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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 04.04.1902
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1902-04-04
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19020404021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1902040402
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1902040402
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1902
- Monat1902-04
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- Monat1902-04
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Amts ö satt -es Königlichen Land- «nd Amtsgerichtes Leipzig, des Mathes und Nosizei-Ämtes der Ltadt Leipzig. Nr. W. Freitag den 4. April 1902. Anzeigen.PreiS die 6 gespaltene Petitzelle 25 H. Reklamen unter dem Redactionsstrich (4grfpalten> 75 H, vor den Familiennach- richten (6 gespalten) 50 H. Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenannahme 25 H (excl. Porto). Extra-Beilagen (gefalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbeförderung 60.—, mit Postbesörderung ./tz 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abend-Ausgabe: Vormittags 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Bei den Filialen und Annahmestellen je eine halbe Stunde früher. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expedition ist Wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis Abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. 88. Jahrgang. Der Krieg in Südafrika. Die neuen Friedensverhandlungen. AuS Brüssel, 3. April, wird berichtet: Personen, welche der TranSvaal-Gesandtschaft nahestehen, versichern, daß die neuesten von Kitchener angebotenen Friedensverhandlungen unmöglich eine Beendigung des Kampfes herbeisühren könnten. Erst vor einer Woche sei eine zumeist auf drahtlichem Wege übermittelte Meldung Botha's eingetroffen, welche ausdrücklich erklärt, daß die Boerengenerale noch immer unerschütterlich an der Aufrechterhaltung der vollständigen staatlichen Un abhängigkeit festhielten. Bisher aber sei von englischer Seite noch keine Miene gemacht, um den Boeren hinsichtlich ihrer Unabhängigkeits-Forderung irgendwie entgegenzukommen. Uebcr die KrtegSauSsichteu soll der verstorbene Rhodes vor wenigen Monaten gesagt haben: „Ihr Leute in England scheint nicht zu begreifen, daß Botha und Delarey den Siegesmarsch des britischen Imperiums aufgehalten haben. Euer Verbandeln mit Krüger hilft nichts. Die Leute, an die Ihr Euch wenden müßt, sind Botha und Delarey und das Schlimmste ist — sie gewinnen die Partie." Sein GeschäftStheilhaber Mr. C. D. Rudd sprach sich kürzlich, wie aus New Jork, 2. April, dem Bureau Lassan gemeldet wird, einem Vertreter des amerikanischen Blattes „The Sun" gegenüber dahin aus, daß der Krieg sich noch längere Zeit hinziehen werde. Wenn auch die Bcgeisleruug der Loyalisten für das Mutterland nicht abgenommen habe, so herrsche doch in der ganzen Capcolonie offener Auf ruhr. Die Transvaaler seien durch den Druck, der mit Hilfe des Blockhaussystems auf sie ausgeübt worden "schöpft und vielleicht zur Ergebung tMttgl,'"abcr die gegenwärtig im Felde stehenden BurzherS seien größtentheils auS dem Oranje-Freistaat und der Capcolonie und entschlossen, den Kampf bis zum Aeußersten fort zusetzen. Die letzte Entscheidung in diesem Kriege werde seiner Meinung nach in der Capcolonie fallen, in deren Nordosten die Boeren ergiebige Jagdgründe, zahlreiche