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01-Frühausgabe Leipziger Tageblatt und Handelszeitung : 02.11.1907
- Titel
- 01-Frühausgabe
- Erscheinungsdatum
- 1907-11-02
- Sprache
- Deutsch
- Digitalisat
- SLUB Dresden
- Lizenz-/Rechtehinweis
- Public Domain Mark 1.0
- URN
- urn:nbn:de:bsz:14-db-id84535308X-19071102014
- PURL
- http://digital.slub-dresden.de/id84535308X-1907110201
- OAI-Identifier
- oai:de:slub-dresden:db:id-84535308X-1907110201
- Sammlungen
- LDP: Zeitungen
- Strukturtyp
- Ausgabe
- Parlamentsperiode
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- Wahlperiode
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Inhaltsverzeichnis
- ZeitungLeipziger Tageblatt und Handelszeitung
- Jahr1907
- Monat1907-11
- Tag1907-11-02
- Monat1907-11
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Anzekgen-Prei» stlr Inserate aus Leipzig und Umgebung di« Sgejpaltene Petitzeile 25 Pi., finanzielle Anzeigen 30 Pj.. Reklamen 1 M.; von auswärts 30 Ps. Reklamen 1.20 S?t. vomAuSland5uPs., sinanz. An,cige>,7üPf. Reklamen I.5a M. Inserate v. Beliärden im amtlichen Teil 40 Pi. Betlagegebühr 5 M. p. Tausend exkl. Post gebühr. MeschästSanzeigen an bevorzugter Stelle im Preise erhöht. Rabatt nach Tarts. Fcsterteille Lusträgc können l icht zurück- gezogen werden. Für dao zkrschest en an bestimmten Tagen und Plätzen wird keine Garantie übernommen. Anzeigen-Ann-bme: AugustuSplatz 8 bei sämtlichen Filialen u. allen Annoncen. Expeditionen des In- und Anslande«. Haupt Filiale Berlin iarl Dunck> H.rzogl. Bayr. Hosbuch- Handlung Lützvwstrabc 10. (Telephon VI. Nr. 4603). Rr. M Sonnabend 2. November 1907. 101. Jahrgang. Das wichtigste vonr Tage. * Tem ersten Vertreter Deutschlands auf der Haager Frie denskonferenz, dem kaiserlichen Botschafter in Konstan tinopel, Freiherr« Marschall von Bieberstein, ist der Schwarze Adlerorden verliehen worden. * Die Abstimmung der englischen Eisenbahner erklärte sich für die Eventualität eines Ausstandes. (S. Ausl.j * Der Schweizer Bundesrat beschloß die Anlage eines zweiten Simplontnnnels. lS. Ausl.j * Ueber das E i s e nP ah n u n g I ü ck bei Nieder »Zissen, bei dem 6 Personen ihren Tod fanden, liegen jetzt nähere Mit teilungen vor. lS. Neues a. a. W. u. Letzte Dep.j Tine Larteiforderrrng. Zwischen der „National-Zeitung" und der „Nationalliberalen Kor respondenz" ist ein Zwist entstanden wegen des abgeänderten Erschei nungsmodus der „Korrespondenz". Es handelt sich darum, daß bisher die „Korrespondenz" in Berlin schon abends ausgegeben wurde, uud verwertet werden konnte. Ten Vorteil hiervon hatten nicht nur die Berliner Blätter, sondern auch alle, die in Berlin eigene Vertretungen unterhalten. Diese Blätter konnten sich das etwa in der „Korrespondenz" enthaltene Nachrichtenmaterial noch für die Morgennummer auf draht lichem Woge zustellen lassen. Zugunsten der kleineren Prvvinzpresse bat man nun diese Abendausgabe der „Korrespondenz" für Berlin ein gestellt. Das sieht zunächst recht paritätisch ans, ist aber doch Wohl nicht der Weisheit letzter Schluß, denn es heißt doch auch die Leistungsfähig keit beschneiden und hat einen zünftlerischen Beigeschmack. Wir können hier darauf Hinweisen, daß von uns in dieser Angelegenheit der Vor schlag gemacht worden ist, eine Konferenz der Berliner