Suche löschen...
01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 11.03.1902
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-03-11
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020311018
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902031101
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902031101
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-03
- Tag1902-03-11
- Monat1902-03
- Jahr1902
- Links
-
Downloads
- Einzelseite als Bild herunterladen (JPG)
-
Volltext Seite (XML)
Bezug-«Preis t» der Hauptexpeditton oder de« 1« Stadt bezirk und den Vororten errichtete« Aus gabestellen abgeholt: viertesjührltch 4.60, — zweimaliger täglicher Zustellung ins Hau« 6.60, Durch di« Post bezogen sttr Deutschland u. Oesterreich: Vierteljahr!, ^l6. Man abonntrt ferner mit entsprechendem Postausschlag bet den Postanstalten in der Schweiz, Italien, Belgien, Holland, Luxem burg, Dänemark, Schweden und Norwegen, Rußland, den Donaustapten, der Europäischen Türkei, Egypten. Für alle übngen Staaten ist der Bezug nur unter Kreuzband durch di« Expedition dieses Blattes möglich- Re-action und Lrneditiorr: Boharmtsgaffe 8. Fernsprecher 168 und 2SS. Filiaievprdttiaerr« r Alfred Hahn, Buchhandlg., llutversitktsstr.S, L. Lösch«, Katharineustr. 14, u. Känig-pl. 7. Haupt-Filiale in Lerlin: Königgrätzerstraße 116. Fernsprecher Amt VI Nr. S3-S. Morgen-Ausgabe. WpMr TaMait Anzeiger. Amssölatt des Königlichen Land- und Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes «nd Notizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Anzeige« »Preis die 6 gespaltene Petitzeile 25 H. Neelamen «nt,, dem Redaettonsstrich («gespalten) 76 H, vor de» Familiennach- richten («gespalten) 60 Tabellarischer und Hifsirnsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 95 H (»xcl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung 70.—. ^nnahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: vormittag» 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittag» 4 Uhr. Bet den Filiale» und Auuahmestelleu je eine halbe Stunde früher. Anzeige» sind stet» au die Expedition zu richte». Die Expedition ist Wochentag» ununterbrochen geöffnet von früh 8 bi» Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 88. Jahrgang. Nr. 128. Dienstag den 11. März 1902. Vie französische Artillerie. H. Das im französischen Heere soeben zur Einführung gelangte vorläufige Exercir-Reglement für die Feld artillerie hat die allgemeine Aufmerksamkeit auf die neueste Organisation, Bewaffnung und Kampfart dieser wichtigen Waffe gelenkt. Mit dem neuen 73 Bktllimeter- Gcschütz 6/97 hat Frankreich den Weg der bisherigen Geschützsystemc verlassen und sich rückhaltlos dem Rvhr- rücklaufgcschütze zugewendet, das auf dem Gebiete der Geschützconstruction anerkannt die erste Stelle einnimmt. Bei dem französischen Modell, das mit einer gewissen Ueberhastung eingeführt wurde, haben sich aber doch einzelne Mängel hcrausgestellt, von denen das große Gewicht der Kanone als Fahrzeug ein ganz erheblicher ist, da hierdurch die Beweglichkeit des Geschützes stark beein trächtigt wird. Mit dem neuen Geschütze wurde indessen eine nicht zu unterschätzende Vermehrung der Feuer geschwindigkeit erreicht, was dazu Veranlassung gab, die Zahl der Geschütze in der Batterie von sechs auf vier herab zusetzen, wodurch ein Einfluß auf die Organisation der Feldartilleric ausgcübt wurde. In ihren großen Zügen blieb sie zwar dieselbe, nicht aber in der Kampfeinheit der Batterie, wo eine Neugliederung unvermeidlich war. Nach längerem Schwanken und Zögern ist cs nun