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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 30.03.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-03-30
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030330028
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903033002
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903033002
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-03
- Tag1903-03-30
- Monat1903-03
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Tabellarischer «nd giffernsatz entsprechend hoher. — Gebühre» iür Nachweisungen und Offertenauaahm« 8» (exel. Porto). Extra.Beilage* (gefalzt), nur mit der Morgen-AuSgabe, ohne Postbrsördrrung SO.—, mit Postbesördenulg 70.—. Anuahmeschluß für Anzeigen: Abrud-AuSgab«: Bormittag-10 Uhr. Morgen-AuSgaber NachmMags - Uhr. Anzeige« sind stet« au die Expedition zu richten. Die Expedition ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abend« 7 Uhr. Druck und Verlag von T. Polz tu Leipzig. Nr. 162. Montag den 30. März 1903. S7. Jahrgang. Politische Tagesschau. * Leipzig, 30. Marz. Tas zerschnittene Tischtuch. Im Lager der „Genossen" herrscht große Freude wegen deS Ausfalls der GewerbegerichlSwahl in Essen a. d. R. In dieser Wahl siegten nämlich die Sozialdemokraten mit K87l Stimmen gegen die christlichen Gewerkschaften, die uur 5257 Stimmen erhielten. Im Jahre 1900 waren 1608 sozialdemokratische und 2670 christliche Stimmen abgegeben worden. Der „Vorwärts" sieht in diesem Siege eine Ant wort der Essener Arbeiter auf die Rede, die der Kaiser am 26 November 1902 auf dem Bahnhöfe in Esten an die Arbeiterdelegierten der Firma Krupp richtete und die das „Zentralorgan der sozialdemokratischen Partei Deutschlands" in einem „DaS zerschnittene Tischtuch" überschriebenen Artikel in Erinnerung bringt. Sie lautete: „Ihr Kruppschen Arbeiter habt immer treu zu Eurem Arbeit geber gehalten und an ihm gehangen, Dankbarkeit ist in Eurem Herzen nicht erloschen; mit Stolz habe ich im Auslande überall durch Eurer Hände Werk den Namen unseres deutschen Vaterlandes verherrlicht gesehen. Männer, die Führer der deutschen Arbeiter sein wollen, haben Euch Euren teuren Herrn geraubt. An Euch ist eS, die Ehre Eures Herrn zu schirmen und zu wahren und sein Andenken vor Ber- unglimpsuugen zu schützen. Ich vertraue darauf, Laß Ihr die rechten Wege finden werdet, der deutschen Arbeiterschaft fühlbar und klar zu machen, Latz weiterhin eine Gemeinschaft oder Beziehungen zu den Urhebern dieser schänd lichen Tat für brave und ehrliebende deutsche Ar- beiter, deren Ehrenschild befleckt worden ist, ausgeschlossen sind. Wer nicht da« Tischtuch zwischen sich und dieseu Leuten zerschneidet, legt moralisch gewissermaßen die Mitschuld auf sein Haupt. Ich heg» da- Vertrauen zu den deutschen Arbeitern, daß sie sich der vollen Schwere des Augenblicks bewußt sind und als deutsche Männer die Lösung der schweren Frage finden werden." Mögen nun auch ganz andere Ursachen den seit 1900 in der Essener Arbeiterichaft eingetrelenen Umschwung der Slimmung herbeigefüdrt haben, jedenfalls entspricht dieser Umschwung völlig der Wirkung, welche die Genossen der Rede des Kaisers vorauSgesagt haben. Ihr Triumph ist daher begreiflich genug. Und ebenso begreiflich ist eS, daß sie in dem Essener Wahlsiege einen „verheißungsvollen Vorklang für dir ReichStagswahlen" hören. Sie werden mithin