Interessenten, zu denen auch wir gehören, einzuberufen, und der weitere Vorschlag, das positive Nachrichtenmaterial nach wie vor abends freizugeben, während die betrachtenden Artikel wohl gesperrt bleiben könnten. Dieser Weg scheint uns durchaus gangbar und zu einem Ausgleich der Interessen ge eignet. Ob er beschritten werden wird, ist zurzeit noch nicht sicher. Es scheint uns aber angebracht, hier nochmals ausdrücklich den Wunsch nach einer Verständigung auszusprechen. Zu unserem Bedauern hat der erwähnte Konflikt eine überflüssige und von persönlichen Anzüglichkeiten nicht freie Schärfe angenommen, die beiden Teilen schadet. Er hat aber auch dazu geführt, daß von der „National-Zeitung" bei der Gelegenheit das Thema Zentralbureau an geschnitten worden ist, denn die Korrespondenz ist heute Parteieigentum und wird im Zentralbureau hergestellt. Diesen Umstand benutzt die „National-Zeitung", um folgendes zu schreiben: „Wer seit anderthalb bis zwei Jahrzehnten die Politik der nationalliberalen Partei journalistisch vertritt, aus Ueberzeugung und nicht auf Kommando, der ist es gewöhnt, auf Schritt und Tritt vom Zentralbureau unserer Partei gehemmt und gehindert zu wer den; gefördert werden die kleinen, folgsamen, abhängigen, die jede Schwenkung, und wär's die verderblichste, unbesehen mitmachen müssen. Wer der Politik der Partei zu dienen bemüht ist, indem er im Kampfgewühl des Tages mit angespannten Nerven danach späht, was die Partei erreichen könnte und müßte; wer den Führern der Partei zu dienen bemüht ist, indem er ihnen einen ehrlichen Rapport übermittelt über die Stimung der Wählermassen im Lande — der kommt im Zentralbureau auf die schwarze Liste und wird, wenn Gott die Gelegenheit günstig fügt, für seine Unbotmäßigkeit so oder so abgestraft. Geht's doch auch anderen nicht anders, die für die Partei jahraus jahrein eine Menge von Zeit, Arbeitskraft und Geld opfern. Wir Journalisten können's ertragen, wir beißen uns schon durch. Die Partei aber wird durch solche Zustände schwer ge schädigt. Denn dies rückständige und kurzsichtige Verfahren, die Geschäfte der Partei zu besorgen, paßt nicht mehr zu dem neuen Geiste, der in ihr seit Jahren sich durchzusetzen ringt, und der sich in Wiesbaden endlich auch durchgesetzt hat. Der Parteitag hat ent schieden, daß die Partei einmütig und geschlossen Vorworts will. Die Geschäftsführung der Partei wird sich entschließen müssen, dem nach zukommen, statt überall als Hemmschuh zu wirken. Sie wird sich entschließen müssen, endlich auch den Parteitag als oberste Instanz anzuerkennen und ihm alljährlich einen Rechenschafts bericht vorzulegen. Was der politische Führer unserer Partei nicht für unter seiner Würde hält, dadurch werden die Ge schäftsführer sich ja auch nichts vergeben. Das ist dann die gegebene Gelegenheit, wo man über diese Fragen sich aussprechen kann, wo auch der unabhängige Journalismus der Partei — der vom Zentral bureau bis auf den heutigen Tag als notwendiges Nebel behandelt wird — sich die ihm gebührende Stellung und Behandlung erkämpfen kann. So lange es mit ollen Versuchen, zwischen Partei und Presse eine bessere Fühlung herzustellen, so geht, wie mit der Konferenz, die vor Jahresfrist hier in Berlin abgehalten wurde — so lange wird man diese Fragen wohl von Zeit zu Zeit