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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Anzeiger : 17.09.1903
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1903-09-17
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id453042023-19030917021
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id453042023-1903091702
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-453042023-1903091702
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Anzeiger
- Jahr1903
- Monat1903-09
- Tag1903-09-17
- Monat1903-09
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Tabellarischer und Ziffernsatz entsprechend höher. — Gebühren für Nachweisungen und Offertenaunahme 25 H (excl. Porto). Extra.Beilagen (gesalzt), nur mit der Morgen-Ausgabe, ohne Postbesörderung 60.—, mit Postbeförderung 70.—. Annahmeschluß für Anzeigen: Abeud-AuSgabe: Vormittag- 10 Uhr. Morgen-Ausgabe: Nachmittags 4 Uhr. Anzeigen sind stets an die Expedition zu richten. Die Expeditton ist wochentags ununterbrochen geöffnet von früh 8 bis abends 7 Uhr. Druck und Verlag von E. Polz in Leipzig. Nr. 474. Donnerstag den 17. September 1903. 97. Jahrgang. politische Tagesschau. * Leipzig, 17. September. Vom sozialdemokratischen Parteitag. Die in Dresden versammelten „Genossen" haben, wie vorausrusehen war, die für bürgerliche Blätter tätig gewesenen Parteimitglieder nicht „fliegen" lassen. Es ist ihnen nur verboten worden, für bürgerliche Preßunternehmen tätig zu sein, in denen „an dersozialdemokratischen Partei gehässige oder hämische Kritik geübt wird", aber es soll ihnen unbenommen sein, Redakteure (!) oder Mitarbeiter solcher bürgerlicher Blätter ru bleiben, auf welche diese Voraussetzung nicht zutrifft. Natürlich! Was kann der Sozialdemokratie lieber sem, als wenn „Genossen" Mitarbeiter oder gar Redakteure solcher Blätter sind, in denen sie die Unzufriedenheit nähren, Angriffe auf ihre Partei abwehren oder dieser auf irgend eine andere Weise dienlich und förderlich sein können? Vertrauensstellungen sollen solche verkappte „Ge nossen" allerdings nicht erhalten, denn ganz zu trauen ist ihnen nicht; aber für die bürgerliche Presse sind sie passend! hieraus ergibt sich, wie angebracht unsere gestern an dieser Stelle ausgesprochene Mahnung war, die Partei tage der bürgerlichen Parteien müßten fick ihrerseits so bald und so gründlich wie möglich mit der Frage beschäftigen, was zu geschehen habe, die bürgerliche Presse von sozialdemokra tischen Mitarbeitern und Redakteuren rein zu halten oder viel mehr zu reinigen. Was dieSoziatdemokratie von solchenEhren- männern erwartet, ist aus den Dresdener Beschlüssen deutlich berauszulesen. Im übrigen hat schon jetzt der Verlauf der Dresdener Tagung bewiesen, daß die „Revisionisten" die Diktatur Bebels nicht zu erschüttern vermögen. Dieser ist zwar nicht mehr ganz der Alte, er verhaut sich weit öfter als früher und muß dann Gesagtes zurücknehmen; er widerspricht sich häufiger und ist deshalb auch öfter als ehedem genötigt, durch Kunstgriffe die Einheitlich keit seiner Ansichten scheinbar wieder herzustellen. Aber seine Macht über die Gemüter der großen Masse der „Genossen" ist ungemindert. Wer von ihm beschützt wird, ist bifchützt, er mag noch so viel verschuldet haben; wer von ihm verurteilt wird, ist verurteilt, er mag sich noch so geschickt verteidigen. Die „Revisionisten" sind durch