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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 05.02.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-02-05
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030205021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903020502
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903020502
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
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- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-02
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Die königl. sächsische Regierung denkt darüber anders, und auch im Wahlkreise des Herrn vr. Oertel dürfte man anderer Ansicht sein. Es wird ja in einigen Blättern betont, daß auch nach der Aushebung jenes Paragraphen ausländische Jesuiten ausgewiesen werden können, wenn sie sich mißliebig machen,' aber dabei wird vergessen, daß dann die Aus weisung erst erfolgen kann, wenn die „frommen Väter" bereits Unheil angerichtet haben, während jetzt -em Un heil vorgebeugt werden kann. Und daß kein richtiger Jesuit, auch wenn er irgendwo im Kriege eine dankens werte Tätigkeit entfaltet hat, im Frieden den kon fessionellen Frieden fördert, das könnte Herr vr. Oertel wohl auch wissen, wenn er es wissen wollte. Uebrigens lehrt schon ein Blick in die „Köln. Volksztg", wie wenig toleranzbefördernd die Ankündigung des Reichskanzlers auf die Organe des Zentrums wirkt. Im Namen der Toleranz hüben diese Organe bisher die Beseitigung des 8 2 als das Mindestmaß dessen bezeichnet, n»as -en Katholiken — unter denen es, nebenbei bemerkt, sehr viele Gegner der Jesuiten gibt — gemährt werden müsse. Und kaum steht diese Beseitigung in Aussicht, so beeilt sich das führende Zentrumsblatt, diesen Akt der „Toleranz" mit der Offenbarung unverfälschter kleri kaler Toleranz zu beantworten. Noch ehe eine Kritik des Vorgehens, das Graf Bülow beliebte, überhaupt von irgend einer Seite geübt werden konnte, wurde die gemutmaßte Kritik vorab als Dummheit oder Böswilligkeit gebrandmarkt. „Fährt man . . . fort zu schreien", erklärte die ,„Köln. Volksztg.", „so beweist man damit lediglich die eigene Einfalt oder den eigenen bösenWillen, vielleicht auch b e i d e s z n s a m m e n." Eine tolerantere Beurteilung der grundsätzlichen Befür worter des Iesuitengesetzes in seiner unveränderten Form ist in der Tat kaum denkbar! Dürfen die Jesuiten an solcher Toleranz ihrer Freunde die herzlichste Freude haben, so werden sie es auch zu würdigen wissen, wenn die „Köln. Volksztg." schreibt: „Wer nicht in der schwülen Atmosphäre des Jahres 1872 geatmet hat, kann heute kaum begreifen, daß vor dreißig Jahren ein solcher Paragraph mit großer Mehrheit vom deutschen Reichstage angenommen werden konnte." — Das ist wirklich kostbar! In einer Zeit, wo gerade ganz katholische Staaten, wie Frankreich, Spanien und Portugal, die größten An- strerrgungen machen, sich der katholischen Orden zu er wehren, soll es unbegreiflich sein, daß 8 2 des Jesuiten gesetzes einmal eine große Mehrheit im deutschen Reichs tage gefunden hat! Nicht weniger windig als diese Be kämpfung ist die Art, wie die „Köln. Volksztg." den Ge danken bekämpft, daß die zugesagte Aushebung des 8 2 im Wege eines politischen Kuhhandels beim Zolltarif zu stände gekommen sei. Das Zugeständnis in Bezug auf 8 2 sei dem Zentrum, behauptet die „Köln. Volksztg.", „so wie so" sicher gewesen. Derartige Redensarten können den Verdacht, daß es bei der Aufhcbmrg des 8 2 sich um einen politischen Krrhhandel handle, höchstens verstärken. Mau erinnert sich bei dieser Gelegenheit, daß während der Reichskanzlerschaft desFürstenHohenlohe und auch beim Scheiden des Fürsten aus dem Amte von verschiede