schutze der englischen Regierung steht, werden die Häuser ausgeplündert, das Vieh weggenommen, die Dämme zerstört, kurz und gut — sic werden an den Bettel stab gebracht. Dewetsdorp und District gleichen einer Ruine. Man hat alle Bewohner der blühenden Ortschaft nach Bloem fontein gebracht, und als sie kaum das Dorf verlassen hatten, alle Häuser geplündert. Ich möchte nur wissen, wie man sich den so viel behaupteten „riesigen Aufschwung des Landes nach dem Kriege" vorstellt, wo doch von zehn Boeren (und das sind die Bewohner des Landes) neun völlig an den Bettelstab gebracht sind. Die Pest, die so sehr in Capstadt wüthen soll, ist noch nicht ins Innere des Landes gedrungen; sollte sie dies thun, so muß sie nothwendig entsetzliche Verheerungen hier anrichten. Welche Preise hier augenblicklich herrschen, dafür ein Beispiel: ein Dutzend Eier kostet in Bloemfontein 6,50 <>/(, ein Pfund Pfund Deutsch-Gewicht) Kartoffeln 40 H, ein Pfund Zucker 50 H u. s. w. Butter ist gar nicht zu bekommen; wir sind froh, wenn wir etliche australische Butter in Büchsen bekommen. Alles das sind Artikel, die in jetziger Jahreszeit massenhaft da sein müßten und so gut wie nichts kosten dürften. Gefechte finden hier herum täglich statt; gestern brachten die Engländer 31 Gefangene herein. Sind wir auch schon recht abgehärtet gegen die Schrecken des Krieges, so sehnen wir Alle uns doch mit jeder Faser des Herzens nach Frieden. Morgen, am Ostersonntag, wird ein Hühnchen geschlachtet. Daß morgen Ostern ist, erfuhr ich erst gestern zufällig. Es sieht hier nichts weniger wie österlich aus. 'Die ganze Nacht Regen, heute Morgen Kanonendonner; der Ort ein Chaos von Ochsen- und Maul- thierwagsn, Soldaten und Kaffern in kolossal schmutzigen Khaki- uniformen und hoch zu Roß; Trupps von verweinten Frauen und Kindern, die gestern gewaltsam durch eine tausend Mann starke und mit zahlreichen Kanonen bewaffnete Colonne von den Farmen hereingebracht und provisorisch in einem Gebäude zusammengepfercht sind. Alls diese armen Leute, deren Männer und Väter noch fechten, tovt oder gefangen sind, sind vorgestern an den Bettelstab gebracht. Man hat ihnen Alles, aber auch Alles weggenommen, und dir verödeten Farm häuser werden nun eine Beute der herumstreifenden englischen Patrouillen. Laß mich wissen, ob Du diesen Brief empfangen hast, und schreibe ab und zu etwas von Politik, wir hören hier absolut nichts, da außer englischen Zeitungen keine Drucksachen mehr ins Land hinein gelassen werden . . . den 20. April 1901. Von hier ist nicht viel Neues zu melden. Hst saut nox pwoä (es geht hier nicht gut). Vom Krieg hört man dank der strengen Censur fast nichts. Dagegen sehen wir jeden Tag mehr Elend, das keine Feder mehr schildern kann. Das Land ist jetzt fast ganz entblößt von Menschen und Vieh. Gestern kamen wieder mal zwei große Colonnen an, Hunderte von Frauen und Kindern und Tausende Stück Vieh mit sich führend. Die Menschen sind dem schrecklichsten Elend Preis gegeben, Alles, Alles hat man ihnen genommen, mit Ausnahme des Geldes, das wohl jeder Boer vergraben hat. Das Vieh ist dem sicheren Untergange geweiht, da es, concentrirt, im Winter kein Futter finden wird. Gegen die P e st werden umfangreiche Vorkehrungen getroffen; man vertilgt Ratten und Mäuse oir xros- Jeden Abend liege ich dem Sport des Mäusefangens ob, vorgestern fing ich in einer Falle in einer Stunde sieben Mäuse! Das raschelt und krabbelt in allen Ecken des Hauses. Dazu noch das Heer der Wanzen! Wie scharf es jetzt hier zu geht, dafür ein Beispiel: Eine Proclamation ist erschienen, in der alle Einwohner des Ortes gewarnt werden, Briefe von draußen zu empfangen oder nach draußen zu senden, die nicht durch die Hände der Militärbehörde gegangen sind. Zuwider handelnde werden bestraft entweder mit lebenslänglichem Zucht haus oder mit dem Tode. Das sind gemüthliche Zustände. Wie lange soll das noch dauern? Politische Tagesschau. * Leipzig, 31. Mai. Bon der istc-c, die der Kaiser vorgestern bei dein Früh stück im Casino des 2. Garderegiments z. F. gehalten hat und über die wir nach dem „Berk. Loc.