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02-Abendausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 16.01.1907
- Titel
- 02-Abendausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-01-16
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19070116029
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907011602
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907011602
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
- -
- Wahlperiode
- -
Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-01
- Tag1907-01-16
- Monat1907-01
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BeznaS-PreiS Slrnetqen-PreiS 8ss Neueste vom Lage. (Die noch Schluß der Redaktion eingegangene» Depejchea stehen ans der 3. Seite des HauptblattesJ Gegen die Alcischteucrung. Der Reichskanzler hat, nach der „Neuen politischen Cor- respondenz", dem Bundesrat nunmebr eine Borlage zu gehen lassen, durch welche eine vorläufige Herabsetzung der Gebühren ,ac die Untersuchung des in das Inland eingehen den Fleisches beantragt wird. Tic französische Bischofs-Konferenz. Die Versammlung der Bischöfe erwies sich in der großen Mehrheit bereit, auf die Regelung der Schwierigkeiten durch Anpassung an das allgemeine Versammlungsrechl einzugehen, beschloß jedoch, vom Vatikan zunächst auf tele graphischem Wege Justrultionen zu erbitten, um zu verhindern, daß sie desavouiert werde. Die Bischols-Konseren; dürfte sich infolgedessen noch einige Tage, mindestens bis Freilaa, hin- riehen. — Mehrere Redner betonten, daß die Veriügung der Regierung nur die Bedeutung von (Übergangsbestimmungen besitze, foiveit dagegen die Geistlichen die Formalitäten er- jüllten, ihnen die Regierung weiterhin das Verfügungsrechl über die Kuchen und das Mobiliar nicht mehr belchränlen werbe. Die Anpassung an das allgemeine Vcr- sammlungsrechr werde noch erleichtert, wenn die AnzergepflichtfürdleöfsentlichenVersaminlungeu überhaupt abgeschafft werde. — Man erkennt die versöhnliche Gesinnung des französischen Epiflopats, welchem scharfe Konflilisluft durchaus nicht bebagt. Die französische Regierung tollte die ominöse Anzeigepflicht dock so schnell als möglich beseitigen. Die französuche Republik muß sich ihres reaktionären VeremSgeseyes überhaupt fchämen. — (Ls ver lautet noch, einige Buchöse seien dafür eingetreten, daß zur Sicherung des Gottesdienstes Vereinigungen auf Grund des gemeinen Rechtes gegründet werben sollen. Dem „Figaro" zufolge wurde auch dieses AuSftuchtSmittel in Anbetracht der vom Vatikan geäußerten Anlchauung von der Mehrheit des Episkopats entschieden bekämpft. Tic fpanifchc RegicrungSkrisiS. Die Mitglieder des vorigen Kabinetts, w.lche in das fetzige nicht eingetreren sind, versammelten sich gestern bei Lopez Domingue; und beschlossen, die von der Regierung ge- planie Abänderung des Vereinsgesetzes nur unter Vorbehalt auzunchmen. Man erwartet den unmittelbaren Ausbruch einer Ministertrisik. Tichuüi und Wolf. In einem offiziösen Artikel bekämpft der „Temps" den von der deutschen Regierung vertretenen Standpunkt, daß der Sultan von Marokko, trotz der Algecirasakte, weil er der Souverän eines unabhängigen Landes sei, seine tech nischen Beiräte nach Gefallen wählen könne. Frankreich werbe zwar vorläufig nicht protestieren, cs aber auch nicht unterlassen, einzuschreiten, wenn etwa Krupp