die Keulenschläge seiner wilden Bercdtsamkeit bereits so betäubt, daß sie kaum noch ernsten Widerstand gegen den souveränen Führer wagen. Am bittersten mag dies „Genosse" Göhre empfinden, der der Sozialdemokratie seine Stellung, einen Teil seiner Familie und manches andere geopfert bat und sich's nun gefallen lassen muß, von dem Parteipapste abweichender Meinungen willen unter die „hergelaufenen Akademiker" ge worfen zu werden. Und nichts läßt vielleicht den Umfang der Bebelschen Machtvollkommenheit so deutlich erkennen, als die Art, in der er mit einem Oöhre umspringen durfte. Wie es bei dieser Sachlage bürgerliche Blätter noch fertig bringen, von einer „Mauserung" der Sozialdemokratie zu reden, würde unbegreiflich sein, wenn man nicht wüßte, wie viel Menschen es gibt, die gleich Herrn v. Naumann das für wirklich halten, was sie ersehnen. Durchaus begreiflich ist es dagegen, daß da und dort die Frage aufgeworfen wird, wie es mit der Geschlossenheit der sozial demokratischen Partei aussehen wird, wenn einmal Bebels müder Hand der Herrscherstab entfällt. Unter den „Unentwegten" gibt es, so viel wir übersehen können, keinen, der das Erbe Bebels mit Aussicht auf gleichen Erfolg an zutreten vermöchte. Ob nicht nach seinem Ableben einer der „Revisionisten" sich der Zügel bemächtigt, ist eine wohl auf zuwerfende Frage. Wie sie aber auch vom Schicksale gelöst werden wird: die letzten Ziele der Sozialdemokratie bleiben in absehbarer Zeit dre gleichen. Und jedenfalls dürfen sich die bürgerlichen Parteien darauf gefaßt machen, daß ein geschickter „Revisionist" noch weit mehr „Mitläufer" für die Sozialdemokratie gewinnen wird, als Bebel, der vielleicht durch sein Auftreten in Dresden manchen absplittert, der noch bei den letzten Reichstagswahlen aus Verstimmung einen sozialdemokratischen Wahlzettel abgab. Die Hochaararier aeaen das Deutschtum. Die Parteivcrhältnissc im Wahlkreise Schlvchau- Könitz haben sich in einer auch das allgemeinere Inter esse beanspruchenden Weise entwickelt. Bei der bevor stehenden Wahl zum preußischen Abgeordnetenhaus«: wählt der Kreis Schlvchau zusammen mit dem Kreise Könitz. Es besteht in diesem Wahlkreise ein altes Abkommen zwischen den Konservativen und den Liberalen gegen die Polen und das Zentrum. Im Jahre 1898 sonderten sich aber die Hvchagrarier von den Konservativen ab und schlossen ihrerseits ein Abkommen mit dem Zentrum und den Polen gegen die vereinigten Deutschen (Liberale und Konservative). Dieser Verrat an dem Deutschtum kam in der Wahlbewegung zu den Reichstagswahlen wiederholt zur Sprache und die Freunde des hochagrarischen Kandi daten Herrn v. Hilgen dorff erkannten auch in öffent lichen Versammlungen den im Jahre 1898 gemachten schweren Fehler an und gelobten Besserung. Das Miß trauen gegen den konservativen Kandidaten war damals groß; seine Kandidatur brachte den bedauerlichen Zwie spalt unter den deutschen Elementen hervor, nicht diejenige des nationalliberalen Kandidaten Wagner. — Dasselbe Schauspiel vom Jahre 1898 soll sich aber bei den bevor stehenden Landtagswahlen wiederholen: der agrarische Flügel der Konservativen will sich dem Beschlüsse der kon servativen Parteileitung, die zur Aufstellung eines gemein samen deutschen Kandidaten an dem Abkommen mit den Liberalen festhält, nicht fügen, sondern schließt wiederum einen Pakt wie im Jahre 1898 mit dem Zen trum und