Pferde und gutes Futter für ihr Vieh finden. Mr. Rudd hält es wahrscheinlich, daß die Boerendelegirten, die Lord Kitchener aufgesucht haben, thatsächlich des Krieges müde sind. Er bezweifelt aher, daß es ihnen gelingen werde, Delarey und Steijn zu ihren Ansichten zu bekehren, und fürchtet, daß selbst, wenn ihnen dies gelingen sollte, die Mehrzahl der Boeren ihren Widerstand fortsetzen werde. Die Burgbers würden sich dann schrittweise in den Nordosten der Cap colonie zurückziehen und dort bis auf den letzten Mann kämpfen. Auch Steijn und Delarey würden, wie er glaube, diese Technik befolgen. Telegraphisch wird uns gemeldet: * London, 4. April. „Reuter'S Bureau" berichtet aus Kroonstad unter dem 2. April: Delarey und Kemp befanden sich bei Steijn. Tas „Eisenbahnunglück" bet Barberton. Die Correspondenz „Nederland" schreibt: Das „Eisen bahn-Unglück" vom Ostersonntag fünf Meilen nördlich von Barberton, im Osten Transvaals an der Swaziegrenze, bei dem 39 Mann getödtet und 45 Mann mehr oder minder schwer verletzt wurden, ist, wie wir zuverlässig mittheilen können, einem Anschlag der Boeren entsprungen. Die an einer sehr steilen Stelle lausende Zahnradschiene war von den Boeren „beschädigt" worden, so daß der Zug, ohne jeden Halt, der sicheren Entgleisung überantwortet war. * Kapstadt, 3. April. Die Leiche Cecil Rhodes' wurde heute unter großer Betheiligung in feierlichem Zuge nach der Kathedrale gebracht, wo der Erzbischof die Leichenrede hielt. Tann wurde der Sarg nach dem Bahnhose gebracht, um von dort nach den Motoppo» Bergen übergeführt zu werden. * London, 4. April. (Telegramm.) „Daily Chronicle" be- richtet: Milner hat einen Credit.von 3 Millionen Pfund erbeten, um in Südafrika neue Eisenbahnen zu bauen und die bestehenden Linien zu verbinden und zu erweilern. Politische Tagesschau. * Leipzig, 4. April. Die ihrem wesentlichen Inhalte nach vom Telegraphen bereits mitgetheilte Meldung der „Münchener N. Nachr." über das Ergebniß der Conferenzen zwischen dem Staats sekretär Grafen Posadowsky uno den bayerischen Ministern liegt jetzt im Wortlaute vor und lautet: Die Anwesenheit des Staatssekretärs Grafen Posadowsky in München wurde von einzelnen Organen verschiedener Partei- richtung in dem Sinne gedeutet, daß die Nothwendigkeit bestehe, gewisse zwischen den Bundesregierungen entstandene Differenzen bezüglich der früher so unzweideutig ein genommenen Stellungnahme gegenüber den Getreidezöllen auszugleichen. Wie wir in durchaus zuverlässiger Weise er fahren, entbehrt dies-, Annahme" jeder Begründung. Es sind nicht Einzelsragen, die die Reise des Staatssekretärs ver- anlaßt haben, vielmehr das Bestreben des Reichskanzlers, in allen wichtigen Fragen der inneren Politik in engster Füh lung mit den Bundesstaaten, insbesondere auch mit dem zweitgrößten Bundesstaate, Bayern, zu bleiben. Es war dem Reichskanzler vor Allem daran gelegen, durch Vermittelung seines Staatssekretärs die Continuität der inneren Politik aufrecht zu erhalten und sich mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Grafen Crailsheim und dem über so reiche Erfahrungen gebietenden Nestor aller deutschen Finanzminister, Frei herrn v. Riedel, zu verständigen. Tas Ergebniß der Conferenzen kann als ein in jeder Richtung befriedigendes insofern bezeichnet werden, als eine Uebereinstimmung in allen wichtigen Fragen unserer Zoll- und Finanzpolitik erzielt worden