auch nichts unterlassen, diesen Sieg und die vielbesprochene Kaiserrede für die Wahlagitation auSzubeuten. Uud wer auS Erfah rung weiß, wie derartige kaiserliche Kundgebungen herhalten wüsten, um in den Kreisen, in denen die sozialdemokratischen Agitatoren daS willigste Gehör finden, Erbitterung hervorzu rufen, der wird mit uns den Wunsch hegen, daß ähnliche Kundgebungen während der Vorbereitungen zu den Neu wahlen unterbleiben. Sie würden wahrscheinlich nur die Folge haben, daß die Wahlparole, welche di« Offiziösen auS- geden: „Wider die Sozialdemokratie", der Borklang eines sehr beklagenswerten sozaldemokratischen Wahlsieges würde. Ter Verurteilung des VlumenmediumS Anna Rothe zu 1>/» Jahren Gefängnis und 500 .4 Geld strafe gewinnt das „Berl. Tagebl." ein« politische Seite ab, indem es findet, die Rothe gehöre nach dem ärztlichen Gut achten zu der Kategorie von psychisch Anormalen, welche die neuere Wissenschaft als geistig Minderwertige bezeichne; sie gehöre also nicht in das Gefängnis, sondern höchstens in eine An stalt für geistig Minderwertige, wie sie allerdings als Zwangs anstalt erst noch geschaffen werden müßte. Mit der Zubilli gung mildernder Umstände sei eS nicht getan. Aber dem Gerichte seien die Hände gebunden gewesen; eS habe daS alte Gesetz anwenden müssen, und so könne man den Fall nur zum Anlaß nehmen, aufs Neue darauf hiozuweise», wie nötig eine Reform des Strafgesetzbuches se«. Wir wollen die Notwendigkeit einer solchen Reform schlechter dings nicht bestreiten; fiele die Reform aber so aus, daß künftig Personen wie die Rothe nicht mehr inS Gefäng nis, sondern „höchstens" in eine der zu schaffenden Anstalten für geistig Minderwertige kämen, so würde die bürgerliche Gesellschaft recht übel fahren. Eine Person, die, wie die Rothe, mit dem größten Rasfinement die Spuren ihrer Wege zur Beschaffung der von den „Geistern" zu apportierenden Gegenstände zu verwischen und einer Untersuchung ihrer Kleidung zu entgehen weiß, mag wohl in mancher Hinsicht höchst confuS sein, aber geistig so minderwertig ist sie jedenfalls nicht, um nicht zu wissen, daß sie betrügt. Und wer das weiß, kann allenfalls auf die Zubilligung mildernder Umstände, nicht aber auf Be freiung von der auf Betrug gesetzten. Strafe Anspruch machen. Dürfte er das, so würden die RotheS wie Pilze aus der Erde wachsen, denn der Boden, auf dem diese Pflanze ge diehen ist, ist, wie der Prozeß enthüllt hat, ein so breiter und gründlich gedüngter, daß seinen Producten nur noch eine strafrechtliche Ausnahmestellung gewährt zu werden brauchte, um sie zur üppigsten Blüte zu bringen. Wir hoffen, daß es dazu nicht kommt und daß auch in Zukunft die Gerichte den Be trug auch dann al« solchen bewerten und strafen, wenn ein ganzes Heer von „Gläubigen" nachzuweisen sich bemüht, daß nicht die beklagte Person geschwindelt, sondern daß ihr „Astralleib" Blumen gekauft habe, daß diese Blumen materialisiert, bematerialisiert und nachher wieder rematerialisiert worden seien re. Diesen „Gläubigen", die säst in allen Kreisen Ge nossen und Genossinnen haben, die bis zu einem gewissen Grade Mitschuldige der Rothe und ähnlicher Geschäftskundiger sind, kann freilich kein Staatsanwalt und kein Gericht an den Leib, so lange sie sich nicht direkt an betrügerischen Hand lungen beteiligen. Sie werden auch durch den Verlauf deS Prozesses nicht belehrt und bekehrt werden: das