für seine privaten Interessen aus der Doppelstellung des Majors v. Tschudi Nutzen ziehen sollte. — Es ist unerfind lich, worauf sich ein solches „Einschreiten" stützen könnte. Ist die Unabhängigkeit Marokkos auf der Konferenz anerkannt — ja oder nein? Ist der Grundsatz der „offenen Tür" festgelegr — wir bitten um Antwort! Frankreich hat so unendlich viel Zugeständnisse erlangt, daß es sich sehr in acht nehmen mag, durch neue Uebergriffe und Anmaßungen sich eine tüchtige biplomatnche Niederlage zuznziehen. Schrecklicher Mord und Selbstmord. Ueber deu Mord an dem Direktor der Kommerzbank in Lübeck. Herrn Stiller, Worliübrer des Lübecker Bürger ausschusses und früheren Rcichslagsabgeordnetcn, wird noch berichtet: Als sich gestern morgen gegen 9 Uhr Bankdirektor Stiller zur gewobnten Zeit von seiner Wohnung Friedrich Wilhelm- Straße Nr. 18 nach der Komm'rzbank begeben wollte, traf er auf diesem Wege den Senator Rabe, mit dem er dann semen Weg durch die Mühlenstraße sortsetzte. Herr Bankcireltor Stiller ging an der Häuserreihe des linksseitigen Bürgersteiges (vom Mühlentor aus ge rechnet), Herr Senator Rabe an der Borvsteinteiie. Als sie an der St. Annenstraße vorüber kamen, «rat plötzlich eine Frau auf Herrn Direktor Stiller zu. Ein Sckuß siel — Direktor Stiller schien wie von einem elektrischen Schlage getroffen — gleich daraus folgte ein zweiter Schuß. Dieser ganze Vorgang spielte sich mit blitzartiger Geschwindigkeit ab, so daß irgend ein Eingreifen Dritter unmöglich war. Der von der Mörderin abzefeuerte Schuß tötete Stiller auf ter Stelle. Die Attentäterin wurde soiort von Senator Rabe mit einem Schirm einige Schritte zurückgetrieben; sie richtete dann die Mordwaff: gegen sich selbst und sagte sich eine Kugel durch die rechie Schläfe in den Kopf. Sie brach auf der Stelle röchelnd und bewußtlos zusammen. Die Verletzung war sehr schwer; die Kugel drang der Selbstmörderin in das Gehirn. Ueber die Ursache des Mordes erfahren wir noch folgende Einzelheiten: Die Mörderin wurde als die am 27. Januar 1868 zu'Salzwedel geborene Betty Friederike Schul; erkannt. Sie ist seinerzeit Krankenpflegerin bei der Frau Direktor Stiller gewesen und glaubte zu Unrecht entlasten zu fein und aus diesem Grunde noch Forderungen an Herrn Direklor Stiller zu haben. Dies ist aber durchaus unrichtig. Indessen verfolgte die Schulz feit längerer Zeit Herrn Direktor Stiller, zuletzt sogar derartig, daß sie Direktor Stiller an der Börse belästigte. Dieser sah sich deswegen genötigt, die Hilfe der Polizei in Anspruch zu nehmen, um vor öffentlichen Belästigungen sicher zu sein. Außerdem leitete Herr Direklor Stiller ein Straf verfahren wegen Bedrohung und Beleidigung gegen die Swul; ein. Letztere wurde unter polizeiliche Beobachtung gestellt, was sie vor einiger Zeit veranlaßte, ihren Aufenthalt nach Dresden zu verlegen. In dem erwähnten Strafverfahren bat nun ein Termin stattgefunben, zu dem aber die Ange klagte nicht erschienen und deswegen ihre zwangsweise Dor führung angeordnet worden war. Zu dieiem Zwecke war ein Steckbrief gegen die Angeklagte erlassen worden. Alles dies scheint die an sich schon geistig etwas anormal veranlagte Schulz, als es zu ihrer Kenntnis kam, noch mehr gegen Direklor Stiller aufgebracht und in ihr den Plan zu dem Morde bervorgerufen zu haben. Wann sie nach Lübeck für