den Polen ab! Eine Erklärung des Pro vinzialvorsitzenden des Bundes der Landwirte, Herrn v. Oldenburg- Ianuschau, das Bündnis sei nur mit dem Zentrum «ingeganaen. bemäntelt doch nur auf das notdürftigste den wahren, leider allzu durchsichtigen Sach verhalt: das agrarische Bündnis mit dem Zentrum hat nur dann einen Wert, wenn die Polen mit dabei sind; es ist nicht gegen die Polen, sondern gegen die vereinig ten Deutschen gerichtet! Wo bleiben nun die politi schen Freunde des Herrn v. Hilgendorff, «die vor der Reichstagswahl in Schlochau-Flatvw hoch und heilig be teuerten, der Bund der Landwirte werde den im Jahre 1898 begangenen Kehler ganz gewiß nicht wiederholen? — Die Liberalen und die vom Bunde der Landwirte nicht abhängigen und hörigen Konservativen werden auch dies mal an dem im Jahre 1898 getroffenen Abkommen fest halten, aber die größte Tätigkeit entfalten müssen, um dem von den Hochagrariern beabsichtigten Schlage, der sich gegen das Deutschtum richtet, vorzubeugen. Den Herren Hochagrariern könnte ihr Verhalten im Wahlkreise Schlochau-Konitz aber doch noch manche wohlverdienten Lehren eintragen. Bulgarien vor der Entscheidung. Präsident Roosevelt scheint im Unrecht zu bleiben mit seiner Behauptung, die Lage im Orient sei „nicht sehr ernst". Das Circular, welches die bulgarische Regierung an die diplomatischen Vertreter des Fürstentums im Auslande ge richtet hat, spricht eine so erregte und entschlossene Sprache, daß kriegerische Verwickelungen nur schwer noch aufzuhalten sein dürften. Die bulgarische Regierung erhebt in dem Circular, dessen Haupt inhalt wir nochmals wiedergeben, da dasselbe nicht in der gesamten Auflage unseres heutigen Morgenblattes enthalten ist, gegen die Pforte den Borwurf, daß sie auf die Vernichtung der bulgarischen Bevölkerung in den europäischen Vilajets hinarbeite und dabei anderseits alle Vorkehrungen treffe, um die türkische Armee so rasch als möglich an der bulgarischen Grenze konzentrieren zu können. Dies berechtige zu der Annahme, daß die ottomanischc Regierung beabsichtige, im geeigneten Augenblick eine militärische Aktion gegen das Fürstentum zu unternehmen. Die Lage sei geeignet, schließlich einen bewaffneten Konflikt zwischen dem Fürsten tum und der Pforte herbeizuführcn, falls die Großmächte nicht bei der Pforte die Ratschläge der Klugheit und der Mäßi gung geltend machen. Die bulgarische Regierung fühle sich verpflichtet, an die Gerechtigkeit und Humanität der Mächte zu appellieren, damit diese die bulgarische Bevölkerung vor einer vollständigen Ausrottung retten und durch ihre Inter vention die ottomanische Regierung bestimmen, die Mobilisierungs vorkehrungen, sowie die in Anbetracht der korrekten Haltung der bul garischen Regierung in keiner Weise gerechtfertigten Maßregeln mili- tärischerKonzentrierung rückgängig machen. Dieser Schritt sei ein neuer Beweis der loyalen Gesinnung der bulgarischen Regierung, sowie ihres Entschlusses, alles zu vermeiden, was den Frieden bedrohen könnte. Sollte jedoch Bulgarien keine Zusicherungen erhalten, die seine Befürchtungen gegen das gegenwärtige Vorgehen der Türkei zerstreuen könnten, so würde es sich gezwungen fehen, die not wendigen Maßregeln zu treffen, um für jede Even tualität vorbereitet und gegen jede Ueberraschung ge schützt zu sein. Ueber türkische Grausamkeiten abscheulichster Art berichtet, autorisiert von