end lich zur Gewißheit geworden, daß man die große Organi sation mit der alten Einthcilung in Corps- und Divisions artillerie beibehaltcn hat. Bei jedem Armeccorps be findet sich eine Feldartillcrie-Brigade, die aus zwei Regi mentern besteht. Das eine dieser Regimenter wird als CorpLartilleric-Regiment bezeichnet und von einem Obersten befehligt. Das andere ist das Divisions- Regiment und umfaßt die beiden Divisionsartillerien, von denen je eine den Divisionen des Armeecorps zu- gethcilt ist. Das Regiment der ersten Division wird von einem Obersten, das -er zweiten Division von einem Oberstleutnant befehligt. Die Divisionsarttllerien stehen unter -em unmittelbaren Befehle des DivisionScomman- deurs. Die Anzahl der Batterien ist verschieden, beträgt aber bei den reitenden Abthcilungen der Cavallerie- divisioncn stets zwei. Gebirgsbatterien giebt cs nur je eine Abthcilirng für das 14. und das 13. Armeecorps; die afrikanischen Abthcilungen des 19. Armeecorps umfassen die Batterien in Algerien nnd Tunesien, auch sind beide Abthcilungen der 19. Fcldartilleric-Brigade zugetheilt. Das neue Reglement ist zwar für das neue 76-Milli meter-Geschütz geschrieben, aber die rein taktischen Vor schriften nnd Lehren sind auch für das 80 > Millimeter- Geschütz 6/91 der reitenden und Gebirgsbatterien, sowie für die 120- Millimeter - Feldhaubitze 6/91 giltig. Daß diese drei verschiedenen Caliber auch dreierlei Muntions- ausrüstung erforderlich machen, ist ein ganz bedeutender Nachtheil, der zunächst mit in den Kauf genommen werden muß, denn das neue Feldgeschütz hat sich in seiner jetzigen Construction auch ohne Achssitze als zu schwer für die reitende Artillerie erwiesen, was auf die Rechnung der Schutzschilde zu setzen ist. Die Organisation der Batterie weist nur? eine wesent liche Verschiedenheit gegen früher auf, indem sic jetzt neun zehn sechsspännige und drei zweispännige Fahrzeuge auf weist. Diese 22 Fahrzeuge gliedern sich in die Gefechts batterie und in die Bagage. Zur Gefcchtöbatterie gehört die feuernde Batterie mit vier Geschützen und sechs Muni tionswagen, eingetheilt in fünf Züge; ferner die Gefechts- « staffel, bestehend ans sechs Mnnttionswagen in zwei I Zügen, sowie einer Feldschmiede und einem Vorraths-1 wagen, die zusammen einen Zug bilden. Zur Bagage gehört ein Futterwagen und drei Lebensmittclwagen tzweispännig), zusammen ein Zug. Ein Vergleich mit den dentschcn Verhältnissen ergiebt im Ganzen vier Ge schütze, zwölf Munitionswagen, sechs sonstige Wagen für die französische Batterie und sechs Geschütze, sechs Mu» nttionswagen und vier sonstige Wagen der deutschen Batterie. Hierbei muß aber bemerkt werden, daß die sechs Protzen der Geschütze bet der deutschen Batterie auch Munition enthalten und daß also eigentlich zwölf Mnnitionswagen zum Vergleich zu dienen haben, was bei nns meist übersehen wird. Denn oaigson ist sowohl Protze, als auch Munitionswagen, und so hat jedes fran zösische Geschütz eine Protze und zwei Munitionswagcn, also per Batterie zwölf Fahrzeuge mit Munition auf vier Geschütze, während das deutsche Geschütz eine Protze und einen Munitionswagen, also per Batterie zwar auch zwölf Fahrzeuge mit Munition, aber auch sechs Ge schütze hat. In dieser Herabsetzung der Geschützzahl der Batterie auf vier unter gleichzeitiger Erhöhung der Zahl der Munitionswagcn ist ohne Zweifel die einschneidendste Aendernng in der Organisation der französischen Feld artillerie zu erblicken, besonders, wenn man erwägt, daß wir nach wie vor an sechs, Rußland und Oesterreich sogar an acht Geschützen pro Batterie