Leipzig und Bororte: In der Haupt- Elpedilion oder deren Ausgabestellen ab geholt monatlich: Ausgabe ä ll mal täglich) 70 Pf., Ausgabe ll !2 mal täglich) 80 Pf., bei Hustellung ins Haus Ausgabe 80 Pf., Ausgabe 8 l Mark. Durch unsere aus wärtigen Ausgabestellen und durch die Post bezogen II mal läglich)lnnerbalb Deutschlands monatlich 1 Maik, für Oesterreich-Ungarn 5 L 45 k vierteljährlich, die übrigen Länder loui ZeitungSpreisliste. Tiefe Rümmer lostet aus 4 4» »44 ? allen Bahnhöfen und bei III den Kettung--Berkäusern Redaktion uno Erpeoitiou; Johannisgaffe 8. Telephon Nr. 153, Nr. 222, Str. 117L. Berliner Redaktions-Bureau: Berlin XVV. 7, Prinz Louis Ferdinand- Straße 1. Telephon I, Nr. 9275. Nr. 1«. Abend-Ausgabe 8. KfpMcr TagMM Handelszeitung. Amtsblatt des Nates und des Nolizeiamtes der Ltadt Leipzig. die 6grspallenr Pemzrile rur Geschäfts« Inserate aus Leipzig und Umgebung 25 Pf„ Familien-, Wohnungs- u. Stellen-Anzetgen, sowie An- und Berkäui» 20 Pf., finanzielle Anzeigen 30 Ps., für Inserate von auswärts SO Pf. Reklamen 75 Pf., auswärts 1 Mark. Beilage gebühr 4 Markt). Taufend ezkl. Postgebühr. Geschästsanzeigen an beoorzugier Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Taris. FürInierate vom Auslande be>onderer Taris. Anzeigen-Annahme Ruauitusptalz k, vei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen- Zrveditionen des gn- und Auslandes. Für bas Erscheinen an bestimmten Tagen n Plätze» wird leine Garantie übernommen. Hauur-Filiale Berlin: C arlD un cke r,Herzgl.Bayr.Hofbuchhandlg., Lüyowstraße 10 lTel-vdon VI, Nr. 4603). Filial-lkrveSition.TreSden.Mariellstr.34. Mittwoch 16. Januar 1907. 101. Jahrgang. zurückgekommen ist und wo sie sich hier aufgehalten hat i weiß man noch nicht genau. Zur Charakterisierung der Mörderin fei noch hervorgehoben, daß sie, als sie Herrn Direktor Stiller zum ersten Male an der Börse belästigt hatte, wenige Stunden später an Herrn Senator Rabe einen Brief richtete, in welchem sie erklärte, sie wisse gar nicht, wie sie dazu gekommen fei, einen Mann wre Herrn Bankdireltor Stiller in solcher Weite zu belästigen, da er ihr so v>el Wohltaten crw eien, ihr alle Wege geebnet und sie in jeder Werse zu sördern versucht habe. Bon diesem Brief hat auch seinerzeit Herr Direktor Stiller Kenntnis erhalten. Tas Erdbeben auf Jamaika. In einem Teil unserer Auslage von heute morgen meldeten wir bereits nach Telegrammen aus London und New Jork: Kaum haben sich die Gemüter üb.r die Katastrophe von San Francisco beruhigt, da bringt der Telegraph wiederum eine neue Hiobsbotschaft: Dir Stadt Kingston auf Jamaika ist durch ein Erdbeben voll ständig zerstört worben. Viele Menschenleben sind vernichtet, ein unermeßlicher Schaden ist entstanden. Diesen Nachrichten entgegen melden weitere Kabeltele gramme aus New Jork: Nach neuere» Nachrichten, die von St. Thomas hier eingegangen sind, bestätigt sich der zu erst gemeldete Umfang der durch das Erdbeben angerichteten Zerstörung nicht. Nur einzelne Ge bäude, darunter das Haupthotel der Stadl Kingston, sind zerstört; verschiedene sind schwer beschädigt. Die Verluste an Menschenleben dürften die Zahl hundert nicht erreichen, dagegen erlitten mehrere hundert Personen Ver letzungen. Der Brand in der Stadl war heute vor mittag noch nicht gelöscht, man hofft jedoch, seiner bis heute abend Herr zu