ist. Insbesondere gehört dahin auch die lieber- zeugung, daß der in der Zolltariscommission kundgegebene Stand punkt der Reichsregierung in keinem Falle über die Mini- mal'zölle für Getreide, wie sie im Regierungsentwurfe vorgesehen sind, hin auszugehen, nach wie vor als die unerschütterliche Grundlage der vom Reichskanzler vertretenen Handelsvertragspolitik anzusehen sei. Ferner die Uebcrzeugung von der Nothwendigkeit einer Reform der Börsengejetz- gebfung, die in ihrer derzeitigen Gestalt sich als unhaltbar und wirthschaftlich schädlich erwiesen hat. Bei der Besprechung der finanziellen Lage des Reiches hat man der Thatsache Rechnung getragen, daß eine Reform auf diesem Gebiete erst dann mit Aussicht auf Erfolg in Angriff genommen werden könne, wenn der neue Zolltarif in seiner endgiltigen Fassung vorliegt und seine Wirkungen auf die Einnahmen des Reiches eine zuverlässige Rechnung gestatten. Aller Wahrscheinlichkeit nach ist das Ergebniß der Dresdner Conferenzen das gleiche gewesen. Was die Getreidezollfrage betrifft, so war auch nach den früheren amtlichen Erklärungen ein anderes Ergebniß nicht zu er warten, und wenn konservative und klerikale Blätter sich den Anschein gaben, zu glauben, Graf Posadowsky werde von Dresden und München Material mit nach Hause bringen, auf Grund dessen der Mehrheit der Tarif-Commission wenigstens einige kleine Zugeständnisse bezüglich der Minimalsätze für Getreide gemacht werden könnten, so verfolgten diese Blätter lediglich taktische Zwecke. Nun werden sie sich entschließen müssen, Farbe zu bekennen. Und trügen nicht alle Symptome, so wird der größere Theil des CentrumS und der Conservativen sich mit den Minimal sätzen der Regierungsvorlage begnügen, für welche die Nationalliberalen bekanntlich ohne Ausnahme eintreten werden. Von unserem Standpuncte auS begrüßen wir selbst verständlich das Münchener Ergebniß bezüglich der Getreide zölle— das sich, wie gesagt, mit dem DreSvener zweifellos voll kommen deckt — mit Genugthuung. Auch von der Nothwendig keit einer Reform der Börsensteuer sind wir überzeugt, warlen aber natürlich ab, welche Gestalt eine Reform vorlage gewinnt. Auch die Wirkungen des neuen Zolltarises auf die Einnahmen des Reiches geduldig abzuwarten und bis dahin unsere Wünsche bezüglich einer organischen Neichsfinanzreformzu versagen, können wir uns dagegen nicht entschließen; wir würden es auch sehr bedauern, wenn man in Dresden und München so geduldig wäre. Welcher Art auch die Wirkungen des neuen Zolltarifs auf die Reichseinnahmcn sein werden, sie sind jedenfalls schwankender Art und sichern nicht davor j daß eines IahreS die Ueberweisungen des Reiches an die Einzelstaaten hinter den Matricularbeiträgen erheblich Zurückbleiben. Eine Reichs finanzreform, die vor solcher Eventualität sichert, muß sich, wie wir schon mehrfach betont haben, auf einen be weglichen Finanzzoll — vielleicht auf Thee oder Kaffee — gründen, der, wenn die Einnahmen des Reiches hinter den Anschlägen zurückbleiben, mit Zustim mung des Reichstags erhöht werden und dazu dienen kann, die Ueberweisungen an die Einzelstaaten auf einer bestimmten Höbe zu halten. Entschließt man sich zur Einführung eines solchen beweglichen Factors nicht, so wird man auch nie zu einem finanziellen Verhältnisse zwischen Reich und Einzet- staaten gelangen, das die letzteren vor peinlichen Ueber- raschungen bewahrt. Eben deshalb hat auch mit einer