nen Seiten wiederholt berichtet wurde, an eine Ab schwächung oder garAufhebung desJesuitengesetzesseinicht zu denken, so lange Fürst Hohenlohe NeichÄanzler sei. Hiernach ist die Behauptung zu beurteilen, daß die Auf hebung des 8 2 dem Zentrum „so wie so" sicher war. Ob zwischen der jetzt in Aussicht gestellten Aufhebung des 8 2 und dem Zolltarife ein ursächlicher Zusammenhang be steht oder nicht, wird man fürs erste zuverlässig kaum er fahren. Schon jetzt aber kann man sich mit der Frage beschäftigen, ob die Ankündigung eines Verzichtes auf § 2 unter taktischen Gesichtspunkten in diesem Augen blicke richtig gewesen ist. Die Antwort hierauf wird zu nächst deswegen verneinend ausfallen müssen, weil die Mutmaßung eines beim Zolltarif abgeschlossenen Kuh handels sich ganz von selbst aufdrüngt. Sodann erscheint es als eine seltsame Taktik der Regierung, das Wahl geschäft des Zentrums kurz vor der allgemeinen Neuwahl dadurch zu erleichtern und zu befördern, daß der Reichskanzler die Erfüllung eines der heißesten Zen trumswünsche verspricht. Der Klerikalismus wird es selbstverständlich nicht unterlassen, das Entgegenkommen desReichskanzlers einerseits lediglich als Abschlagszahlung zu behandeln, anderseits ans jenem Entgegerrkomnren verallgemeinernde Folgerungen für sonstige Zentrums begehren, insbesondere für den Toleranzantrag, zu ziehen. Hat doch soeben die bäuerische Regierung durch den Verlauf des Delegiertentages der bayerischen Zen trumspartei von neuem die alte Erfahrung machen müssen, daß das Zentrum die ganze Hand will, wenn man ihm den kleinen Finger reichte. Endlich- erscheint die An kündigung des Verzichtes auf 8 2 aus dem Grunde ver fehlt, weil dieser Verzicht demjenigen katholischen Orden zugute kommt, dessen Widerstand in einer der Regierung am Herzen liegenden Angelegenheit, nämlich in Sachen der katholischen Fakultät an der Straßburger Universität, bis in die jüngste Zeit hinein hat bekämpft werden müssen. Die mittelbare Belohnung, die jetzt der Jesuitenorden für seinen Widerstand erhält, kann auf den Klerikalismus lediglich ermutigend wirken. Deutscher Landwirtschaftsrat und Bund der Landwirte. Eine schwere Niederlage haben die Führer des Bun des der Landwirte durch den bereits mitgetcilten Beschluß des Deutschen Landwirtschastsrates erlitten, über den bündlerischen Antrag, dem Ausschüsse des Landwirtschafts rates wegen seiner Stellungnahme zum Antrag Kar- dorff ein Mißtrauensvotum zu erteilen, zur Tagesord nung Überzugehe». Um die Bedeutung dieses Beschlusses recht würdigen zu können, nruß man sich erinnern, daß in -er Zeit, in welcher der Kampf um den Antrag Kardorff am heftigsten entbrannt war und insbesondere auch die Leiter des Buudcs der Landwirte innerhalb und außer halb des Reichstages alle Hebel ansetzten, um die Ver werfung des Antrages zu erzielen, der engere Ausschuß dieser Körperschaft mit einer Erklärung zu Gunsten der Annahme des Antrages Kardorff und der nach diesem ge faßten Zolltarifvorlage hcrvortrat und durch diese Er klärung zweifellos für manchen Reichstagsabgeordneten die Brücke zur Zustimmung zu dem Anträge und der Vor lage im ganzen gebaut hat. Wie schwer dieses Vorgehen des engeren Ausschusses -er berufenen Interessenver tretung der deutschen Landwirtschaft von der Leitung des Bundes der Landwirte empfunden wurde, erhellt aus der geharnischten Gegen erklärung, welche von dieser erlassen wurde. Aber mit dieser Erklärung hatte die Bundesleitung wenig Glück, denn der engere Ausschuß des Deutschen Landwirtschafts rates band sich die Gegenerklärung alsbald vor und unter zog sie einer rein sachlichen, aber darum um so vernichten deren Kritik. Es lag daher natürlich der Leitung des Bundes der Landwirte und