öffentlich besprechen müssen. Was übrigens kein so großes Unglück ist, wie ängstliche Gemüter zu glauben geneigt sein werden, wenn sich die Gegner — wie zu er warten — der Sache bemächtigen. Wer ein gutes Gewissen hat, nimmt das gelassen mit in den Kauf." Die hier gegebene Anregung, alljährlich vom Zentralbureau dem Vartoitag« einen Rechenschaftsbericht ablegen zu lassen, scheint uns außerordentlich verdienstlich. Man muß dabei bedenken, daß das Zentral bureau, zumal in Wahljahren, mit sehr beträchtlichen Summen zu wirt schaften hat, von deren zweckmäßiger Verwendung sehr viel abhängt, daß ferner noch immer nicht diejenige kontinuierliche Fühlung -wischen Parteileitung und Presse sich einstellen will, die allein ein erfolgreiches Zusammenarbeiten verbürgt und Dissonanzen vermeidet. Auch heute noch können sich Zustände wiederholen, wie beim Volksschulkompromiß und bei der Reichsfinanzreform, daß Partei und Presse einander nick': mehr verstehen. Dem beizeiten und systematisch durch eine heilsame Parteitagskontroll« entgegenzuarbeiten, ist geradezu eine Notwendigkeit. Und auch daS ist wahr, daß allein auf diesem Wege dem Journalismus ein seiner Bedeutung entsprechender Einfluß auf die Parteileitung, be sonders in organisatorischer Hinsicht, erwirkt werden kann, nachdem es auf dem Parteitage in Dresden abgelehnt worden ist, der Parteipresse eine eigene Vertretung im Zentralvorstande einzuräumen. Wenn des halb der an sich ja nicht welterschütternde und, wie wir wiederholen, bedauerliche Konflikt zu einer prinzipiellen Festlegung der Verant wortung der Geschäftsführung des Zentralbureaus dem Parteitage gegenüber führt, so hat er sein Gutes gehabt. Nachdem die Frage ein mal angeschnitten worden ist, wird sie sowieso nicht mehr zur Ruhe kommen. Das ist nicht schwer zu prophezeien, denn sie trägt ihre agi- latorische Kraft in sich selbst. Die Notwendigkeit und Nützlichkeit der von der „National-Zeitung" vorgeschlagenen Lösung ist überhaupt nicht zu bestreiten. Man hätte schon längst von der Sozialbemokratie lernen sollen, wie solche Dinge gehandhabt werden. Wie man sich dazu hat entschließen müssen, öffentliche Parteitage abzuhalten, und deren Segen so deutlich geworden ist, daß kein Mensch sie wieder abzuschaffen Vor schlägen würde, so wird der Lauf auch bei der vom Zentralbureau dem Parteitage abzulegenden Rechenschaft sein. Diese Rechenschaft ist über haupt nur die Konsequenz der erst jetzt voll anerkannten Bedeutung der Parteitage als oberste Parteiinstanz. Und der Zentralvorstand kann gar nichts Klügeres tun, als so bald wie möglich seine grundsätzliche Zu stimmung zu der Forderung zu erklären. Was man doch nicht vorent- balten kann, soll man einfach konzedieren. Tem Konflikt aber wünschen wir eine baldige friedliche Erledigung. Har-err, Bülow rind England. (Von unserem Londoner X.-Korrespondenten.j Nachdem die „Berlin Court Scandals" über eine Woche nicht nur die Presse, sondern auch die City in Atem gehalten haben, ist die Objek tivität bemerkenswert, die, mit einer allerdings besonders wichtigen Ausnahme, alle kritischen Äeußerungen der Publizistik über den Prozeß als ein Zeit- und Kulturbild beseelt. Diese Objektivität der Presse stehl im diametralen Gegensatz zu dem Empfinden nicht allein des „Mannes in der Straße", sondern auch der gebildeteren Kreise, die den in Eng land lebenden Deutschen gegenüber kein Hehl ans ihrer Genugtuung über die Anfdecknna des deutschen Fäulnisherdes machen und auch weitergehende, gänzlich ungerechtfertigte Schlußfolgerungen ziehen, di« sich aus Rücksicht auf die deutschen Strafgesetze nicht wiedergeben lassen. Die ministerielle „Tribüne" schreibt: „Je weniger von Fremden über den Mvlrke-Harden-Vrozeß -.