werden. Auf der Nord seite der Insel richtete das Erdbeben keinen Schaden an. Nach einer im Londoner ,Kolonia>amt eingegangenen Depesche aus Hollandbay (Jamaika) soll ferner bei der nach dem Erkb-ben entstandenen Feuersbrunst auch das Militär hospital abgebrannt sein. Unter den Toten sollen sich 40 Soldaten, verschiedene der angesehensten Bürger und der frühere englische Gesandte Sir James Fergussen befinden. Sonst wird bis jetzt kein Einwohner aus eng lischen, amerikanischen oder kanadischen Kreisen vermißt. Die Stadt ist ruhig. Der Gouverneur leitet die Rettungs arbeiten. Von weiteren Erdstößen wurde nichts gemeldet. Trotzdem herrscht in St. Thomas noch große Panik. Ein New Iorker Telegramm meldet im Zusammenhang hiermit: Auf der Insel Hawaii ist auf dem MounaLoa ein schwerer vulkanischer Ausbruch erfolgt. Vier neue Lavaströme eulstanven. poittiseheL. * Zum Tode der Königin Marie. Tie Uebersührung und Aufbahrung dec Leiche der verstorbenen Königin in der Schloßkapelle zu Gmunden findet heute nachmittag t Uhr statt. Im Anschluß daran erfolgt die Ein- scgnung und Beisetzung am Sonnabend nach der Abreise des Kaisers Franz Josef. — Am Sarge sind eine große Zahl Kränze niedergelegl worden, u. a. einer von der Prinzessin Eitel Friedrich. * Johannitcrorden. Tie Einführung deS neuen Herren- mcistcrs des Johanniterordens, Prinzen Friedrich Heinrich van Preußen, wird am 16. Februar in der Berliner Schloß- kapelle durch den Kaiser erfolgen. * Reklamationen wegen des kubanischen AufstaudrS. Ter „Reichsanzeiger" bringt folgende Mitteilung: Die provi sorische Regierung der Republik Kuba Hal unierm 22. No vember 1966 ein Dekret wegen Regelung der Reklamationen erlassen, die aus dem letzten kubanischen Aufstande herrühren. Tanach müssen solche Reklamationen bis zum 15. Februar 1907 bei dem kubanischen Justizdepartement zur Prüfung eingereicht werden. * Der Streik der polnischen Schüler geht in West- Preußen zurück. Nach der letzten amtlichen Erhebung streiken im Regierungsbezirk Danzig noch 4769 Schüler in 159 Schulen, im Regierungsbezirk Marienwerder 2841 Schüler in 138 Schulen. Ter Rückgang beziffert sich hier nach für die ganze Provinz Westgreußen in 12 Tagen aus 756 Schüler in 18 Schulen. * Ein Urteil gegen Rosa Luxemburg. Nach Warschauer Meldungen Pariser Blätter verurteilte das russische Kriegs- gcricht die sozialdemokratische Agitatorin Rosa Luxemburg wegen revolutionärer Umtriebe in contumaciam zu fünf zehn Jahren schwerer Zwangsarbeit. * Intendant von Hülsen und die Wahlen. Tas Wies- badener Zentrumsorgan meldet, daß der zurzeit in Wies baden weilende Intendant v. Hülsen einen Erlaß an die. Schauspieler richten wird, worin er diesen ans Herz legt, Mann für Mann an der Wahlurne zu erscheinen und ibrc Pflicht als Patrioten zu erfüllen. * * Die Jagd auf Raijuli. Tie marokkanischen Regie- rungstrnppen sind noch immer nicht weiter vorgedrungen, weshalb man befürchtet, daß Raisuli sich noch weiter ins Gebirge zurückgezogen hat. 