festhalten. Hierdurch be läuft sich die Zahl der Feldgeschütze bet einem französischen Armeecorps auf IM in 25 Batterien, während ein deutsches Armeecorps in seinen 24 Batterien 144 Geschütze aufweist Ob die vermehrte Feuergeschwindigkeit beim französischen Geschütze die geringere Zahl derselben ausgleichcn wird, erscheint doch sehr fraglich; die Hauptsache bleibt nicht das schnelle Feuern, sondern das gute Treffen, und da dürften 144 Geschütze für das Armeecorps immer vorzuziehen sein. Der Krieg in Südafrika. General Methnen gefangen — schwere englische Niederlage. —g Wir erhalten folgende Meldung, die durchaus authentisch, in England wie ein wuchtiger Nackenschlag em pfunden, in der übrigen boerenfreundlichen Welt aber als frohe Botschaft begrüßt und bejubelt werden wird: * London, 1v. März. (Telegramm.) Im Unterhause verlas der Krtegsminister eine Depesche Kitchener'», wonach GeneralMethnen vonDelarey angegriffen, am Schenkel verwundet «nd ge- fange» genommen wurde. 41 Engländer blieben todt, 77 sind verwundet, SOI werden vermttzt. Delarey wurde erst kürzlich als derjenige General be zeichnet, der bei den Boeren als bedeutendster Stratege — trotz De Wet und Louis Botha — gilt. Sein Gebiet sind die MagalieSberge und deren weitere Umgebung westlich von Pretoria und IobanneSburg bis nach Rustenburg und i Lichtenberg hin, in der Richtung nach Mafeking, wo Methuen I seine Operationsbasis hatte, von der aus er Delarey in I Schach halten und — unschädlich machen sollte. Delarey hat dort seit Jahr und Tag gehorstet wie ein Adler, scharf Aus schau haltend, immer vorzüglich gedeckt, vorsichtig zurückhaltend, seine Streitkräfte so viel wie möglich schonend, und nur dann und wann urplötzlich, wie Donner und Blitz, hervorbrechend, dann aber den Engländern stets einen scharfen Hieb ver setzend, den sie nicht leicht zu verwinden vermochten. Nun hat er sein großes Meisterstück geliefert mit der Gefangen nahme General Methuen's. Er muß seiner Sache voll ständig sicher gewesen, Metbuen muß unentrinnbar in einer Falle gesessen haben und „fällig" gewesen sein, sonst hätte der FabiuS Cunctator der Boerenseldherren das Commando zum Angriff nicht gegeben — konnte derselbe bei der unverhältnißmäßigen Uebermacht der Engländer doch auch recht verhängnißvoll für die Boeren werden. General Methuen bat sich, wie man weiß, im ganzen Verlauf deö Krieges keinerlei Lorbeeren gepflückt. Er batte stets eine unglückliche Hand, namentlich im ersten Abschnitt des Krieges, in den seine furchtbare Niederlage bei Maggersfontein am Modverflusse südlich von Kimberley fällt. Damals batte er Unglaubliches an Unvorsichtigkeit und Mangel an strategischem Geschick ge leistet und fast 1000 Mann seiner berühmten Hochländer geopfert. Man suchte ihn damit zu decken, daß man verbreitete, er sei geistig nicht normal und würde zu seiner Erholung nach England zurückkehren. Das geschah nicht. — General Gatacre, der ihm an Un geschicklichkeit gleichkam — bei Stormberg in der Capcolonie verlor er 672 Mann und 9 Ojficiere — mußte sein Bündel schnüren, Methuen blieb, vom General- seldmarschall Lord Roberts, der kurz »ach dem Schlag bei MaggertSfontein den Oberbefehl übernahm, gehalten, weil er in den höchsten Londoner Kreisen persona gra- Ussima war, an den Niemand sich heranwagen durfte. Nun hat es — Delarey gethan, und das wird in London höchst deprimirend wirken, denn voraus sichtlich wird Methuen von den Boeren als sehr, sehr werthvolle Geißel zurückbehalten werden. Er ist verwundet, die Boeren haben großen Mangel an Aerzten, weil die Eng länder keine zu