haben die Vor gänge im GerichtSsaale bewiesen. Sie werden auch immer wieder Anlaß zur Entwickelung von Individuen vom Schlagt der Anna Rothe geben. Und gerade deshalb ist die Frage, was diesen Gläubigen gegenüber zu geschehen habe, jetzt noch wichtiger als die, was man mit Personen von der Art der Rothe anfangen solle. Um diese Frage zu beantworten, hat man sich nicht an das „wissenschaftliche" Gebäude zu hallen, daS sie aus dem Grunde falscher Voraussetzungen und nur angeblicher Tatsachen mit einem erstaunlichen Aufwande von Logik und Phantasie auf richten. Es kommt lediglich auf die Vorstellungen an, die sie in anderen von dem Zustande nach dem körper lichen Tode zu erwecken suchen. Mit vollem Rechte sagt die „Deutsche TageSztg." von diesen Vorstellungen: „Daß tote Seelen mit Tischen klopfen, unter den Teller kritzeln, abgerissene Zweige und Blumen, gekaufte Figuren und Schmucksachen, Steine und Echinkrnknochrn in die Luft Wersen, — daß eine offenbar hysterische, phantastisch an- gelegte Frau deu Geist ZwiugliS im Sommeranzuge oder die Geister von Leuten, die sie gar nicht- angehrn, kommandieren, cttieren und apportieren lassen könne, das ist — man verzeihe rin den starken Ausdruck — doch nichts anderes, al- Blödsinn oder Unfug. Ein derartige- angeblich höhere- oder tieferes Seelen leben ist tatsächlich eine Herabwürdigung deS feineren Leben- der Menschenfeele." Und ähnlich die „Tägl. Rundsch.": „Welche Verrohung des SemütSlebenS, welche Herab würdigung der Vernunft, welche schlechtweg entsitt lich. nd« Airffafsun* da« Seelenleben-, der Getstrrwelt, wird ihnen (den Teilnehmern an spiritistischen Sitzungen) angesonnen l Wenn die Geister der Verstorbenen nach der irdischen Pilgerfahrt sich damit befassen sollen, Tische zn rücken, auf Tellern zu kritzeln, gegen Entree Blumen und Apfelsinen zu apportieren, Figuren und Schmuck sachen, die sie vermutlich irgendwo gestohlen haben, zu verschenken — so wird den Suchenden ein Wahn zugemutet, der den Über zeugtesten Gläubigen der Unsterblichkeit vor demLeben nach dem Tode bange machen, ihr» das irdische wir nachirdische Leben al-wild« blöd« Farr« ansehen lasten könnte." Beide Blätter hätten, ohne zuviel zu sagen, die Vorstel lungen, welch« die Rothe-Gläubigen anderen vvn dem Leben nachdem Tode beizubringen suchten undsuchen, grobeGottes- lLsterungen nennen können. Und eS hat schon mancher büßen müssen, der weniger grober Lästerungen sich schuldig ge macht batte. Aber freilich sind die Lästerungen der Rothe-Gläubigen solcher Art, daß sie den Staatsanwälte» Grund zum Einschreiten nicht oder nur selten ge geben; drese sind eben Staats- und nicht GotteSanwälte. Solche aber sollten die Geistlichen sein, gleichviel zu welcher Konfession sie gehören. Für sie war daS Bild, DaS der GerichtS- saal während deS Rothe-Prozesses bot, am unerfreulichsten; ja eS war für sie als Stand eine herbe Anklage. In ihre Behand lung gehören die Leute, die in „Friedchen Medibumfel" ein von Gott zur Erleuchtung und Erhöhung der Menschheit au«- erseheneS „höheres" Wesen erkannt wissen wollen; von ihren Kanzeln, aus ihren Hirtenbriefen u. dergl. hat daS Licht au«- zugeyen, vas diesen Spuk zurückjagt in da- Dunkel verwirrter Köpfe. Freilich muß eine gewisse Specirs der Herren sich vorsehen, daß nicht besonder« kluge Koryphäen de» Spiritis mus einwerfea: Ihr huldigt ja auch dem Grundsätze orocko guia