der bulgarischen Regierung, wie er sagt, der Korrespondent des „Daily Telegraph" m Sofia. Eine wahre Treibjagd, telegraphiert er, wurde auf die christ liche Bevölkerung in dem Gebiet zwischen den Seen Presba und Ochrida organisiert, jedes Dorf dort ist jetzt ein rauchender Trümmerhaufen. Man findet nur noch die Leichen von Männern, Frauen und Kindern, die unter herzzerreißenden Martern hingemordet worden sind. Engländer haben diese Dinge mit eigenen Au^en gesehen. Der britische Konsul in Saloniki hat sie berichtet, aber die Völker und Regierungen Europas haben keine Ohren, zu hören, keine Herzen, zu fühlen. Erst kürzlich sielen 15 000 unglückliche Flüchtlinge den Türken in die Hände. Der britische Vertreter bat Hilmi Pascha telegraphisch, die Gefangenen zu schonen, nach den Berichten aber, welche die bulgarische Regierung erhielt, wurden erst die Frauen und die Kindervergewaltigt und bann alle getötet, und diese Greuel dauern fort. Die Albanesen werden bewaffnet und zu Gewalttat^ Mord und Brand aufgereizt. — In dem Telegramm wird dann weiter die Loyalität der bul garischen Regierung gerühmt, die nichts getan habe, um die makedonijche Erhebung zu ermutigen (aber sie hat aus Furcht vor der hochgebenden Volksbewegung auch nichts getan» um eine Unterstützung der Revolution durch bul garische Agenten und bulgarische Offiziere zu verhindern. D. Red.). Endlich heißt es: „Bulgarien ist jetzt entschlossen, dem Gebot der Pflicht zu folgen, einer höheren Pflicht als der, dem Sultan bei seinem Werke höllischer Ausrottung zu helfen. Die Regierung des Fürsten Ferdinand hat die Sache aus allen Gesichtspunkten betrachtet und ist sich der unheilvollen Folgen bewußt, welche die Großmächte Bulgarien für den Fall androhen, daß dieses sich einmischt. Aber Bulgarien kann trotzdem nicht länger zögern, denn es handelt sich jetzt nicht mehr um eme Frage des bloßen Interesses, der Politik oder der Berechnung, sondern um eine heilige Pflicht. Engländer, Franzosen, Russen hätten längst, komme, was mag, ihren Landsleuten geholfen, Bulgarien muß jetzt das Gleiche tun. In wenigen Tagen werden die Würfel fallen, und Bulgarien wird seine Pflicht tun. Die Bulgaren sind entschlossen, die Ausrottung der Makedonier nicht ruhig mit anzusehen, sie werden im Gegenteil ihr Aeußerstes tun, um dies zu verhindern, was auch die Folgen sein mögen." — Uebrigens gesteht der britische AmanuensiS der bulgarischen Regierung ein, daß die bulgarische Armee ungenügend mit Munition versehen sei, weil die Regierung stets fest entschlossen gewesen sei, eine Politik der Mäßigung zu führen. Er behauptet, zugleich hielten die österreichischen Fabriken, die endlich die Auftrage auf Munition erhielten, die sie so lange erbeten hätten, ihre Lieferungen zurück. „Erzbereit" ist also Bulgarien nicht, und es spielt daher um seine Existenz, wenn es den Funken ins Pulverfaß wirft. Deutsches Reich. Ter neue Mehring. „Es ist nicht wahr, daß die sozialdemokratischen Abgeordneten immer nur die eine „sozial- * Leipzig, 17. September. (Mehring oder „das psychologische Rätsel".) Die Schaubude, in der sich Mehring oder „das psychologische Rätsel" in letzter Zeit meistens sehen ließ, war die „Leipziger Volksztg." Dieses Blatt ist nun gezwungen, seine eigene Schande zu offenbaren in dem wohl ziemlich wörtlichen Berichte, den die sozialdemo kratische Partei von ihrem Dresdner