'Der Stamm der Andfchara be riet gestern darüber, ob er Raisuli zwingen solle, sich zu er geben. — Nach Meldungen aus Tanger unterhandelt der mn der Haupttruppc vor Guar lagernde Bagdadi mi: Zellal einem Verwandten Raisulis. Raisuli wäre von Zellal scho,- ausgeliefert worden, wenn er eine Bürgschaft für die Be zahlung der vom Maghzen für Raisulis Kopf ausgesetzten Prämie hätte. So aber fürchtet Zellal sür den eigenen KoH Die zweite Truppe des Sultans lagert unter Amram im Sahelbezirke bei Lavasch. Aui dos erste Alarm Zeichen hin können beide Kolonnen zuwammenwirken. * Der Ncu-Hebriden-Pertrag. Tie Bundesregierung veröffentlicht den Text der Antwort des britichen Staats sekretärs für die Kolonien, Earl of Elgin, aus den dics- feitigen Protest dagegen, daß es unterlassen worvcu ist, sic Zustimmung des australischen Bundesstaates zu den Be- flimmungen des zwilchen England und Frankreich über die Neuen Hebriden abgeschlossenen Verkrages cinzubolcn. Ter Souilleton. vis Kunst steckt wahrhaftig in cker dlatur; wer sie heraus kann reihen, cker Hal sie. Mdrecku Dürer. K.L hat ckoch im twunckc niernanck einen rechten begriff von cker Schwierigkeit cker Kunst als cker Künstler selbst. Socwc. Vie Kunst ist zwar nicht ckss 8rot, aber cker Wein cke§ Vebena. 3esn Dav!. ver gute Wille ist in cker Floral alles: aber in cker Kunst ist cr nichts-, cka gilt, wie schon ckas Wort an- ckeutet, allein ckas Können. Scbspcnbsuee. An» Hofe Friedrich» de» Großen. sAus neu veröffentlichten Tagebüchern.) Wenn wir uns ein Bild von dem Kose des großen Fried rich machen, dann steigt vor uns das lulle Sanssouci aus und die Tafelrunde seiner geistvollen Frcuudc. Nichts von rauschendem Prunk, von großen Festlichkeiten. Es ist das Heim eines einsamen Philosophen, eines Sonderlings. Heine Frauen finden hier Zutritt, nichts von weiblicher Hokenerüe und galantem Luxus waltet in deu intimen Räumen, in denen der König das einfache Mal durch geistreiche Plau dereien würzte, in denen nur Arbeit, harte Arbeit herrschte und in den Mußestunden Tichtkunst und Philosophie oder der Flötcnklang musikalischer Phantasien. Aber es gibt auch noch eine andere Hofhaltung Friedrichs des Großen, in der teine Gestalt nicht dem Ganzen lbr eigentümliches Gepräge aufdrückt, sondern nur groß und überragend im Hinter grund steht. Das ist der Berliner Hot, an dem der König alljährlich nur kurze Zeil verbringt und an dem die Frauen herrschen, die Königin und die Prinzessinnen, an dem es festliche Gelage und Bälle, Galazeremonien und offizielle Veranstaltungen gibt und der lcimtsinnig frivole Geist des Rokoko noch sein Wesen treibt. In dem Leben und Wirken des großen Königs spielt dieser Hof keine Rolle: immer mehr zieht er sich aus dem bunten Getriebe ui seine Einsamkeit zurück und eine ungeheure Hlusl öffnet sich zwischen dieser leichtlebigen Hofgesellschaft und dem gcuucktigen Tatcnmen- scheu, der in strenger Pflichterfüllung sein Lebensziel zum Wohle seines Staates vollendet. Während cr mit seinem Häuflein Tapferer den Streitkräften ganz Europas die Spitze bietet und am Rande des Unterganges sich zu über menschlicher Größe emporrafft, feiert man am Hose Masken feste und „tanzt mit wahrer Wut". Es ist wohl nötig, daß man sich dieses Gegenbild des Hos- treibens vor Augen stelle, denn erst von diesem Hintergründe bebt sich die Persönlichkeit des „alten Frihen" in ihrer ein samen Größe recht deutlich ab, erscheint sein Potsdamer Musensitz als der notwendige Zufluchtsort, dessen seine Seele! bedurfte, wird uns auch die Tragik seines Lebens verständ lich, die ihn von seiner Umgebung völlig isolierte und früh zum Einsiedler machte. Eine lebendige Schilderung dieses Hofes bieten uns die