ihnen lassen; vielleicht bietet Kitchener ihnen solche jetzt aus freien Stücken an. Mit Delarey'S Sieg ist die Scharte von Harrysmith, wo ein „Boerenlager" von 600 Mann sich kürzlich ergab, voll ständig auSgewetzt. Die Verluste der Engländer sind höchst empfindlich, und sie scheinen — das zeigt die große Anzahl der Tobten und Verwundeten — tapfer gekämpft zu haben. Ueber die Verluste der Boeren weiß Kitchener noch nichts zu melden, jedenfalls werden auch sie nicht unerheblich sein. Wird man in London nun endlich mürbe werden? Wird man jetzt noch der Einbildung leben, daß man in einigen Monaten die Hälfte der Trupven in die Heimath zurück rufen kann? Die Republiken sind von der Karle gestrichen, sie sind englische Colonien, aber nur auf dem Papier. Faktisch gehören sie noch denen, die solche Siege erfechten, nicht denen, die innerhalb des „eigenen" Landes solche Niederlagen erleiden. Wir schließen mit einem: Glück auf, tapferes Boerenvolk! So lange solche Führer Deine Fahne Hochhalten, brauchst Du an dem endlichen Siege auch jetzt nicht zu verzweifeln, kor asxora aci astral * Loudon, 10. März. (Telegramm.) Nach einem Telegramm aus Colchester hat infolge der erneuten Thätigkeit der United Irish League und infolge mehrerer Acte von Einschüchterung durch die selbe, das dritte Bataillon des Suffolk-Regiment», von dem der größte Theil sich zum freiwilligen Dienste in Südafrika gemeldet hatte, plötzlich Befehl erhalten, nach Irland abzugehen. * MatjeSsontetu, 10.März. (Telegramm.) Ein Europäer, der ohne Erlaubnis im Besitze von Waffen im Lande reiste, wurde z» einjährigem, ein zweiter wegen Verbergens von Waffen zu zweijährigem Gefängniß verurtheilt. Deutsches Reich. --- Berlin, 10. März. (Ein Sieg der Centrumspolitik.) Das gegenwärtige offi- cielle Organ der bayerischen C c n t r u m s - Partei liegt bekanntlich im Sterben. Da ist cs kein Wunder, wenn es kurz vor seinem Tode, d. h. vor seinem Eingehen zu Gunsten des „Bayrischen Courier", mit Aufbietung der letzten Kräfte eine Fanfare über einen angeblichen Sieg der Centrumspolitik ertönen läßt. „Die Politik des Centrums ", so schreibt cs in Sperrdruck, „hat gesiegt und die Hindernisse überwunden, welche ihr im eigenen Lager bereitet worden sind und die eine Quelle schwerer Schädigungen waren. Der „Bayr. Courier" wird nun künftig die Politik der Centrumspartei mit Umsicht und Entschlossenheit ver treten, gleich der anderen Centrumsprcssc." — Wenn der letztere Umstand mit Recht ein Sieg der Politik des Centrums genannt werden dürfte, müßte die Bekehrung des „Bayr. Couriers" zur Centrumspolitik freiwillig und aus inneren Gründen erfolgt sein. Davon ist in Wirk lichkeit aber nicht die Rede. Man weiß, daß cs lediglich äußere Umstände sind, welche die Verwendung des „Bayr. Couriers" als Organ der Centrumspartei herbei geführt haben. Zum Uebcrfluß erzählt das jetzige bayerische Ccntrumsorgan in demselben Artikel, der von einem Siege der Centrumspolitik im Hinblick auf die künftige Haltung des „Bayr. Couriers" fabelt, ganz aus führlich, welche äußeran Mittel zur Besiegung des „Bayr. Couriers" angewandt worden sind. „In aller Stille", unter „absoluter" Wahrung des Geheimnisses, hat ein Bankier die Actien des Manz-VerlageS, kn dem der „Bayr. Courier" erscheint, aufgekauft, bis er über die Mehrheit des Actiencapitals verfügte. Da blieb denn für den „Bayr. Courier" keine Wahl: seine neuen Besitzer weisen ihm den politischen Curs, den er von nun ab steuern soll. Spricht also die bayerische Ccntrums- partei in Bezug auf den „Bayr. Courier" von einem Centrumssicgc, so hat