Parteitage für ihre Presse Herstellen läßt und den infolgedessen auch das Leipziger Blatt abdrucken muß. Zuerst kommt da die unsagbar niedrige Postkarte Mehrings an Harden in Betracht, auf der er über seinen in zwischen verstorbenen „Genossen" Schön lank schreibt: „Ich weiß diesen Lümmel schon zahm zu machen". Noch viel cynischer offenbart sich dieser Mensch als „Ge schichtsschreiber". Der von Mehring angegriffene „Genosse" Bernhard, den die „Berliner Morgenpost" so glücklich und unverfroren ist zu beschäftigen, bat zur Beurteilung dieser Mehringscben Cbarakterseite die schon kur; erwähnten Dokumente geliefert, die nicht in der sozialdemokratischen Presse versteckt bleiben sollen. Nach dem sozialdemokratischen Berichte stellte Bernhard folgende Druckstellen einander gegenüber: Ter alte Mehring. „Positiv blieb es nach wie vor eine und dieselbe Rede, wer immer und worüber er sie hielt; in dieser tötenden Gleich- demokratische Rede" gehallen förmig leit spielt sich treffend hätten. Ohne nach den zweifel- das geistige Leben des Zukunfts- haften Lorbeer» parlamentarischer staats." Geschwätzigkeit zu trachtenssprachen Feuilleton. i3j Ingeborgs Linder. Roman von MargareteBöhme. Nallkiukk »cr^olen. Mit den Marzipansachen, silbernen Kügelchen, Lametta und Christbaumschnee putzte sie das Puppenbümnchen, das die Tante mitgeschickt hatte und das in einen großen Blumentopf gestellt war. Ein Dutzend gelbe Wachslichtchen fanden Platz in dem grünen Gezweig. Dann stellte sie das Bäumchen in die Mitte des Tisches, auf den sie ihre und Fritzens Geschenke gelegt hatte. Gegen sechs Uhr kam er. Eine Minute lang wunderten sie sich gegenseitig über einander: Thyra über ihres Pflege bruders feierliche Toilette — er war im Frack und weißer Halsbinde —, Fritz, daß Thyra noch nicht angezogen war. „Ja ... du bist doch auch zu Lcisemanns eingeladen?" platzte er endlich heraus. „I Gott bewahre. Fällt mir im Traum nicht ein. Du etwa?" Ja, er war «ungeladen. Zum Souper, um neun Uhr. In der Voraussetzung, daß Thyra selbstverständlich auch eingeladen werde, hatte er Kusekoff sein pünktliches Er scheinen zugesagt. Er war ganz bestürzt, daß Thyra keine Einladung erhalten hatte. Es mutzte vergessen worden sein . . . ganz sicher. Kusekoff würde es nicht gelitten haben, daß man sie absichtlich überging. . . Ja, wenn er davon eine Ahnung gehabt hätte, würde er natürlich auch refüsiert haben, nun ging es leider nicht mehr. „Ich hätte ohnehin nickt angenommen. Am Weihnachts abend gehe ich nicht in Gesellschaft", sagte Thyra. „Wie schade! Ich hatte mich so aus diesen Abend gefreut. . . ." -Sie war wirklich verstimmt. Als aber die Lichtlein an dem Bäumchen unter ihren Fingern aufflammtcn, als sie die verhüllenden Tücher von dem Beschcerungsaufbau wegzog, war ihre Laune dock bald wieder hergestellt. „Aber Thyra, Kind, um Himmels willen; wie kommst du nur dazu, mir so aufzubauen? Du bist ja eine kleine Verschwenderin", murmelte Fritz ganz verblüfft von der Reichhaltigkeit des weihnachtlichen Gabentempels. „Ich? O nein! Die Sacken sind von Tante. Sie schickte mir das Geld dafür. Wenn cs dich nur ein bißchen freut, FritzN Gewiß freute es ihn. . . . Sie hatte wirklich ganz wunderbar seine geheimen kleinen Wünsche und Bedürf nisse erraten. Er selbst hatte auch allerhand niedliche und elegante Sachen mitgebracht, und als sie endlich fertig waren mit dem