-'rtz, vstr« h.-»se-. Er «st zu Ende — das ist das Beste, was von ihm zu sagen ist. Gerechtigkeit mag oder mag nickt geschehen sein, soweit die Personcnfrage in Betracht kommt. Einiges Gule kann in der höheren Beziehung aus die deutsche Regierung daraus hervorgehen, aber in Deutschland und kaum weniger im Aus lande ist während der verflossenen Woche durch die ungezügelte Preß- berickterstattung über Herrn Hardens unsäglich abstoßende Geschichte un berechenbares Unheil gestiftet worden. Mir haben nur zwei Bemerkungen zu machen. Erstens hätte dieser Prozeß unter Ausschluß der Oeifentllch- keit stattfinden sollen. Zweitens' Bei dem moralischen Schmerz, den heute ganz Deutschland erfüllen muß, hat man bei anderen Völkern allen Grund, sich nicht auf den affektierten Standpunkt größerer Tugend zu stellen." Tie „Westminster Gazette", deren vorzüglicher Chefredakteur in Er- innerung an die Journalistenfahrt und in Hinblick auf den kommenden Kaiserbesnch ganz besonders liebenswürdig, ja folgewidrig panegyrisch wird, erblickt hingegen „in der extremen Offenheit und Freiheit der Ent- Hüllungen" etwas Anerkennenswertes. „Unsere eigene Prozeßordnung ist so verschieden, daß wir uns kaum solche Ergebnisse eines Beleidigungs prozesses vorstellen können, obwohl wir auf die Ehrlichkeit unserer Gc- richte stolz sind." Im übrigen führt die „Westminster Gazette" über die Prozeßnibrung seitens des Beklagten und seiner Anwalts, nur mit milderen Worten, dasselbe ans, was schärfer im „Vorwärts" gestanden hat, dessen Artikel sich die „Morning Post" telegraphieren ließ, um zu jeder Wendung ihre volle Zustimmung zu erklären. Doch plädiert die „Westminster" kür eine Urteilssuspension seitens der Zuschauer. In Helle Bewunderung r;<> über die Kalkung des Kaisers und des Kronprinzen. „Sie hatten nichts zu gewinnen durch die Enthüllungen, die den preußischen Hof in Mitleidenschaft ziehen. Sie hatten nur zu ge winnen, wenn sie den Skandal unterdrückten und in der Stille der Gerechtigkeit zum Ziele verhalfen. Um so mehr ehrt es den Kaiser, daß er auf diesem Prozeß bestanden nnd die unausbleibliche Folge nickst gescheut hat, seinen Namen in Verbindung mit jenen schmutzigen Einzel heiten gebracht zu seben. In dieser Beziehung doch sicherlich konnte er sich auf seinen Ruf verlassen. Was man auch sonst am Kaiser tadeln mag. in dieser Richtung stimmen seine Kritiker mit seinen Freunden überein." Schließlich rät die „Westminster" ihren Lesern, ebensowenig „die neue Version von dem hilflos beeinflußten Kaiser", wie die frühere von dem Autokraten Wilhelm II. zu glauben. „Der Kaiser, daraus können wir uns verlassen, ist weder so zu beeinflussen, als die eine Geschichte, noch Io eigensinnig und autokratisch, als die andere es wahr haben wollen. Minister und Exminister, die sich mit Souveränen entzweien, schreiben ihren Sturz fast ausnahmslos unberechtigten