Neichsfinanzreform, wie sie im Interesse der Einzelstaaten liegt, die jetzige Tarifreform gar nichts zu thun. Ganz unabhängig von ihr könnte und sollte ein beweglicher Finanz zoll geschaffen werden und könnten und sollten die Regierungen der Einzelstaaten auf eine solche Schaffung drängen. Artikel 7 der Reichsverfassung, aus den wir schon wiederholt verwiesen haben, giebt eine Hand habe dazu durch die Bestimmung: „Jedes Bundesglied ist befugt, Vorschläge zu machen und in Vortrag zu bringen, und daö Präsidium-ist verpflichtet, dieselben der Beratbung zu übergeben." Kann man sich denn wirk lich in Dresden und München trotz aller Klagen nicht ent- I schließen, von dieser Befugniß Gebrauch zu machen, um I wenigstens, wenn der Vorschlag nicht durchdringt, der eignen I Landesvertretung gegenüber beweisen zu können, daß mau nach jeder Richtung seine Schuldigkeit gethan? Auf dem schweizerischen Arbeitertage, der am 1. d. Mts. in Bern stattfand, hat der foctaldcmokrattschc Arbeitersekretär Greulich in Sachen der Zolltariffrage eine derartige Haltung eingenommen, daß Greulich's deutsche „Ge nossen" mit einem schweren Seufzer sagen müssen: Greulich Hal uns gegenüber seinem Namen nur zu viel Ehre gemacht. In der That kommt die Mißstimmung über Greulich's Auf fassung der Zollfrage in unserer socialdemokratischen Presse bereits zum Ausdruck. Und das von Rechts wegen! Denn „Genosse" Greulich bat sich in Bern des schutzzöllnerischen schweizerischen Zolltarifentwurfs in so hohem Grave angenom men, daß der „Vorwärts" voll Trauer ausruft: „Das Referat hätte ebenso gut die Candidatenrede eines Agrariers in einem ländlichen Nationalrathswahlkreise sein können, und man mußte sich immer wieder fragen, ob man einem Bauerntag oder einem Arbeitertag beiwohne." — „Genosse" Greulich verwahrte sich allerdings gegen eine Ausschlachtung seines Standpunctes wider die Zollpolitik der deutschen Social demokratie: in der Schweiz gebe es keine Junker und Groß grundbesitzer wie in Deutschland, so daß man es in der Hauptsache mit wirklicher Bauernschaft zu thun habe. Die Voraussetzung, unter der „Genosse" Greulich diese Ent schuldigung geltend macht, ist die Annahme, daß in Deutschland die „wirkliche Bauernschaft" nur Neben sache im Vergleich mit dem Großgrundbesitze sei. Offen bar hat Greulich sich lediglich aus der socialdemokratischen Presse über die einschlägigen Verhältnisse unterrichtet. Nach dem er aber einmal als Socialdemokrat — und zwar als der hervorragendste Socialdemokrat in der Schweiz, der vie schweizerische Socialdemokratie auf den deutschen Socialisten- congressen seit Jahren zu vertreten pflegt — hohe land- wirthschaftliche Zölle zum Schutze der „wirklichen Bauern schaft" für gerechtfertigt erklärt hat, ist es am Platze, auf Grund einer soeben erschienenen Schrift „Der deutsche Bauer und die Getreidezölle" (Jena, G. Fischer) Len Antheil der „wirklichen Bauern" an der deutschen Landwirtbschaft zu beleuchten. Der Antheil des Areals des Großbetriebes beträgt in Mecklenburg-Strelitz kl Proc., in Mecklenburg-Schwerin 60 Proc., in Pommern 55 Proc., in Posen 52 Proc., in Westpreußen 44 Proc., in Ostpreußen 40 Proc., in Brandenburg 35 Proc., in Schlesien 34 Proc., in der Provinz Sachsen 28 Proc., in Braunschweig IS Proc., in Schleswig-Holstein 16 Proc., im Königreich Sachsen 14 Proc., in Hannover 7 Proc. und in Bayern 2l/z Proc. Die großbäuerlichen Betriebe machen von der