kibsurckum. Ueber die vcfugutffe der Arbeit-iuspettare« tu Frankreich ist dieser Tage von dem Gerichtshof in Eperoay eine be merkenswerte Entscheidung gefällt worden. Es handelte sich um die Frage, ob der inspizierende Beamte da« Recht habe, die Privatwohnung des Arbeitgeber«, besonder« während der Nachtzeit, zu betreten. Der unter Anklage stehende Industrielle hatte dem Beamten den Eintritt verwehrt, indem er neben anderen Gründen geltend machte, daß der ArbeitSinfpektor, um zu den Arbeitöräumeu zu gelaoaen, seine Privatwohnung hätte betreten müssen, da zur Zeit der beabsichtigten Revision der sonst al« Durchgang zu den ArbeitSraumen benutzte Ladeu bereit« geschloffen war. Der Gerichtshof hat nun dahin entschieden, daß di« im Gesetze ausgesprochene Unverletzlichkeit der Privatwohuungeu sich nicht auf solche Wohn- oder Geschäftsräume beziehe, di« durch ihr« Lage eine Werkstätte oder einen Arbeitsraum von dem freien Zutritt abschUeßen, und ferner, daß derartig« Privaträume wahrend der gesamten Dauer de- Betriebes in den benachbarten Arbeit«räumc» dem AufsichtSbeamteu zugänglich sein müßten. In der Urteils begründung wurde ausgeführt: Ein Raum, der am Tage alS Werkstätte oder irgendwie zur Ausübung eines gewerb lichen Betriebe- benutzt werde, behalte diesen Charakter, solange darin gearbeitet werde, also unter Umständen, auch Feuilleton. 201 Miß kachel Saltonn. Roman von Florence Marryat. vtacovrua rerdolen. Rachel wandte der Sprecherin ihr Antlitz zu, und als sie den sanften, liebevollen Blick sah, der auf sie gerichtet war, und der dem andern Bilde, das unauslöschlich in ihrer Seele stand und sie beherrschte, so ähnlich — und doch auch so unähnlich war, da brach sie in einen Strom von Tränen aus. „Was müssen Sie von mir denken!" sagte Rachel halb beschämt, halb bekümmert. „Ich hatte aber solche Sehn sucht, sie zu sehen und mit Ihnen zu weinen; denn Sie sind doch seine Mutter, nicht wahr ?" „Geoffrys Mutter, liebe Dame. Gewiß bin ich das und sehr stolz darauf", antwortete die kleine Frau. „O, wie müssen Sie es empfinden! Welch ein furcht barer Verlust muß es für Sie sein. Und für mich . . . für mich . . . Sie stockte, halb erstickt von ihren Tränen, fuhr aber gleich fort: „Ich hoffte, es könnte vielleicht noch ein Irr tum sein und die Nachricht wäre nicht richtig gewesen, bis ich die hcruntergclasscncn Rolläden an Ihrem Hause sah, und dann wußte ich . . . dann wußte ich . . Mutter und Tochter sahen sich bedeutungsvoll an. „Ich verstehe Sie nicht ganz", sagte MrS. Salter dann. „Die Jalousien sind im oberen Stockwerk herunter gelassen, weil die Zimmer leer sind. Wir verlassen Broad- gate Street. Mein Mann hat das Geschäft verkauft und wir wollen aufs Land hinausziehen. Aber wie konnte Sie dies erregen?" „Aber Geoffry . . . Ihr Sohn?" keuchte Rachel müh sam hervor. „Haben Sie es nicht in den Zeitungen ge lesen ?" „Die Nachricht von seinem Tode in Algier?" sagte seine Mutter sorglos. „O ja; und cs traf sich sehr glück lich, daß wir Briefe desselben Datum- von ihm erhalten hatten, welche die wahre Tatsache ausführlich mitteilten; sonst würden wir außer uns gewesen sein. Ich sehe, liebe Mrs. Wood, denn das ist ja wohl Ihr Name . . . „Wood . . . Wood?" sagte Rachel verwirrt. „Mr. Salter hatte verstanden, daß Sie sich bei Ihrem ersten Besuche so genannt hatten; aber er irrt sich viel leicht." „O nein; er hat recht, Wood", erwiderte