Einflüssen zu, und, die Wahrheit zu sagen, es gibt wohl keinen Hof in der Welt, an dem nicht von Zeit zu Zeit unterirdische Einflüsse mitfpielen. Der deutsche Hof teilt diese Schwäche unzweifelhaft mit anderen Höfen, und was den Kaiser an- geht, so werden wir ihn uns am besten menschlicher und fehlbarer denken, als seine Höflinge ihn dargestelli haben, aber keineswegs als die schwache Figur, die die „Kamarilla" für ihre eigenen Zwecke aus ihm ge- macht hat." Weit weniger als die „Westminster" dreht sich die „Pall Mall Gazette" um den heißen Brei. Sie spricht es offen aus, daß der Pro zeß nicht nur daheim, sondern auch im Auslande der Dynastie schwere» Schaden getan, das Vertrauen zu ihr erschüttert habe, und hängt dieser Version dann das übliche jingoistische Moralschwänzchen „Dar» bsllum . . ." an. „Jetzt also", sagt das Blatt, „hat sich die öffentliche Meinung in Deutschland davon überzeugen können, daß der Eimluß hinter dem Throne, den Fürst Bülow noch vor kurzem ableugnen wollte, eine Realität ist. Es ist unausbleiblich, daß das öffentliche Vertrauen in die kaiserliche Politik, in die innere und in die äußere, bedeutend erschüttert wird. Tie Deutschen werden sich daran erinnern, daß der Zar von Rußland durch einen Ring von Spekulanten zu lener Politik der Ausdehnung im fernen Osten gezwungen wurde, die schließlich zu dem katastrophalen Kriege mit Japan führte. Die Deutschen werden zu wissen verlangen, inwieweit die zweifelhaften Er folge der deutschen Diplomatie während der letzten Jahre durch die Inspirationen, die aus dem Liebenberger Schloß stammten, zu erklären sind. Ueberdies werden sie ihr Vertrauen weder in die Armee noch in den Adel gestärkt fühlen — diese beiden Anker des politischen und des sozialen Gebäudes von Preußen, nachdem sie jetzt einen Blick in das Privatleben gewisser preußischer Offiziere und Edelleute getan haben. Es ist, kurz gesagt, unmöglich, sich zu stellen, al- bemerke man nicht, daß das oanze kaiserlich- Svstem des modernen Deutschland schwer diskreditiert ist. Und in diesem schlechten Kredit liegt eine gewisse Gefahr für andere. Draußen Ablenkung für schlechten Kredit daheim zu suchen, ist eine Aus- kunftsmethvde, die der Geschichte keineswegs unbclannt ist, und die ncch nie dem Weltfrieden gedient bat. Wir können nur hoffen, der deutsche Souverän und das deutsche Volk erkennen es als die beherrschende Not- Wendigkeit, die nächstliegende Pflicht zu tun, nämlich sich mit dem größten Eifer an bie Vollendung der nationalen Reinigung zu machen, die mit dem Moltke-Harden-Prozeß begonnen hat." Den Wünschen der von der „Pall Mall" vertretenen hochkonservativen Kreise entspräche es aller dings, wenn das Vertrauen zum Kaisertum in Deutschland erschüttert wäre. Die „Pall Mall" läßt etwas gar plump die Katze aus dem Sack. Die „Times" hingegen fängt es ganz verwünscht geschickt an, den Effekt, daß das Vertrauen zum Kaiser schwinde, möglichst wirksam zu erreichen. Die „Times" ist bekanntlich der gehässigste, ja ein verleumderischer Kritiker der deutschen Nation und seiner Fürsten, eigentlich seit 1815, und der besondere Zielpunkt ihrer vergifteten Geschosse ist von jeher der gegenwärtige Kaiser gewesen. Man fürchte die „Times", dieses Brut- nest politischer Hintertreppenintrigen, auch wenn sie plötzlich