gegenseitigen Bescheeren, dem Freuen, Staunen und Danken, setzten sie sich zusammen auf das Sofa und sahen schweigend auf das brennende, flammende Weihnachtsbäumchen. Und sie dachten wohl beide das selbe, an den wonnigen, reinen Kindheitstraum, der hinter ihnen lag, und die Wolke, die momentan über beider Stirn glitt, galt wohl der alten Frau, die nun allein in ihrem Stübchen saß und einsame Weihnacht feierte. . . . Und all mählich formten ihre Gedanken sich zu Worten . . . leisen, weichen, traumverloren hingestreuten Bemerkungen, Fragen .... »Weißt du noch, wie wir uns immer so gern unter den Tannenbaum setzten und zusammen die Märchen studierten, die uns das Christkind bcscheert hatte? Ja, und auch später rückten wir gern so dicht als möglich an den Baum, um möglichst viel von dem würzigen Duft der Tanne und der Wachskerze» zu profitieren. . . ." „Es träumte sich so schön am Baum .... damals, als wir schon große Kinder waren. Da sprachen wir nicht mehr von Märchen, aber von Idealen . . . vielleicht sind das auch nur Märchen", setzte Thyra leise, mit einem herben Tonfall hinzu. ,„>st es wirklich war geworden, Fritz?" »Was denn. Kleine?" „Hast du überhaupt noch Ideale?" „Ja, ich habe noch eins", und dabei sah er sie mit einem langen, innigen Blicke an, der sie erglühen machte. ,^)ch meine, stehen deine Ideale vom Guten und Schönen noch auf dem Piedestal von damals? Würdest du um solcher Ideale willen deine persönlichen Interessen hintanstcllcn?" Er lächelte — ein wenig ironisch. „Du bist ein kleines, phantastisches Mädchen. Gewiß will ich, wie jeder Ehren mann, nur das Gute und Neckte. . . ." „Das ist cs nicht. Tas Gute und Rechte wollen auch die Nullen, die Halben, aber die Ganzen, die Vollmeuschen, die wollen nur das Höchste . . ." und in verändertem Tone: „Sag', Fritz — ich wollte mich schon lange einmal zu dir darüber aussprechen — sag' einmal, weshalb be mühst du dich so auffällig um Olli . . . überhaupt um die Lcisemannjchcn Damen?" Sie wußte, daß er ihren Worten eine falsche Deutung gebe, und ohne eine Antwort abzuwarten, fuhr sie rasch atmend fort: „Sage mir nur das eine, Krty sage nur, daß du es nicht absichtlich tust — nicht mit einem Nebengedanken. . . . Die Leute sind so schlecht, Fritz — sie schreiben deinem Verhalten unedle, unreine Motive SN, einen Streber nennen sie dich . . . einen Streber, dem kein Weg zu krumm und kein Mittel zu kleinlich ist, um zum Ziele zu kommen. . . ." „Wer sagt so?" „Ich weiß nicht. Aber ich hörte, daß man in diesem Sinne über dich sprach. . . ." „Laß sie reden. Ich habe Neider. Aber du, daß du solchem Geschwätze eine, wenn auch noch so geringe Be deutung beilegst. . . ." „Das habe ich nicht getan. Es hat mich nur geschmerzt. Ich zweifelte nie an dir, Fritz. Nie - . . aber es frappierte mich, daß du. . . ." „Du Dummes .... Liebes." Er zog ihre weiche, schmale Hand spielend in seine Rechte und drückte einen Kutz auf die warmen Finger. Thyra schwieg. Durch ihren jungen Körper rannen selt same Schauer, Lust und Wehgefühle, lind unterdessen brannten die Lichtchen langsam herunter. Eins sengte ein Zweiglein an. Knisternd sprühten die Nadeln auf und verglühten, harzigen Duft verhauchend. . . . Nach einer Weile sprang Fritz aus und umkreiste den Gabentisch. Jetzt erst bemerkte er das Schächtelchen mit der goldenen Glücksbohne. »Was ist denn das?" „Ein porto bonsiour, daß