Rachel in großer Verlegenheit, die Mrs. Salter nicht entging. „Aber wie ist eS mit ihm, mit Ihrem Sohne?" „Ich wollte sagen, baß Sie, wie eS scheint, auch die Ve- richte der Zeitungen gelesen und geglaubt haben. Aber Gott sei Dank, kann ich Ihnen sagen, daß sie unrichtig sind. Unser Geoffry lebt und ist wohl; er hat sich sogar vollständig von einem schlimmen Fieberanfall erholt, den er in Florenz hatte. Der arme Herr, mit dem er reist«, ist gestorben, nnd da Geoffry die Todesanzeige bei den be treffenden Behörden machen mußte, und sich nicht sehr auf die französische Sprache versteht, so denke ich mir, baß die beiden Namen verwechselt wurden und daraus der ganz« Irrtum entstand!" - - „Mutter, Dlutter!" rief Ennneline aus, „das Sprechen ist zu viel für sie. Sie ist wieder ohnmächtig geworden." Diesmal schickte Mrs. Salter sofort zu Doktor Barcham, der die Patientin sehr schwach fand und un- fähig, außer Bett zu bleiben. „Eine Bekannte von Ihnen. MrS. Salter, nicht wahr? Nun, bringen Sie sie gleich zu Bett, Madam, und lassen Sie sie nicht ohne meine Erlaubnis aufslehen. Ich kvnnne morgen früh wieder heran." Halb geführt, halb getragen, wurde Rachel in das obere Stockwerk und in ein Schlafzimmer verbracht, das, wenn auch weniger luxuriös, so doch ebenso solide ein gerichtet war, wie ihr eigenes. Sie versuchte erst, sich zu widersetzen. Sie befand sich ja unter unrichtigen Voraus setzungen hier und hatte kein Recht, die Gastfreundschaft der Familie Geoffrys unter falschem Namen anzunehmen. Aber Mrs. Salter und Ennneline ließen sich auf nichts ein, und eS war auch so süß, von seiner Mutter liebevoll gepflegt zu werden. Eigentlich war sich aber Rachel nur der einen großen Wahrheit bewußt, baß Geoffry lebte und daß auch ihr Leben nicht zu Ende sein würde. Alles an dere ging in ihrer großen Schwäche unter, und sie empfand es dankbar, in den schneeigen Kissen liegen und schlafen zu können. „ES ist doch auch ganz sicher, daß Sie mich nicht täuschen?" sagte sie mit ernst flehendem Blick, als Mrs. Salter ihr eine Tasse mit starkem Thee an die Lippen hielt. „Es ist doch ganz sicher, daß er am Leben ist?" „ES ist ganz sicher, daß er lebte, als die Nachricht von seinem Tode nach England gelangte, Liebste", lautete die Antwort. „Im übrigen müssen wir ihn Gottes Schutz anvertrauen." „Ja, ja", murmelte Rachel, mtt mattem Lächeln und schloß die Augen zum Schlummer. „Lieber Will", sagte Mrs. Salter zu ihrem Gatten, als dieser in das Wohnzimmer kam, um sich nach der Pa tientin zu erkundigen, „ich bin überzeugt, daß es etwas Geheimnisvolles mit dieser jungen Dame auf sich hat. Ich glaube nicht, daß sie Wood heißt, und ich hoffe ernst lich, daß sie nicht verheiratet ist, da sie ein merkwürdiges Interesse an unserm Geoffry zu nehmen scheint." „Nun, und warum soll das etwas Geheimnisvolles auf sich haben? Interessiert sich nicht alle Welt für den Jungen? Als er für tot gehalten wurde, sprach da nicht jede Zeitung in London über seinen Tod als über einen unersetzlichen Verlust für die Kunst und die Gesellschaft?" „Ja, aber alle Welt fiel nicht wie tot hin, weil an un serem Hause die Jalousien heruntergclassen waren." „Ah! Was sagst du da?" „Diese junge Dame, die mir übrigens eine brave Per son zu sein scheint, gestand mir soeben ein, ihre Krankheit sei durch den Schreck entstanden, daß sie Geoffry für tot gehalten und die heruntergelassenen