gesammten landwirtbschaftlich benutzten Fläche auS: in Schleswig-Holstein 61, in Oldenburg 49, in Hannover 42, in Ostpreußen 39, in Westfalen 37, in Braunschweig 36, in Brandenburg 35, in der Provinz Sachsen 35, in Bayern 31, im Königreich Sachsen 30, in Mecklenburg-Strelitz 29, in Mecklen burg-Schwerin 27, in Sachsen-Weimar 24, in Pommern 23, in Schlesien 22, in der Rheinprovinz 21, in Posen 20, in Württemberg 20, in Nassau 18, in Baden 13, in Hessen 12 Proc. Der Mittelbauer besitzt von der Gesammlfläche in Hessen 50, in Bayern 49, in Württemberg 45, in Sachsen- Weimar 45, in Nassau 43, in der Rbeinprovinz 43, in Baden 42, im Königreich Sachsen 40, in Elsaß-Lothringen 37, Feuilleton. Eva oder Anneliese? 4j Roman von Ernst Georg y. Nachdruck verbolcn. „Ist cs möglich?" — rief sic laut und mit zuckenden Lippen lächelnd — „Herr Professor! Sie find der alte Doctor Wilhelm Neubert?! Wir kennen uns doch noch von früher her. Sie waren Hauslehrer bei Aruims in Steinhaufen. Ich bin ja Marie von Witte, damals Ge sellschafterin der Baronesse Justine! Wie herzlich freue ich mich, mit Ihnen wieder aus so neutralem Boden zu- sammcnzutrcsfcn!" Absichtlich legte sie einen starken Nachdruck aus das Wort: neutral. — Neubert verstand den in dieser Betonung ausgedrück ten Wunsch. Er verneigte sich noch einmal und erwiderte leicht: „Ich erstaune, daß Sie mich noch erkannt haben, Frau Gräfin! Ein so großer Zeitraum liegt zwischen da mals und heute, daß sich Menschen und Anschauungen ver ändern! — Sic sind inzwischen Gattin und Mutter gc- ivordcu. Ich bin überaus glückliches Familienoberhaupt. Meine Emma, meine Jungen und mein Beruf sind die Welt, in der Sie mich zufrieden, wunschlos, wiedcrfindcn!" — Er athmetc erleichtert auf. Ihre Blicke begegneten sich. Die Vergangenheit sollte vergessen sein. — „Jeden falls freue ich mich von ganzem Herzen, Sic in solchen Verhältnissen wiederzufinden. Hoffentlich kommen mir lucr in Dievcnow häufig zusammen und können eine neue Freundschaft auf den Trümmern der alten errichten!" „Hoffen wir es!" sagte er kühl. Ihre Worte ver letzten ihn jetzt. „Du hast mir doch nie von Deiner Freundschaft mit einem Fräulein von Witte erzählt, Willi!" — rief jetzt die Professorin. „Auch nicht, daß Du die Frau Gräfin lanntest!" Wieder schaute Marie ihn dankbar und be klommen an. Aber sie nahm ihm die Antwort ab: „Es giebt sehr viele Brandaus, gnädige Fran! Daher konnte Ihr Gatte nicht den Zusammenhang von jener Jugend bekanntschaft und mir ahnen!" Sic sah sich jetzt um, ath- mcte tief und crguickt. Dann kratzte sic mit der Spitze ihres Sticfelchens den Sand und prüfte ihn auf seine Reinheit. „Wenn Sie gestatten, setze ich mich ein Stündchen zn Ihnen, meine Herrschaften, oder störe ich?" „Oh, bitte sehr, gay- im Gcgenthetl!" riefen Einige eifrig. Sie ließ sich neben ihnen nieder. Die Anderen, auch die rasch vorgestelltcn Eheleute der Damen, setzten sich im Halbkreis um sie herum. Weiterhin tobten die Kinder. — Gräfin Marie lenkte in liebenswürdigster Weise die Unterhaltung. Sie ließ sich belehren, verstand cs, Alle sprechen zu machen. Zwischendurch ließ sie einige Bemerkungen über den Gesundheitszustand ihres seit langen Jahren gelähmten Gatten entfließen. Zeitweilig blickte sie zu Neubert hinüber. Er lagerte, etwas von ihr abgemandt, neben seiner Frau. Seine Augen verfolgten vorbeizichcndc Schiffe auf dem Meere. Unermüdlich ließ er «den