-Anz." berichtet haben, erwähnt weder der „Reichs anzeig er" noch die „Nordd. Allgem. Ztg." ein Sterbenswörtchen, obgleich das Wolff'sche Telegraphen-Burean den Bericht des „B. L.-A." verbreitet hat. Was bedeutet daS? Die „Nak.-Ztg." ent hält sich jeder Vermuthung und bemerkt nur lakonisch: „Der „Local-Anzeiger" scheint zum „Neichsanzeiger" avancirt zu sein." Andere Blätter meinen, die Rede sei gar nicht für die Oesfentlichkeit bestimmt gewesen und der Bericht über sie sei wider den Willen dcS Kaisers veröffentlicht worden. So führt die „Tägl. Nundsch." aus: „Die Rede scheint nicht für die Oefsentlichkeit bestimmt gewesen zu sein; denn kein amtlicher Bericht hat auch nur ein Sterbenswort darüber verlauten lassen, obwohl gerade diese Rede sicherlich um so weniger einen internen Charakter tragen konnte, als sie ihren Weg in die französische Presse doch trotz aller Maß regeln sicher gefunden hätte. Wie man sieht, ist der Text der An sprache trotz der amtlichen Verschwiegenheit doch in die Oessentlich- keit gelangt; es zeigt sich also, daß die neulich besprochenen Maßregeln zum Schutz der kaiserlichen Reden vor unbefugter Veröffentlichung vollständig wirkungslos sind. Wir haben daS vorausgesagt. Die amtliche Heimlichkeit begünstigt nur die Thätigkeit derjenigen Reporter, die mit nicht ganz e nwandsrcicn Mitteln arbeiten, wenn nicht gar von irgend einer Seite, die zur Verschwiegenheit verpflichtet ist, Un gehörigkeiten begangen (werden. Bei Vorgängen von öffentlichem Interesse muß entweder der Berichterstattung freie Bahn gegeben, oder aber für eine schnelle und unparteiische amtliche Berichterstattung gesorgt werden." Und die „Berk. Börs.-Ztg." schreibt: „In nachdrücklichster Weise wurde kürzlich betont, daß Kaiser reden in Zukunft als intime Aeußerungen des Monarchen betrachtet werden möchten und daß Vorsorge getroffen werden würde, diesem Wunsche des Kaisers in der Richtung zu ent sprechen, daß so wenig „unberufene" Ohrenzeugen als möglich zu Gelegenheiten zugelassen werden würden, bei denen der Kaiser das Wort ergreift. Noch ist die Erörterung darüber lebhaft im Gange, ob dies erwünscht oder nicht sei — noch liest man die herzhafte Aeußerung in heute eingetroffenen Blättern, daß man sich lieber über eine Rede des Kaisers ärgern wolle, als daß man nicht erfahre, was der Kaiser wirklich gesagt hat — und schon wieder giebt eine bedeutsame Aeußerung deS Kaisers den Anlaß, ernsthaft die Frage auszuwersen, ob es wirklich dabei bleiben solle, daß Kaiserreden durch zufällige Reportage in einen kleinsten Theil der Presse Eingang finden?" Diese Annahme — baß der „Berl. Loc.-Anz." auf eigene Faust den „Reichsanzeiger" gespielt — wird hinfällig durch die Thatsache, baß daS „W. E.-B." den Bericht dieses Blattes verbreitet hat. Man stebt also abermals vor einem jener Näthsel, an denen die letzten Jahre so reich sind — man müßte denn annebuien. cs hätte sich nachträafick Ijcnis. gestellt, vaß'der vom Telegraphen verbreitete Bericht des „Loc.