Rolläden als eine Bestätigung deS Gerüchte- angesehen hätte." „Nun, sie ist eben augenscheinlich schwach und krank, und da würde ihr jeder Schreck eineOhnmacht verursacht haben. Wenn sie sich wohler fühlt, dann frage sie doch, ob sie wieder wegen der Stellung für ihre Freundin her- gekommen wäre. Ich könnte ihr jetzt vielleicht behülflich sein, da Mr. Milsom weiblich« Gehltlfen halten will." „Geoffry wirb überrascht sein, wenn er hört, wie schnell du dich -m» verkauf entschlossen hast", sagt« Mr». Salter. „Ich glaube, die Nachricht wird ihn schneller als irgend sonst etwas nach Hause bringen." „Es war ein plötzliches Glück, Liebste, und da mußte ich auch meine Pläne plötzlich ändern. Wenn ich Milsoms vorteilhaftes Anerbieten nicht angenommen hätte, dann wäre mir vielleicht nie mehr ein ähnliches zu teil gewor den. Auch drängte mich ja Geoffry fortwährend zu diesem Schritte. Es ist ja auch Februar, und nächsten Monat würde er doch spätestens nach England zurückgekehrt sein. Ich bin begierig, was er dieses Jahr auf die Ausstellung bringen wird." „Ich wollte, Miß Rachel Saltonn, die Erbin, bei der er in Nochamptvn malte, beauftragte ihn, ihr Porträt zu malen. Sie ist so bekannt und angesehen in der Gesell schaft, baß eS ihn schneller als sonst irgend etwas in der Öffentlichkeit bekannt machen würde." „Pah!" rief Mr. Salter aus, unserm Jungen braucht nicht mehr vorangcholfen zu werden. Er ist ganz im stände, allein für sich zu sorgen. Du wirst bald so stolz auf ihn sein, baß wir dir ein Paar Stelzen werden anschaffcn müssen, kleine Mutter." „Ich kann kaum stolzer auf ihn werden, als ich schon bin", antwortete MrS. Salter, und ging, sich nach ihrer Kranken umzusehcn. Zweiunbzwanzigstcs Kapitel. Rachel schlief bis zum Abend und befand sich allein, alS sic aufwachte. Das Feuer brannte lustig im Kamin und warf einen flackernden Schein auf die Damastvorhänge des Bettes, die weißen Spitzen und Mussclinvorhängc der Fenster und deS Toilettentisches und auf baS schöne alte Derbyshirer Porzellan auf dem Waschtisch. Das war ein anderes Erwachen, als das letzte. Einen Augenblick nur fühlte sic sich unsicher; bann dämmerte die köstliche Wahr heit in ihr auf, und sie erinnerte sich, baß ihr Freund und Geliebter lebte und gesund war — daß sic ihn Wiedersehen würde und im stände war, das Mißverständnis zwischen ihnen in nichts aufzulöscn und ihm zu sagen, baß er ganz nach seinem Gefallen mit ihr schalten und walten möge. Kein Zweifel und keine Besorgnis waren ihr geblieben, sie hatte keine Bedingungen mehr zu stellen, keine un möglichen Hindernisse mehr zu überwinden. Wie Wach wollte sie sich in Geoffrys Hände legen, um sich nach seinem e.llr.i formen zu lassen. Sie wollte in Broadgate Street leben, wenn er cs verlangte; ja, sie wollte hinter dem Ladentische verkaufen, wenn sic ihn nicht auf andere Weise zum Gatten haben konnte. Ihr ganzer Stolz war aus ihr hiuausgctrieben, oder besser gesagt, ihr falscher Stolz auf Dinge, die sie nicht ihrem eigenen Zutun verdankte. In der Bewunderung und Hochachtung Geoffrys hatte sic Dcmut gelernt, und sie war jetzt bereit, anzuerkennen, daß wahre Liebe das Opfer aller im Werte unter ihr stehenden Dinge verlangt. Sie dacht« an Geoffrys Worte in Nizza — „Die Frau, die ich liebe, muß auf meinem eigenen Boden zu mir kommen; mein Volk muß ihr Volk sein uud mein Gott ihr Gott. Wenn du kommst, dann