' Der Sünde Knechtschaft. Ein girier und fester Wille vermag wohl viel; wer einmal durch Verführung, durch materielle Noth oder durch irgend welche andere Umstände in Schande und Laster ver fallen ist, kann sich wohl trotz widriger Geschicke wieder au- dem Sumpf, in den er hinein- gerathen, emporarbeiten, weun er de» redlichen Willen dazu hat, aber er möge doch auch seiner Kraft nicht allzu fest vertrauen und kluger Weise allen Situationen aus dem Wege gehen, die er aus Erfahrnng als gefährlich kennt, denn die Versuchung hat oft eine gerade zu dämonische Gewalt. Der Fleischer Oswald W. in Dresden hatte in seinen jungen Jahren viel gefehlt und in Folge dessen auch viel büßen müssen; die fatale Rückfallsbestimmung de- Strafgesetzes hatte ihn sogar mehrmals ins Zuchthaus ge bracht. Aber in dem Manne steckte doch noch ein guter Kern; sein Ehrgefühl war in den langen Jahren der Unfreiheit, im Zusammen sein mit dem Abschaum der menschlichen Gesellschaft nicht abgestumpft; das Verlange», wieder als ehrlicher Mensch dazuslehen und Jedermann frei ins Auge blicken zu könne», war vielmehr immer in ihm rege geblieben, und als er vor nunmehr 6 Jahren seine letzt« Strafe verbüßt hatte, trat er mit dem festen Vorsatze wieder ins bürgerliche Leben ein, jetzt ein anderer Mensch zu werden und vom Pfade des Rechten nicht wieder abzuweichen. Sein inzwischen gefestigter Manneswillc vermochte viel. Es gelang ihm die größten Schwierigkeiten zu überwinden, die sich ihm namentlich beim Suchen nach ehrlicher Arbeit in den Weg stellten, da den ehemaligen Zuchthäusler kein Meister bei sich aufnchmen «nd kein unbescholtener Geselle neben sich dulden wollte. Unverdrossen ging er von einer Stelle zur anderen, verwand ohne Murren «Me Lemüthigungen, die ihm zu Theil wurden, W mit großer Ucberwindung alle Entbehrungen, die die arbeitslose Zeit ihm auferlegte, und behielt nur immer das eine Ziel im Auge, rechtschaffene Beschäftigung zu finden. Nach wo.henlangcr qualvoller Ungewißheit ward seine Ausdauer endlich von Erfolg gekrönt: ein humaner Meister nahm ihn trotz seiner Vergangenheit, aus der er geflissentlich nirgends ein Hehl gemacht hatte, bei sich auf, und der brave Mann hatte das nicht zu bereuen; eine» rechtschaffeneren, fleißigeren und zuver lässigeren Gesellen hätte er nirgends finden können. Und die Wandlung des ehemaligen Ver ächters der Gesetze glich nicht einem Stroh» feuer, das schnell verflackert und dann keine Spuren mehr zurückläßt; sie war nachhaltig; jeder echte ^Menschenfreund hätte an dem Ver halten des Mannes seine Freude haben müssen. Die Jahre vergingen; Oswald W. hatte schon bei verschiedene» Meistern zu jedes einzelnen Zufriedenheit gearbeitet; Niemand dachte mehr an seine dunkle Vergangenheit; er war durch eigenes Verdienst rehabilitirt und wieder in die Gemeinschaft der anständigen Menschen ausgenommen. Aber der Laune des Schicksals darf Niemand auf die Dauer vertrauen; es waltet blind und kümmert sich nicht darum, ob es durch seine Fügungen die Menschen fördert, docr die mühsam geschichteten Gebäude ihres Fleißes nicdcrreißt. Auch Oswald W., der gebesserte Sünder, sollte diese Wandelbarkeit schmerzlich zu fühlen bekommen. Im Sommer dieses Jahres hatte er seine Stellung ohne eigene Schuld verloren, weil sein dermaliger Meister das Geschäft auf» gab, und als er sich anderweit nach Arbeit umsah' erkrankte er plötzlich und sah sich genöthigt, zur Herstellung seiner Gesundheit im Hospital Aufnahme zn suchen. Die magere» Krankengelder reichten nicht zur Erhaltung seiner Familie ans; da sein Leiden sich viele Wochen lang hinzog, mußte» die Ersparnisse aufgezehrt werden, und als er endlich, noch ziemlich schwach und hinfällig, das Krankenhaus verließ, befand er sich in einer recht traurigen wirthschaftlichen Lage. . M