-Anz." in einigen Puncten mangelhaft wäre und vor der Aufnahme in die amtlichen Organe erst einer Berichtigung unterzogen werden müßte. Auf alle Fälle geht daraus, daß nicht der „Rcichöanz." zu einer schleunigen Mit theilung des genauen Wortlautes in die Lage versetzt wurde, hervor, daß der Rede nicht die Bedeutung einer großen Haupt- undStaatsaction beigelegt werden sollte. Bon einer solchen Auffassung halten sich denn auch die meisten Berliner Blätter fern, am fernsten Wohl die „Boss. Ztg", deren Beurtheilung des Borgauges mit der unserigen vollkommen übereinstimmt. DaS genannte Blatt schreibt nämlich wörtlich: „Die Rede des Kaisers beweist, Laß die Vorgänge in China, welche Gegensätze zwischen den Mächten und besonders zwischen Deutschland und Rußland auch zeitweilig hcrvortraten, keine per liche Verstimmung zwischen den Herrschern zurück gelassen haben. Die Kundgebung deS Zaren schließt sich an die jüngsten Vorgänge von Metz an, wo Kaiser Wilhelm II. Len Geburtstag des Selbstherrschers aller Reußen feierte und der russische Botschafter mit seinem Personal an dem Fest in der „lothringischen Hauptstadt der französischen Irredentisten", wie ein chauvinistisches Pariser Blatt sich ausdrückte, theilnahm. Wie jenes Fest nur einen Beweis hergebrachter Höflichkeit bedeutete, so wird man auch in dem Gruß deS Zaren an Kaiser Wilhelm nur ein Zeichen sehen dürfen, daß die Beziehungen zwischen Rußland und dem Deutschen Reich ungetrübt sind und in Petersburg keine Neigung herrscht, den Draht nach Berlin zu zerreißen. Daß der Kaiser bemüht ist, die Beziehungen Deutschlands zu Frankreich so freundlich zu gestalten, wie «S die Verhältnisse gestatten, hat er wiederholt bewiesen, ohne dabei immer das erwünschte Entgegenkommen auf französischer Seite zu finden. Wir erinnern nur an die Zurückweisung des Ordens pour Is mörito durch Pasteur. Der Kaiser hat Jules Simon aus gezeichnet; er hat die französischen Cadet ten begrüßt, er hat manche andere Aufmerksamkeit französischen Staatsmännern und Künstlern erwiesen. Das hat den französischen Kriegsmiuister AndrS nicht gehindert, noch dieser Tage seiner Sehnsucht nach dem Tage Ausdruck zu geben, wo Frankreich den Sieg erringe und seine frühere Stellung im Bölkerreigen wieder einnehme. Den Sieg über wen? Tas Hurrah Les Kaisers galt dem Generalmajor Bonn al und dem Oberstleutnant Gall et und der von ihnen vertretenen französischen Armee. Der Kaiser hatte deutsch gesprochen; General Bonnal ist ein wohlerzogener Mann; er dankte in seiner Mutter sprache warm und verbindlich für die ehrenden Aufmerksamkeiten, die ihm vom Kaiser und den deutschen Officieren zu Theil geworden, und schloß mit den Worten: „Dos deutsche Heer und sein Soldaten kaiser hoch, hoch, hoch!" Auch an Tusch und Nationalhymne fehlte es nicht, ob auch die Marseillaise gespielt worden sei, wird nicht berichtet. Es wird gestattet sein, der überschwänglichen Auffassung, als bedeuteten diese Höflichkeiten den Beginn einer neuen Aera in den Beziehungen zwischen Deutschland und Frankreich, mit einigem Skepticismus zu begegnen. Es wäre sicherlich schön, wenn die gute Waffenbrüderschaft in China, die die Franzosen halten mußten, weil der Zar es so wollte, auch auf Europa einwirken sollte. Abe: vir rurchkcn, daß dies. Hoffnung eitel ist und die Franzosru allesammt an die Vergeltung für Sedan denken, auch wenn sie nicht allesammt davon sprechen. General Bonnal hat am Tage vor dem Festmahl davon gesprochen, daß beide Heere würdig seien, sich mit einander zu messen. Auch er hatte dabei schwerlich nur Paraden und Manöver im Sinn. Und vielleicht thut man ihm nicht Unrecht, wenn man annimmt, daß er bei dem Hoch auf die deutsche Armee zugleich den Wunsch hegte, sie