muß cs der ganze Weg sein, geradeaus zu dem Herzen, das sich nie von denen abwendcn wird, denen cs vor allen Menschen die größte Dankbarkeit schuldig ist." Rachel wiederholte sich diese Worte immer wieder, bi sse ihr zu einer Art von Lied wurden. „Ja, mein edler, aufrichtiger Gevffrtz" murmelte sie tat Halbdunkel vor sich hin, „ich will deu ganzen Weg zu dir kommen, jeden Schritt machen, bis ich das Ziel erreiche." Als sie still und bewegungslos dalag, traten zwei Ge stalten leise in das Zimmer. Es waren Mrs. Salter und Ennneline. Die Mutter näherte sich dem Bett, um zu sehen, ob ihx Patientin schliefe, und da Rachel nicht sprach, nahm sie in einem Lehnstuhl am Kamin Platz, während ihre Tochter sich auf eine Fußbairk neben sie setzte. „Soll ich ein Licht anstecken, Mutter?" „Nein, liebes Kind, cs könnte Mrs. Wood aufwecken, und das Beste für sie ist jetzt Schlaf. Auch genügt mir das Licht des Kaminfeuers; der Kopf tut mir etwas weh." „Ach, liebe Mutter, ich wollte, dies hätte sich nicht ge rade jetzt zngetragen, wo Nelly fort ist. Du bist ent schieden übermüdet. All die Aufregung wird dich krank machen." „Nein, Emmy, Freude tötet nicht. Aber das ist wahr, wir hatten genug zu bedenken ohne diese neue Ueber. raschung, ich war aber überzeugt, daß er früher kommen würde, ich sagte es eurem Vater gleich." „Was mich am meisten erstaunt, Mutter, ist die Ge schichte mit unserm Namen. Kommt cs dir nicht sonder- bar vor, ihn nach so vielen Jahren zu wechseln. Es sieht aus, als ob wie ihn jemand anders stehlen. Geoffry wird auch sehr überrascht sein." „Ja, der gute Junge wird große Augen machen. Aber Emmy, es ist hauptsächlich seinetwegen, daß der Vater diesen Entschluß gefaßt hat. Natürlich ist es gesetzlich eben so gut Vaters Name, wie Miß SaltonnS Name der ihrige ist, und er würde ihn schon früher wieder angenommen haben, wenn wir nicht dein Kaufmannsstande angehört hätten. Aber nun wir das Geschäft aufgeben, meint er, es könnte Geoffry für seine Stellung in der Gesellschaft von Nutzen sein. Er wird ja nichts anderes dadurch, aber die Welt ist nun einmal so." „Aber wird cs nicht unendlich viel Mühe machen, un- sere Ansprüche darauf zu beweisen, Mutter?" „Ich glaube nicht. Es wird wahrscheinlich auf dem Heroldsamte etwas zu tun geben und vielleicht auch etwas bezahlt werden müssen, da eS mehr als zwei Jahrhunderte her ist, seit unser Zweig der Familie den Namen abgelegt hat. Aber euer Vater hat alle Beweise in Händen, und er sagt, er brauchte nur in den Zeitungen bekannt zu machen, daß er seinen rechtmäßigen Namen wieder ange nommen habe." „Die komisch! Und ich bin dann Miß . . „Still, lieheS Kind", warf die Mutter ein. „Sprich nicht so lebhaft. Dein Vater möchte nicht, daß über die Angelegenheit geredet wird, ehe alles in Ordnung ist." „Schön", sagte das Mädchen, „ich will nur froh sein, wenn die Packerei vorüber ist und wir uns in Devonshire befinden. Die milde Landluft wird dir gut tun, liebes Mütterchen, und die Ruhe und Stille erst recht. Und eS ist Geoffrys LieblingSgegend -um Skizzieren, wie du weißt." Bei diesen Worten rührte sich Rachel. Sie fühlte, daß sic nicht länger still liegen und diese Privatunterhaltung mit anhören durfte. Als sie daS Rauschen der Bettücher hörte, stand MrS. Salter auf und trat an da» Bett. „Sind Sie wach, Liebel sagte ste freundlich.
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