den auf ihrem Standpunkte stehenden Elementen außerordentlich viel daran, die Auto rität dieser Erklärung des ständigen Ausschusses des Deut schen Landwirtschaftsrates durch eine abweichende Be schlußfassung des Plenums zu erschüttern, und man ließ deshalb im Anschluß an den Geschäftsbericht in der ersten Sitzung des Deutschen LarrdwtrtschaftsrateS durch den Provingialvorsitzenden des Bundes der Landwirte für Mestpreußen, Herrn v. O l d e n b u r g, ein direktes Miß trauensvotum gegen den ständigen Ausschuß beantragen. Durch diesen Antrag wurde aber das direkte Gegenteil von dem erreicht, was erstrebt worden war, denn der Deutsche Landwirtschaftsrat hat mit 40 gegen 16 Stimmen bei Stimmenthaltung der Mitglieder des ständigen Aus schusses einen Gegenantrag des Württembergers Frhrn. v. O w, durch den die Stellungnahme des ständigen Aus schusses zur Tarifvorlage unter Uebergang zur Tagesord nung über den Antrag Oldenburg ausdrücklich gebilligt wird, angenommen. Es steht nunmehr dank dem Vor gehen der auf dein Standpunkte des Bundes der Land wirte stehenden Mitglieder vor aller Welt fest, daß nicht bloß der ständige Ausschuß des Deirtschen Landwirtschafts rates, sondern auch diese geordnete Vertretung der deut schen Landwirtschaft in ihrer gang überwiegenden Mehr zahl die Annahme der Zolltarifvorlage in der Fassung Kardorff vom Standpunkte der Interessen der Landwirt schaft durchaus billigt und daß die abweichende Auffassung der Leitung des Bundes der Landwirte nur von einer kleineren Minderheit dieser Vertretung geteilt wird. Von jetzt ab fehlt der Leitung des Bundes der Landwirte jede Legitimation, die Annahme der Zolltarifvorlage und die jenigen, welche dafür eingetreten sind.oder eintreten, im Namen der deutschen Landwirtschaft zu bekämpfen, denn die deutsche Landwirtschaft bat durch den Beschluß ihrer ge ordneten Vertretung anerkannt, daß die Annahme der Zolltarifvorlage unter den obwaltenden Umständen den Interessen der deutschen Landwirtschaft durchaus ent spricht. Ja, man wird wach diesem Beschlüsse sogar nicht umhin können, wenn die Agitatoren des Bundes der Land wirte sich noch ferner als Vertreter der Zluffassung der deutschen Landwirtschaft aufspielen sollten, sie der bewuß ten Verletzung der Wahrheit zu beschuldigen. Wer inner halb der Kreise der deutschen Landwirte aber noch dar über im Zweifel gewesen ist, ob durch Annahme der Zoll- tarifvvrlage die Interessen der deutschen Landwirtschaft gewahrt worden sind oder nicht, wird nach diesem Beschlüsse des Deutschen Landwirtschaftsrates die Ueberzeugnng ge winnen müssen, daß in Wirklichkeit nicht vom Bunde der Landwirte, sondern von der für den Antrag Kardorff ein tretenden Mehrheit des Reichstages die Interessen der deutschen Landwirtschaft wirklich gewahrt worden sind. vre^kll» reälvlru». Der sozialistische Mgeordnete JauröS hielt vor einigen Tagen vor seinen Parteigenossen in Vierzon eine politische Rede, worin er, die Notwendigkeit des Zu sammengehens der Sozialisten mit dem Kabinett Combes darlegend, zugleich ankündigte, er werde bei der dem- nächstigen Erörterung der Wahl des Nationalisten Syve- ton „ neue Tatsachen" enthüllen, welche die Wahr heit über die Rollen verschiedener Personen im DreyfuS- handel ans Tageslicht bringen würden. Wenn Jaurös eine solche Ankündigung macht, so kann man von vorn herein annehmen, daß sie nicht ohne Vorbedacht erfolgt, sondern Ziel und Zweck hat. Außerdem haben Jaures und sein sozialistischer Parteigenosse und Freund de Pressensö am Dienstag nach Schluß der Kammersitzung mit den Vorsitzenden der republikanischen Mehrheitsgruppen in besonderer Zusammenkunft über die neue Tatsache ge sprochen, die nach ihrer Meinung die Revision deS Prozesses von