nicht die Politik des Centrums, sondern das Capital des Centrums diesen Sieg er fochten. Daran ist nicht zu rütteln, mögen auch die bayerischen Centrumshcrren sich die größte Mühe geben, au einen politischen Sieg über den „Bayr. Courier", glauben zu machen. /?. Berlin, 10. März. Der Internationa lismus der französischen Socialdemo- kratie hat sich ans dem Congressc zu Tours in dem merkwürdigsten Lichte gezeigt. Gegen diesen Inter nationalismus sollten 0 svctalistischc Abgeordnete da durch sich versündigt haben, daß sic die Truppen der China-Expedition beglückwünschte». In Folge dessen verlangte „Genosse" Gandrille den Ausschluß jener I 6 Frevler aus der Partei; der Congreß zu Tours ging l über diesen Antrag gegen ü Stimmen bei einigen Stimm- I cnthaltnngcn zur Tagesordnung über. Der Congreß Feuilleton. Versetzt! Nicht verseht! Eine pädagogische Betrachtung von ErnstHausen. N-iLtruck virbolin. Das sind die Tage der Aufregung, in denen die Frage: „Sein oder nicht sein?", „Versetzt oder nicht versctztl" die ganze Welt beherrscht! Der Junge erwägt die Frage ohne den ihm sonst eigenen Leichtsinn, die Eltern aus banger Sorge, und Viele sind endlich froh, wcnn's ent schieden ist, selbst, wenn's nicht ganz so entschieden wurde, wie man gehofft hatte. Und ich meine, man thut gut, den Jubel über das „Ver setzt!" nicht allzu laut ertönen zu lassen, vom Wehklagen über das „Nicht versctztl" nicht allzu sehr sich ergreifen zu lassen. Wenigstens möchte ich das Letztere den verehrten Eltern empfehlen; sie brauchen meinen Rath ja nicht ihren Herren Jungen vcrrathen. Die Freude der Eltern über das „Versetzt!" hat ja einen guten materiellen Hintergrund; das Streben der Eltern, den Lohn in regelmäßigem Fortschritt die Schule durchlaufen zu sehen, ist erklärlich auS Rücksicht auf den elterlichen Geldbeutel. Je eher der Junge der Schule ent wächst, desto schneller, — so ist die Annahme der Eltern, — steht er auf eigenen Flitzen, desto eher kann er einen Beruf ergreifen Einmal nicht versetzt, heitzt ein Lebensjahr ver loren, heißt ein Wechsel auf ein volles Jahr weitere Unter stützung aus dem Geldbeutel des Vaters. Aber gerade aus diesem Anlaß mögen die Eltern davor gewarnt werden, einen allzu frohen Jubel anzustimmen über das „Versetzt!" ihres verehrten SprvßltngS, zumal, wenn die Versetzung eben gerade nur noch erfolgt ist mit einem immerhin noch genügenden Zeugnttz. Handelt cs sich aber um einen Knaben aus den unteren Classcn, so hat oft selbst eine reguläre Versetzung mit gutem Zcngniß nicht viel aus sich. Jeder erfahrene Lehrer, der in unteren Classcn wirkt, weiß, daß eS zahlreiche Kinder giebt, die, sozusagen ihrem Alter voraus, das Pensum ihrer Altersklasse spielend in sich aufnehmen. Sic wissen, was die Schule von ihnen verlangt, beinahe ohne cs gelernt zu haben. Dies ist bei den begabtesten Kindern der Fall, die dann plötzlich in einer höheren Clafsc einen Rückschlag in ihrem Fortkommen zeigen. Der Vorgang ist, so merkwürdig er scheint, sehr leicht erklärlich und naturgemäß. Das begabte Kind, das Alles gleichsam spielend in sich aufnimmt, entwöhnt sich des Lernens. Es kennt nicht die alte Wahrheit, daß vor das Wissen und Können der Schweiß des Lernens und MühenS, der Fleiß, gesetzt ist. Kommt nun die Zeit, da es aufhört, seiner Altersstufe geistig voraus zu sein, wo cs nicht mehr so spielend daö Clafscnpensum aufzunchincn vermag, wo Begabung allein nicht mehr zurcicht, wo der Fleiß einsetzen muß, die regelmäßige Arbeit, da ist plötzlich der Junge, der stets mit so glänzenden Zeugnissen versetzt wurde, ein ganz fauler