möge von den Franzosen geschlagen werden. Immerhin, die Freundlichkeit des Kaisers ist um so bemerkens« weither, je weniger sie als Schwäch- gedeutet werden kann. Und findet sie jenseits der Vogesen nicht den Widerhall, den man wünschen sollte, so kann sich Deutschland trösten, daß das Unrecht nicht aus seiner Seite ist." Daß das preutzische Abgeordnetenhaus zunächst nicht aufgelöst werden soll, haben die preußischen Officiösen schon erklärt. Warum aber zu einer solchen Maßregel nicht geschritten werden soll, das darzulegen, bleibt einem süddeutschen OfsiciösuS Vorbehalten, der sich folgendermaßen vernehmen läßt: „Die zu taktischen Zwecken erfundene „Auslösungsfrage" in Preußen hat vor den Pfingstseiertagen für langathmige Erörterungen herhalten Feuilleton. IS) Ein Engel der Finsterniß. Roman von Gertrude Warden. Autorisirte deutsche Uebersetzung von A. BraunS. Nachdruck »erdotkn. Wilde Leidenschaft war das von Francesca eingeflößte Ge fühl, Zärtlichkeit das von einem weiblichen Wesen mit reiner Seele, wie Betty es war. Nach einer geraumen Weile zuckten Betty's Wimpern, und über die blutleeren Lippen stahl sich ein bebender Seufzer; dann öffneten sich ihre Augen und blickten sich verwundert, verständ- nißlos um — ihr Kopf lag auf Dudley's Arm, und seine Tante rieb ihre — Betty's — Hände. „Was hat denn nur das Alles zu bedeuten?" murmelte sie, um sich stierend und über das ganze Gesicht erröthend, da sie sich plötzlich ihres Neglige-Anzuges bewußt ward. Sie suchte sich aufzurichten. Dudley war ihr behilflich und stützte sie, da ihre Füße noch wankten. „Du warst ohnmächtig geworden und bist eine halbe Stunde bewußtlos geblieben", beantwortete Frau Revelsworth ihre Frage. „Ich habe nach dem Doctor Vernon geschickt. Ich fürchtet« zuerst, Du wärest todt. Einen fürchterlichen Schrecken hast Du uns Allen eingejagt!" „Oh!" rief Betty mit matter Stimme, da ihr Erinnerungs vermögen jetzt zurückkehrte, und preßte die Hände vor die Augen, wie wenn sie einen schrecklichen Anblick ausschließen wollte. „Es ist von gar keinem Nutzen, den Doctor kommen zu lassen!" stieß sie hervor. „Es war ein Gespenst, das ich sah — das Gespenst! Doctoren können Gespenster nicht curiren. Ich war in Sorge um Sie, Frau Revelsworth, weil Sie in letzter Zeit nervös waren und sich unwohl fühlten, und ließ aus diesem Grunde meine Zimmerthür ein ganz klein wenig geöffnet, damit ich Sie in der Nacht rufen hören könnte, wie Sie mir versprochen, wenn Sie wieder von bösen Träumen beunruhigt werden sollten. Und wie ich gerade im Einschlafen war, da hörte ich es — jene» entsetzliche Rauschen — und faßte den Entschluß,, dem Geiste entgegenzutreten und in Ihr Zimmer zu schlüpfen, um zu ver hüten, daß Sie auch erschreckt würden. Aber, sobald ich meinen Morgenrock übergeworfen und bis an die Thür meines Zimmers gelangt war, da erblickte ich es! Gerade aus-Jhrem^Zimmer kam eS herausgehuscht, ohne.nur das-leiseste-Geräusch.zuLverur- sachen, nich^ernmal^(kHuLde^azEdrr^qjt^wcMin»d<umok auf. Nur der gelbe Brokat raschelte fürchterlich; und ich sah, obschon nirgends wo ein Licht brannte, das Gesicht ganz deutlich." Und die Erinnerung an die Todtenlarve verursachte Zähne klappern und ein Erzittern ihres ganzen Körpers von Schreckens angst, daß Dudley und seine Tante Alles aufboten, sie zu be ruhigen und zu überreden, das Erzählen ihrer Geschichte auf zuschieben; aber Betty schmiegte sich an Frau Revelsworth's Hand und fuhr fort: „Ich muß es Ihnen erzählen, weil es so fürchterlich war, und ich die Sache aufgeklärt haben will, wenn Jemand im Stande ist, sie zu erklären. Das Ding war