Tagebücher des Grafen v. L e h u d o r f f, die K. E. Lchmidt-Lötzcn soeben bei F. A. Perthes in Gotha unter dem Titel „Dreißig Jahre am Hose Friedrichs deS Großen" veröffentlicht. Lehndorff war seit dem Jahre 1745 Hammcrherr der Gemahlin Friedrichs, der Königin Elisa beth Christine. Er stand den drei Brüdern des Honigs, dem Prinzen August Wilhelm von Preußen und deu Prinzen Heinrich und Ferdinand, die ja in einem sich allmählich immer mehr zuspltzcnden Gegensatz zu Friedrich standen, freundschaftlich nahe; cr war bei den königlichen Damen be liebt und konnte daher in seinen täglichen Auszeichnungen auS eigenem Erleben über die Ereignisse an diesem Hofe bc. richten, au dem der eigentliche Hcrrfcher eine so geringe Rolle spielte. Der Kammerherr ist ein gewandter Hoimann, der fick) in den ränkevoüen Spielen und Intrigen wohl zurecht findet, dabei ein fein gebildeter, vornehm denkender Mann, der innerhalb seiner Weltanfchauung objektiv und vorurteilslos urteilt und sehr gut beobachtet. Freilich ist cr noch ein echter Sohn des „anaic-n rös-iruo", ein großer Herr, für den alle Bürgerlichen „Lumpenpack" sind, der auch bei Fürsten andere Maßstäbe der Moral anlcgt und nach Art des Molicreschen „Amphytrion" in einem Ehebruch nichts Schlimmes erblicken kann. Er wurzelt durchaus noch in den Anschauungen des französischen Hlasfizismus, ergötzt sich Höchlichst an einem neuen Gesang der „Pucellc" von Voltaire, verehrt Racine und liest gern römische Schrift steller. In dieser Verehrung der römischen Kultur, mit deren Helden er König Friedrich vergleicht, erhebt er sich ein wenig über den Geist des Rokoko, der ihn und sein Milieu onst beherrscht. Ebenso künden eine überschwängliche, gc- ühlsseligc Note, ein schwärmerisches Freundschaftsgefühl, ür seine heißgeliebten Prinzen, sein Verhältnis zu dem eng- ischcu Gesandten Hotham schon die beginnende Zeit der Sen timentalität an Die ganze Größe des Königs, der in seinen Empfindungen der Zeil so weit voraus war, hat sich ihm je doch nicht erschlossen. So sehr er ihn auch preist, es klingt eine leise Bitterkeit, eine gewisse Verstimmung durch. Jin Grunde war cs ihm unverständlich, was in der Seele des Königs vorging, was die schroffe und mißtrauische Art seines Wesens vcruwachte. Er fühlte sich zurückgesctzt. Unter dem 24. Januar notiert er sich: „Geburtstag unseres Königs. Alles erscheint in Gala, aber man siekt den Hönia nicht, in dem S. M. sich zur Ader gelassen hat. Ich belmupte. daß die Liebe eines Individuums zu seinem Herrn ibn angeboren ist: was mich wenigstens anbctrisst, so spüre ich immer einen ganz besonderen Drang, dem meinigen alles erdenkliche Glück zu wünschen. Es ist keine Selbstsucht dabei, cS ist einzig und allein das Herz, das für ibn wricht. Denn wenn ich meinen ersten Eindrücken folgen würde, so hätte ich Grund, mit ihm unzufrieden zu sein Er hat mir eine feste Versorgung versagt, er hat mir Tinge versprochen, deren Erfüllung ich niemals crlvartc: aber trotz alledem liebe ich ihn. Eine Eigenschaft, die ich bei einem König ssir 'ehr wesentlich holte, ist die, daß er nach Möglichkeit suchen muß, seine Leute kennen zu lernen und nicht ohne weiteres den Bericht«» der anderen glaubt, die gewöhnlich von Mißgunst diktiert sind Demgemäß muß ein König nicht zu sehr die Einsamkeit lieben, sich nicht einer bestimmten