feinen Seesand durch seine Hände rieseln. Keiner von ihnen ahnte, was der Andere innerlich litt. Nach einer Stunde erhob sie sich und verabschiedete sich für heute. Es war fünf Uhr, und bis zum Diner um sieben pflegte sic dem Grafen aus der Zeitung vorznlcseu. Die Kinder rief sie zurück, ermahnte sie, artig zu fein, bis Miß Lcaton käme, die sic sogleich schicken werde. Dann ging sic langsam von dannen. Sie glitt wie ein weißes Nebcttild über den Strand dahin, immer kleiner und kleiner werdend, bis man nur noch ein weißes Pünctchen in der Ferne erblickte. Alle Zurückbleibendcn sahen ihr zuerst schweigend nach. Einige Minuten ver strichen, ehe man in einen wahren Begeisterungssturm ousbrach. Jeder wußte etwas besonders Reizvolles an und von ihr. Selbst Neubert mußte einstimmen, wollte er nicht den Argwohn seiner Emma erwecken! Marie las heute ihrem Gemahle nicht zu Dank. Er nörgelte ohne Unterlaß. Bald war es zu laut, bald zu leise. Bald schleppte sie, und im nächsten Momente schien sie ihm zu rasen. Da sic allein mit ihm war, sich keinen Zwang auferlegen brauchte, brach sie endlich in Thräncn aus. Ohne Aufhüren schluchzte sie vor sich hin. Ihr war so wund und so wehe zu Muthe. Sie dachte an das ge sunde und lebensfrischc Ehepaar da draußen, um die der Hauch eines tiefinnerlichen Glückes zu wehen schien. Er halte cs ihr ja schroff genug zu verstehen gegeben! Zuerst schwieg Brandau betroffen und griesgrämig, dann schlug er zornig mit der flachen Hand auf die Lohne seines Krankenstnhles und pfiff vor sich hin. Zuletzt brauste er auf: „Jetzt höre endlich auf oder heule Dich iu Deinen Räumen aus! Das ist Alles Komödie und darauf ab gesehen, mich zu kränken! Ich durchschaue Dich! Wärst wohl gern schon die junge Wittivc, die interessante komino sie trento «Nü. Aber so weit ist es noch nicht, schöne ge sunde Marie! Zwanzig Jahre gedenke ich noch zu leben! Will meinen Jungen zu etwas Ordentlichem erziehen. Er braucht kein freisinniger, schwachköpsigcr Waschlappen zu werden. Das machst Du aus ihm. Ich werde Bernd jetzt mehr unter meine Fuchtel briugcn! Hahaha!" Die Gräfin hielt mit Weinen inne. „Das wirst Du nicht!", sagte sie mit einem Male energisch, „Bernd wird Octobcr in eine Pension kommen, damit er den schädlichen Einflüssen seines Elternhauses entzogen wird!" „So, so?", keifte Brandau. „So ganz ohne mich zu fragen, ohne meine Erlaubniß? Das werden wir doch erst einmal sehen!?" — „Oh nein, lieber Julian, da giebt cs nichts mehr zu sehen. Diesmal geschieht widerspruchslos mein Wille. Octobcr kommt er unwiderruflich fort! Mache Dich von heut ab mit dem Gedanken vertraut!" Zum ersten Male richtete sich die sanfte, dcmüthigc Frau auch dem Gatten gegenüber auf. Sic sah ihn mit eiserner, bändigender Willenskraft an und imponirtc ihm. Er kroch wie ein geschlagener Hund in sich zusammen. Diesmal konnte er nichts ausrichtcn, das fühlte er. Sv wimmerte er leise vor sich hin und fluchte über seine Lähmung, seine Schwäche, die ihr Gewaltmaßrcgcln in die Hände gab. Ja, wäre er gesund, dann „Hast wohl gar schon eine Pension gefunden?" , rief er endlich. „Bist ja Deiner Sache schon so sicher?" Er blinzelte tückisch zu ihr hin. „Ja!", entgegnete sic plötzlich kalt. „Ja!". Ein Gedanke blitzte durch ihren Kopf, der sie mit blendender Helle umgab. „Ja, mein Bernd kommt nach Berlin zu dem Professor Neubert, der bereits der Er zieher der beiden Arnims war. Ich bin