es dir Glück bringe." Er nestelte daran herum und entdeckte, daß es sich öffnen ließ. „Es ist aber noch hohl. Der glückbringende Kern fehlt. Gib mal eine Schere her, Thyra." Thyra reichte ihm das Verlangte. Sie standen dicht neben einander. Und ehe sie sich's versah, nahm er ihren Kopf in beide Hände, bog ihn ein meng vor und schnitt eins von den seidenweichen Nackenlöckchen herunter. „Das ist mein Talisman. Kleinchen. — " Eine Minute atemlosen, schwülen Schweigens; in der nächsten preßten seine Appen sich in langem, glühendem Druck auf die Stelle, die vorhin der Stahl berührt hatte, schnttegten seine Arme sich fest um die zitternde, an ihn drängende Clestalt „Du . . . du . . ." Das Tannenbäumchcn machte eben sein letztes Lichtäugelchen zu. Aber die beiden glück lichen, jungen Menschen achteten nicht einmal darauf. Sie hielten sich noch immer umschlungen und küßten einander und tauschten leise, heimliche, süße, kosende Liebesworte. Und bei dem Tannen- und Kerzenduste des heiligen Christabends löste sich die Vergangenheit von ihnen ab; die sanfte, warme, reine Geschwisterliche ging — für immer, und an ihre Stelle trat die rote, blühende, brennende Leidenschaft der Liebe zwischen Mann und Weib. Nun wollte er nicht fort. Zu Geheimrats schicke er einen Dienstmann mit einer Entschuldigung . . . ihm sei plötz lich unwohl geworden, oder so was Aehnliches, aber da von wollte Thyra nichts wissen. Hatte er einmal sein Wort gegeben, mutzte er auch hingehen. Gegen neun Uhr drängte sie ihn fort. Dafür gehörte ihr der nächste Tag ganz. Schon um neun Uhr wollte Fritz sie abholen, und dann wollten sie bis zum Abend zusammenbleiben. Er war kaum gegangen, als das Tam-Tam -um Abend essen rief. Thyra ordnete vor dem Spiegel ihr Haar ein wenig, bevor sie hineinging. Sie hatte eigentlich mit Fritz auf ihrem Zimmer essen wollen, aber nun war es ihr ebenso lieb, in Gesellschaft der andern speisen zu können. Eine Fröhlichkeit, wie sie sie nie vorher empfunden hatte, be herrschte ihre Stimmung. Das Christkind hatte ihr ja ein so großes, wundervolles Glück gebracht ... sie fühlte ordentlich ein Bedürfnis, aus sich heraus zu gehen, zu lachen, zu plaudern, ihre innere Glückseligkeit ausstrahlen zu lassen. Frau Weingarten hatte eine reizende kleine Weihnachts feier veranstaltet. Eine deckenhohe Tanne prangte in der Mitte des Salons in hundertfachem Lichtcrglanze, und auf dem Ekschcnktische war für jeden der Pensionäre, die noch da waren, ein besonderes Plätzchen vorgesehen. Die Zahl der Penkionsbewobner war allerdings recht -w- sammengesckmolzen. Wer noch ein Zuhause oder Ver wandte hatte, war zu diesen gereist, andere verlebten den Weihnachtsabend in befreundeten Familien. Außer Thyra waren nur die Engländerinnen, Fräulein Dupuy und der Astronom zur Stelle. Bei dem kleinen festlichen Abend essen ging es trotzdem stiller als gewöhnlich zu. Die Dupuy war erkältet und deshalb nicht so disponiert, als gewöhn lich; die Miß und der Mexikaner trugen nie viel zur Unterhaltung bei, und Frau Weingarten war bei aller ge- wohnten Liebenswürdigkeit und Freundlichkeit sichtlich zerstreut und ernster noch, als gewöhnlich gestimmt. Thyra und Käthe allein plauderten fröhlich und un befangen mit einander und krackten durch ihre heitere, aufgeräumte Laune etwas Leben in die kleine Tafelrunde,
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