Gesellschaft anschließen, sondern die Gesamtheit kennen lernen." Der König aber steht einem großen Teil seines Hofes völlig fremd gegenüber. Wenn er, was selten vorkomml, ein großes Mitlagscsseii gibt, dann ist „alles großartig und höchst lang weilig''. Leine Gegenwart lastet aus den Personen, die ge laden sind, so daß sie zu Bildsäulen erstarren. Friedrich konnte furchtbar sarkastisch und grob sein: sein beißender Witz richtete sich gegci^die Jntimsien seiner Tafelrunde, die ihm nicht immer wie Scydlitz mi: gleicher Münze antworten konnten, gegen die drei Herrscherinnen, mit denen er Krieg führte und von denen er in den derbsten Aussprüchen spricht, gegen alle Well. „Ter König ist bei seinem Souper in der Laune, daß er auf alle Welt schilt: so sagt cr unter anderem zum alten Grasen Podewils, daß cs für einen Staatsministcr eine Lchandc >ei, am Hellen Tage in ein Bordell zu gehen, und daß er nie habe begreifen können, wie der verstorbene Herr v. Grumbkow, der doch ein Mann von Verstand ge wesen sei, seine Töchter nur an Dummköpfe habe verheiraten können — dabei war die erste Frau des Ministers Podewils die Tochter des Marschalls." „Der Prinz Looz belästigt den König immerfort^wegen des Ranges seiner Frau: schließ- lich antwortet ihm Se. Majestät, daß die Dümmste künftig den Vortritt haben solle." Aber er konnte auch liebens würdig sein. So schreibt er dem alten Herrn v. Pöllnitz, dessen interessante Memoiren noch heule eine wichtige Quelle bilden, der aber recht eitel war, als er ihn zum Emvfaug der türkischen Gesandten ein besonders prächtiges Staatskleid schenkt: „Wenn Sic an mich schreiben, werden Sie fortan adressieren: An den Herrn Friedrich, berühmten Lcibschncider des Baron v. Pöllnitz, wohnhaft zu Potsdam in der Vorstadt Sanssouci." So konnte cr denn auch einen gewaltigen Zauber ausüben. „Vom König kouunt die Nachricht, daß cr unpäßlich wai. als er sich von Schlesien nach Lachsen begab. Da er das Rütteln im Wagen und auf dem Pferde nicht vertragen konnte, so ließ er sich in einer Sänfte tragen, und man batte oiescrhalb alle Bicrtelmcile M Soldaten aufgestellt, die einander ablösen sollten. Aber sie ersten dreißig wollten durchaus die^Sänfte nicht abgcbeu und haben Seine Majestät bis nach Sachsen getragen. So wird er in seiner Armee angebctet. Der große Mann fetzt sich schrecklichen Strapazen auAls der König endlich a> Lieger aus dem Siebenjährigen Kriege heimkehrt, ist ein feierlicher Empfang vorbereitel Im Lchloghof ist alles per- sammelt und der Oberstallmeister hat ihn mit einer Eskorte von 3<>D Mann zu Pferde eingeholt. Ws man aber an langt. ist die Kutsche des Honigs verschwunden: er ist durch andere Straßen gefahren uuv befindet sich bereits auf seinem Zimmer, währens sein Ho' ihn noch feierlich erwartet. Ter Honig begrüßt die Gesandten und Prinzen und tritt dann einen Augenblick bei der Königin ein. „Ihre Majestät schreitet ihm entgegen, und er jagt ihr als einzige Begrüßung nach siebenjähriger Trennung: „Madame sind korpulenter geworden!" Daraus nähert er sich den Prinzessinnen und umarmt sic nacheinander. Von dem Wesen dec Honigin entwirft ihr Kammcrherr, ein Bild, das die frühzeitig eingetretenc Entfremdung zwischen dem Herrscherpaare verständlich macht ! Bei all ihrer Gutmütigkeit weiß sie sich doch nxnig zu beherrschen. „Die Königin ist im Grunde eine