mit mir einig! Er giebt keine vortrefflicherenMenschen,als ihn, seine Frau und seine Söhne, die ungefähr in Bernd's Alter sind!" — „Woher weißt Du denn das alles, woher kennst Du denn die Leute, he?" winselte er. „Ich habe sie am Strande wiedcrgctroffcn. Die Kinder haben bereits Freundschaft geschloffen!" „Kahle soll sofort komme», Kahle soll mir vor ¬ lesen! Dn nicht mehr, nie mehr!", kreischte der Kranke jetzt fast heulend. „Du bist nervös, und ich hasse nervöse Weiber. Lauf' mit dem Bürgcrpack rum, gieb Deinen Sohn, wohin Du willst! Nur laß' mich in Ruhe, verstehst Du? RauS! .Kahle, Kahle!" Marie ging schweigend hinaus. Sie trocknete die letzten Thronen und rief den Hausmeister zu seinem Herrn. Der Alte war ein Fakto tum des gräflichen HauseS und übte einen besänftigenden Einfluß auf den Kranken aus. An seinem nie zu er schütternden Gleichmuthc brachen die quälerischen Launen des Grafen. Nebenbei konnte sich auch Marie auf Kahle verlassen, der ihr und ihrem Kinde treu ergeben war! Die Tage verflogen in gleichmäßigem Einerlei. Brandau's waren nicht mehr die Wundcrthiere des Ortes, die man scheu aus der Ferne beobachtete. — Bernd und Anneliese gehörten zu den bevorzugten Lieblingen des Strandes. Sic theilten ihre unbedingte Herrschaft nur mit Franz und Paul, von denen sie unzertrennlich waren. Und die Hunde sprangen jetzt zutraulich um alle Kinder herum und ließen sich quälen. — Die Gräfin ver lebte täglich mehrere Stunden unter den Familien, welche sich seit Jahren hier angcfrcundet hatten. Sie gehörte zu ihnen, badete mit den Damen zusammen und lebte sichtlich auf. Mit feinem Taktgefühl hatte sic sich in die einfachen Verhältnisse gefunden. Keiner oder Keine empfand bei ihrem schlichten Lichgebeu den Abstand der socialen Stellung und der Vermögenslage. — Selbst der Professor hatte, ganz gegen seine Absichten, sich schon öfter mit ibr über die verschiedensten Fragen unterhalten und sich au ihren Anblick gewöhnt. — Neubert ehrte in ihr die Jugcnderinnerungcn, die ihn zwei Tage gewaltsam übermannt hatten. Aber er liebte sic nicht mehr. Seine ganze Neigung gehörte der Gattin, das merkte er jetzt klar. Darum sand er so schnell die Ruhe wieder. — Ganz anders Marie! Sie litt Seelen qualen, hatte aber nicht die Kraft, sich ihnen zu entziehen. Im Gegentheil! Mitfahrer Wonne nahm sic täglich die Komödie wieder ans. Sic bewunderte ihr schauspielerisches Talent, sie freute sich ihrer Ehrenhaftigkeit; denn sic wußte, daß sie Wilhelm noch immer liebte. Tie fühlte, daß jedes neue Beieinander mit ihm ihre Liebe vergeistigte und ver stärkte. Jetzt, wo sie selbst reif geworden, verstand sic, ihn erst ganz zu würdigen. — Immer fester senkte sich der Wunsch in sie, ihm die Erziehung ihres Knaben anznver- tranen. Sie wartete nur auf die Gelegenheit, diese Hoff nung zur Sprache zu bringen. — Das Leben mit dem Grafen war gerade jetzt fast unerträglich schwer. Er über sah sie entweder ganz oder er übergoß sie mit ätzenden, spöttischen Bemerkungen, die sie anf'S Tiefste verletzten. Wie ein gehetztes Wild floh sie dann aus seiner Nähe iu die reine, warme Atmosphäre, welche das Ncnbert'sche Paar umgab. An einem Nachmittage hatte der Kranke sie nsteder gepeinigt. Sie stand entschlossen auf und wandte sich zur Thür: „Wohin willst Du?" — knurrte er. — „Hinaus tn's Freie, Julian! Kür heute ist das Maß voll. Ich er»
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