Rennes erheischt. Jaurss und Preflensö kündigten zugleich an, daß sie beschlossen hätten, bei dem Ministerpräsidenten weitere Schritte in der Sache zu tun. — lieber die Mitteilungen, die Jaurds und de Pressens^ in der erwähnten Versammlung der Vertreter der vier Gruppen des Blocks machten, berichtet die „Petite Republique", deren hervorragendster Mitarbeiter be kanntlich Jaurds selbst ist: Jaures und die Preflenss legten den Vertretern der Linken den Sinn ihres ge planten Feldzuges für Dreyfns dar. Sie wollen durch eine nachdrückliche Offensive auf die heimtückischen und frechen Machenschaften der Reaktion antworten, welche durch die auf öffentlichen Anschlägen verbreiteten Schmähungen Lemaitres vom „Ministerium des Aus landes" und durch die Erfindungen Du Patys lder be kanntlich den Humbertschwindel den Freunden Dreyfus' anzuhängen sich bemüht) die Republik nnd die Republi kaner zu verleumden sucht. Sie haben schwerwiegende Tatsachen zu enthüllen. Sie fordern von der repirblika- nischen Partei nicht, daß sitz ihre Verantwortlichkeit im voraus festlegt. Sie verlangen von ihr nicht, sich durch eine sofortige und überstürzte Abstimmung auszusprechen und Stellung zu nehmen. Aber sie werden dem Gewissen des Landes ihnen bekannte Tatsachen von durch schlagender Bedeutung unterbreiten. Sie sind sicher, daß das republikanische Land, sobald es diestz Tat sachen kennt, die Initiative zur notwendigen Aktion er greifen wird. Diese Erklärungen Jaures' nnd de Pressensös, schließt die „Petite Röpubligue", wurden von allen Vertretern der Linken gebilligt. Hiernach haben also die beiden sozialistischen Führer die ihnen bekannten „neuen Tatsachen" zwar noch nicht ent hüllt, aber immerhin geht aus den Mitteilungen ihres Parteiblattes hervor, daß die Tatsachen derart sind, daß sie den Versuch einer Revision des Dreyfus-Prozeffes zu gleich mit der Anbahnung einer politischen Bewegung der Sozialisten gegen die Nationalisten in ihren Augen recht fertigen. Zur Laae in Marokko. Der spanische Gesandte meldete aus Tanger, es sei zweifelhaft, ob die als Bu Hamara ausgegcbenc Person tatsächlich der bisherige Prätendent sei. Aber wenn auch die Siegesbotschaft des Sultans vollständig richtig sei, so müsse damit gerechnet werden, daß in Marokko ein großer Teil der Bevölkerung an die Gefangennahme und Tötung Ferrilletsn. 4, Dunkle Wege. Roman von I. v. Eon ring. Nachdruck verboten. Der Ball war zu Ende. Der letzte Wagen rollte durchs Tor, hinter ihm schlossen sich mit geräuschvollem Klappen die großen Türflügel. Eine Gruppe junger Offiziere, unter denen sich auch Rooneck befand, verließ eben das Haus. Die Herren hatten ihre Mäntel ange zogen nnd verbargen fröstelnd die Hände unter dem großen Pelzkragen. Es war kalt in dieser grauen Morgen frühe. Der Kontrast zwischen der überhitzten Luft des BallsaaleS und dem Frvsdwctter draußen machte sich em pfindlich geltend. Der hartgefrorene Schnee glitzerte im Laternenltcht, und dem einsamen Droschkengaul, der trübselig an der Ecke stand, hing der Reis in dicken Zotteln am Haar. Die Herren gingen rasch, um sich zn erwärmen, und als einer vorschlug, noch eine Tafle Kaffee zu trinken, waren sie alle damit einverstanden. Das große Lokal war glänzend erhellt. Der Cigarrenrauch zog in dichten Schwaden durch den Raum und ließ die Vergoldung der Wände und der Decke mir matt durcksscheinen. Dicke, von allerlei Gerüchen durchsetzte, sehr heiße Luft schlug den Herren entgegen. Sie sahen sich prüfend im Saale um, der trotz der vorgerückten Stunde noch voll besetzt war. „Da unten sitzt van Harpen ganz allein", ries Herr von Eidelstein. „Da ist Platz für uns alle." Rooneck, dem die Begegnung keineswegs angenehm war, konnte sich, ohne Aufsehen zu