gute Frau; aber die Ge mahlin des größten, des schätzenswertesten und liebens würdigsten der Könige zu sein, dazu paßt sie ganz und gar nicht. Sie besitzt gar keine Würde, keine Unterhaltungsgabc. wiewohl sic mehr als nötig redselig ist. Sic ist heilig über alle Maßen, fühlt sich^nur unter ihren Kammerfrauen wvhl und ist Leuten von Stande gegenüber oft verlegen: hoch mütig gegen Niedrigsiedende, ist sie unterwürfig gegenüber den Leuten, die dem König nahe stehen." „Ich'kenne nic- u and, der so wenig Maiuercn besitzt, wie diese Königin. Wenn man ihr Treiben beobachtet,'möchte man glauben, daß das Schicksal sie nur versehentlich auf einen Thron ge setzt hat. Sie würde entschieden als Frau irgend eines Awt- mannes glücklicher sein, weil ihr immer am woblslcn isi. wenn sie in ihrem Schönhauser Loch allerhand Zeng zu sammenschwatzen kann." Weder dem König noch der Königin stand Lchndorff wirk lich nahe: feine ganze Liebe gehörte den beiden Brüdern Friedrichs, dem licbcnswurüigcu Prinzen von Preußen, und dem genialeren Prinzen Heinrich, dem großen Heerführer. Gar vieles erfahren wir von den Liebesabenteuern dee- älteren Bruders, der so leichtlebig durchs Leben schrill und auch im Kriege die gute Laune bewahrte, bis. ihn schließlich der scharfe Tadel des Bruders in die Seele lrcss. Als ein körperlich und seelisch gebrochener Mann kehrte er vom Kriegsschauplatz zuruck und in dem letzten Jahre seine? Lebens steht ihm Lehudorfs besonders nabe: cr sitzi an seinem Krankenbett. Höri die letzten Bekenntnisse des müden Lebe mannes und erzählt gerührt von seinen liebenswürdigen Scherzen. Auch beim Prinzen Heinrich weilt cr noch 'pater in seiner Rheinsberger Zurückgezogenheit, wo der Kriegs held grollend und verärgert lebt. Neben Studien und^ernfier Lektüre liebt der Prinz vor allem Maskeraden. So per- ansialteke er noch 1769 eine scltiamc Zeremonie, bei der eine Aufnahme in den Freimaurerorden mit allem Ernst darge- stellt wurde. Erotischer Mummenschau; und rlicairalischc Vorstellung gcöörteu eng ^um Geiste,cner Zeil- Beständig wird Theater geünelt: der König selbst bearbeitet eine Oper: „Die weib- luden Brüder", und die Herren vom Hofe treten in fran zösischen Stücken auf, ja selbst die Kinder spielen kleine Ko- möüien. Bei den Hocbzeikcn finden große MaSkenauizüge statt und die jungen Prinzen amüsieren sich besonders gern in grotesken Vermummungen und Szenerien, bei denen Lehndorff ihr Helfer und Genosse ist. Die mvstiseh-aber- gläubischen Vorstellungen der Zeit spielen herein: die welt müden Damen ziehen sich in Einsiedlerbiitteii zurück und neben Puderquaste und Lchönheitspslä'tercheu erschein! Kruzifix und Tvtcukops. Einmal verkleiden 'ich alte Prinzen als Juden; sie versammeln sich in einem als Lnnagoge ein gerichteten Zimmer und einer tritt als Heiliger unter sie und bekehrt sic alle. „Den Prinzen von Preußen steckt man in Frauenkleibcr, was dermaßen wirkt, daß man vor Lachen bersten möchte." Türkische Feste führen in die sinnlich schwüle Welt des Orients, Ebinoiscricn und burleske Grup pen ziehen parodisti'ch den Ernst der Mythologie inS Lächer liche und grobe derbe Späße milchen sich darein. Seltsam nimmt sich diese phantastische Welt der Feste, in denen der Hof lebt und webt, neben den militärischen Exerzitien aus.
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