Geschenke bringt. Die „Times" schreibt jetzt: „Der Prozeß wurde weit mehr zu einer Entfaltung politischer Propaganda, denn zu einem Pro zeß um des Klägers Ehre. Und so scheint ihn auch die Berliner Bürger- schast angesehen zu haben. Keinem nützlichen Zwecke würden wir dienen, wollten wir länger bei gewissen abstoßenden Zügen dieses Prozesses verweilen. Keine Nation, die unsere so wenig, wie irgend eine andere, ist so frei gewesen von gesellschaftlichen Skandalen, daß sie gegen den Nachbar einen Stein aufhebcn könnte. Der ernste Fleiß des normalen deutschen Bürgers, die häuslichen Familicntugenden, die selbst der Spötter Heine anerkannte, und die auch der flüchtigste Beobachter heute noch ebenso erkennen muß, der deutsche Eifer für den Erwerb von Kennt nissen, die intensive Liebe zum Vaterland und zu seinem Ruhme: All dies sind ebensovicle Beweise, daß das in diesem Prozeß enthüllte Laster nur ein kleiner, wenn auch abscheulicher Auswuchs an einem edlen L>rganis- mus ist. Bedeutungsvoller ist die Handhabe, die die Partei der Mißver gnügten zu einem Angriff auf die maßgebenden Kreise erhält." Tann werden Kaiser und Kronprinz über den grünen Klee gepriesen. Ist das noch die alte giftige „Times"? — Ja, sie ist es, womöglich noch giftiger ist sie. Man erinnert sich des heftigen Angriffes, den die „Times" vor kurzem gegen den Fürsten Bülow gerichtet hatte, als der Gedanke erwogen wurde, der Reichs kanzler solle den Kaiser begleiten, damit das Reichsoberhaupt nicht ohne „ministerielle Bekleidungsstücke" in Windsor erscheine. Inzwischen hat die englische Hofpartei, deren Stimmung die „Times" damals ausdrückte, gesiegt: Fürst Bülow bleibt in Berlin. Tie englischen Bülowstürzcr gedenken offenbar, bei Gelegenheit des Kaiserbesuches den Moltke- prozeß zu einem Hauptschlag gegen den verhaßten Kanzler auszunützen. Man höre, wie die „Times", aus der dem Kaiser regelmäßig Aus schnitte vorgelegt werden, sich die Intrige denkt. Nachdem sie sehr deutlich zu verstehen gegeben hat, Bülow habe auch zu den Intimen der Eulenburgpartei gehört und sich von ihr erst nach Hardens Artikeln ge trennt — bekanntlich eine unrichtige Unterstellung! — sagt sie: „TaS Material, das Harden während seiner Kampagne gegen die Kamarilla und bei dem Prozesse benutzte, ist nicht von der Art, wie es in der Regel auch dem bestuntcrrichteten Berliner Journalisten zugänglich ist, es sei denn, es wird ihm besondere Information zugestcckt. Tie einzige Erklärung ist, daß sie Harden durch Personen zugänglich gemacht wurde, die genau wußten, was hinter der Szene vor sich ging. Gleichwohl wurde kein Versuch gemacht, den Wert der von oder für Herrn Harden abgegebenen Erklärungen zu prüfen, obgleich sie die politische Hand lungsweise des Kaisers unmittelbar angingen. Fürst Bülow s!s er innerte in derselben Rede, in der er zum ersten Male auf die Kamarilla anspielte, den Reichstag an des alten Kanzlers charakteristischen Aus spruch von den Unannehmlichkeiten, die sich ergeben, wenn der Monarch zu häufig „ohne ministerielle Kleidungsstücke erscheint. Niemals hat der Monarch dieses ministerielle Bekleidungsstück nötiger gehabt, als bei diesem wohlgeplanten Versuch im gegenwärtigen Prozesse, das Prestige Seiner Majestät herabzusehen, indem man ihn als von einer Clique verkommener