Schlingel, und was Hänschen ver gaß zu lernen, das Arbeiten nämlich, lernt Hans nimmer mehr. Das Wichtigste, was die Schule dem Kinde geben soll, was sie freilich nur in thätigstcr Mitwirkung mit den Eltern zu geben vermag, die geistige und körperliche Dts- ciplin, ein Resultat der Schulzeit, das viel höher steht, als das im Allgemeinen recht geringe Schulwissen, hat sic solchen begabten Kindern zu geben versagt, und an diesem Mangel kranken diese oftmals ihr ganzes Leben lang. Nicht genug aber kann vor dem Jubel über das „Gerade noch versetzt!" gewarnt werden. Manche Eltern trösten sich zwar, wenn sie bas schlechte Zeugnttz ihres Jungen sehen, aus der Thatsache: „Na, er ist wenigstens versetzt worden! Nun muß er sich eben tüchtig auf die Hosen setzen, um da», wa» ihm noch fehlt, uachzuholcn!" O, die Freude wird bald zu Nichte werben, der Trost sich auflösen. ES gehören mehr Fleiß und Energie dazu, als sie ein Kind hat oder haben kann, um das in unteren Classcn Versäumte in oberen Classcn, wenigstens während der regulären Schulzeit, nachzuholen, und dieses Nachholen gelingt nicht nur bet erweiterter Schulzeit, ulso wenn der Schüler in einer oberen Clafsc sitzen bleibt. Das ist aber zumeist der Fall. Derjenige Schüler, der in Quinta oder Quarta eben nur noch gerade so mit durch schlüpfte, bleibt nothwendigcr Weise in Tertia oder Se- cnnda sitzen und labortrt oft bis an das Ende seiner Schul zeit an den Lücken, die in jenen unteren Classrn in sein Wißen gekommen sind. Der Lehrer, der erbarmungslos die nicht vollkommen sattelfesten Schüler von der Ver setzung auSschließt, ist daher in seinem vollen Rechte und handelt nur gewissenhaft. Denjenigen Eltern aber, deren Kinder nur noch gerade mitvrrseyt sind, wie die Censur dies leicht erweisen kann, ist dringend anzuempfehlcn, daß sie ihren Kindern durch autc» Nachhilfeunterricht die Brücke zu ihrem weiteren Fortkommen schlagen. Das Richtigste wäre freilich, sie gingen zum Lehrer ihres Kindes, um diesen zu bitten, baß er die Versetzung des Jungen rückgängig mache. Erkennen wir nun aus alledem schon, daß der Jubel über die Versetzung nur allzu oft eine illusorische Begrün dung hat, so ist dadurch zugleich auch schou gesagt, wie die Verzagtheit -er Eltern nicht allzu groß sein braucht, weuu der Sohn nicht versetzt ist. Aber ich möchte den Eltern der Nichtvcrsctzten noch andere Trvstgründc geben. Ich will hier nicht die große Reihe jener Männer aufführen, die, obwohl sic in der Schule als schlechte und faule Schüler galten, doch sich im Leben später als bedeutende, tüchtige Männer erwiesen, die größten Genies aller Zeiten befinden sich unter diesen sogenannten faulen Schlingeln, — aber die verehrten Eltern könnten mir mit dem wohl berechtigten Einwande kommen: „Unser Junge ist aber kein Genie; er soll nur ein tüchtiger Mensch werden, der fleißig seine Schuldigkeit thut." Nun, ich meine, auch das kann der Junge sehr gut werden, wenn er auch nicht zu den besten Schülern gehört. Zunächst möchte ich hier nur noch einmal bemerken, wa» ich oben bereits andcutcte, daß für die Versetzung entscheidend vor Allem nur die Leistungen des Kindes sind, keineswegs dessen Fleiß ober geistige Begabung. Der fleißigste und auch der begabteste Schüler braucht aber durchaus nicht immer die besten Leistungen aufzu weisen. Im Allgemeinen ist nun aber bas Wissen, das wir an- der Schule mit in's Leben hincinnehmen, — auch bei den fleißigsten, tüchtigsten und besten Schülern, — so, daß wir im praktischen Leben, welchem Beruf wir uns auch immer widmen mögen, ganz gut ein Theil davon ent