klein und schmächtig, sein Anzug sah alt und verblichen aus. Die Halskrause und Musselinhaube waren genau so wie auf dem Bilde, und das goldige Haar mit Perlen durchwoben. Aber das Antlitz — o, es war gräßlich — gräßlich! Es war Mistreß Penfold, als sie ertrunken — ein entsetzliches Todtengesicht, ganz grau, und trotzdem im Dunkeln leuchtend, mit großen, schwarzen Löchern statt der Augen und einem Grinsen, wie ein Todtenschädel, und Händen, wie ein Scelett, aber ebenfalls leuchtend. Anfangs war ich selbst zum Schreien zu erschrocken und stand, es an stierend, still. Aber, als es auf mich zugehuscht kam, völlig ge räuschlos, abgesehne von jenem gräßlichen Rascheln, und mit jenen schrecklichen Knochenhänden, die gleichfalls durchleuchtet schienen, durch die Luft fahrend, da muß ich die Besinnung ver loren haben, denn ich kann mich auf nichts besinnen, kann mich nicht einmal erinnern, laut um Hilfe gerufen zu haben. Es gewährte geraume Zeit, bis sie dazu zu bewegen war, sich auf der Chaiselongue in Frau Revelsworth's Zimmer neben dem Schlafgemach zum Ruhen niederzulegen. Und als hernach Doctor Vernon, der praktische Arzt des Ortes, eintraf, da hielt er es für die erste Nothwendigkeit, ein sehr starkes Beruhigungs mittel in Anwendung zu bringen, ehe er seine Patientin mit nur leiser Hoffnung auf Schlaf verlassen konnte. Doctor Vernon war ein kleiner, schmächtiger, lebhafter Herr, der sich etwas länger, als ein Jahrzehnt in Hampton Court niedergelassen hatte, um gleich darnach die unliebsame Ent deckung zu machen, daß fast die gesammte Einwohnerschaft dem Doctor Burbage, einem stetigen Herrn der alten Schule, von bedeutender Erfahrung und gar keiner Originalität, anhing. Zum Glück für den neuen Ankömmling hatte Jener sich durch rückhaltlose Opposition gegen ihre Ansicht Frau Revelsworth's Gunst verscherzt. Die Folge davon war, daß Doctor Vernon als Hausarzt-für die Herrin, wenn nichts Ernstliches vorlag, inawelchleletzterem.Falle an Sir Henry Champneys in London teleLraphirf wurd«.»füt^Fräulein«Mannington und die Diener- schäft angenommen wurde. Doctor Vernon war jedoch größeren Vertrauens Werth, als die alte autokratische Dame in ihn setzte. Er war ein feingebildeter, sehr belesener, einsichts- und geistvoller Mann, vielleicht ein bißchen zu stolz auf die sehr vornehmen Kreise, in welchen er früher verkehrte, da seine Frau aus einer altadeligen Familie stammte, und em bißchen mehr Liebhaber des Tennis- und Wassersports und von Klatschereien, als für die Fortbildung in seinem Berufe gut war. Aber er war mit sicherem Scharfblick begabt und besaß viel Gemüth. Unten an der Thür des Billardzimmers stand Dudley, um den Doctor abzufangen, wenn er von oben kam, und sich zu erkundigen nach dem Ergehen seiner Patientin. „Ach ja", rief der Arzt nach gegenseitiger Begrüßung, „ich hatte selbst den Wunsch, ein bißchen mit Ihnen zu plaudern!" Trotzdem Doctor Vernon mitten in der Nacht aus dem Bette geholt worden war, war sein Aussehen doch so frisch und sein Anzug so accurat, wie zur Mittagsbisitenstunde. „Sie sind, Herr Revelsworth, jetzt das Familienoberhaupt, glaube ich. Freue mich, Ihre Bekanntschaft zu machen! O ja, Fräulein Belty's Befinden ist weit besser! Ein reizendes Mädchen und ein großer Liebling von meiner Frau! Sie hatten einander vermuthlich Gespenstergeschichten erzählt? Oder kam es vielleicht aus dem Magen?" „Wahrscheinlicher Wohl ein Streich von einem der Dienst leute", gab Dudley seiner Ansicht über die Angelegenheit Aus druck. „Ich würde den Kobold von Pagen in Verdacht haben, hätte mein Bruder, der hinunterging, ihn zu