Intriganten düpiert hinstellt. Aber Fürst Bülow, der als Zeuge für die Verteidigung geladen war, zog cs vor, nicht vor Gericht zu erscheinen, und die Beweisführung oder was dafür gilt — daß zwischen des Kaisers Politik und des Kanzlers Politik während der Marokkokrise ein angeblicher Antagonismus bestanden habe —, wird nicht in Frage gestellt und nicht zurückgewiesen. Für ausländische Beob achter ist dies der überraschendste und sicherlich der mysteriöseste Zug in diesem abstoßenden Prozeß, von dem wir offenbar noch nicht das Letzte gehört haben." Es ist ein verteufelt schlauer Plan, dem mißliebigen Kanzler die Schuld an dem ganzen Skandale in die Schube zu schieben und ihn da durch mit dem Kaiser in Widerspruch zu sehen. Mer will sagen, was sich nach den Tagen von Windsor ereignen wird? Wird Herr Harden an gesichts dieser Auslassung der „Times", angesichts dieses Komplotts auch noch erklären, daß ihm gleichgültig ist, was man im Auslände von seinem Prozesse und dessen Folgen im Reiche denkt? Deutscher Reich. Leipzig, 2. November. * Tie Begleitung des Kaisers auf der «nglandreise. Außer dem Staatssekretär v. Schön wird der Botschaftsrat Graf Hatzfeld, der Sobn des früher.« Botschafters in London, den Kauer auf seiner Englandreiie begleiten. Nack der Rückkehr von London w rd Herr v. Schön, der gegenwärtig noch in Petersburg weilt, sein neues Amt definitiv übernehmen. * Staatsanwaltschaft und Prozetz Moltke-Hardeu. Ueber die Gründe, die zum Einschreiten der Staatsanwaltschaft geführt haben, wird aus Berlin berichtet, daß, nachdem die „peinlichen Begleit erscheinungen" des Prozesses nun doch zutage getreten sind, was die Staatsanwaltschaft durch ibre ablehnende Haltung vermeiden wollte — und dem Grälen Moltke dabei anscheinend nicht ge nügend Gelegenheit zu seiner Rechtfertigung gegeben Worten ist, io halte eS die Staatsanwaltschaft sitzt für angemessen, eine völlige Aufklärung nack allen Seiten berbeizufübren und deshalb in d e Sache einzugreiten. Es beginnt nun, worauf besonderes Gewicht zu legen ist, eiu völlig neues Verfahren. Die Berufung tällt fort. Die Angelereubeit kommt vor eine Strafkammer von fünf R chteru, während bei der Be rufung nur drei Richter zu entscheiden gehabt batten Es frage sich aber, ob die Staatsanwaltschaft in der Lage ist, ries völttg neue Verfahren einzuleiten, nachdem bereits daS Schöffengericht durch Urteil gesprochen bat. Die in dem „Archiv für Strafrecht" niedergelegten Ansichten des AmrS- gericbtSrats von Kujawa (über die Wirkungen der Uebeinabme der Strafverfolgung seitens der StaatSanwalttcbast in dem Verfahren auf Erhebung der Privatklage, Jahrgang 49, Seit' 10) unv des StaatSanwaltS Ditlmann (zur Auslegung des H 17 Absatz 3 der Strafprozcßorvnung, 52. Jahrgang, Seite 298) geben dahin, daß die StaaiSanwallichast nicht berechtigt ist, em gänzlich neue- Strafverfabien einznleiten, nachdem bereits das Schöffcnaericht ein, wenn auch durch die Berulunr angefochtenes Urteil gefällt bat. Dagegen steht die StaalSanwatttcbaft auf dem Standpunkte de< Reichsgericht«, welche« die Zulässigkeit diese« neuen Verfahren« durch mehrfache Enttcheidunaen ausgesprochen hak. Die Staatsanwalt schaft bezieht sich aus die Entscheidungen keS Reichsgericht« in Straf-
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