behren können. Daß, wer in der Schule nicht zu den Fleißigsten gehörte, im Leben dazu gehören kann, beweist uns zum Beispiel der jüngst verstorbene Dichter und Jurist Wichert, der in seiner Autobiographie bekennt, nur sehr ungern die Schule be sucht zu haben, und der im Leben später eine Thätigkeit entwickelte, die durch ihre Gröhe Alle in Erstaunen setzte, da sie für zwei Manncskräfte vollkommen genügte. Er entwickelt« neben seiner sehr umfangreichen amtlichen Tbättgkctt eine schriftstellerische, die ihn auch auf diesem j Gebiete al» sehr fleißigen Arbeiter gekennzeichnet hätte. Er arbeitete vom frühen Morgen bis in die späte Nacht hinein nnunterbrochc» und gönnte sich erst im späten Alter einige Ruhe. Und daß die begabtesten Schüler manchmal am wenigsten den Anforderungen der Schule entspreche», liegt leider nur zu sehr auf -er Hand. Wir würden zu weit vom Thema abschwcifen müssen, um das ausführlich zu begründen. Nur kurz sei gesagt, daß der hauptsächlichste Ausdruck der Begabung eines Menschen seine Phantasie ist, die man nur bei der mechanischesten Thätigkeit zu ent behren in der Lage ist. Selbst der Arbeiter muß, wenn er als Schneider einen Nock gut machen will, Phantasie ent wickeln, um sich die Person, für die er den Nock macht, gut vorznstellen. Der Kaufmann entwickelt, wenn er ein tüch tiger Kaufmann ist, weit mehr Phantasie oftmals, als der Künstler, der uns immer als der berechtigst«: Erbe der Phantasie gilt; denn der Kaufmann muß sich vollkommen in das Wesen seines Kunden hinein zu versetzen wissen, wenn er ihn richtig bedienen und bei seinen Neigungen nehmen will. Das phantasicvolle Kind aber gilt den Lehrern zumeist als ein Störenfried der ganzen Classc. Je weniger phan- tasicvoll ein Schüler beim Unterricht ist, je besser wird er dem mechanischen Gange desselben zu folgen in der Lage sein. Das ist besonders in den unteren Classcn der Fall, wo zumeist nur bas Gedächtniß des Schillers «n Thätigkeit gesetzt wird, indessen agch noch genug in den oberen Elasten, um oft genug gerade begabte Kinder in der Schule zn Falle zu bringen. ES giebt Schüler, die mit einem vortrefflichen Gedächtniß begabt, den Anforderungen der Schule bis zum letzten Augenblick in glänzendster Welse genügen, und die in dem Augenblicke, wo die eigene Gcistcsthätigkcit cinzusetzcn hat, der Verstand, die Phan tasie, völlig versagen. Und daher kommt cS, daß tüchtige Schiller, die stets glänzend versetzt wurden, zuweilen un tüchtige Menschen werden, und die faulen Schlingel cS oftmals so herrlich weit in der Welt bringen. Versetzt oder nicht versetzt? — cs ist ja eine Frage von Wichtigkeit, aber nicht von der Ncdcntung, welche die Eltern ihr beizulegen pflegen, so viel Bedeutung, baß sic darüber vergessen nnd verabsäumen, für die geistige Entwickelung der Kinder Sorge zu tragen. Beschäftigt Euch mit Euren Kindern regt ihren Geist an durch gute Lectüre, durch Belehrung über da« Fremdartige, das täglich, ja stündlich an da- Leben de» Kindes herantritt, weckt ihm Sinn ftir die Beobachtung, lehrt sic, Verstand nnd Vernunft zu gebrauchen — dann werde» sie tüchtige Streiter im Kampfe nm's Dasel» werde», ganz gleich auf welchem Gebiete sich diese Tüchtigkeit auch immer bewähren wird. Sind sic so tüchtige Männer geworden, werde» sic mit Lächeln auf die Zett zurückbltcken, da die Frage „Versetzt ober nicht ver setzt?" für sic die Bedeutung der Hamlctfragc „Lctu oder nicht sein?" hatte.
- Aktuelle Seite (TXT)
- METS Datei (XML)
- IIIF Manifest (JSON)
- Doppelseitenansicht
- Vorschaubilder
Erste Seite
10 Seiten zurück
Vorherige Seite