erregen, nicht mehr ausschlicßcn. Er trat höflich grüßend näher. Van Harpen, der sehr erfreut schien, sprang auf und griff selbst mit zu, um die nötigen Stühle herbeizuschaffen, so daß die Herren nach wenigen Minuten gemütlich im Kreise saßen und von den Kellnern mit Kaffee und Likör versehen werden konnten. Rooneck hatte seinen Platz neben van Harpen und be merkte, daß dieser ihn beständig unter den halb ge schlossenen Libern hervor fixierte. Das Lächeln, das dabei um seine Lippen spielte, war so impertinent, daß Rooneck fühlte» wie der heiße Zorn in ihm aufstieg. Doch dachte er an Konstanzen» Bitten und sein Versprechen, und sollt» jeden Streit vermeiden, deshalb trank er feinen Kaffee aus uud stand auf, um zu gehen, während er nach dem Zählkellner rief. Van Harpen lehnte sich noch weiter in seinen Stuhl zurück, blies eine Wolke von Cigaretten rauch von sich und sagte, in absichtlich herausforderndem Tone: „Gehen Sie meinethalben, Herr von Rooneck? Das würde ich umsomehr bedauern, als ich vorhatte, Sie zur Rede zu stellen." Rooneck blieb stehen, die Hand auf den Säbel gestützt, und winkte dem herbcieilenden Kellner ab. „Mich zur Rede stellen? Weshalb? Was wünschen Sie von nrir?" „Vor allem möchte ich Ihnen bessere Manieren em pfehlen." Er hatte das sehr laut gesagt, so daß die Gäste an den Nebcntischen aufmerksam wurden. Die Offiziere sprangen auf. Fragen und abgerissene Worte flogen hin und her, und alle Blicke richteten sich gespannt und unruhig auf die beiden Gegner, von denen der eine, ein böses Funkeln in den Augen, den Rauch seiner Cigarette von sich blies, und Rooneck, blaß bis in die Lippen, sich gewaltsam zur Ruhe zwingend, einen Schritt näher trat. „Sind Sie bet Sinnen, Herr, daß Sie mir das z,l bieten wagen?" „Weshalb denn nicht? Ich werde Ihnen noch ganz was anderes sagen, wenn Sie mir an den Wagen fahren, mein Herr von Rooneck! Die Dame, die Sie heute zu Tisch führten, war mit mir engagiert. Sie wußten das und hielten es nicht der Mühe wert, ein Wort der Ent schuldigung an mich zu richten. Heißt das, wie ein Kava lier gehandelt? Wenn mich die Rücksicht auf die Dame nicht zurückgehalten hätte, würde ich Ihnen schon im Saale Ihren Standpunkt so klar gemacht haben, daß Ihnen alle Luft vergangen wäre, mir noch einmal ins Gehege zu kommen." „Halt, Herr van Harpen!" Slicher trat ihm sehr energisch entgegen. „Ich bitte um Ruhe. Es ist hier nicht der Ort, um solche Sachen auszutragen. Bedienen Sie sich gefälligst eines Tones, wie er unter Gentlcmcn üblich ist. Herr von Rooneck wird wissen, was er nach den Aeußerungen, die Sie sich erlaubt haben, zu tun hat." Es entstand eine lange, bange Pause, während welcher die Offiziere gespannt aufhorchtcn. Van Harpen lachte höhnisch. „Ob ich mir da» nicht gedacht habe! Nun, ich will Ihnen noch einen Schritt entgegen tun. Wann darf ich Ihre Zeugen erwarten, Herr von Rooneck?" Dieser faßte mit der Hand nach dem Gäbelgriff, als wollte er bei der treuen Waffe Halt fachen. Sein Gesicht war aschbleich und verzerrt. Durch die weißen Lippen stieß er die Worte: „Ich schlage mich nicht mit Ihnen, Herr van Harpen." „Dann werde ich Sie dazu zwingen!" Van Harpen hob, außer sich vor Wut, die Hand, als wollte er Rooneck ins Gesicht schlagen. Wieder trat Slicher zwischen beide. „Sie halten den Herrn nicht für satisfaktionsfähig, Rooneck?" fragte er. In seiner Stimme klang verhaltene Angst, seine Augen ruhten forschend auf dem Kameraden. „Nicht so", sagte Rooneck mühsam. „Ich weiß nichts von ihm, wenigstens nichts, was mich hindern könnte, wenn nicht sonst — aber", und das kam auf einmal ruhig und frei heraus, „ich bin Katholik, meine Kirche verbietet das Duell, und deshalb schlage ich mich nicht." Slicher