wecken, den Burschen nicht fest schlafend im Bette in seines Vaters Schlaf stube gefunden. Aber hoffentlich ist die Geschichte nicht von bleibendem Nachtheil für Fräulein Mannington's Nerven?! Sie schien über alle Maßen entsetzt und gab uns eine höchst anschau liche Beschreibung des Gespenstes." „Sie ist nervös und erregbar und jetzt gerade im Gemüth sehr besorgt, soviel ich herausgemerkt, um Frau Revelsworth's Gesundheit. Und das kann ich sehr wohl begreifen. Ich hatte Ihre Tante seit sechs Wochen nickt gesehen, aber selten in meinem Leben habe ich Jemand in solch' kurzem Zeiträume so zu seinem Nachtheile verändert gefunden." „Ist das wirklich Ihre Ansicht? Allerdings ist mir aus gefallen, daß sie in letzter Zeit sehr reizbar schien und blaß aus sah und über Halsentzündung und Mangel an Appetit klagte. Ich setzte das auf Rechnung ihres hohen Alters und die unge wöhnliche Hitze in den letzten Wochen.*» Doctor Vernon schüttelte bedenklich den Kopf. ' „Ich kenne sie seit länger denn jehn Jahren", bemerkte er, „und nie* zuvor hat'sie sich über die Hitze-beschwert.'^ Vor un gefähr drei Monaten hatte sie einen Anfall von Herzschwäche, und da erließ sie auf meinen Rath den Aufruf nach den über lebenden Verwandten. Damals war sie jedoch viel, viel wohler, als sie jetzt ist. Sie sieht faktisch aufgerieben aus.* Ist Ihnen vielleicht bekannt, ob sie jüngst Aerger gehabt hat?"- Dudley zögerte mit der Antwort. „Unser Kommen hat sie vermuthlich angegriffen nach so«viel Jahren des Alleinseins und absoluter Alleinherrschaft. -Meine Tante ist, werden Sie wissen, eine Fra^» von sehr starken Vor- urtheilen —" „Es fiel mir auf, wie sehr unangenehm ihr Wesen gegen Hene große, schöne junge Dame war, die Fräulein Mannbngton^die noch übrigen Nachtstunden zu pflegen-wünschte —^„Fräulein Revelsworth" nannten sie die Dienstboten.^ Darf ich^raaen/zob sie ihre Schwester ist?" „Meine Cousine." , „Und der junge Herr mit dem fremländischen^Accent?!!? „Mein Stiefbruder-,— Viktor Revelsworth^*^ „Er sieht schrecklich'krank aus."' „Bitte, verschreiben Sie ihm doch etwas!" bat Dudley.'s,Schon seit mehreren Tagen klagt er über Fieberhaftigkeit und Halsent-, zündung, auch über Schlaflosigkeit und Appetitmangel." „Ein sehr häufiges Vorkommniß in'hiesiger Gegeudr—«tie Einwirkung der Themsethalluft, wenn man-Siichtvdaran-gewöhnt ist. Schicken Sie ihn morgen im Laufe'de^DormittagS zu mir! Oder ich werde mit ihm sprechen.fwenn.ich.gegen MittagAierher komme." „Er beabsichtigt, den ganzen morgenden Tag auf.einer^eln^ samen Bootfahrt fortzubleiben, sagte er mir.". . „Die frisch« Luft kann ihm ganz gut sein^ aber doch 'möchte ich ihm rathen, die Sache nicht zu. übertreiben. ,Er sieht.nicht aus, als wäre er großen Anstrengungen gewachsen. !Doch xmn, Adieu! Morgen, vielmehr heute,Mittag, werde ich wieder Z>or- sprechen und nachsehen, ob mein'SchlafmittellgewirktHat? und Ihre Frau Tante zu überreden suchen,^sich in meine oder Sir Champenery's Behandlung; zu" begeben,: sonst, kann^ch. für „Hie Folgen nicht einstehen." Am folgenden Morgen^befand'sich Dudley allein iam -yrüh- stückstische. Viktor hatte sich - zu sehr * früher - Stunde -fortge- schlichen und nur hinterlassen,»daß er zum^Diner nicht zuruck sein werde. Bettn war noch^zu nervös und schwachezum Auf stehen, und-Francesca widmete sich der, Pflege'ihrer kleinen Freundin, nachdem sie die Patientin aufi ihren Wunsch auf den Armen in,deren Schlafzimmer getragen,.um Frau,Revelsworth nicht mehr im^Wege-zu sein. ' , "" „Ich 'muß' heute? mik^dem*"T1^0 Uhr-Zuge'naH'LofidyA
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