unterbrach die cingetretenc Stille: ernst und eindringlich sprach er: „Bedenken Sie vor allem, Rooneck, daß Sic Offizier sind und sich somit dem Spruch des Ehreurates zu unter werfen haben. Es ist mir unzweifelhaft, daß seine Ent scheidung das Duell unvermeidlich machen wird. Lassen Sie uns also hoffen, lieber Rooneck, daß Herr van Harpen über Ihr Zögern hinwegschcn und sich noch bereit er klären wird, Ihnen Genugtuung zu geben, wenn Sie sich jetzt anders entscheiden." Van Harpen neigte zustimmend das Haupt. „Ich habe mich entschieden", sagte Rooneck. „Jetzt nickst und niemals. Die Folgen meines Tuns werde ich zu tragen wissen." Es herrschte ein tödliches Schweigen, das Unerhörte, Unglaubliche war geschehen. Niemand fand ein Wort, bis nach einer Pause, die allen endlos vorkam, Rooneck sich mit kurzem Gruße üivwandtc und hochanfgerichtet zwischen den neugierigen Gaffern hindurchschritt und den Saal verließ. Van Harpen war der erste, der sprach: achselzuckend meinte er: „Das habe ich mir gedacht. Ich hielt Rooneck immer für feige." „Ich bitte", Herr von Slicher sah sehr ernst auS, und seine Stimme klang drohend. ,Herr von Rooneck ist unser Kamerad, und somit stehen wir für ihn ein, bis er aufgehört haben wirb, Offizier -u sein. Sic werben also wohl daran tun, sich aller unpassenden Aeußerungen in unserer Gegenwart zu enthalten. Kommen Sie, meine Herren, es ist Zeit, daß wir hcimgehen." Mit militärischem Gruß verabschiedeten sich die Herren. Van Harven blieb allein im Saale zurück, schaute nach denklich in seine halb geleerte Kaffeetasse nnd wurde von dem müden Kellner ins Pfefferland verwünscht. Die Offiziere blieben draußen stehen und sahen einander an. Keiner fühlte die eisige Wintcrluft, sie hatten ihre Müdigkeit vergessen und waren alle blaß, wie unter dem Eindruck von etwas Furchtbarem, das sie hatten mit anschen müssen, ohne cs verhindern zn können. „Um Gottes willen!" sagte endlich einer, mit erstickter Stimme. „Was soll daraus werden? Ist cs denkbar, daß Rooneck sich nicht schlagen wird?" Slicher schüttelte den Kopf: ,^Jch glaüb's nicht! Rooneck ist nicht der Mann, der gegen seine Ueberzcugung handelt. Und dann — er ist westfälischer Edelmann. Die katholischen Anschauungen sind ihm in Fleisch und Blut übergcgangen. Er in ja nicht der erste, der aus diesem Grunde den Abschied nehmen muß." „Ich hoffe immer noch, daß er nackgibt, wenn er sich erst klar gemacht hat, daß für den Offizier, der ein Duell verweigerte, kein Platz mehr unter anständigen Menschen ist." „Sie vergessen wohl eins, Eidelstein", rief Graf Brand: „gesetzt den Fall, wir überredeten Rooneck, van Harpen jetzt noch zu fordern, glauben Sic etwa, daß der darauf entginge? Und er hätte ja vollkommen Recht mit solcher Weigerung. Rooneck hat abgclcbnt, als es noch Zeit war. Jetzt kann kein Ehrcnrat, kein Gesetz, wie es unter Gentlcmen gilt, van Harpen mehr zur Annahme einer Forderung zwingen." „Diese Erörterungen sind leider überflüssig", sagte Slicher trübe. „Rooneck hat gesprochen, und danrit ist für ibn die Sache erledigt. Er gibt sicherlich nicht nach. An uns ist es, seine Anschauungen zu respektieren, wenn wir sic auch nicht teilen können." „Lassen Sie uns weiter gehen, Slicher", Graf Brand schauderte fröstelnd znsammen. „wir können doch nicht hier ans der Straße stehen bleiben. Nur eins möchte ich erwähnen, ehe wir uns trennen. Haben etwa die Herren, ebenso, wie ich, bet van Harpens Auftreten den Eindruck einer überlegten, beabsichtigten Provokation gehabt?" „Unzwciselhast", sagte Slicher, ernst und gewicknig. „Ich gehe sogar noch weiter. Ich bin überzeugt, baß er Rooneck» katholischen Standpunkt recht gut kannte und demgemäß
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